Zur Lauretanischen Litanei (1)

Bei einer Litanei handelt es sich um ein vorformuliertes Gebet, in dem auf ein Anliegen oder eine Anrufung immer derselbe Gebetsruf folgt. In der Bibel finden wir ein Beispiel dafür im Psalm 136, wo es am Ende jedes Verses heißt:

[…] denn seine Huld währt ewig!

In der katholischen Tradition gibt es zwei große Litaneien, die für längere Zeit die allein für die Liturgie zugelassenen Litaneien waren: die Allerheiligenlitanei, in der eine große Anzahl Heiliger um ihre Fürbitte angerufen werden, und die Lauretanische Litanei, in der vor allem Maria, die Mutter Jesu um ihre Fürbitte angerufen wird.

Die Lauretanische Litanei hat ihren Namen nach dem italienischen Wallfahrtsort Loreto, wo der Text dieses Gebets seit dem 16. Jahrhundert belegt ist.

Ich bin auf etwas abweichende deutsche Texte gestoßen. Auf der Website des Vatikans findet sich diese Version. Ich werde mich im Folgenden aber an den im Gotteslob1 (Nr. 566) abgedruckten Text orientieren.

Die Litanei beginnt mit Anrufungen des dreieinen Gottes. Daraufhin wird Maria unter den verschiedensten Bezeichnungen und Bildern um ihre Fürbitte angerufen. Ich werde mich nicht mit jeder einzelnen Anrufung beschäftigen, sondern nur mit manchen, die mir zu denken gegeben haben. Da die Litanei lange ist, veröffentliche ich diesen Beitrag in mehreren Teilen.

Ich gehe auch nicht auf die grundlegende Frage ein, ob es überhaupt möglich ist, Maria im Gebet anzurufen. In den Beiträgen Selig preisen mich alle Geschlechter, Maria, die Mittlerin, Wer hilft?, Hat Maria einen besonderen Zugang zu Jesus? und Unter deinen Schutz und Schirm … habe ich schon Gedanken dazu geschrieben.

Doch nun zu den Anrufungen Marias:

Heilige Mutter Gottes

Hat Gott eine Mutter? Diese Frage stellt sich bei dieser Anrufung für jeden, der mit der katholischen Dogmatik nicht vertraut ist. Der ewige Gott hat keine Mutter. Er ist ohne Anfang und ohne Ende. Er ist der Ursprung und das Ziel aller Schöpfung, also auch Marias, die als Mensch ein Geschöpf des einzigen Gottes ist.

Das Konzil von Ephesus (431) hat Maria Theotokos – „Gottesgebärerin“ – genannt und wollte damit vor allem eine Aussage über Jesus machen. Jesus ist Gott vom ersten Augenblick seiner menschlichen Existenz an. Auch wenn Jesus von seiner Mutter nur die menschliche Natur empfangen hat, war er doch ab dem Beginn seiner Existenz als Mensch, als Maria ihn durch das Wirken des Heiligen Geistes auf wunderbare Weise empfangen hat, schon Gott. Es gab den Menschen Jesus nie ohne seine göttliche Natur, weil in ihm das ewige Wort Gottes Mensch geworden ist (Johannes 1,14). Von daher ist es möglich, von Maria als „Gottesgebärerin“ zu sprechen. Der von ihr geborene Sohn war bereits vor der Geburt wahrer Gott. Der Titel „Gottesmutter“ kann unter diesem Aspekt richtig verstanden werden, weil Marias Sohn wahrer Gott ist. Jedoch kann dieser Titel noch leichter als der Titel „Gottesgebärerin“ in dem Sinn falsch verstanden werden, dass Jesus auch seine Gottheit von Maria empfangen hätte, was auch nach katholischer Dogmatik eine Häresie darstellt. Dennoch wurde von einem katholischen „Heiligen“ Maria die „Mutter unseres höchsten Vaters“ genannt, ohne dass er deswegen als Irrlehrer verurteilt worden wäre.

Mutter der Barmherzigkeit

Barmherzigkeit ist eine in der Bibel immer wieder betonte Eigenschaft Gottes.

Der HERR ging vor seinem Angesicht vorüber und rief: Der HERR ist der HERR, ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig und reich an Huld und Treue: (Exodus 34,6)

Du aber, Herr, bist ein barmherziger und gnädiger Gott, langsam zum Zorn und reich an Huld und Treue. (Psalm 86,15)

Der HERR ist barmherzig und gnädig, langmütig und reich an Huld. […] Wie ein Vater sich seiner Kinder erbarmt, so erbarmt sich der HERR über alle, die ihn fürchten. (Psalm 103,8.13)

Die Huld des HERRN ist nicht erschöpft, sein Erbarmen ist nicht zu Ende. (Klagelieder 3,22)

In Jesus hat uns Gott seine Barmherzigkeit zugewandt. So sagte Zacharias nach der Geburt seines Sohnes Johannes:

78 Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe, 79 um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes, und unsre Schritte zu lenken auf den Weg des Friedens. (Lukas 1,78-79)

Gott ist der Vater des Erbarmens:

Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater des Erbarmens und Gott allen Trostes. (2 Korinther 1,3)

Gnade wird mit uns sein, Erbarmen und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, dem Sohn des Vaters, in Wahrheit und Liebe. (2 Johannes 3)

Wenn durch Jesus die Barmherzigkeit Gottes in besonderer Weise zu uns gekommen ist, könnte man Maria die Mutter der Barmherzigkeit nennen. Doch kann auch dieser Titel sehr leicht missverstanden werden, als ob Maria als die „Mutter“ der Barmherzigkeit auch die Quelle der Barmherzigkeit wäre. Es ist allein Gottes, aber nicht Marias Erbarmen, durch das wir vor ihm leben dürfen.

Mutter der göttlichen Gnade

In der Heiligen Schrift finden wir Maria als die, die vor Gott Gnade gefunden hat:

28 Der Engel trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir. […] 30 Da sagte der Engel zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. (Lukas 1,28.30)

Wenn Maria „Mutter der Gnade“ genannt wird, erweckt das den Eindruck, als ob Maria die Gnade schenken würde, da sie doch deren Mutter ist.

Es ist aber ihr Sohn, durch den Gottes Gnade in besonderer Weise zu uns gekommen ist:

14 Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. […] 16 Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade. 17 Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben, die Gnade und die Wahrheit kamen durch Jesus Christus. (Johannes 1,14.16-17)

Im Titusbrief schreibt Paulus:

Denn die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten. (Titus 2,11)

Die Gnade Gottes ist in der Person Jesu zu unserer Rettung erschienen.

Wenn man das Wort „Gnade“ auf Jesus bezieht, ist es möglich, Maria „Mutter der Gnade“ zu nennen. Doch ist auch diese Anrede sehr missverständlich und trägt dazu bei, Maria eine gottähnliche Position zuzuschreiben. Sie ist die Mutter des Gnadenbringers. Aber sie ist nicht in dem Sinn voll der Gnade, dass sie eine Quelle der Gnade wäre. Quelle der Gnade ist allein Gott.

Mutter ohne Makel

Maria war zweifellos eine vorbildliche Gläubige. Doch war sie nicht sündenlos, also nicht makellos. Die Anrufung „Mutter ohne Makel“ ist ein offensichtlicher Hinweis auf das katholische Dogma der Unbefleckten Empfängnis, demzufolge Maria ohne den Makel der Erbsünde im Schoß ihrer Mutter empfangen wurde. Im Beitrag Zur Unbefleckten Empfängnis Mariä habe ich mich mit der Frage der (Erb-)Sündenlosigkeit Marias auseinandergesetzt. Siehe dazu auch die Beiträge … kein Makel haftet dir an und „Kind, warum hast du uns das angetan?“

Der einzig sündenlose Mensch ist Jesus Christus. Bei aller Hochachtung für seine Mutter und ihr vorbildliches Leben kann das über sie nicht gesagt werden.

Mutter des guten Rates

In der Bibel ist es Gott, der den Seinen Rat gibt:

Ich preise den HERRN, der mir Rat gibt, […] (Psalm 16,7a)

Du leitest mich nach deinem Ratschluss, danach nimmst du mich auf in Herrlichkeit. (Psalm 73,24)

Groß bist du an Rat und mächtig an Tat; […] (Jeremia 32,19a)

Jesaja nennt den Messias „Wunderbarer Ratgeber“.

Denn ein Kind wurde uns geboren, ein Sohn wurde uns geschenkt. Die Herrschaft wurde auf seine Schulter gelegt. Man rief seinen Namen aus: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens. (Jesaja 9,5)

Durch ihn hat Gott zu uns gesprochen und seinen Ratschluss offenbart. Insofern könnte man die Mutter Jesu „Mutter des guten Ratgebers“ nennen. In der Litanei wird sie aber als „Mutter des guten Rates“ angesprochen, als ob jeder gute Rat von ihr käme, und dadurch in eine gottähnliche Position gehoben.

Mutter des Schöpfers

Die Bibel bezeugt mehrfach, dass die Welt durch das Wort oder den Sohn Gottes geschaffen worden ist.

Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist. (Johannes 1,3)

[…] so ist doch für uns ein Gott, der Vater, von dem alle Dinge sind und wir auf ihn hin, und ein Herr, Jesus Christus, durch den alle Dinge sind und wir durch ihn. (1 Korinther 8,6 Elberfelder)

16 Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin erschaffen. 17 Er ist vor aller Schöpfung und in ihm hat alles Bestand. (Kolosser 1,16-17)

[…] am Ende dieser Tage hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben von allem eingesetzt, durch den er auch die Welt erschaffen hat; […] (Hebräer 1,2)

Da der Vater durch den Sohn geschaffen hat, ist es durchaus berechtigt, Jesus als Schöpfer zu verehren. Somit kann man auch Maria „Mutter des Schöpfers“ nennen. Doch ist auch hier wieder die Gefahr eines Missverständnisses sehr groß. Das Wort „Mutter“ würde nahelegen, dass der Schöpfer das Schöpfer-Sein von seiner Mutter empfangen hat, was natürlich nicht sein kann. Der ewige Sohn Gottes, durch den der Vater die Welt geschaffen hat, ist im Leib Marias Mensch geworden. Erst recht kann Maria nicht die Mutter des Vaters sein, der in der Bibel und auch im katholischen Glaubensbekenntnis Schöpfer genannt wird.

Mutter der Kirche

Anders als im Koran, wo die Frauen Mohammeds in Sure 33,6 die Mütter der Gläubigen genannt werden, gibt es in der Bibel keine Stelle über eine „Mutter der Kirche“. Als einzige Stelle wird Johannes 19,27 angeführt:

Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.

Hier geht es aber darum, dass Jesus seine Mutter seinem Jünger Johannes anvertraut hat. Aus dem zweiten Teil des Verses geht auch klar hervor, dass Johannes diesen Auftrag Jesu erfüllt hat. Von einer „Mutter der Kirche“ ist hier keine Rede. Auch Augustinus hat Johannes 19,27 nicht so verstanden (siehe dazu hier). Mehr Gedanken zu Johannes 19,27 sind im Beitrag Ist Maria unsere Mutter? zu finden.

Fortsetzung folgt.


  1. Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch. Ausgabe für die (Erz-)Diözesen Österreichs, 5. Auflage 2021. 

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