Am 8. Dezember feiern Katholiken die Unbefleckte Empfängnis Mariä. In Österreich ist dieser Tag sogar ein Feiertag, der von den meisten Menschen, die ohnehin nicht wissen, was da gefeiert wird, vor allem für vorweihnachtliche Einkäufe genützt wird.
Viele nehmen an, es ginge darum, dass Maria Jesus als Jungfrau empfangen habe, und wundern sich über die kurze Zeit bis zur Feier der Geburt Jesu am 25. Dezember.1
Tatsächlich geht es aber um die Empfängnis Marias im Schoß ihrer Mutter, welche neun Monate vor dem Fest Mariä Geburt (8. September) gefeiert wird. Maria sei ohne den Makel der Erbsünde empfangen worden.
Am 8. Dezember 1854 hat Pius IX. in der Bulle »Ineffabilis Deus« verkündet:2
Zur Ehre der Heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit, zur Zierde und Verherrlichung der jungfräulichen Gottesgebärerin, zur Erhöhung des katholischen Glaubens und zum Wachstum der christlichen Religion erklären, verkünden und bestimmen Wir in Vollmacht unseres Herrn Jesus Christus, der seligen Apostel Petrus und Paulus und in Unserer eigenen:
Die Lehre, daß die seligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch einzigartiges Gnadengeschenk und Vorrecht des allmächtigen Gottes, im Hinblick auf die Verdienste Christi Jesu, des Erlösers des Menschengeschlechts, von jedem Fehl der Erbsünde rein bewahrt blieb, ist von Gott geoffenbart und deshalb von allen Gläubigen fest und standhaft zu glauben.
Wenn sich deshalb jemand, was Gott verhüte, anmaßt, anders zu denken, als es von Uns bestimmt wurde, so soll er klar wissen, daß er durch eigenen Urteilsspruch verurteilt ist, daß er an seinem Glauben Schiffbruch litt und von der Einheit der Kirche abfiel, ferner, daß er sich ohne weiters die rechtlich festgesetzten Strafen zuzieht, wenn er in Wort oder Schrift oder sonstwie seine Auffassung äußerlich kundzugeben wagt.
Im Jahr 1858 folgte die „himmlische“ Bestätigung dieses Dogmas. In der südfranzösischen Stadt Lourdes hatte ein Mädchen eine Erscheinung, die sich selbst die „Unbefleckte Empfängnis“ nannte.
Die Lehre von der Erbsündefreiheit Marias setzt die Lehre der Erbsünde voraus. Diese Lehre besagt, dass die Sünde des ersten Menschen auf alle anderen Menschen übertragen worden sei. Als Folge der Sünde Adams werden alle Menschen nach ihm als Sünder geboren.
Diese Lehre findet sich in der Bibel nicht und geht weitgehend auf Augustinus zurück. Zu den als biblische Belege herangezogenen Stellen Römer 5,12 und Psalm 51,7 gibt es auf dieser Website eigene Beiträge (hier und hier).
Die Sünde des ersten Menschen hatte eine negative Auswirkung auf die gesamte Menschheit. Doch wird durch die Sünde Adams nicht jeder andere Mensch zu einem Sünder. Erst durch unsere eigenen Sünden sind wir Sünder geworden.
Wenn es nun die Erbsünde nicht gibt, ist klar, dass auch Maria wie alle anderen Menschen ohne Erbsünde war. Aber Maria hatte genauso wie andere Menschen die negativen Folgen des Sündenfalls zu tragen.
Was in der Bulle von Pius IX. nicht ausdrücklich formuliert wurde, aber implizit enthalten ist, ist die Lehre von der Sündenlosigkeit Marias.
Maria war eine vorbildliche Gläubige. Doch heißt das, dass sie nie gesündigt hat? In Lukas 1,47 nennt sie Gott ihren Retter. Der Ausdruck „voll der Gnade“ geht auf eine Fehlübersetzung des Engelsgrußes von Lukas 1,28 ins Lateinische zurück. Korrekt ist: „Begnadete“.
Noch im 4. Jahrhundert hatte Johannes Chrysostomus kein Problem damit, über Sünden Marias zu schreiben. In seinem Kommentar zu Matthäus 12,46-493 schreibt er:
[…] Heute erfahren wir noch etwas mehr, daß nämlich nicht einmal Christi Mutter zu sein und ihn auf jene wunderbare Weise geboren zu haben, Nutzen bringt, wenn die Tugend fehlt. […] Denn das, was sie tat, entsprang allzu großer Eitelkeit. Sie wollte vor dem Volke zeigen, daß sie Macht und Autorität über ihren Sohn besitze, obgleich sie noch nicht die geringste Ahnung von seiner Größe besaß. Deshalb kam sie auch zu einer Unzeit daher. Beachte jedoch, wie aufdringlich sie und die anderen sich benehmen. Sie hätten entweder nach ihrem Eintreffen mit dem Volke zuhören sollen, oder, wenn sie das nicht wollten, warten müssen, bis der Herr seine Rede beendet hatte, und dann erst hinzu gehen. Statt dessen riefen sie ihn hinaus, und zwar vor allen Leuten, und bekunden damit ihre allzu große Eitelkeit, daß sie zeigen wollten, daß sie genug Autorität besäßen, um ihm Befehle zu erteilen.
Möglicherweise hat Chrysostomus zu viel in diese Situation hineingelesen. Es könnte auch so gewesen sein, dass Maria mit den Brüdern Jesu mitgegangen ist, um zwischen ihm und seinen Verwandten zu vermitteln. Aber diese Stelle zeigt, dass es noch im 4. Jahrhundert für einen hochangesehenen Bischof möglich war, über Sünden der Mutter Jesu zu sprechen. Die Lehre der Sündenlosigkeit Marias wurde damals zumindest nicht von allen geteilt.
Um das Jahr 200 hat Clemens von Alexandrien über Jesus geschrieben:
[…] deshalb ist er ja auch allein Richter, weil er allein sündlos ist. (Pädagogus 1,4,2)
Wenn allein Jesus sündlos ist, kann von keinem anderen (erwachsenen) Menschen behauptet werden, dass er nicht gesündigt hat. Also kann das auch über Maria nicht gesagt werden.
Neben der von Chrysostomus angesprochenen Situation gibt es in der Bibel auch noch andere Stellen, aus denen ersichtlich wird, dass Maria nicht die Vollkommenheit hatte, die ihr zugeschrieben wird. Es soll hier nicht darum gehen, die Mutter Jesu anzuklagen. Sie war eine Frau, die in vorbildlicher Weise Gottes Willen an sich geschehen ließ, die aber nicht vollkommen war.
Als der zwölfjährige Jesus nach einer Wallfahrt zum Paschafest in Jerusalem zurückblieb und ihn Maria und Josef nach drei Tagen im Tempel fanden, wo er den Lehrern zuhörte und ihnen Fragen stellte, sagte Maria zu ihm:
Kind, warum hast du uns das angetan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. (Lukas 2,48b)
Die Antwort Jesu war:
Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört? (Lukas 2,49)
Menschlich betrachtet hat Maria reagiert, wie jede besorgte Mutter reagiert hätte. Aber Jesus war nicht ein Kind wie jedes andere. Gerade Maria, die das Wunder seiner Empfängnis erfahren hatte, wusste das am besten. Dennoch begegnete sie Jesus mit einem Vorwurf. Sie betonte die eigenen Schmerzen, die jedoch ihr eigenes mangelndes Vertrauen als Ursache hatten. Der Blick war auf das gerichtet, was Jesus ihr und Josef angetan hat.
Darum hat Jesus sie korrigierend auf das hingewiesen, was Maria schon wissen sollte. Sein Platz ist bei seinem wahren Vater.
Es ging hier um etwas anderes als das Loslassen der Kinder, das alle Eltern lernen müssen. Maria sollte lernen, in jeder Situation zuerst nach dem Willen Gottes zu fragen, insbesondere im Bewusstsein, dass Jesus nicht in erster Linie für sie, sondern für alle Menschen gekommen ist.
Eine andere Situation, in der Maria von Jesus korrigiert wurde, war bei der Hochzeit zu Kana. Dort war Maria mehr von ihrer eigenen Erwartungshaltung bestimmt als vom geduldigen Warten auf das Handeln ihres Sohnes. Mehr dazu gibt es in einem eigenen Beitrag zu lesen.
Diese Situationen zeigen Maria nicht als eine große Sünderin, aber als eine Frau, die manchmal mehr auf ihre eigenen Wünsche und Gefühle geachtet hat als auf Gottes Willen. Sie hat aber nicht stur daran festgehalten, sondern ließ sich von ihrem Sohn korrigieren. Gerade darin ist sie wieder ein Vorbild.
Maria war eine Frau auf unserer Ebene. Sie war von den Folgen des Sündenfalls nicht ausgenommen. Sie ist nicht mit einer Erbsünde befleckt empfangen worden – genauso wenig wie jeder andere Mensch. Sie musste Versuchungen überwinden. Sie hat Gott im Glauben die Treue erwiesen, war aber nicht sündenlos. Maria, die Gott als ihren Retter gepriesen hat, hätte es als eine demütige Frau, die auch ihre Schwächen gekannt hat, wohl zurückgewiesen, wenn jemand ihre Sündenlosigkeit behauptet hätte.
Das von Pius IX. verkündete Dogma dient nicht der Verherrlichung Marias. Er hat es auch nicht in der Vollmacht Jesu Christi oder der Apostel Petrus und Paulus proklamiert, sondern nur in seiner eigenen. Er hat sich dadurch über die Schrift und die alte Tradition der Kirche erhoben.
46 Da sagte Maria:
Meine Seele preist die Größe des Herrn 47 und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. 48 Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. 49 Denn der Mächtige hat Großes an mir getan und sein Name ist heilig. (Lukas 1,46-49)
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In der islamischen Tradition wird sogar angenommen, dass die Schwangerschaft Marias nur drei Stunden gedauert habe.
Man sagt, die Dauer der Schwangerschaft seien drei Stunden gewesen. Man behauptet, Maria sei in einer Stunde mit Jesus schwanger geworden, er sei in einer Stunde gebildet worden und sie habe ihn bei Sonnenuntergang in einer Stunde zur Welt gebracht. (Tafsīr Al-Qur’ān Al-Karīm, S.492) ↩ - Zitiert nach Josef Neuner – Heinrich Roos, Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung, 13. Auflage, Regensburg 1971, S.328-329, Nr.479. ↩
- Johannes Chrysostomus, Kommentar zum Evangelium des hl. Matthäus, 44,1. ↩