Ist Maria unsere Mutter? – Wie erklärte Augustinus Johannes 19?

Im Beitrag „Ist Maria unsere Mutter?“ habe ich auf Johannes 19,25-27 als die Stelle verwiesen, die zur Begründung der Lehre, dass Maria die Mutter der Gläubigen, der Kirche oder sogar der ganzen Welt sei, herangezogen wird.

25 Bei dem Kreuz Jesu standen seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. 26 Als Jesus die Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zur Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! 27 Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.

Aurelius Augustinus (354-430) behandelte in seinen „Vorträgen über das Johannesevangelium“ auch diese Stelle. Es heißt dazu im 119. Vortrag 2-3:

2. Die Stelle hat einen moralischen Sinn. Der gute Lehrer tut, was er zu tun ermahnt, und unterwies durch sein Beispiel die Seinen, damit gewissenhafte Kinder ihren Eltern die nötige Sorgfalt zuwenden; gleich als wenn jenes Holz, an dem die Glieder des Sterbenden angeheftet waren, auch ein Lehrstuhl des lehrenden Meisters gewesen sei. Aus dieser gesunden Lehre hat der Apostel Paulus gelernt, was er lehrte, da er sprach: „Wenn aber jemand für die Seinen und besonders für die Hausgenossen nicht sorgt, so hat er den Glauben verleugnet und ist schlimmer als ein Ungläubiger“ (1 Timotheus 5,8). Was gehört aber für einen jeden so sehr zum Hause als die Eltern für die Kinder oder die Kinder für die Eltern? Von diesem sehr heilsamen Gebote also stellte der Lehrmeister der Heiligen an seiner eigenen Person ein Beispiel auf, da er nicht als Gott für die Magd, die er geschaffen hatte und beherrschte, sondern als Mensch für die Mutter, aus der er hervorgegangen war und die er verließ, einen andern statt seiner gleichsam als Sohn besorgte. Denn warum er dies getan hat, gibt das Folgende an; der Evangelist sagt nämlich: „Seit jener Stunde nahm sie der Jünger zu sich“, wobei er von sich selbst spricht. […]

3. Aber was ist „das Seinige“, wohin Johannes die Mutter des Herrn nahm? Denn er war doch auch einer von denjenigen, die zu ihm sprachen: „Siehe, wir haben alles verlassen und sind Dir nachgefolgt“ (Matthäus 19,27). Aber dort hatte er auch gehört: „Wer immer dieses verläßt um meinetwillen, der wird hundertmal soviel bekommen in dieser Welt“ (Matthäus 19,29). Jener Jünger hatte also hundertmal mehr, als er verlassen hatte, und in dieses konnte er die Mutter desjenigen aufnehmen, der jenes gegeben hatte. Allein in jener Gesellschaft hatte der selige Johannes Hundertfaches empfangen, wo keiner etwas sein nannte, sondern ihnen alles gemeinsam war, wie in der Apostelgeschichte geschrieben steht. So nämlich waren die Apostel, als ob sie nichts hätten und doch alles besäßen (2 Korinther 6,10). Wie also nahm der Jünger und Diener die Mutter seines Meisters und Herrn „in das Seinige“ auf, wo keiner etwas „sein“ nannte? Oder ist, weil man bald darauf in demselben Buche liest: „So viele nämlich Besitzer von Gütern oder Häuser waren, die verkauften sie und brachten den Erlös des Verkauften und legten ihn zu den Füßen der Apostel; es wurde aber einem jeden zugeteilt, soviel er nötig hatte“ (Apostelgeschichte 4,34-35), die Sache so zu verstehen, es sei diesem Jünger das Nötige so zugeteilt worden, daß dort auch der Anteil der seligen Maria als seiner Mutter beigelegt wurde, und müssen wir vielmehr die Worte: „Von jener Stunde an nahm sie der Jünger in das Seinige“, so nehmen, daß ihre Bedürfnisse ihm zur Besorgung oblagen? Er nahm sie also auf in das Seinige, nicht in seine Besitzungen, deren er keine eigenen hatte, sondern in seinen Wirkungskreis, den er durch eigene Mühewaltung zu vollziehen besorgt war.

Es fällt auf, dass Augustinus mit keinem Wort erwähnt, dass hier Jesus Maria den Gläubigen oder der ganzen Welt zur Mutter gegeben hätte. Augustinus sieht in Jesus das Beispiel eines verantwortungsbewussten Sohns, der sich um die Versorgung seiner Mutter kümmert. In Johannes sieht er das Beispiel des gehorsamen Jüngers, der diese Sorge um die Mutter Jesu bereitwillig übernimmt, obwohl er selber alles aufgegeben hat, aber durch die Gütergemeinschaft unter den Jüngern versorgt war und nun auch Maria in diese Gütergemeinschaft einbezogen hat.

Das setzt voraus, dass die heute in katholischen Kreisen übliche Erklärung um das Jahr 400 von einem der größten „Kirchenväter“ nicht gelehrt wurde. Es spricht alles dafür, dass sie ihm nicht bekannt war. Sonst hätte er sie in diesem Zusammenhang erwähnt.

Das angeblich so sehr auf der Tradition aufbauende katholische Lehramt hat in diesem Punkt keinerlei Basis, die bis zu den Aposteln zurückführen könnte, da nicht einmal Augustinus so gelehrt hat, wie es die Katholiken heute tun.

Wenn ich Augustinus zitiere, dann nicht deswegen, weil er eine besondere Autorität für die christliche Lehre wäre. Leider hat ihn seine hohe Gelehrsamkeit nicht vor falschen Lehren, wie etwa der Prädestination bewahrt. Ich verstehe seine Erklärung von Johannes 19 als historisches Zeugnis, dem wir entnehmen können, dass die heutige katholische Lehre, dass Jesus in Johannes der ganzen Kirche Maria zur Mutter gegeben habe, um 400 nicht einmal bekannt war, geschweige denn gelehrt wurde.

Geliebte, da es mich sehr drängte, euch über unsere gemeinsame Rettung zu schreiben, hielt ich es für notwendig, euch mit diesem Brief zu ermahnen: Kämpft für den Glauben, der den Heiligen ein für alle Mal übergeben ist! (Judas 3)

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