Unter den heutigen Theologen gibt es kaum jemanden, der in Petrus den Autor der beiden Briefe sieht, die unter seinem Namen im Neuen Testament zu finden sind. Besonders der zweite Petrusbrief findet so gut wie keinen Verteidiger seiner Echtheit.
Ich werde, ebenso wie in der Abhandlung über die Pastoralbriefe, die von Udo Schnelle: Einleitung in das Neue Testament, 9., durchgesehene Auflage, Göttingen 2017, genannten Argumente zur Basis dieses Textes machen. Es ist auch empfehlenswert, die in einem eigenen Text gesammelten Gedanken zur Pseudepigraphie im Neuen Testament zu lesen. Diese Gedanken wurden zwar vor allem im Hinblick auf die Pastoralbriefe formuliert, haben aber auch für die Petrusbriefe ihre Gültigkeit.
1 Zum 1. Petrusbrief
1.1 Gegen die Echtheit vorgebrachte Argumente
Schnelle schreibt in seinem Werk dazu auf den Seiten 478-480:
Gegen eine petrinische Verfasserschaft erheben sich allerdings starke Bedenken:
1) Der 1 Petr wurde in einem gehobenen Griechisch abgefasst. [Fußnote 79: Vgl. z. B. die 55 Hapaxlegomena (Zählung nach K. Aland, Vollständige Konkordanz, 458), die z. T. dem zeitgenössischen gehobenen Griechisch entstammen.] Die überwiegende Zweisprachigkeit Palästinas und die spätere Missionstätigkeit des Petrus in griechischsprachigen Gebieten (vgl. 1 Kor 9,5; 1,12) lassen eine Kompetenz auch in dieser Sprache als möglich erscheinen. Der Stil des 1 Petr entspricht allerdings nicht mündlichen, sondern der literarischen Koine, was sehr deutlich auf Griechisch als Muttersprache des Verfassers hinweist. Zudem setzt die altkirchliche Markustradition voraus, dass Petrus nicht in einem ausreichenden Maß die griechische Sprache beherrschte. 2) In 1 Petr 1,1 bezeichnet sich der Verfasser als apostolos, in 1 Petr 5,1 hingegen als sympresbyteros. Ein Mitglied des Zwölferkreises, ein Apostel und Erstzeuge der Auferstehung Jesu Christi dürfte kaum auf diesen innerhalb der urchristlichen Ekklesiologie späten Titel zurückgegriffen haben. Auffälligerweise verleiht der Brief seinem angeblichen Verfasser kein persönliches Profil. So kommt die Passion Jesu lediglich in urchristlicher Traditionssprache in den Blick (vgl. 1 Petr 2,22-25), die Primärkenntnisse eines Augenzeugen fehlen im gesamten Brief. 3) Die zahlreichen Verbindungen zwischen dem 1 Petr und den Paulusbriefen zeigen, dass der Verfasser des 1 Petr Traditionen kleinasiatischer Gemeinden aufnimmt, nicht aber als Augenzeuge des Lebens Jesu und der frühen christlichen Missionsgeschichte schreibt. So fehlt die mit dem antiochenischen Zwischenfall (Gal 2,11-14) verbundene Problematik im 1 Petr. 4) Der Verfasser des 1 Petr zitiert das Alte Testament vornehmlich nach der LXX (Ausnahme: Prov 10,12 in 1 Petr 4,8). 5) Die im 1 Petr vorausgesetzte Verbreitung des Christentums in Kleinasien und die ökumenische Perspektive in 1 Petr 5,9b.13 weisen gleichermaßen in eine spätere Phase urchristlicher Missionsgeschichte.
Die Kritik der petrinischen Verfasserschaft setzte im 19. Jh. voll ein, in der neueren Exegese wird der 1 Petr überwiegend als pseudepigraphisches Schreiben angesehen. Die Echtheit des Briefes verteidigen G. Wohlenberg, E. G. Selwyn, J. Michl und B. Schwank. Eine ‚Sekretärshypothese‘ vertreten K. H. Schelkle und F. Neugebauer: Silvanus (vgl. 1 Petr 5,12) überbrachte nicht nur den Brief, sondern er schrieb ihn im Auftrag und im Namen des Petrus. [Fußnote 87: Die Wendung graphein dia tinos benennt aber in der Regel den Briefüberbringer, nicht hingegen den Autor; vgl. IgnRöm 10,1; IgnPhld 11,2; IgnSm 12,1.] Sollte Silvanus identisch sein mit einem Paulusbegleiter Silas (vgl. Apg 15,22-32), dann erklärt sich auch die Nähe des 1 Petr zur paulinischen Theologie. Allerdings sind mit dieser These die obgenannten Einwände nicht widerlegt (bes. die Punkte 2 und 5), und es bleiben weitere Fragen offen: Warum verschlüsselt Silvanus seine Autorenschaft? Schließlich weiß der 2 Petr nichts von einer Mitverfasserschaft des Silvanus, er schreibt den ersten Brief Petrus zu (vgl. 2 Petr 3,1).
Der 1 Petr ist ein pseudepigraphisches Schreiben, bestimmt durch urchristliche Traditionen, die von ihrem Trägerkreis Petrus und Silvanus zugeschrieben wurden.
1.2 Was ist von diesen Argumenten zu halten?
Ich gehe auf Schnelles Argumente in seiner Reihenfolge ein.
1.2.1 Gehobenes Griechisch
Schnelle weist auf die Zweisprachigkeit Palästinas und auf die Missionstätigkeit des Petrus in griechischsprachigen Gebieten hin. Es kann nicht bezweifelt werden, dass Petrus Kenntnisse der griechischen Sprache besaß. Immerhin trug sein Bruder Andreas einen griechischen Namen. Auch Petrus selbst trug neben seinem hebräischen Namen Simeon den ähnlich klingenden griechischen Namen Simon. Das lässt darauf schließen, dass seine Familie einen zweisprachigen Hintergrund hatte. Die Frage ist nur, auf welchem Niveau seine Griechischkenntnisse waren. Das ist für uns in großem zeitlichem Abstand nur schwer möglich.
55 (nach meiner Zählung 59) Hapaxlegomena (Einmalwörter) machen ca. 10,8 % des 545 Wörter umfassenden Vokabulars des 1. Petrusbriefes aus. Das ist in einer ähnlichen Größenordnung wie bei den längeren Paulusbriefen, also nicht außergewöhnlich. Ich kann aufgrund meiner unzureichenden Sprachkenntnisse das Sprachniveau des 1. Petrusbriefes nicht beurteilen und werde daher die Beurteilung als „gehobenes Griechisch“ und „literarischer Koine“ nicht in Frage stellen.
Es ist anzunehmen, dass je mehr Petrus sich auf Griechisch zu verständigen hatte, er die Schriften des Alten Bundes auf Griechisch las und daran auch sein eigenes Griechisch geschult hat. Immerhin kommen 33 der von mir gezählten 59 Einmalwörter in der Septuaginta vor. Von den restlichen 26 Einmalwörtern waren ihm wohl auch manche ohne besondere Bildung bekannt, wie z. B.: agathopoiia (Gutestun), agathopoios (gut handelnd), adelphotēs (Bruderschaft), adikōs (zu Unrecht), adolos (unverfälscht), sympresbyteros (Mitältester), syneklektos (miterwählt) … Das sind Wörter, die zum christlichen Wortschatz gehörten oder auch durch Kombination bekannter Wörter entstanden. Es bleiben nicht so viele Wörter übrig, die Petrus nicht kennen konnte. Da es in den Gemeinden nicht nur einfache Menschen gab, sondern auch Geschwister mit höherem Bildungshintergrund, konnte sich Petrus durch Gespräche durchaus einen Wortschatz angeeignet haben, den sich manche Theologen nicht vorstellen können.
Mit der „Markustradition“ meinte Schnelle wohl den von Eusebius überlieferten Text von Papias:
Auch dies lehrte der Presbyter: Markus hat die Worte und Taten des Herrn, an die er sich als Dolmetscher des Petrus erinnerte, genau, allerdings nicht ordnungsgemäß, aufgeschrieben. (Eusebius, Kirchengeschichte 3,39,15)
Für das Wort „Dolmetscher“ steht im Griechischen hermeneutēs. Das muss nicht notwendigerweise einen Übersetzer meinen. Es kann auch ein Interpret sein. C. P. Thiede schlug vor, diesen Text auf das zu beziehen, worüber Papias schrieb, nämlich auf die Abfassung des Evangeliums. Durch die Niederschrift des Evangeliums habe Markus die Worte von Petrus „interpretiert“.1 Tatsächlich schrieb Papias nicht darüber was Markus sonst in Rom gemacht hatte, sondern über die Abfassung des Markusevangeliums. So halte ich diese Erklärung zumindest für möglich. Eine andere Erklärung wäre, dass es um die Übersetzung ins Lateinische ging. Das ist aber zweifelhaft, da einerseits in Rom die griechische Sprache weit verbreitet war, andererseits die Lateinkenntnisse von Markus, der zwar einen lateinischen Namen trug, aber im Osten des Reichs aufgewachsen ist, vermutlich nicht überragend waren. Egal, wie man das hermeneutēs versteht, dürfte Petrus mit größer Wahrscheinlichkeit in Rom ebenso wenig einen Übersetzer gebraucht haben wie sonst wo in der griechischsprachigen Welt.
Was den 1. Petrusbrief betrifft, so weist auch Schnelle auf 1 Petrus 5,12a hin:
Durch Silvanus, den ich für einen treuen Bruder halte, habe ich euch kurz geschrieben.
Silvanus, der in der Apostelgeschichte auch Silas heißt, hatte vor allem Aufgaben unter Griechischsprechenden. Er begleitete auch Paulus auf seiner zweiten Missionsreise. Von ihm kann man auf jeden Fall hervorragende Griechischkenntnisse annehmen. Wenn es heißt, dass Petrus durch Silvanus geschrieben hat, dann bleiben nicht nur die von Schnelle genannten Alternativen Autor oder Briefüberbringer. Es besteht auch die Möglichkeit, dass Petrus Silvanus sehr konkret gesagt hat, was er schreiben möchte, ihm aber in der endgültigen Formulierung freie Hand gelassen hat. Dann war Petrus der Autor, von dem die Gedanken und der Aufbau des Briefes stammen. Silvanus hat ihm in Übereinstimmung mit Petrus die endgültige Form gegeben. Er hat wohl mehr zum Brief beigetragen, als es der sonst nicht bekannte Schreiber Tertius (Römer 16,22) bei einem Paulusbrief tat. Doch war der Autor im eigentlichen Sinn Petrus, auf dessen Initiative der Brief aufgrund seiner Gedanken geschrieben wurde.
Es ist korrekt, dass in den Ignatiusbriefen (an die Römer 10,1; an die Philadelphier 11,2; an die Smyrnäer 12,1) der Autor mit der Wendung „ich schreibe euch durch …“ auf den oder die Überbringer der Briefe hinweist. Abgesehen vom zeitlichen Unterschied von ca. 50 Jahren heißt es bei Ignatius immer „Ich schreibe euch durch …“ im Präsens.
Im Petrusbrief heißt es aber in der Vergangenheitsform:
Durch Silvanus, den ich für einen treuen Bruder halte, habe ich euch kurz geschrieben: Ich habe euch ermahnt und habe bezeugt, dass dies die wahre Gnade Gottes ist, in der ihr stehen sollt.
In der Verbindung mit dem Ermahnen und dem Bezeugen, das er von sich selbst sagt, ist klar, dass es hier nicht um die Überbringung des Briefes, sondern um die Abfassung geht.
Das „gehobene Griechisch“ ist kein Argument gegen Petrus als Autor, vor allem, wenn er diesen Brief mit der Hilfe von Silvanus geschrieben hat.
1.2.2 Titel und persönliches Profil?
Dass sich Petrus in 1,1 als Apostel bezeichnet, ist wohl nicht das Problem. Schnelle sieht das Problem in 5,1:
Eure Ältesten ermahne ich, als Mitältester und Zeuge der Leiden Christi, der auch an der Herrlichkeit teilhaben soll, die sich offenbaren wird.
Wie konnte der Apostel und Erstzeuge der Auferstehung auf so einen „kirchengeschichtlich späten“ Titel zurückgreifen? Vielleicht liegt das Problem hier eher in den titelsüchtigen Strukturen der Großkirchen. Ein Papst wird sich natürlich nicht „Kaplan“ nennen.
Was wäre, wenn es in 1 Petrus 5 gar nicht um Titel ginge, da sich die Christen damals noch an die Worte Jesu aus Matthäus 23,8-11 hielten? Petrus ermahnt die älteren Brüder im Glauben, sich in der richtigen Weise um die Jüngeren zu kümmern. Auch die Jüngeren werden in Vers 5 ermahnt, sich den älteren Brüdern unterzuordnen. Wenn „Jüngere“ kein Titel ist, warum soll es dann der Begriff „Ältere“ (so die wörtliche Bedeutung von presbyteroi) sein? Für jemanden, der gewohnt ist, in Hierarchien und Titeln zu denken, ist das nicht einfach. Doch funktioniert die christliche Bruderliebe auf einem anderen Prinzip. Wenn Petrus sich „Mitpresbyter“ nannte, tat er das, weil er die Verantwortungsträger nicht von oben herab belehren wollte. Er sah sich vor Gott auf derselben Stufe wie sie, auch wenn er als Apostel und Augenzeuge eine ungleich größere Verantwortung zu tragen hatte. Würden sich nicht vielmehr ein späterer Schreiber in seiner Hochachtung vor Petrus gescheut haben, ihn mit lokalen „Ältesten“ auf eine Ebene zu stellen?
Außerdem ist von „Älteren“ schon relativ früh in der Kirchengeschichte die Rede, so in der Apostelgeschichte 11,30; 14,23; 15,2 … Hier ist von Begebenheiten die Rede, die mehr als ein Jahrzehnt vor der Abfassung des 1. Petrusbriefes stattgefunden haben.
Mir ist nicht klar, was Schnelle genau mit dem „persönlichen Profil“ des Verfassers meint. Es ging Petrus ja nicht darum, sich seinen Lesern, die ihn zum Teil ohnehin kannten, zu präsentieren. Es ging ihm um geistliche Hilfestellung. Er hat sich in 5,1 immerhin „Zeuge der Leiden Christi“ genannt. Was die „urchristliche Traditionssprache“ betrifft, so sollte mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass gerade Petrus, der das Evangelium in Jerusalem als Erster verkündet hat, einen erheblichen Anteil an der Formung dieser „Traditionssprache“ gehabt hat.
Immerhin gibt es einige Verbindungen zwischen den Petrusreden der Apostelgeschichte und dem 1. Petrusbrief. So kommt das Wort πρόγνωσις / prógnōsis (Vorherwissen) nur in Apostelgeschichte 2,23 und 1 Petrus 1,2 vor. Auch der Verweis auf Psalm 118,22, wo vom Stein, den die Bauleute verworfen haben, die Rede ist, kommt im Neuen Testament nur im Munde Jesu im Gleichnis von den Winzern (Matthäus 21,42; Markus 12,10; Lukas 20,17) und bei Petrus vor. Petrus weist sowohl in einer Rede vor dem Hohen Rat (Apostelgeschichte 4,11) als auch in 1 Petrus 2,7 auf diesen Vers, den er auf Jesus bezieht, hin. Solche Verbindungen sind zwar kein Beweis in sich, vor allem nicht, wenn man in den Petrusreden der Apostelgeschichte keine Verbindung zum historischen Petrus sehen will. Aber ignorieren sollte man sie auch nicht.
Es ist auch bemerkenswert, dass der „Zeuge der Leiden Christi“ im 1. Petrusbrief immer wieder auf das Leiden des Herrn hinweist: 1 Petrus 1,11.19; 2,21-24; 3,18; 4,13. Diese wiederholten Hinweise auf das Leiden Christi waren vor allem aufgrund der Situation der Empfänger des Briefes gegeben worden. Aber auch für Petrus, der Jesus noch bei seiner Verhaftung mit dem Schwert verteidigen wollte, war das Leiden des Herrn eine Erfahrung, die ihn tiefgreifend verändert hat und ihn auch leidensbereit gemacht hat. Insofern gehören die Hinweise auf das Leiden auch zum „persönlichen Profil“ des Apostels.
1.2.3 Verbindungen zu den Paulusbriefen
Dass es Verbindungen zwischen Petrus und Paulus gab, sollte nicht überraschen. Es würde eher überraschen, gäbe es diese Verbindungen zwischen zwei führenden Köpfen der ersten christlichen Generation nicht. Petrus und Paulus haben einander schon in Jerusalem kennengelernt, als Paulus noch ein junger Christ war (Galater 1,18), sie waren auch am Apostelkonzil zusammen (Apostelgeschichte 15; Galater 2,1-10). Abgesehen von den persönlichen Begegnungen muss auch mit weiterem Austausch gerechnet werden. Das zeigt sich auch daran, dass Markus (Philemon 24; 1 Petrus 5,13) und Silvanus (1 Thessalonicher 1,1; 1 Petrus 5,12) sowohl Mitarbeiter von Paulus als auch von Petrus waren. Vor allem, wenn Silvanus aktiv an der Abfassung des Briefes beteiligt war, konnte auch dadurch eine gewisse paulinische Färbung in den Text kommen.
Da die Paulusbriefe nach deren Abfassung rasch auch in andere Gemeinden verbreitet wurden, waren Petrus wohl auch einige Paulusbriefe bekannt. Auf jeden Fall kannte Petrus den Römerbrief, da er nach 1 Petrus 5,13 seinen Brief in Rom geschrieben hat.
Dass Petrus den „antiochenischen Zwischenfall“ (Galater 2,11-14) nicht erwähnt hat, ist kein Argument. Es war ja nicht das Ziel von Petrus, über alle Vorkommnisse seines Lebens zu berichten. Er hat in seinem Brief geschrieben, was für seine Leser in ihrer Situation wichtig war. Man kann jedoch annehmen, dass Petrus, als er bei den betreffenden Gemeinden war, auch darüber gesprochen hat, vor allem in den Gegenden, in denen vor ihm schon Paulus tätig war.
Wir dürfen uns die frühchristliche Mission nicht als Konkurrenzunternehmen verschiedener Apostel vorstellen, sondern als ein Werk des Heiligen Geistes, in dem fallweise vorkommende Differenzen in Demut und Liebe behoben wurden.
1.2.4 Zitierung des Alten Testaments nach der Septuaginta
Warum die Zitierung des Alten Testaments nach der Septuaginta gegen die Autorschaft von Petrus sprechen sollte, erschließt sich mir nicht. Bei der Abfassung eines griechischen Briefs ist es doch einfacher, sich einer bereits vorhandenen Übersetzung zu bedienen, vor allem wenn es die Übersetzung ist, die auch den Empfängern vertraut ist, als die Texte selber aus dem Hebräischen zu übersetzen.
Bereits bei seiner ersten Missionsrede nach der Geistausgießung beim Pfingstfest im Jahre 30 hat Petrus den Psalm 16 nach der Septuaginta zitiert. Dass dies Petrus und nicht nachträglich Lukas tat, ergibt sich aus einer kleinen Differenz zwischen Psalm 16,10 und der in Apostelgeschichte 2,27 zitierten Version der Septuaginta:
Psalm 16,10: Denn du überlässt mein Leben nicht der Totenwelt; du lässt deinen Frommen die Grube nicht schauen.
Apostelgeschichte 2,27: Denn du gibst meine Seele nicht der Unterwelt preis, noch lässt du deinen Frommen die Verwesung schauen.
Die Septuaginta hat statt „Grube“ „Verwesung“. Genau darauf baute Petrus dann in seiner Verkündigung in Vers 31 auf:
[…] sagte er vorausschauend über die Auferstehung des Christus: Er gab ihn nicht der Unterwelt preis und sein Leib schaute die Verwesung nicht.
Wenn Petrus nun schon bei seiner ersten öffentlichen Verkündigung in Jerusalem, wo er wegen der zahlreich anwesenden griechischsprachigen Festpilger aus vielen Ländern Griechisch sprach, die Septuaginta verwendete, warum sollte er es dann in einem Brief an griechischsprachige Empfänger nicht tun?
1.2.5 Geographische Verbreitung des Christentums
Schnelle schreibt: Die im 1 Petr vorausgesetzte Verbreitung des Christentums in Kleinasien und die ökumenische Perspektive in 1 Petr 5,9b.13 weisen gleichermaßen in eine spätere Phase urchristlicher Missionsgeschichte.
Mit der „Verbreitung des Christentums in Kleinasien“ ist wohl 1 Petrus 1,1 gemeint:
Petrus, Apostel Jesu Christi, den erwählten Fremden in der Diaspora in Pontus, Galatien, Kappadokien, der Provinz Asia und Bithynien, […]
Die hier angeführten Gegenden befinden sich alle im asiatischen Bereich der heutigen Türkei.
Pontus und Kappadokien werden außer im Petrusbrief noch in Apostelgeschichte 2,9 erwähnt. Bereits bei der Erstverkündigung im Jahre 30 waren Festpilger von dort in Jerusalem und hörten Petrus sprechen. Menschen, die damals Christen wurden, sind vermutlich irgendwann zurück in ihre Heimat, womit dort eine (vielleicht nur kleine) Basis gelegt war, auf der Petrus, als er selber dort missionierte, aufbauen konnte.
Die Provinzen Galatien und Asia waren Missionsgebiet von Paulus. Dort gab es ohne jeden Zweifel christliche Gemeinden.
Bithynien wird in Apostelgeschichte 16,7 als angestrebtes Missionsziel erwähnt, wohin Paulus damals nicht gezogen ist, weil Gott ihn nach Philippi geführt hat. Das heißt aber nicht, dass die Mission in dieser Region für längere Zeit aufgeschoben wurde. Da Bithynien und Pontus eine einzige Provinz bildeten, konnte auch die Mission in Pontus mit der in Bithynien verbunden sein.
Es gibt keinen Grund, zu bezweifeln, dass es in den in 1 Petrus 1,1 erwähnten Bereichen um das Jahr 60 herum christliche Gemeinden gab.
Warum die „ökumenische Perspektive“ in 1 Petrus 5,9b.13 „in eine spätere Phase urchristlicher Missionsgeschichte“ weisen sollen, ist mir nicht klar.
Wisst, dass eure Brüder in der Welt die gleichen Leiden ertragen. (1 Petrus 5,9b)
Verbundenheit mit Geschwistern in anderen Regionen war für Christen auch damals selbstverständlich. Man sieht das etwa an folgenden Stellen:
Zunächst danke ich meinem Gott durch Jesus Christus für euch alle, weil euer Glaube in der ganzen Welt bekannt gemacht wird. (Römer 1,8)
8 Von euch aus ist das Wort des Herrn aber nicht nur nach Mazedonien und Achaia gedrungen, sondern überall ist euer Glaube an Gott bekannt geworden, sodass wir darüber nichts zu sagen brauchen. 9 Denn man erzählt sich überall, welche Aufnahme wir bei euch gefunden haben und wie ihr euch von den Götzen zu Gott bekehrt habt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen. (1 Thessalonicher 1,8-9)
Diese beiden Briefe werden auch von Schnelle als echt anerkannt. Sie wurden vor dem 1. Petrusbrief geschrieben. Die ersten Christen waren kommunikativ und mobil. Sie wussten übereinander, nicht erst in einer späteren Phase der Missionsgeschichte.
Es grüßt euch die mitauserwählte Gemeinde in Babylon und Markus, mein Sohn. (1 Petrus 5,13)
Hier schreibt Petrus nur, an welchem Ort er sich bei der Abfassung des Briefes aufhielt. Dass er für Rom den Decknamen „Babylon“ verwendete, hatte wohl mit Sicherheitsgründen zu tun, aber nicht mit einer „ökumenischen Perspektive“, was immer man sich darunter vorstellen mag.
1.2.6 Weitere Gedanken
Im 1. Petrusbrief gibt es manche Abschnitte oder Formulierungen, die gut zu dem passen, was wir über Petrus aus den Evangelien wissen. So lesen wir in 1 Petrus 2,4-8 über Jesus, dem lebendigen Stein, dem Eckstein, dem Felsen. Die Christen sollen sich als lebendige Steine zu einem geistlichen Haus aufbauen lassen. Das erinnert an das Wort Jesu zu Petrus in Matthäus 16,18:
Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.
Petrus ist der Stein, der auf dem Felsen – petra – , der im Bekenntnis zu Jesus als dem Christus liegt, aufbaut. Mehr zu diesem Thema ist hier zu lesen.
1 Petrus 5,2 könnte eine Anspielung auf das Wort Jesu an Petrus in Johannes 21,15 sein:
Weide meine Lämmer!
Das bestätigt, dass der Auftrag, die Lämmer Jesu zu weiden, nicht nur Petrus betrifft, sondern alle, die Verantwortung für andere Gläubige tragen.
Diese Hinweise sind natürlich keine Beweise, aber sie zeigen, dass der Inhalt des Briefes gut zum Apostel Petrus passt.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die äußere Bezeugung des Briefes.
Allen, die den 2. Petrusbrief als unecht betrachten, sollte 2 Petrus 3,1a klar zeigen, dass der 1. Petrusbrief schon sehr früh als ein tatsächlich von Petrus stammender Brief betrachtet wurde.
Das ist schon der zweite Brief, Geliebte, den ich euch schreibe.
Hier hätte der angenommene Fälscher vorausgesetzt, dass es einen ersten Brief von Petrus gibt.
Wahrscheinlich zitiert 1 Klemens 49,5 1 Petrus 4,8. Der Satz „Liebe deckt eine Menge Sünden zu“ stimmt im Griechischen mit der Formulierung von 1 Petrus überein. Petrus hat hier zwar Sprüche 10,12 zitiert, weicht aber in diesem einzigen Fall von der Formulierung der Septuaginta ab, vielleicht deswegen, weil in der Septuaginta für Liebe das Wort philía steht, Petrus aber das Wort agapē bevorzugt hat. Bei einer wahrscheinlichen Frühdatierung des 1. Klemensbriefes auf das Jahr 69 wäre 1 Petrus nur wenige Jahre nach seiner Niederschrift bereits zitiert worden. Da der 1. Klemensbrief genauso wie der 1. Petrusbrief in Rom niedergeschrieben wurde, wäre es auch nicht verwunderlich, dass Klemens diesen Brief kannte.
Sicher ist aber, dass Polykarp in seinem Brief an die Philipper 1 Petrus 1,8 verwendet:
[…] an den ihr, ohne ihn gesehen zu haben, glaubet in unaussprechlicher und herrlicher Freude […] (Polykarp 1,3)
Es gibt in diesem aus dem frühen 2. Jahrhundert stammenden Werk noch einige weitere Anspielungen auf den 1. Petrusbrief.
Das setzt voraus, dass dieser Brief schon früh allgemein als Werk des Apostels Petrus anerkannt war. Hätte Polykarp nicht Petrus als Schreiber des Briefes gesehen, hätte er ihn als Fälschung abgelehnt und nicht zitiert.
Eusebius schreibt in seiner Kirchengeschichte 3,39,17 über Papias, der im frühen 2. Jahrhundert gewirkt hat:
Papias berief sich auch auf Zeugnisse aus dem ersten Johannesbrief und dem ersten Petrusbrief.
Es ist diesem Zitat nicht sicher zu entnehmen, ob die Bezeichnung „erster Petrusbrief“ schon von Papias verwendet wurde, oder ob Eusebius im 4. Jahrhundert dem Sprachgebrauch seiner Zeit entsprechend geschrieben hat. Klar ist, das Papias den 1. Petrusbrief gekannt und als Autorität betrachtet hat.
1.3 Ergebnis
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die von Schnelle angeführten Argumente nicht stichhaltig sind, dass aber inhaltliche Kriterien und die frühe außerbiblische Verwendung des Briefes für seine Echtheit sprechen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass der 1. Petrusbrief nicht das Werk des Apostels Petrus ist. Der Schreiber, der in 1,22 den Gehorsam zur Wahrheit gelobt hat, war auch selber tief in der Wahrheit Gottes verankert.
2 Zum 2. Petrusbrief
2.1 Argumente gegen die Echtheit
Schnelle schreibt auf Seite 503-504:
Der 2Petrusbrief erhebt den Anspruch, das Testament des Apostels Simon Petrus zu sein (vgl. 2Petr 1,1.13-15). Auch der Hinweis auf die Verklärung Jesu (2Petr 1,18), der Rückgriff auf den 1Petr (vgl. 2Petr 3,1) und das in 2Petr 3,15f vermittelte Paulusbild sollen diesen Eindruck nahelegen. Gegen die Historizität dieser Verfasserangabe sprechen einige in 7.2.2 [im Zusammenhang mit dem 1. Petrusbrief] angeführte Argumente [Fußnote 204: Bemerkenswert ist die Sprache des 2Petr, er weist 49 Hapaxlegomena auf … Im Verhältnis zur Länge des Schreibens hat der 2Petr die meisten Hapaxlegomena im Neuen Testament …], vor allem aber drei Beobachtungen auf der Ebene des 2Petr: a) der 2Petr übernimmt fast vollständig den Jud. Für den Apostel Petrus ist ein solches Verfahren aus sachlichen und chronologischen Gründen auszuschließen. b) in 2Petr 3,4 durchbricht der Verfasser die von ihm selbst geschaffene Autorenfiktion: Die Väter sind bereits entschlafen, so dass nun Zweifel an der Parusie aufkommen. Zu diesen (gestorbenen) Vätern gehört Petrus selbst! c) Der 2Petr unterscheidet sich tiefgreifend vom 1Petr, beide Schreiben können nicht vom gleichen Verfasser stammen. Selbst wenn der 1Petr authentisch wäre, müsste der 2Petr als Pseudepigraph eingeordnet werden! Auch die in 2 Petr 1,20f entwickelte Inspirationslehre und die Rezeption des 2Petr in der Alten Kirche weisen in eine späte Zeit.
Der Verfasser des 2 Petr war ein gebildeter hellenistischer (Juden)Christ [Fußnote 207: Auffällig ist der selbstverständliche Gebrauch religiös-philosophischer Termini des Hellenismus: epígnōsis, eusébeia, hypomoné, enkráteia, aretē, epóptēs, theía dýnamis …], der seiner Gemeinde im Streit um die (ausbleibende) Parusie mit dem 2Petr ein Lösungsmodell anbot.
Über Abfassungsort und -zeit des 2Petr lassen sich nur Mutmaßungen anstellen. Hinweise ergeben sich aus der Rezeptionsgeschichte des Briefes, er gehört in die umfangreiche petrinische Literatur des 2. Jhs. n. Chr. So setzt die um 135 n. Chr. wahrscheinlich in Ägypten entstandene Offenbarung des Petrus den 2Petr voraus. Die Aufnahme des Judasbriefes als terminus a quo, die in 2 Petr 3,15f vorausgesetzte Paulusbriefsammlung und die vergleichbare Parusieproblematik in 1 Klem 23-37 weisen ebenfalls in einen Entstehungszeitraum um 110 n. Chr. Die Aufnahme des 2Petr in den Kanon war lange umstritten, er fehlt im Canon Muratori, und noch Origenes zählt ihn zu den ‚angefochtenen‘ Schriften (vgl. Euseb, HE VI 25,8; ferner III 25,3).
Ein öfters genanntes, aber bei Schnelle nicht direkt erwähntes Argument bezieht sich auf 2 Petrus 3,2. Die Jerusalemer Bibel schreibt dazu:
Die Gruppe der Apostel wird in Parallele zur Gruppe der Propheten gestellt, und der Verfasser spricht so, als ob er nicht dazugehörte.
2.2 Beurteilung dieser Argumente
Leider verrät Schnelle nicht im Detail, welche in Bezug auf den 1. Petrusbrief genannten Argumente er auch für den 2. Petrusbrief in welcher Weise anwenden will. Ich werde mich daher nur mit dem Hinweis auf die Sprache in der Fußnote 204 beschäftigen und dann auf die direkt genannten Argumente eingehen.
2.2.1 Zur Sprache
Auf sprachliche Fragen geht Schnelle in den Fußnoten 204 und 207 ein. Einerseits geht es um die hohe Anzahl von Hapaxlegomena, andererseits um den selbstverständlichen Gebrauch religiös-philosophischer Termini des Hellenismus.
2.2.1.1 Hapaxlegomena
Hapaxlegomena sind Wörter, die nur einmal vorkommen. In meiner Zählung bin ich auf 57 statt der von Schnelle genannten 49 gekommen, vielleicht deswegen, dass ich Wörter gezählt habe, die nur im 2. Petrusbrief vorkommen, aber möglicherweise nicht nur einmal in diesem Brief. Nach meinen Ergebnissen hat der Hebräerbrief im Verhältnis zum Wortschatz etwas mehr Einmalwörter (14,45 %) als der 2. Petrusbrief (14,21 %). 26 der 57 Wörter kommen auch in der Septuaginta vor und konnten dem Autor von dort bekannt sein. Von den 31 verbleibenden Einmalwörtern sind manche wie auch beim 1. Petrusbrief von bekannten Wörtern ableitbar (z. B.: pseudodidáskalos – Irrlehrer; akatapaustos – nicht ablassend; amathēs – unwissend; amōmētos – untadelhaft). Andere Wörter, die nicht zum Alltagswortschatz oder spezifisch christlichen Vokabular gehören mochten, konnte Petrus durchaus im Gespräch mit gebildeten Geschwistern erfahren haben. Wir haben nicht den Einblick in das sprachliche Wissen jener Zeit, um aus dem verwendeten Wortschatz ein tragfähiges Argument gegen die Autorschaft des Apostels gewinnen zu können.
2.2.1.2 Religiös-philosophische Termini des Hellenismus
Hier gilt im Grunde dasselbe Argument wie beim vorigen Punkt. Ich möchte aber auf die von Schnelle genannten Wörter im Detail eingehen.
epígnosis – Erkenntnis: Hier handelt es sich um ein Grundwort des christlichen Wortschatzes, das in sieben Paulusbriefen und im Hebräerbrief vorkommt. Insgesamt 20 Vorkommen im Neuen Testament. Das dazugehörige Verb epiginōskein – erkennen finden wir zusätzlich noch in den synoptischen Evangelien und der Apostelgeschichte (insgesamt 44 Vorkommen). Das dieses Wort auch in der griechischen Philosophie verwendet wurde, heißt noch lange nicht, dass der 2. Petrusbrief davon beeinflusst wurde.
gnōsis – Erkenntnis: Hier gilt dasselbe wie für epígnosis, nur dass dieses Wort noch häufiger vorkommt: 29 Vorkommen. Das dazugehörige Verb ginōskein gibt es sogar 221-mal im Neuen Testament.
eusébeia – Frömmigkeit: Dieses Wort finden wir außerhalb des 2. Petrusbriefes nur in den Pastoralbriefen und in Apostelgeschichte 3,12, dort im Munde von Petrus. Dieses auch in der Septuaginta öfters vorkommende Wort war Petrus nicht unbekannt.
hypomonē – Geduld, Ausdauer: Auch hier haben wir ein Grundwort des christlichen Wortschatzes, von dem Paulus reichlich Gebrauch machte, das wir aber auch bei Lukas, im Hebräerbrief, im Jakobusbrief und der Offenbarung finden. Es kommt 32-mal im Neuen Testament vor. Jeder, der im Glauben lebt, weiß, wie sehr er Geduld und Ausdauer braucht. Das hat mit hellenistischer Philosophie nichts zu tun.
enkráteia – Enthaltsamkeit: Dieses Wort kommt zwar nur dreimal im Neuen Testament vor, das dazugehörige Verb zweimal und das entsprechende Adjektiv einmal. In Galater 5,23 gehört die Enthaltsamkeit zur Frucht des Geistes, ohne die man nicht Christ sein kann. Es geht auch hier um die Grundlagen des Christentums.
aretē – Tugend: Auch für dieses Wort, obwohl es nur viermal im Neuen Testament vorkommt, braucht man nicht auf einen hellenistischen philosophischen Hintergrund zurückgreifen. Paulus verwendet dieses Wort in Philipper 4,8. Auch Petrus verwendet es in 1 Petrus 2,9, wo er Jesaja 43,21 nach der Septuaginta zitiert. Petrus kannte dieses Wort aus seiner Bibel. Dazu musste er nicht die hellenistische Philosophie bemühen.
epóptēs – Beschauer, Beobachter, Betrachter: Dieses nur in 2 Petrus 1,16 vorkommende Wort wurde in der Mysteriensprache verwendet, um die Eingeweihten des höchsten Grades zu bezeichnen. Petrus verwendete dieses Wort, um seine Augenzeugenschaft bei der Verklärung zu betonen. Man könnte das an dieser Stelle so verstehen, dass Petrus die Verklärung als eine Art Einweihung verstanden habe. Sicher war es für ihn sehr prägend, Jesus in seiner Herrlichkeit zu sehen. Trotzdem war das etwas anderes als die Einweihung in einen Mysterienkult. In 1 Petrus 2,12 und 3,2 wird das dazugehörige Verb epopteúein für das Sehen der guten Taten oder des reinen Lebenswandels von Christen verwendet. Es geht um das, was man sieht. So ist auch in 2 Petrus 1,16 die von der Einheitsübersetzung gewählte Wiedergabe „Augenzeuge“ durchaus passend – ohne Rückgriff auf die Mysteriensprache.
theía dýnamis – göttliche Kraft: Obwohl das Neue Testament viel von Gott – theós – die Rede ist ist das Adjektiv theîos sehr selten (nur in 2 Petrus 1,3.4 und substantiviert in Apostelgeschichte 17,29). Vielleicht hat Petrus deswegen nicht „Gottes Kraft“ geschrieben, weil er eine Aussage über Jesus machen wollte, der am Ende von Vers 2 genannt wird. Es geht um Jesu göttliche Kraft, die uns alles, was für unser Leben und unsere Frömmigkeit gut ist, geschenkt hat. Auch hier erübrigt sich ein Rückgriff auf die hellenistische Philosophie.
2.2.2 Das Verhältnis zum Judasbrief
Es ist offensichtlich, dass es zwischen dem 2. Petrusbrief und dem Judasbrief viele Ähnlichkeiten gibt. Vor allem 2 Petrus 2 ist dem Judasbrief sehr ähnlich. Wenn man, wie es die meisten Forscher tun, annimmt, dass der 2. Petrusbrief den Judasbrief als Vorlage verwendet hat, so stellt sich die Frage, warum ein Apostel das Werk eines Nichtapostels verwenden sollte. Das könnte ein Argument gegen die Autorschaft Petri sein.
Grundsätzlich gibt es bezüglich des Verhältnisses zwischen den beiden Briefen drei Möglichkeiten:
a) Der Schreiber des 2. Petrusbriefes hat den Judasbrief verwendet.
b) Der Schreiber des Judasbriefes hat den 2. Petrusbrief verwendet.
c) Beide haben eine gemeinsame Vorlage verwendet, die nicht mehr existiert.
Die dritte Möglichkeit wird nur von wenigen vertreten. Eine nicht mehr vorhandene Vorlage zu behaupten, ist immer eine sehr unsichere Sache. Außerdem würde auch in diesem Fall das Problem, dass Petrus das Werk eines anderen benützt habe, nicht gelöst.
Viele, die an der Echtheit des 2. Petrusbriefes festhalten, bevorzugen die Möglichkeit b). Es wird auch darauf hingewiesen, dass der 2. Petrusbrief von den Irrlehrern in der Zukunft spricht. So heißt es in 2 Petrus 2,1:
Es gab aber auch falsche Propheten im Volk, wie es auch unter euch falsche Lehrer geben wird. Sie werden Verderben bringende Irrlehren einschleusen und den Herrn, der sie freigekauft hat, verleugnen. Doch dadurch bringen sie über sich selbst rasches Verderben.
Im Vergleich dazu Judas 4:
Denn es haben sich einige Leute eingeschlichen, die schon seit Langem für das Gericht vorgemerkt sind: Gottlose, die unseres Gottes Gnade mit einem zügellosen Leben vertauschen und die Jesus Christus, unseren einzigen Herrscher und Herrn, verleugnen.
Diese Lösung setzt voraus, dass die beiden Schriften dieselben Empfänger haben. Es könnte ja auch der Fall sein, dass die Irrlehrer in der Empfängergemeinde des Judasbriefes schon aufgetreten sind, aber bei den Adressaten des 2. Petrusbriefes noch nicht, weshalb die Leser bereits im Vorhinein gewarnt werden.
Es fällt auf, dass im 2. Petrusbrief Abschnitte des Judasbriefes, in denen apokryphe Texte verwendet wurden, diese nicht vorkommen. Man vergleiche Judas 9 mit 2 Petrus 2,11. Judas 14-15, das im Paralleltext seinen Platz zwischen 2 Petrus 2,17 und 18 hätte, fehlt dort. Das spricht eher dafür, dass der Schreiber von 2 Petrus diese Verweise auf apokryphe Literatur problematisch gesehen hat und deswegen nicht aufgegriffen hat, als dass Judas den Text von Petrus mit Inhalten aus apokryphen Schriften illustrieren wollte. Es ist daher wahrscheinlicher, dass 2 Petrus Judas voraussetzt, als umgekehrt. Die Verwendung apokrypher Schriften setzt aber nicht voraus, dass Judas diese als Heilige Schrift betrachtet hätte, genauso wenig wie Titus 1,12 voraussetzt, dass für Paulus die Werke von Epimenides Heilige Schrift waren.
Einen interessanten Lösungsvorschlag gibt es von John A. T. Robinson2. Er schlägt vor, dass Judas im Auftrag von Petrus den 2. Petrusbrief geschrieben habe. Judas hätte eine ähnliche Funktion gehabt wie Silvanus beim 1. Petrusbrief. Das würde natürlich die Ähnlichkeiten im Stil und Inhalt erklären. Er geht sogar so weit, dass mit dem ersten Brief, der in 2 Petrus 3,1 vorausgesetzt wird, nicht der 1. Petrusbrief, sondern der Judasbrief gemeint sei. Der Judasbrief sei ein aufgrund der Dringlichkeit durch das Auftreten der Irrlehrer schnell verfasstes erstes Schreiben gewesen, auf welches der gründlicher verfasste 2. Petrusbrief folgte, den Judas im Auftrag von Petrus ohnehin schon schreiben wollte. Bei diesem Vorschlag ergibt sich aber das bereits genannte Problem, dass im Judasbrief die Irrlehrer bereits in die Gemeinde eingedrungen sind, während im 2. Petrusbrief vor dem erwarteten Kommen dieser Verführer gewarnt wird. Es passt auch nicht, dass, wenn Judas im Namen von Petrus schreibt, er seinen eigenen Brief dann als seinen ersten Brief voraussetzt.
Es wäre aber möglich, dass Petrus den Abschnitt über die Irrlehrer, also vor allem Kapitel 2, in Zusammenarbeit mit Judas geschrieben hat, der vielleicht mit diesen konkreten Irrlehrern schon mehr Erfahrung hatte als Petrus. In diesem Fall wäre der in 3,1 vorausgesetzte erste Brief nicht der Judasbrief, vermutlich auch nicht der 1. Petrusbrief, der sich nicht nur an eine konkrete Gemeinde, sondern an fast ganz Kleinasien richtet. Es könnte sich auch um ein früheres nicht erhaltenes Schreiben von Petrus handeln.
Es ist aber auch nicht auszuschließen, dass Petrus in Bezug auf die Verführer der ihm vorliegende Judasbrief als Vorlage gedient hat, den er aber nicht einfach kopierte, sondern seinem Konzept entsprechend verwendet und auch abgeändert hat. Judas war als „Bruder“ des Herrn eine anerkannte Autorität in der frühen Gemeinde, und so war es nicht unmöglich, dass Petrus sein Schreiben verwendete.
In diesem Fall muss nicht unbedingt vorausgesetzt werden, dass zwischen dem Judasbrief und dem 2. Petrusbrief Jahre liegen müssen. Wenn es um das Auftreten von Irrlehrern in einem geografisch begrenzten Gebiet geht, wo zu erwarten war, dass diese Irrlehrer auch bald in die Empfängergemeinde(n) des 2. Petrusbriefes kommen würden, musste dieser bald nach dem Judasbrief geschrieben worden sein. Petrus müsste den Judasbrief bald nach dessen Abfassung gekannt haben. Da uns weder der Ort noch die Zeit der Abfassung beider Briefe bekannt ist, ist es nicht möglich, festzustellen, ob das möglich war. Es kann auf keinen Fall ausgeschlossen werden. Die frühen Christen waren mobil. Kommunikation konnte im Römischen Reich für antike Verhältnisse relativ schnell (innerhalb weniger Wochen) funktionieren.
Ohne mich festzulegen, wie es tatsächlich war, zeigen diese Gedanken, dass die Ähnlichkeit der beiden Briefe eine Autorschaft des Apostels Petrus – eventuell in Zusammenarbeit mit Judas – nicht ausschließt.
2.2.3 Durchbricht der Schreiber die Autorenfiktion?
2.2.3.1 Die entschlafenen Väter
In 2 Petrus 3,4 werden die Spötter zitiert:
Wo bleibt seine verheißene Ankunft? Denn seit die Väter entschlafen sind, bleibt alles wie von Anfang der Schöpfung an.
Üblicherweise sieht man in den „Vätern“ die Christen der ersten Generation. Laut Schnelle durchbricht hier der Schreiber die Autorenfiktion, da doch Petrus auch einer der entschlafenen Väter war. Robinson meinte, dass um 60 herum schon viele der ersten Generation gestorben waren, und dass es deshalb möglich war, dass Petrus / Judas sich so ausgedrückt haben. Es sei sogar mehr zu erwarten, dass diese Fragen zu einer Zeit gestellt wurden, als das Problem noch neu war. Die Fragestellung würde besser in die 60er-Jahre des 1. Jahrhunderts passen als in das frühe 2. Jahrhundert.
Doch geht es bei den „Vätern“ wirklich um die erste christliche Generation? Die Spötter, die diese Frage gestellt haben, waren offensichtlich keine Christen. Sie waren auch keine Juden, da sie behaupteten, dass seit Anfang der Schöpfung sich nichts geändert habe. Juden wussten um das Eingreifen Gottes in die Geschichte. Die Spötter waren mit hoher Wahrscheinlichkeit Heiden, die sich über die Erwartung der Wiederkunft Christi lustig machten. Sie wollten sagen, dass sich seit Urzeiten, seit unsere Väter, unsere Vorfahren, gestorben sind, nichts geändert hat. Es blieb alles, wie es schon immer war.
Möglicherweise hat Petrus die spöttische Frage der Gegner in einer christlichen Sprache ausgedrückt und so die Wörter „entschlafen“ und „Schöpfung“ verwendet. Doch wurde das Bild des Schlafes auch in heidnischer Literatur für den Tod verwendet. Auch das Wort „Schöpfung“ ist in heidnischer Literatur zu finden.
Wenn mit den „Vätern“ die Vorfahren der Spötter gemeint sind, verliert dieses Argument seine Kraft. Aber auch wenn die erste christliche Generation gemeint sein sollte, spricht das nicht gegen die Echtheit des Briefes, weil ein Großteil der ersten christlichen Generation tatsächlich schon gestorben war.
2.2.3.2 Vergisst der Schreiber, dass er zu den Aposteln gehört?
Denkt an die Worte, die von den heiligen Propheten im Voraus gesprochen worden sind, und an das Gebot des Herrn und Retters, das eure Apostel euch überliefert haben! (2 Petrus 3,2)
Bei Judas lautet die entsprechende Stelle so:
Ihr aber, Geliebte, gedenkt der Worte, die von den Aposteln Jesu Christi, unseres Herrn, im Voraus verkündet worden sind. (Judas 17)
Judas, der kein Apostel, aber ein „Bruder des Herrn“ war, schrieb allgemein von den Aposteln, Petrus schrieb von euren Aposteln. Petrus gehörte nicht zu jenen Aposteln, die den Empfängern seines Briefes das Evangelium verkündet hatten. Das waren andere. Das heißt aber nicht, dass hier ein Fälscher vergessen hätte, dass er vorgab, Petrus zu sein. Einem echten Fälscher wäre ein derart plumper Fehler nicht unterlaufen.
Paulus schreibt in 1 Korinther 9,2:
Wenn ich für andere kein Apostel bin, bin ich es doch für euch. Ihr seid ja im Herrn das Siegel meines Apostelamtes.
Für andere war Paulus kein Apostel im Sinne des Erstverkünders. Er war es aber für die Korinther. So war auch Petrus für die Empfänger dieses Briefes kein Erstverkünder.
2.2.4 Tiefgreifender Unterschied zum 1. Petrusbrief
Wenn der 1. Petrusbrief und vor allem dessen sprachliche Ausführung das Werk von Silvanus war, und der 2. Petrusbrief möglicherweise mit starker Beteiligung von Judas geschrieben wurde, brauchen wir uns über tiefgreifende Unterschiede nicht wundern.
Die Unterschiede sind aber nicht so tief, dass sie einen gemeinsamen Autor der beiden Briefe ausschließen. 38,6 % des Vokabulars von 2 Petrus hat er mit 1 Petrus gemeinsam. Das scheint auf den ersten Blick nicht so viel zu sein. Wenn man 1 Timotheus mit Titus vergleicht, hat Titus 40,4 % seines Wortschatzes mit 1 Timotheus gemeinsam, oder 2 Korinther hat 49,3 % seines Vokabulars mit 1 Korinther gemeinsam.3
Es sind auch einige Gemeinsamkeiten festzustellen, wie das Aufgreifen des Themas der Sintflut in 1 Petrus 3,20 und 2 Petrus 2,5; 3,6 oder die Inspiration der Schrift in 1 Petrus 1,10-12 und 2 Petrus 1,20-21.
Auch im Wortschatz gibt es Gemeinsamkeiten, wie etwa das bereits erwähnte Wort aretē.
Der Gruß „Gnade sei mit euch und Friede in Fülle“ ist in 1 Petrus 1,2 und 2 Petrus 1,2 exakt gleich, ohne jede Parallele im Neuen Testament. Ein Fälscher hätte zwar diesen Gruß genau aus 1 Petrus kopieren können. Warum hätte er aber nur diesen Teil und nicht mehr kopiert?4
Es ist auch zu bedenken, dass die Thematik der beiden Briefe unterschiedlich ist. Im ersten Brief geht es weitgehend um die Stärkung in Anfechtungen und Verfolgungen, der zweite Brief ist dominiert von einer Warnung vor Verführern. Das bedingt auch einen unterschiedlichen Wortschatz und auch einen Unterschied im Stil.
Wären die Ähnlichkeiten zwischen beiden Briefen zu groß, würden Kritiker, wie es beim 2. Thessalonicherbrief geschah, darin auch ein Argument für die Unechtheit sehen. Ein Fälscher, dem nach 2 Petrus 3,1 der erste Brief bekannt gewesen sein musste, hätte zur Untermauerung seines Echtheitsanspruchs versucht, sein Schreiben mehr an das Vorbild des ersten Briefes anzupassen. Wir müssten in diesem Fall sehr viele Ähnlichkeiten zwischen den beiden Petrusbriefen finden.
2.2.5 Inspirationslehre
Leider erfahren wir von Herrn Schnelle nicht, warum „die in 2 Petr 1,20f entwickelte Inspirationslehre“ in „eine späte Zeit“ weist. Die Aussage, dass „vom Heiligen Geist getrieben Menschen im Auftrag Gottes geredet haben“, entspricht im Grunde dem, was Petrus bereits im Jahre 30 bei seiner ersten Verkündigung über David gesagt hat:
30 Da er ein Prophet war und wusste, dass Gott ihm einen Eid geschworen hatte, einer von seinen Nachkommen werde auf seinem Thron sitzen, 31 sagte er vorausschauend über die Auferstehung des Christus: Er gab ihn nicht der Unterwelt preis und sein Leib schaute die Verwesung nicht. (Apostelgeschichte 2,30-31)
David hat nicht aus Eigenem gesprochen. Er konnte deswegen über den Messias sprechen, weil er vom Heiligen Geist getrieben war.
Auch die Worte Petri in Apostelgeschichte 3,21 weisen in dieselbe Richtung:
Ihn muss freilich der Himmel aufnehmen bis zu den Zeiten der Wiederherstellung von allem, die Gott von jeher durch den Mund seiner heiligen Propheten verkündet hat.
Gott hat durch den Mund der Propheten gesprochen.
Petrus hat in seinem zweiten Brief im Wesentlichen dasselbe gesagt wie in seinen ersten Reden am Anfang der Gemeinde. Für einen Theologen, der in den Petrusreden der Apostelgeschichte nur Kompositionen des unbekannten Autors dieses Buches irgendwann im späten 1. Jahrhundert sieht, ist das natürlich kein Argument.
Das Bewusstsein, vom Geist Gottes geleitet zu sein, war bereits bei den Propheten des Alten Testaments vorhanden.
Ich aber bin voller Kraft, ich habe den Geist des HERRN, Recht und Stärke, Jakob seine Vergehen vorzuhalten und Israel seine Sünden. (Micha 3,8)
2.2.6 Rezeption und Kanonizität
Der 2. Petrusbrief wurde erst relativ spät allgemein als kanonisch, d. h. als Heilige Schrift, anerkannt. Das hing vor allem damit zusammen, dass angezweifelt wurde, ob dieser Brief wirklich vom Apostel Petrus stammte. Für die frühe Kirche hingen – im Gegensatz zur heutigen Theologie – die Frage nach dem Autor und die Frage nach der Kanonizität untrennbar miteinander zusammen.
Wenn wir in chronologischer Reihenfolge vorgehen, finden wir erste Spuren im 1. Klemensbrief, der nach allgemeiner Auffassung ca. 96 geschrieben wurde. Es gibt aber auch Gründe, die für eine Datierung bereits im Jahre 69 sprechen.
In 1 Klemens 9,2 heißt es:
Hinschauen wollen wir auf die, die in Vollkommenheit seiner erhabenen Herrlichkeit gedient haben.
Den Begriff erhabene Herrlichkeit als Umschreibung Gottes gibt es in der Bibel nur in 2 Petrus 1,17.
1 Klemens 35,5 spricht vom „Weg der Wahrheit“. Dieser Ausdruck ist in der Bibel nur in 2 Petrus 2,2 zu finden.
Man kann nicht beweisen, dass Klemens tatsächlich diese Formulierungen aus dem 2. Petrusbrief hatte, aber diese Ähnlichkeiten sind zumindest Indizien, die in diese Richtung weisen.
Nach Eusebius, Kirchengeschichte 3,39,17 hat sich Papias (frühes 2. Jahrhundert) auf den „ersten Petrusbrief“ berufen. Falls Eusebius den Wortgebrauch von Papias wiedergibt, musste Papias auch den 2. Petrusbrief gekannt und als Autorität anerkannt haben.
Auch nach Schnelle setzt die um 135 n. Chr. wahrscheinlich in Ägypten entstandene Offenbarung des Petrus den 2. Petrusbrief voraus, was wiederum voraussetzt, dass der Autor dieser apokryphen Apokalypse den 2. Petrusbrief als von Petrus verfasst betrachtet hat.
Der 165 getötete Justin der Märtyrer spielt im Dialog mit Trypho 82,1 auf 2 Petrus 2,1 an.
Wie es aber neben euren heiligen Propheten noch falsche Propheten gegeben hat, so gibt es auch jetzt bei uns viele falsche Lehrer. Vor diesen hat uns aber dereinst unser Herr gewarnt.
Der Vergleich zwischen den falschen Propheten Israels und den falschen Lehrern in der Kirche kommt im frühen Christentum nur in diesen beiden Stellen vor. Auch kommt das Wort pseudodidáskaloi (falsche Lehrer) vor Justin in keinem anderen Text vor.5 Das macht es sehr wahrscheinlich, dass Justin den 2. Petrusbrief gekannt und verwendet hat.
In der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts schrieb Irenäus:
[…] da ja „der Tag des Herrn wie tausend Jahre“. (Irenäus, Gegen die Häresien 5,23,2)
Diese Formulierung entspricht 2 Petrus 3,8:
Dies eine aber, Geliebte, soll euch nicht verborgen bleiben, dass beim Herrn ein Tag wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag sind.
Man könnte einwenden, dass sich Irenäus ebenso wie 2 Petrus auf Psalm 90,4 bezöge:
Denn tausend Jahre sind in deinen Augen wie der Tag, der gestern vergangen ist, wie eine Wache in der Nacht.
Die Formulierung bei Irenäus ist fast identisch mit der von 2 Petrus, der den Psalm frei wiedergegeben hat.
In Gegen die Häresien 3,1,1 heißt es über Petrus und Paulus:
Nach deren Tode […]
Diese Formulierung gleicht 2 Petrus 1,15:
Ich will aber dafür sorgen, dass ihr euch auch nach meinem Tod jederzeit daran erinnern könnt.
In beiden Fällen steht für den Tod das Wort éxodos. Die Formulierungen gleichen einander so stark, dass eine zufällige Übereinstimmung eher unwahrscheinlich ist.
Diese Ähnlichkeiten weisen in die Richtung, dass Irenäus den 2. Petrusbrief kannte und auch als echt betrachtete.
Hippolyt von Rom (gestorben um 235) schrieb in der Widerlegung aller Häresien 9,7,3:
[…] eine Zeitlang gaben sie, aus Scham und von der Wahrheit bezwungen, nach, nach kurzer Zeit aber wälzten sie sich wieder in demselben Kot.
Die Ähnlichkeit zu 2 Petrus 2,22 ist offensichtlich:
Auf sie trifft das wahre Sprichwort zu: Der Hund kehrt zurück zu dem, was er erbrochen hat, und: Die gewaschene Sau wälzt sich wieder im Dreck.
Im Griechischen steht für „Dreck“ und „Kot“ dasselbe Wort. Es ist wahrscheinlich, dass Hippolyt dieses Bild, mit dem er seine Gegner beschrieb, aus dem 2. Petrusbrief hatte.
Einer Nachricht von Eusebius kann man entnehmen, dass Klemens von Alexandria (150-215) eine Auslegung des 2. Petrusbriefes schrieb, die allerdings verloren gegangen ist.
In den Hypotyposen gibt Klemens, um es kurz zu sagen, gedrängte Auslegungen der ganzen Bibel, ohne die bestrittenen Schriften wie den Brief des Judas, die übrigen katholischen Briefe, den Brief des Barnabas und die sog. Petrusapokalypse zu übergehen. (Eusebius, Kirchengeschichte 6,14,1)
Der 2. Petrusbrief ist nicht namentlich genannt, gehörte aber zur Zeit des Eusebius zu den „katholischen“ Briefen. In der Kirchengeschichte 3,25,3 erwähnt er den 2. Petrusbrief unter den „bestrittenen Schriften“. Das setzt voraus, dass Klemens von Alexandrien, diesen Brief kannte und kommentierte. In Klemens‘ Brief an Theodorus 1,6-7 findet sich eine Formulierung, die 2 Petrus 2,19 sehr ähnlich ist.6
Eusebius zitiert Origenes (182-251) in Bezug auf die Petrusbriefe:
Petrus, auf den die Kirche Christi gebaut ist, welche von den Toren der Hölle nicht überwältigt werden wird, hat nur einen allgemein anerkannten Brief hinterlassen. Er mag noch einen zweiten hinterlassen haben, doch wird derselbe bezweifelt. (Eusebius, Kirchengeschichte 6,25,11)
Es ist die Frage, ob Origenes hier nur die Zweifel anderer gemeint hat oder ob er die Echtheit des 2. Petrusbriefes auch selbst bezweifelt hat. Er hat diesen Brief sechsmal zitiert. In den Homilien über Josua 7,1 schreibt er 2 Petrus dieselbe Autorität wie 1 Petrus zu, wenn er von den „zwei Trompeten seiner Briefe“ spricht.7
Eusebius von Cäsarea (265-339) schreibt in der Kirchengeschichte 3,25,3:
Zu den bestrittenen aber, welche indes gleichwohl bei den meisten in Ansehen stehen, werden gerechnet der sog. Jakobusbrief, der Brief des Judas, der zweite Brief des Petrus und der sog. zweite und dritte Johannesbrief, welche entweder dem Evangelisten oder einem anderen Johannes zuzuschreiben sind.
Er sah den 2. Petrusbrief in einer Gruppe mit dem Jakobusbrief und einigen kurzen „Katholischen“ Briefen, die später allgemein als kanonisch akzeptiert wurden. Aus diesem Zitat geht aber auch hervor, dass damals die Mehrheit diesen Brief als kanonisch akzeptierte. Eusebius hat diese „bestrittenen“ Briefe klar von unechten Schriften unterschieden, zu denen er z. B. die Petrusapokalypse rechnete.
In der Folgezeit war der 2. Petrusbrief allgemein akzeptiert.
Es stimmt, dass der 2. Petrusbrief länger umstritten war als andere Schriften des Neuen Testaments. Doch lassen sich Spuren seiner Verwendung bereits bis ins 1. Jahrhundert zurückverfolgen.
Wer diesen Brief nicht Petrus zuschreibt, sollte auch die Konsequenz haben, ihn als nichtkanonisch zu erklären. In den ersten Jahrhunderten wäre es unvorstellbar gewesen, einen Brief mit falscher Autorenangabe im Kanon zu haben.
2.2.8 Vorausgesetzte Paulusbriefsammlung?
15 Und die Geduld unseres Herrn betrachtet als eure Rettung. Das hat euch auch unser geliebter Bruder Paulus mit der ihm geschenkten Weisheit geschrieben; 16 es steht in allen seinen Briefen, in denen er davon spricht. In ihnen ist einiges schwer zu verstehen und die Unwissenden, die noch nicht gefestigt sind, werden diese Stellen ebenso verdrehen wie die übrigen Schriften zu ihrem eigenen Verderben. (2 Petrus 3,15-16)
Der Autor dieser Zeilen kannte offensichtlich einige Paulusbriefe und setzte deren Kenntnis auch bei seinen Lesern voraus. Doch heißt das, dass die Sammlung der Paulusbriefe zur Zeit der Abfassung des 2. Petrusbriefes schon abgeschlossen war? „In allen seinen Briefen“ heißt alle Briefe, die dem Schreiber bekannt waren.
Dass die Briefe von Paulus nicht nur in den Empfängergemeinden gelesen wurden, sondern rasch auch mit anderen Gemeinden geteilt wurden, kann man den Paulusbriefen selbst entnehmen.
Und wenn der Brief bei euch vorgelesen worden ist, sorgt dafür, dass er auch in der Gemeinde von Laodizea vorgelesen wird und dass ihr auch den aus Laodizea lest! (Kolosser 4,16)
Leider ist der Brief, den Paulus der Gemeinde von Laodizea geschrieben hat, nicht erhalten. Es war aber offensichtlich der Wunsch von Paulus, dass seine Briefe auch in anderen Gemeinden gelesen wurden. Doch auch ohne die Anweisung von Paulus haben die Gemeinden, die untereinander in Kontakt standen, seine Briefe an andere weitergeleitet. Sie wollten an den Überlieferungen, die Paulus durch Wort oder durch einen Brief gelehrt hat (vergleiche 2 Thessalonicher 2,15) festhalten. Darum ist es überhaupt nicht erstaunlich, dass es noch zu Lebzeiten von Petrus und Paulus Paulusbriefe in verschiedenen Gemeinden gab.
Es ist fraglich, ob ein Fälscher, der Paulus als Autorität betrachtete, was beim Schreiber des 2. Petrusbriefes der Fall war, so offen über die Schwierigkeiten geschrieben hätte, die es in seinen Briefen gab. Oder hätte ein Fälscher so geschrieben, als ob Petrus manches in den Paulusbriefen nur schwer verstanden hätte?
Auch die Nennung des Apostels als „unseren geliebten Bruder Paulus“ passt besser zu Petrus, einem Apostel.
In 2 Petrus 3,16 werden die Paulusbriefe auf eine Stufe mit den „übrigen Schriften“ gestellt. Das griechische Wort graphē wird im Neuen Testament nur für „Heilige Schrift“ verwendet. Heilige Schrift waren damals ohne Zweifel alle Bücher des Alten Testaments. Ist zu erwarten, dass Briefe von Paulus damals schon eine derartige Autorität hatten?
Paulus selbst hat seinen – gesprochenen und geschriebenen – Worten diese Bedeutung zugemessen:
Darum danken wir Gott unablässig dafür, dass ihr das Wort Gottes, das ihr durch unsere Verkündigung empfangen habt, nicht als Menschenwort, sondern – was es in Wahrheit ist – als Gottes Wort angenommen habt; und jetzt ist es in euch, den Glaubenden, wirksam. (1 Thessalonicher 2,13)
Seid also standhaft, Brüder, und haltet an den Überlieferungen fest, in denen wir euch unterwiesen haben, sei es mündlich, sei es durch einen Brief! (2 Thessalonicher 2,15)
Wenn einer meint, Prophet zu sein oder geisterfüllt, soll er in dem, was ich euch schreibe, ein Gebot des Herrn erkennen. (1 Korinther 14,37-39)
Auch wenn es zur Zeit der Abfassung des 2. Petrusbriefes noch keinen festen Kanon der Paulusbriefe gab, so war den Christen damals klar, dass sie in diesen Briefen die Lehre der Apostel, das Wort Gottes, fanden. Somit waren für sie die Paulusbriefe Heilige Schrift. Es ist kein Anachronismus, wenn Petrus sie mit anderen Schriften auf eine Stufe stellt.
2.2.9 Weitere Gedanken
Im 1. Petrusbrief stellt sich Petrus als „Petrus, Apostel Jesu Christi“ vor, im 2. Petrusbrief als „Simeon Petrus, Knecht und Apostel Jesu Christi“. Ein angenommener Fälscher, der den 1. Petrusbrief kannte, hätte am ehesten einfach die Selbstvorstellung aus dem ersten Brief kopiert. Wenn er den Namen noch ergänzt hätte, hätte er wohl die im Griechischen übliche Form „Simon“ gewählt, die im Neuen Testament häufig vorkommt. Hier lesen wir aber „Simeon“, eigentlich „Symeon“. Diesen hebräischen Namen gibt es für Petrus sonst nur in Apostelgeschichte 15,14 im Munde von Jakobus. In den meisten Übersetzungen wird dieser Unterschied aber nicht sichtbar, da sie auch „Symeon“ mit „Simon“ wiedergeben.
Schon bevor ihm Jesus den symbolischen Beinamen Petrus gab, hatte er bereits zwei Namen: den hebräischen Namen Šim’ôn, der als Symeōn ins Griechische übertragen wurde, und den ähnlich klingenden griechischen Namen Simōn. Petrus konnte jederzeit sich mit diesem Namen nennen, vielleicht insbesondere, wenn es unter den Lesern auch eine Gruppe mit semitischem Hintergrund gab. Ein späterer Fälscher hätte kaum diesen Namen verwendet. Auch in keinem der tatsächlich pseudepigraphischen Werke, die vorgeben, von Petrus zu stammen, wird der Name Symeon verwendet.
In 2 Petrus 1,16-18 ist die Augenzeugenschaft des Apostels das Thema. Petrus schreibt dabei über die Verklärung. Wäre es für einen späteren Schreiber nicht viel näher gelegen, die Augenzeugenschaft Petri bei der Auferstehung als Beispiel zu nehmen? Immerhin war Petrus doch der erste männliche Zeuge der Auferstehung Jesu. Überdies entspricht die Himmelsstimme „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe“ im exakten griechischen Wortlaut keiner der drei synoptischen Parallelen. Am ähnlichsten ist die Version von Matthäus, doch gibt es auch hier einige kleine Unterschiede. Ein Fälscher hätte sich wohl an eine ihm in einem der drei synoptischen Evangelien bereits vorhandene Vorlage gehalten, während Petrus als Augenzeuge aus der Erinnerung zitieren konnte.
2.3 Ergebnis
Auch beim 2. Petrusbrief ist keines der Argumente der Kritiker so stichhaltig, dass die Annahme eines pseudepigraphischen Werkes notwendig ist. Es gibt auch Gründe, die sehr wohl für die Autorschaft des Apostels Simeon Petrus sprechen. Der im Brief gegebenen Autorenangabe ist daher Glauben zu schenken. Wäre der Schreiber, der in 2,2 den Irrlehrern vorwirft, dass ihretwegen der Weg der Wahrheit in Verruf kommen wird, ein Mensch gewesen, der es selber mit der Wahrheit nicht genau genommen hätte, hätte er sich dadurch sein eigenes Urteil gesprochen. Sein Werk könnte auf keinen Fall Teil der Heiligen Schrift sein.
Ich schreibe euch nicht, weil ihr die Wahrheit nicht kennt, sondern weil ihr sie kennt und weil keine Lüge von der Wahrheit stammt.
(1 Johannes 2,21)
- Carsten Peter Thiede, Geheimakte Petrus, Stuttgart 2000, S. 233-235. ↩
- John A.T. Robinson, Redating the New Testament, 1976, S. 201-206. ↩
- Michael J. Kruger, The Authenticity of 2 Peter: Journal of the Evangelical Theological Society 42/4 (December 1999), S. 656-657. ↩
- Weitere Beispiele bei Kruger, S. 659. ↩
- Kruger, S. 654. ↩
- Kruger, S. 652, Fußnote 46. ↩
- Kruger, S. 649-650. ↩