Das Zweite Vatikanum und der Islam

Seit dem Aufkommen des Islams wurde dieser von der katholischen Kirche als eine Häresie bzw. eine gottfeindliche Religion betrachtet, die es zu widerlegen galt. Päpste waren als Initiatoren oder Förderer von Kreuzzügen auch in politisch-militärischer Hinsicht in der Abwehr des Islams aktiv. Überzeugt von der Wahrheit der katholischen Religion sahen sie den Islam als einen Irrtum oder eine Verführung.

Im 20. Jahrhundert kam es zu einer Abwendung von dieser jahrhundertelangen Tradition. Man wollte mehr das Gemeinsame als das Trennende sehen. Ein wichtiges Dokument in dieser Hinsicht war die vom 2. Vatikanischen Konzil verabschiedete Apostolische Konstitution Nostra Aetate, um die es in diesem Beitrag gehen soll.

3. Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslim, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Sie mühen sich, auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft. Jesus, den sie allerdings nicht als Gott anerkennen, verehren sie doch als Propheten, und sie ehren seine jungfräuliche Mutter Maria, die sie bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen. Überdies erwarten sie den Tag des Gerichtes, an dem Gott alle Menschen auferweckt und ihnen vergilt. Deshalb legen sie Wert auf sittliche Lebenshaltung und verehren Gott besonders durch Gebet, Almosen und Fasten.

Da es jedoch im Lauf der Jahrhunderte zu manchen Zwistigkeiten und Feindschaften zwischen Christen und Muslim kam, ermahnt die Heilige Synode alle, das Vergangene beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen. (Apostolische Konstitution Nostra Aetate 3)

Die Konzilsväter waren sichtlich bemüht, nur Positives über den Islam zu schreiben, die Zwistigkeiten der Vergangenheit beiseite zu lassen und eine Zusammenarbeit im Dienste humanistischer Ziele anzustreben.

Es ist sicher gut, einander nicht feindselig gegenüberzustehen, auch Andersgläubigen in Not zu helfen, sich für Frieden und Freiheit einzusetzen. Doch ist das Bild, das dieser Konzilstext über den Islam zeichnet, korrekt?

Muslime sind natürlich davon überzeugt, dass sie den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Doch kann man das aus christlicher Perspektive, die das Konzil für sich beansprucht, sagen? Ist der Gott, der sich im Koran offenbart hat, wirklich der alleinige Gott?

Wenn es weiter im Text heißt, dass Muslime Jesus zwar nicht als Gott anerkennen, aber als Propheten verehren, wird immerhin auf einen sehr wesentlichen Unterschied hingewiesen. Der Gott, den der Prophet Jesus verkündigt hat, war sein Vater, von dem er alle Vollmacht erhalten hat. Jesus selbst hat für sich göttliche Autorität beansprucht. Der Koran aber verflucht in Sure 9,30 die Christen, weil sie Jesus als Sohn Gottes verehren.

Das dreieine Wesen Gottes ist nicht eine zusätzliche Eigenschaft Gottes, die die Muslime nicht anerkennen, sondern sein innerstes Wesen, das durch Jesus Christus offenbar geworden ist. Anders als das Judentum, das auf einer echten Offenbarung Gottes aufbaut, die schon vor dem Kommen Jesu geschehen ist, ist der Islam eine Religion, die in bewusster Ablehnung der christlichen Lehre entstanden ist. Der islamische Gott, der die Christen verflucht, weil sie den Worten Jesu, dass er Gottes Sohn ist, Glauben schenken, ist nicht derselbe Gott wie der Vater Jesu Christi. Auch das Bekenntnis zu Jesus als einem Propheten Gottes wird zu einer leeren Worthülse, wenn man die Worte dieses Propheten ablehnt.

Die Berufung auf Abraham lässt außer acht, dass Gott mit Abraham einen Anfang gesetzt hat, der seine Erfüllung in Jesus Christus gefunden hat. Man kann sich nicht auf Abraham berufen und die Offenbarungsgeschichte, die mit ihm begonnen hat, ablehnen. Überdies wird der Name Abrahams missbraucht, indem ihm in unhistorischer Weise z. B. der Bau der Kaaba in Mekka zugeschrieben wird.

Dass die jungfräuliche Mutter Jesu im Koran und im Islam eine besondere Bedeutung hat, stimmt. Sie ist die einzige Frau, die im Koran namentlich erwähnt wurde, auch wenn sie mit der Schwester Aarons verwechselt wurde. Aber dass Muslime Maria bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen, entspricht wohl dem von einem unbiblischen Marienkult geprägten Wunschdenken der Konzilsväter. Zumindest der offizielle Islam kennt so etwas nicht.

Der Glaube an den Tag des Gerichts eint Muslime und Christen vom Grundsatz her. Doch glauben Christen, dass der Richter, so wie es Jesus gesagt hat (Matthäus 25,31, Johannes 5,22-23), Jesus Christus ist. Auch das islamische Bild der Hölle entspricht ebenso wie die islamische Vorstellung vom Paradies, nicht der Lehre der Bibel.

Dass es unter Muslimen Menschen gibt, die Wert auf sittliche Lebenshaltung legen, möchte ich nicht infrage stellen. Doch entspricht das nicht in allen Punkten dem, was der Koran sagt, etwa, was den Umgang mit Frauen betrifft, oder die Weise, wie man Diebe bestrafen soll. Auch die besonderen Offenbarungen hinsichtlich Mohammeds Lebensführung in Sure 33 motivieren nicht zu einem sittlichen Leben. Auch in Bezug auf Gebet und Fasten (siehe hier und hier) unterscheiden sich Christentum und Islam in wesentlichen Punkten.

Man sieht, dass dieser Konzilstext stärker das islamische Selbstverständnis widerspiegelt als eine Beurteilung aus einer auf biblischer Grundlage aufbauenden christlichen Sicht.

Die Richtung, die vom Zweiten Vatikanum eingeschlagen wurde, hat ihre Fortsetzung in synkretistischen Päpsten gefunden. So hat Johannes Paul II am 21. März 2000 in Jordanien am Wadi Al Kharrar gesagt1:

Möge der Heilige Johannes der Täufer den Islam beschützen […]

Papst Franziskus hat am 4. Februar 2019 gemeinsam mit dem Großimam von Al-Azhar Ahmad Al-Tayyeb die Abu-Dhabi-Erklärung unterschrieben, in der es heißt:

Der Pluralismus und die Verschiedenheit in Bezug auf Religion, Hautfarbe, Geschlecht, Ethnie und Sprache entsprechen einem weisen göttlichen Willen, mit dem Gott die Menschen erschaffen hat.

Hier hat der Papst, der hinter den unterschiedlichen Religionen einen weisen göttlichen Willen sieht, jeglichen Wahrheitsanspruch aufgegeben.

Diese Kehrtwende der offiziellen katholischen Linie zeigt, dass die Berufung auf die Tradition, die angeblich bis auf die Apostel zurückgehen soll, ein sehr selektiv angewandtes Kriterium ist. Die Anpassung an den jeweiligen Zeitgeist scheint wichtiger zu sein.

Man gewinnt den Eindruck, dass es hier ein Schwanken zwischen unterschiedlichen Extremen gibt. Früher gab es eine ziemlich konsequente Ablehnung des Islams, die in Muslimen oft (aber nicht immer) vor allem die Feinde sah, die man bekämpfen musste. Das hatte auch viel mit der unbiblischen Verbindung des Katholizismus mit den staatlichen Obrigkeiten zu tun. Nun geht es in die andere Richtung. Muslime werden als Gläubige gesehen, deren Glauben man achten soll. Man sieht keinen Grund, die Muslime aus ihrem Irrtum herausholen zu müssen.

Was fehlt, ist die Überzeugung, dass es nur eine Wahrheit gibt und dass alle Menschen diese Wahrheit kennenlernen sollen. Durch das Licht der Wahrheit soll die Finsternis des Irrtums und der Verführung weichen. Diese Überzeugung steht nicht im Widerspruch zur Achtung der Würde des Andersgläubigen, dem man mit Gottes Liebe begegnen will. Weil der Andersgläubige ein von Gott geliebter Mensch ist, soll er von dieser Liebe, die in Jesus Christus auf uns zugegangen ist, erfahren. Wenn ich nur religiöse Dialoge führe, in denen es nur um das gegenseitige Verstehen geht, aber der Wunsch fehlt, dem Gesprächspartner das Licht des Evangeliums zu vermitteln, verweigere ich ihm die Liebe Gottes. Liebe gibt es nicht ohne die Wahrheit.

Kann es nicht sein, dass dieses Schwanken zwischen den Extremen, das im Verhältnis des Katholizismus zum Islam sichtbar wird, auch darin seinen Grund hat, dass sich die katholische Lehre von der Wahrheit entfernt hat? Wenn sich im Laufe der Jahrhunderte viele unbiblische Lehren eingeschlichen haben, wenn eine kirchliche Institution aufgebaut wurde, die zu etwas völlig anderem wurde, als es die Gemeinde der ersten Jünger war, ist diese Organisation nicht mehr die Kirche Jesu Christi, nicht mehr Säule und Fundament der Wahrheit (1 Timotheus 3,15). Diese Institution, die nicht auf dem Boden der Wahrheit steht, ist unfähig, die Wahrheit gegen den Irrtum zu verteidigen. Das bedeutet nicht, dass es nicht auch im katholischen Rahmen immer wieder durchaus richtige Ansätze in der Argumentation gegen die islamische Lehre gegeben hat. Aber insgesamt gab es ein Schwanken zwischen den Extremen. Weder die feindliche Ablehnung noch der humanistische Indifferentismus entspricht der Liebe Gottes.

Wer die Liebe Gottes in seinem eigenen Leben erfahren hat, wird den Weg der Liebe finden, der dem ungläubigen oder andersgläubigen Menschen die Wahrheit zumutet, ohne sich über ihn zu überheben.

Jesus sagte zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich. (Johannes 14,6)

Wir aber wollen, von der Liebe geleitet, die Wahrheit bezeugen. (Epheser 4,15a)


  1. Ich habe deswegen zur englischen Version des Textes verlinkt, weil dieser Satz in der deutschsprachigen Version fehlt. Er findet sich auch in der italienischen, französischen, spanischen und portugiesischen Version. 

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