Zum ersten islamisch-christlichen Religionsgespräch

Die Biografie Mohammeds, die Ibn Hischam auf Grundlage des Werks von Ibn Ishak im 9. Jahrhundert verfasst hat, berichtet von einem Gespräch zwischen einer christlichen Delegation aus dem südarabischen Nadschran und Mohammed in Medina.1

Auf Seite 299 werden die Argumente dieser Delegation so zusammengefasst:

Sie sagten, wie alle Christen, Jesus ist Gott, ein Sohn Gottes, und der Dritte von drei.
Sie bewiesen, dass er Gott ist, indem er die Todten belebte, die Kranken heilte, Verborgenes offenbarte, aus Lehm etwas wie einen Vogel schuf, und ihm etwas einhauchte, wodurch es zum wirklichen Vogel ward, – Alles diess auf Befehl Gottes, damit es den Menschen als Zeichen diene. –
Sie bewiesen, dass er ein Sohn Gottes war, indem kein Vater von ihm bekannt ist, und er schon in der Wiege sprach, was kein Menschensohn vor ihm gethan.
Sie bewiesen ferner, dass er der Dritte von drei ist, nämlich Gott, Christus und Maria, indem es heisst: „wir haben gethan, befohlen, geschaffen, beschlossen,“ während doch, wenn Gott einzig wäre, es heissen müsste: „ich habe gethan, beschlossen, befohlen, geschaffen.“
Gegen alle diese Beweise sind Koranverse erschienen.
Als die beiden Priester so mit Mohammed gesprochen hatten, forderte er sie auf, Moslime zu werden. Sie sagten: wir sind Gott Ergebene, er wiederholte seine Aufforderung, sie aber sagten: wir sind längst Gott ergeben. Da sagte Mohammed: ihr lüget, wäret ihr Moslime, so würdet ihr nicht behaupten, Gott habe einen Sohn, und nicht das Kreuz anbeten, und kein Schweinfleisch essen.
Da sagten sie: und wer war denn Christus‘ Vater?
Mohammed schwieg und gab keine Antwort, dann offenbarte Gott, um diese Reden zu widerlegen, den Anfang der Sura Al Amran bis über achtzig Verse derselben […]

Es folgt im Text eine freie Wiedergabe der dritten Sure (Al-Imran).

Da die christliche Delegation von Nadschran keine Aufzeichnungen über diesen ersten bekannten islamisch-christlichen Dialog hinterlassen hat, sind wir auf die islamische Darstellung angewiesen. Es ist keineswegs sicher, dass das Gespräch, so wie hier dargestellt, verlaufen ist.

Bereits der erste Satz der Darstellung zeigt, dass der Berichterstatter die christliche Lehre nicht verstanden hat. Alle Christen bekennen die Gottheit und Gottessohnschaft Jesu Christi. Doch sagen Christen nicht, dass Jesus „ein Dritter von drei“ sei, schon gar nicht von Gott, Christus und Maria. Es ist daher auch fraglich, ob die christliche Delegation das tatsächlich so vertreten hat. Die Vorstellung, dass Maria Teil der göttlichen Dreieinigkeit sei, widerspricht nicht nur der allgemeinen christlichen Lehre, die sich auf die Bibel gründet, sondern konnte auch bei keiner häretischen Sondergruppe gefunden werden.

Doch nun zu den von den Christen aus Nadschran nach dieser Darstellung vorgebrachten Argumenten.

Als Beweis für Jesu Gottheit werden seine Wunder angeführt, wobei die Auflistung der Wunder nicht einer biblischen Quelle folgt, sondern, wenn auch in anderer Reihenfolge der Darstellung von Sure 3,49:

Und (Er wird ihn schicken) als einen Gesandten zu den Kindern Isrāʾīls (, zu denen er sagen wird): ‚Gewiß, ich bin ja mit einem Zeichen von eurem Herrn zu euch gekommen: daß ich euch aus Lehm (etwas) schaffe, (was so aussieht) wie die Gestalt eines Vogels, und dann werde ich ihm einhauchen, und da wird es ein (wirklicher) Vogel sein. Und ich werde mit Allahs Erlaubnis den Blindgeborenen und den Weißgefleckten heilen und werde Tote mit Allahs Erlaubnis wieder lebendig machen. Und ich werde euch kundtun, was ihr eßt und was ihr in euren Häusern aufspeichert. Darin ist wahrlich ein Zeichen für euch, wenn ihr gläubig seid.

Ibn Hischam fügte auf die Auflistung der Wunder sogleich an:

Alles diess auf Befehl Gottes, damit es den Menschen als Zeichen diene.

Auch das entspricht Sure 3,49, wo von „Allahs Erlaubnis“ und einem „Zeichen“ die Rede ist.

Da Wunder in der Bibel nicht nur von Jesus, sondern auch von alttestamentlichen Gottesmännern und im Auftrag Jesu auch von dessen Jüngern gewirkt wurden, sind die Wunder an und für sich noch kein Beweis für die Gottheit Jesu. Allerdings ist im Hinblick auf die Totenerweckung festzuhalten, dass sowohl nach der Bibel als auch nach dem Koran die Totenerweckung das Werk Gottes ist.

Der HERR macht tot und lebendig, er führt zum Totenreich hinab und führt auch herauf. (1 Samuel 2,6)

6 Dies, weil Allah die Wahrheit ist und weil Er die Toten wieder lebendig macht und weil Er zu allem die Macht hat 7 und weil die Stunde kommt, an der es keinen Zweifel gibt, und weil Allah (all) diejenigen auferwecken wird, die in den Gräbern sind. (Sure 22,6-7)

Im Zusammenhang mit dem unbiblischen Wunder der Belebung der Vögel aus Lehm verwenden sowohl Ibn Hischam als auch der Koran das Wort „schaffen“. Dieses Wort bezeichnet eine ausschließlich göttliche Tätigkeit. Dadurch weist sogar der Koran auf die Gottheit Jesu hin. Ob auch andere Argumente für die Gottheit Jesu vorgebracht wurden, wie z. B. aus den Worten Jesu, können wir nicht sagen. Vielleicht hat Ibn Hischam nur festgehalten, was er mit ihm bekannten Koranstellen verbinden konnte.

Ähnlich muss es wohl mit den Argumenten für die Gottessohnschaft sein, die ja engstens mit Jesu göttlichen Wesen verbunden ist. Dass kein Vater von ihm bekannt war, ist nur in Verbindung mit der Jungfräulichkeit und moralischen Tadellosigkeit seiner Mutter ein Argument. In diesem Punkt herrscht zwischen Muslimen und Christen Einheit. Vor allem hat Gabriel bei der Ankündigung der Geburt Jesu ihn als Sohn Gottes verheißen.

Der Engel antwortete ihr: Heiliger Geist wird über dich kommen und Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden. (Lukas 1,35)

Bemerkenswert ist, dass Mohammed auf die Frage „Wer war denn Christus‘ Vater?“ nichts zu sagen vermochte und schwieg.

Dass Jesus in der Wiege sprach, ist eine apokryphe Legende, die der Autor des Korans ohne geistliche Beurteilung übernommen und nach islamischem Dogma abgeändert hat. Mehr dazu hier. Da die Geschichte vom Sprechen Jesu im Koran im Arabischen Kindheitsevangelium steht, ist es durchaus möglich, dass sie im Nadschran bekannt war.

Dass Jesus der „Dritte von drei“ war, ist möglicherweise die vom Koran geprägte Wiedergabe Ibn Hischams. Die Nadschraner haben das vielleicht anders ausgedrückt, etwa so, dass Jesus eine der drei Personen der Dreieinigkeit ist.

In Sure 5,73 heißt es:

Wahrlich, ungläubig sind diejenigen, die sagen: „Allah ist der Dritte von dreien“ (Abu Rida)

Die Lehre der Dreieinigkeit besagt nicht, dass es drei Götter gibt, die irgendwie miteinander verbunden sind. Gott ist ein Einziger. Innerhalb des einen und einzigen Gottes gibt es innergöttliche Beziehungen zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist, die gleich an Ehre, Würde und Macht sind. So ist weder der Vater noch der Sohn ein „Dritter von drei“. Auf den Irrtum, dass Maria ein Teil der Dreieinigkeit sei, wurde schon hingewiesen.

Die Argumentation, dass Gott im Plural spricht, ist interessant, kommt aber in der Bibel seltener vor als im Koran. In der Bibel kommt diese Sprechweise im Zusammenhang mit der Erschaffung des Menschen nach Gottes Bild vor:

Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich! Sie sollen walten über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere, die auf der Erde kriechen. (Genesis 1,26)

Ob diese Ausdrucksweise tatsächlich auf die Dreieinigkeit hinweist, ist umstritten. Manche Kirchenväter haben sich auf diese Stelle berufen. So ist es durchaus möglich, dass die christliche Delegation aus Nadschran ebenfalls so argumentiert hat.

Die Lehre der Dreieinigkeit ergibt sich aus einer Verbindung der biblischen Aussagen über die Gottheit Jesu und die Gottheit und Personhaftigkeit des Heiligen Geistes. Es gibt aber im Neuen Testament auch eine Reihe von trinitarischen Formulierungen, die die Lehre vom dreieinen Gott unterstützen.

Die Antworten Mohammeds auf die Aussagen der Nadschraner sind nicht überliefert. Ibn Hischam schreibt nur, dass gegen alle diese Beweise Koranverse erschienen sind. Damit ist vermutlich die dritte Sure gemeint.

Danach hat Mohammed seine Gesprächspartner zur Annahme des Islams aufgefordert, was sie mit dem Hinweis, dass sie bereits Gott Ergebene seien, zurückwiesen.

Es folgte Mohammeds Vorwurf der Lüge, denn Muslime (= Gott Ergebene) würden nicht behaupten, Gott habe einen Sohn. Sie würden auch das Kreuz nicht anbeten und kein Schweinefleisch essen. Eine Antwort auf die letzten beiden Vorwürfe wird nicht berichtet, sondern nur die Frage, wer der Vater Christi war. Daraufhin schwieg Mohammed. Danach erfolgte die Offenbarung der dritten Sure.

Im Rahmen der freien Wiedergabe der Texte der dritten Sure gibt es einen interessanten Einschub2:

[…] habe ich auch Jesu die Gewalt verliehen über Dinge, in Folge derer sie ihn für einen Gott halten, wie das Beleben der Todten, […] so liegt es doch in meiner Gewalt und Macht, ihm andre Dinge zu versagen, so konnte er nicht Kraft seines Prophetentums Könige einsetzen, oder die Nacht auf den Tag und den Tag auf die Nacht folgen lassen, Leben aus Leblosem hervorbringen und Lebendiges in Lebloses verwandeln und Lebensunterhalt schenken wem ich will, Tugendhaften oder Lasterhaften, ohne Rechenschaft, über Alles dieses habe ich Jesu keine Gewalt gegeben, sie können also daraus keinen Beweis schöpfen, denn wäre er wirklich ein Gott, so hätte er zu all‘ dem Gewalt gehabt, während sie doch wissen, dass er vor den Fürsten die Flucht ergriffen hat und von einem Ort zum andern geflohen ist.

Der Autor dieses Textes hat die Bedeutung der Menschwerdung des Wortes Gottes nicht verstanden, oder er wollte diese Kernbotschaft des Christentums nicht verstehen. Dass der Allmächtige sich selbst erniedrigt und in Knechtsgestalt kommt, war für ihn unvorstellbar. Aber nach dem Koran hat Jesus Leben aus Leblosem hervorgebracht, indem er aus Lehm lebendige Vögel geschaffen hat. Dass die Nacht auf den Tag und der Tag auf die Nacht folgt, hat Gott bei der Schaffung einer sich um die eigene Achse drehenden Erde festgelegt. Welchen Grund hätte es da für Jesus gegeben, einzugreifen? Überdies hat Jesu durchaus Menschen ihren Lebensunterhalt geschenkt, indem er Blinde sehend und Lahme gehend gemacht hat und ihnen so die Möglichkeit geschenkt hat, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Jesus war auch nicht „ein Gott“ unter mehreren.

Da das Gespräch zu keiner Einigung führte, die nach Mohammeds Vorstellung in der Unterwerfung der Christen unter den Islam bestehen sollte, kam der höchst eigenartige Vorschlag, einen Fluchwettbewerb zur Wahrheitsfindung durchzuführen, dem sich die christliche Seite verweigerte. Der abschließende Ruf zu „einem gemeinsamen Wort“ war wieder nur ein Aufruf, den Islam anzunehmen. Der „Dialog“ war ja bereits erfolglos verlaufen.

Auch wenn die Darstellung Ibn Hischams im Detail fragwürdig sein mag, so ist doch bemerkenswert, dass es im Gespräch nicht um weniger wichtige Fragen ging, sondern um die zentrale Frage: Wer ist Jesus Christus?

Die Frage nach der göttlichen Natur Jesu ist die alles entscheidende Frage. Ist er Gott und Schöpfer oder nur ein Geschöpf, das Gott sogar vernichten hätte können? Die Worte und Taten Jesu bezeugen sein Gottsein. Sein himmlischer Vater hat Jesu Anspruch durch die Auferstehung seines Sohnes bestätigt.

Jesus ist der ewige Richter, vor dessen Richterstuhl auch Mohammed erscheinen muss.


  1. Das Leben Mohammeds nach Mohammed Ibn Ishak bearbeitet von Abd el-Malik Ibn Hischam, aus dem Arabischen übersetzt von Dr. Gustav Weil, 1. Band, Stuttgart 1864, S.297-305. 
  2. Ibn Hischam, S.301-302. 

Kommentare sind geschlossen.

Bloggen auf WordPress.com.

Nach oben ↑