Sag: O Leute der Schrift, kommt her zu einem zwischen uns und euch gleichen Wort: daß wir niemandem dienen außer Allah und Ihm nichts beigesellen und sich nicht die einen von uns die anderen zu Herren außer Allah nehmen. Doch wenn sie sich abkehren, dann sagt: Bezeugt, daß wir (Allah) ergeben sind. (Sure 3,64)
Auf Grundlage dieses Verses haben am 13. Oktober 2007 138 muslimische Führer und Gelehrte einen an 26 namentlich genannte und andere namentlich nicht genannte Führer christlicher Kirchen und Gemeinschaften1 gerichteten offen Brief mit dem Titel „Ein Gemeinsames Wort zwischen Uns und Euch“ veröffentlicht. Es ist eine Einladung zum Dialog und zur Zusammenarbeit auf der gemeinsamen Grundlage des Glaubens an einen Gott und der Gebote der Gottes- und Nächstenliebe, die allerdings im Koran nicht dieselbe zentrale Bedeutung wie in der Bibel haben. Das Dokument kann unter diesem Link eingesehen werden.
Ich werde mich in diesem Beitrag nicht im Detail mit den in diesem Dokument genannten Bibel- und Koranstellen auseinandersetzen, sondern auf die Uminterpretation des namensgebenden Koranverses 3,64 hinweisen.
Nach der Darstellung von Ibn Ishak und Ibn Hischam2 stand dieser Vers am Ende des ersten islamisch-christlichen Religionsgesprächs zwischen Mohammed und einer christlichen Delegation aus dem südarabischen Nadschran. Nachdem alle Argumente ausgetauscht waren, erging von Allah an Mohammed die Aufforderung, dass die beiden Gruppen den Fluch über die Lügner herabzurufen.
Wer nun mit dir darüber streitet, nach dem, was dir an Wissen zugekommen ist, so sag (zu denen): „Kommt her! Laßt uns unsere Söhne und eure Söhne, unsere Frauen und eure Frauen, uns selbst und euch selbst zusammenrufen und hierauf flehen und so den Fluch Allahs über die Lügner kommen lassen!“ (Sure 3,61)
Die christliche Delegation hat sich richtigerweise geweigert, an diesem Wettfluchen teilzunehmen. Mehr dazu in diesem Beitrag.
Erst nach der Aufforderung zum Fluch kam die Einladung zu einem „zwischen uns und euch gleichen Wort“. Mit dem „gleichen Wort“ ist nicht eine Aufforderung zum Dialog gemeint, sondern eine Unterwerfung unter das islamische Dogma:
[…] daß wir niemandem dienen außer Allah und Ihm nichts beigesellen.
Nach islamischer Sicht begehen Christen die Sünde der „Beigesellung“, da sie neben Allah noch Jesus und seine Mutter als Götter verehren (Sure 5,116). Dieser Vorwurf ist aus christlicher Sicht nicht angebracht. Christen verehren Jesus nicht als zweiten Gott neben Gott. Er ist das ewige wesensgleiche Wort Gottes, der in einem einzigen göttlichen Wesen mit dem Vater und dem Heiligen Geist verbunden ist. Maria, die Mutter Jesu, ist nur Mensch und wird von Christen nur als Geschöpf betrachtet. Der im Laufe der Jahrhunderte entstandene unbiblische Marienkult ist tatsächlich ein trauriges Kapitel im Rahmen des Christentums. Doch unterscheiden theologisch gebildete Marienverehrer zwischen der allein Gott gebührenden Anbetung und der Verehrung Marias, die aus biblischer Sicht aber trotzdem in der Nähe des Götzendienstes zu sehen ist.
Sure 3,64 markiert das Ende eines fruchtlosen Gesprächs und fordert zur Unterwerfung unter den Islam auf.
Im Tafsīr Al-Qur’ān Al-Karīm wird zu Sure 3,64 angemerkt:
Unser Prophet (a.s.s.) fügte diesen Vers dem Inhalt seines Schreibens zu, das er an Heraklios, Herrscher des römischen Reiches schickte, das lautet: ”Im Namen Allāhs, des Allerbarmers, des Barmherzigen! Dieses Schreiben ist von Muḥammad, dem Gesandten Allāhs, an Heraklios, Herrscher des römischen Reiches! Friede sei auf demjenigen, der der Rechtleitung folgt. Sodann: Ich rufe dich auf, den Weg des Islam zu befolgen. Werde Muslim, so rettest du dich, und wenn du Muslim geworden bist, so wird Allāh deinen Lohn verdoppeln. Wendest du dich aber davon ab, so trägst du die Sünde doppelt, sowohl wegen deiner Führerschaft als auch wegen deiner Untergebenen.“ Es folgten dann im Schreiben die Worte aus diesem Vers.
Den Text dieses Briefes findet man auch hier. Ob dieser Brief tatsächlich echt ist, ist eine andere Frage. Auf jeden Fall zeigt die Zitierung von Sure 3,64 im Zusammenhang mit der Aufforderung zur Annahme des Islams, dass die frühen Muslime, von denen die Überlieferung dieses Briefes stammt, diesen Vers nicht als Einladung zum offenen Religionsgespräch verstanden haben, sondern als klare Aufforderung, Muslim zu werden.
Es ist nicht vorstellbar, dass die islamischen Führer, die dieses Dokument verfasst und unterzeichnet haben, den Zusammenhang und Hintergrund von Sure 3,64 nicht gekannt haben. Wenn sie diesen Vers dann im Sinne eines Dialogs uminterpretieren, ohne ausdrücklich festzustellen, dass sie diesen Vers anders als die frühen Muslime verstehen, ist das als unehrliches Vorgehen zu bewerten, um den ehrsüchtigen Kirchenführern, die sich mit „Eure Heiligkeit“ oder „Eure Seligkeit“ oder „Hochwürden“ anreden lassen, ein Bild des Islam vorzuspielen, das nicht der Realität entspricht.
Es ist sicher immer gut und richtig, einander mit Ehre und Achtung zu begegnen, auf menschlicher, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher … Ebene zusammenzuarbeiten. Aber man soll nicht ein Wort aus dem Koran, das zur Annahme des Islams auffordert, als Angebot des Dialogs uminterpretieren. Wenn schon hier gelogen wird, wie wird das im weiteren Verlauf des Gesprächs sein?
Für Christen gilt:
Denn wir vermögen nichts gegen die Wahrheit, nur für die Wahrheit. (2 Korinther 13,8)
Die Wahrheit ist in Jesus Christus zu uns gekommen. Es ist der Glaube an Jesus, der zur Wahrheit führt, nicht ein Dialog auf einer unehrlichen Basis. Die Botschaft Jesu hat sich nicht verändert. Sie gilt allen Menschen, auch den Muslimen:
Kehrt um und glaubt an das Evangelium! (Markus 1,15b)
- Die Auflistung der Namen und Titel dieser Persönlichkeiten, die als Führer der christlichen Kirchen genannt werden, stimmt traurig. Vor jedem Namen steht eine Anrede, für die sich echte Nachfolger Jesu schämen würden: Seine Heiligkeit …, Seine All-Heiligkeit …, Seine Seligkeit …, Seine Gnaden …., Hochwürden … Man sieht, wie die „Führer“ der „Christenheit“ durch die Bank die Worte Jesu in Matthäus 23,8-12 missachten. ↩
- Das Leben Mohammeds nach Mohammed Ibn Ishak bearbeitet von Abd el-Malik Ibn Hischam, aus dem Arabischen übersetzt von Dr. Gustav Weil, 1. Band, Stuttgart 1864, S.305. ↩