Hagar und Ismael im Koran

Ismael, der Sohn Abrahams und Hagars, soll der Überlieferung zufolge ein Vorfahre Mohammeds gewesen sein. Deswegen haben Ismael und seine Mutter im Islam eine besondere Bedeutung. Nach islamischem Verständnis war Ismael der Sohn, den zu opfern Abraham bereit war. Das Opferfest soll daran erinnern.

Im Rahmen des Hadsch erinnert das rituelle Laufen zwischen den Hügeln Safa und Marwa an die verzweifelte Wassersuche Hagars in der Wüste.

Bei dieser großen Bedeutung, die Hagar und Ismael im Islam haben, sollte man sich erwarten, dass darüber im Koran ausführlich geschrieben wurde. Doch das ist nicht der Fall.

Hagar wird im Koran überhaupt nicht erwähnt. Die einzige namentlich im Koran genannte Frau ist Maria, die Mutter Jesu. Einzig das Ritual des Laufens zwischen Safa und Marwa wird erwähnt, allerdings ohne irgendeinen Bezug zu Hagar herzustellen.

Gewiß, aṣ-Ṣafā und al-Marwa gehören zu den (Orten der) Kulthandlungen Allahs. Wenn einer die Pilgerfahrt zum Hause oder die Besuchsfahrt vollzieht, so ist es keine Sünde für ihn, wenn er zwischen ihnen (beiden) den Umgang macht. Und wer (von sich aus) freiwillig Gutes tut, so ist Allah Dankbar und Allwissend. (Sure 2,158)

Etwas besser schaut es bezüglich Ismael aus. Doch gerade in dem Text, der über die Situation spricht, derer im Opferfest gedacht wird, kommt Ismael namentlich nicht vor.

101 Da verkündeten Wir ihm (Ibrahim) einen nachsichtigen Jungen. 102 Als dieser das Alter erreichte, daß er mit ihm laufen konnte, sagte er: „O mein lieber Sohn, ich sehe im Schlaf, daß ich dich schlachte. Schau jetzt, was du (dazu) meinst.“ Er sagte: „O mein lieber Vater, tu, was dir befohlen wird. Du wirst mich, wenn Allah will, als einen der Standhaften finden.“ 103 Als sie sich beide ergeben gezeigt hatten und er ihn auf die Seite der Stirn niedergeworfen hatte, 104 riefen Wir ihm zu: „O Ibrahim, 105 du hast das Traumgesicht bereits wahr gemacht.“ Gewiß, so vergelten Wir den Gutes Tuenden. 106 Das ist wahrlich die deutliche Prüfung. 107 Und Wir lösten ihn mit einem großartigen Schlachtopfer aus. 108 Und Wir ließen für ihn (den Ruf) unter den späteren (Geschlechtern lauten): 109 „Friede sei auf Ibrahim!“ 110 So vergelten Wir den Gutes Tuenden. 111 Er gehört ja zu Unseren gläubigen Dienern. (Sure 37,101-111)

Aus dem älteren biblischen Text in Genesis 22,1-19 geht eindeutig hervor, dass es um Isaak ging, nicht um Ismael. Muslime können sich in ihrem Verständnis des Opfers Abrahams nicht auf den Koran stützen. Mehr zum Vergleich zwischen Sure 37 und Genesis 22 gibt es im Beitrag über das Opferfest.

Ismael wird im Koran namentlich zwölfmal erwähnt. Die meisten Erwähnungen seines Namens finden sich in Auflistungen von Propheten.

Sagt: Wir glauben an Allah und an das, was zu uns (als Offenbarung) herabgesandt worden ist, und an das, was zu Ibrāhīm, Ismāʿīl, Isḥāq, Yaʿqūb und den Stämmen herabgesandt wurde, und (an das,) was Mūsā und ʿĪsā gegeben wurde, und (an das,) was den Propheten von ihrem Herrn gegeben wurde. Wir machen keinen Unterschied bei jemandem von ihnen, und wir sind Ihm ergeben. (Sure 2,136)

Oder wollt ihr etwa sagen, Ibrāhīm, Ismāʿīl, Isḥāq, Yaʿqūb und die Stämme seien Juden oder Christen gewesen? – Sag: Wißt ihr es besser oder Allah? – Wer ist ungerechter, als wer ein Zeugnis von Allah bei sich verheimlicht? Und Allah ist nicht unachtsam dessen, was ihr tut. Sure 2,140) (Diese Stelle ist auch deswegen interessant, weil behauptet wird, die Stämme Israels seien keine Juden gewesen.)

Sag: Wir glauben an Allah und (an das,) was auf uns und was auf Ibrāhīm, Ismāʿīl, Isḥāq, Yaʿqūb und die Stämme (als Offenbarung) herabgesandt wurde und was Mūsā, ʿĪsā und den Propheten von ihrem Herrn gegeben wurde. Wir machen keinen Unterschied bei jemandem von Ihnen, und wir sind Ihm ergeben. (Sure 3,84)

Gewiß, Wir haben dir (Offenbarung) eingegeben, wie Wir Nūḥ und den Propheten nach ihm (Offenbarung) eingegeben haben. Und Wir haben Ibrāhīm, Ismāʿīl, Isḥāq, Yaʿqūb, den Stämmen, ʿĪsā, Ayyūb, Yūnus, Hārūn und Sulaimān (Offenbarung) eingegeben, und Dāwūd haben Wir ein Buch der Weisheit gegeben. (Sure 4,163)

[…] und Ismāʿīl, Alyasaʿ, Yūnus und Lūṭ: jeden (von ihnen) haben Wir vor den (anderen) Weltenbewohnern bevorzugt; (Sure 6,86)

Und (auch) Ismāʿīl und Idrīs und D{u’l-Kifl. Jeder gehörte zu den Standhaften. (Sure 21,85)

Und gedenke Ismāʿīls, Alyasaʿs und Ḏū ʾl-Kifls. Alle gehören zu den Besten. (Sure 38,48)

Nur kurze Angaben finden wir in diesen Stellen:

132 Und Ibrāhīm befahl es seinen Söhnen an – (er) und Yaʿqūb: „O meine Kinder, Allah hat euch die Religion auserwählt; so sterbt denn nicht, außer (Ihm) ergeben zu sein!“ 133 Oder wart ihr etwa Zeugen, als Yaʿqūb der Tod nahte? Als er zu seinen Söhnen sagte: „Wem werdet ihr nach mir dienen?“ Sie sagten: „Wir werden deinem Gott und dem Gott deiner Vorväter Ibrāhīm, Ismāʿīl und Isḥāq dienen, als dem Einen Gott, und Ihm sind wir ergeben. (Sure 2,132-133)

In Vers 132 ist vermutlich Ismael mitgemeint, obwohl im zweiten Teil des Verses Jakob zu seinen Söhnen spricht. In Vers 133 werden die Muslime daran erinnert, so wie Jakobs Söhne an den Gott der Väter, der auch der Gott Ismaels ist, zu glauben.

(Alles) Lob gehört Allah, Der mir trotz meines hohen Alters Ismāʿīl und Isḥāq geschenkt hat! Gewiß, mein Herr ist wahrlich der Erhörer des Gebets. (Sure 14,39)

Diese Worte sind Teil eines Gebets Abrahams.

54 Und gedenke im Buch Ismāʿīls. Gewiß, er war wahrhaftig in seinem Versprechen, und er war ein Gesandter und Prophet. 55 Und er pflegte seinen Angehörigen das Gebet und die Abgabe zu befehlen, und er war seinem Herrn wohlgefällig. (Sure 19,54-55)

Ismael wird hier wie ein frommer Muslim dargestellt, dem die Zakat und das rituelle Gebet wichtig waren. Er wird „Gesandter und Prophet“ genannt. Über seine prophetischen Worte liest man allerdings im ganzen Koran nichts.

Etwas mehr über Ismael steht im Zusammenhang mit dem Bau des Hauses, das die islamische Überlieferung mit der Kaaba in Mekka gleichsetzt.

125 Und als Wir das Haus zu einem Ort der Einkehr für die Menschen und zu einer Stätte der Sicherheit machten und (sagten): „Nehmt Ibrāhīms Standort als Gebetsplatz!“ Und Wir verpflichteten Ibrāhīm und Ismāʿīl: „Reinigt Mein Haus für diejenigen, die den Umlauf vollziehen und die sich (dort) zur Andacht zurückziehen und die sich (vor Allah) verbeugen und niederwerfen.“ 126 Und (gedenkt,) als Ibrāhīm sagte: „Mein Herr, mache dies zu einer sicheren Ortschaft und versorge ihre Bewohner mit Früchten, wer von ihnen an Allah und den Jüngsten Tag glaubt!“ Er (Allah) sagte: „Wer aber ungläubig ist, den lasse Ich ein wenig genießen, hierauf zwinge Ich ihn in die Strafe des (Höllen)feuers – ein schlimmer Ausgang!“ 127 Und (gedenkt,) als Ibrāhīm die Grundmauern des Hauses errichtete, zusammen mit Ismāʿīl, (da beteten sie): „Unser Herr, nimm (es) von uns an. Du bist ja der Allhörende und Allwissende. (Sure 2,125-127)

Hier ist die Reihenfolge der Verse etwas eigenartig, da es in Vers 125 um die Reinigung des Hauses geht, aber erst in Vers 127 um das Errichten der Grundmauern.

Der Koran behauptet an dieser Stelle, dass Abraham gemeinsam mit seinem Sohn Ismael ein Haus für Gott gebaut habe. Dass dieses Haus die Kaaba in Mekka ist, steht nicht im Koran. Es wird mit dem Hinweis auf Sure 3,96 behauptet, in der es heißt, dass das erste „Haus“ dasjenige in Bakka gewesen sei. Abgesehen davon, dass dort Bakka steht und nicht Mekka, spricht auch sonst einiges gegen diese Behauptung. Mehr dazu hier.

Dass Abraham tatsächlich gemeinsam mit Ismael die Kaaba in Mekka erbaut haben sollte, ist mit den biblischen Informationen über Abraham nicht vereinbar. Ich habe mich damit in diesem Beitrag näher beschäftigt. Es ist daran zu erinnern, dass der Koran nicht behauptet, dass die Thora verfälscht worden sei. Also finden wir auch hier wieder einen Widerspruch des Korans zur Heiligen Schrift.

In der Bibel lesen wir im Buch Genesis mehr über Ismael. Genesis 16 handelt über die Umstände der Geburt Ismaels. Hagar war nicht, wie von Muslimen behauptet wird, „eine der Ehefrauen“ Abrahams. Sie war so etwas wie eine „Leihmutter“ für Sara, die unfruchtbare Frau Abrahams. Mehr dazu im Abschnitt über Abraham im Beitrag über Polygamie in der Bibel und im Koran.

Auch über Ismaels Beschneidung (Genesis 17,20-26), wo auch steht, dass Gott Ismael zwar segnen, seinen Bund aber mit Isaak aufrichten werde, lesen wir nichts im Koran.

Ebenso fehlt im Koran die Begebenheit über die Vertreibung Hagars und Ismaels (Genesis 21,9-21), die den Hintergrund für das Ritual des Laufens zwischen Safa und Marwa beim Hadsch darstellt. Nur war das nicht in Mekka, sondern in der Wüste von Beerscheba (Genesis 21,14), welches bekanntlich im Süden des heutigen Israel liegt.

Ein weniger wichtiges Detail, das der Koran auch nicht erwähnt, ist, dass Ismael und sein Halbbruder Isaak gemeinsam Abraham begraben haben (Genesis 25,9). Das war in der Nähe des heutigen Hebron, das sich in einer Entfernung von 1217 km Luftlinie von Mekka befindet. Das setzt voraus, dass Ismael zum Zeitpunkt des Todes Abrahams nicht in Mekka war.

Wir sehen, dass der Koran über Ismael, dem angeblichen Stammvater Mohammeds, nur sehr bruchstückhaft schreibt. Sogar die islamischen Traditionen müssen auf die biblischen Berichte zurückgreifen, um überhaupt zu wissen, wie Ismaels Mutter hieß. Gerade der Punkt, der im Koran betont wird, nämlich der Bau des „Hauses“, ist nach den biblischen Berichten nicht möglich. Der Koran erweist sich auch in diesem Punkt nicht als verlässliche Quelle.

Denken sie denn nicht sorgfältig über den Qurʾān nach? Wenn er von jemand anderem wäre als von Allah, würden sie in ihm wahrlich viel Widerspruch finden. (Sure 4,82)

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