Abgesehen von zwei Stellen (Sure 4,163 und 6,84), wo der Name Ayyub nur in einer Auflistung verschiedener Gottesmänner vorkommt, lesen wir im Koran an zwei Stellen über diesen gottesfürchtigen Mann:
41 Und gedenke Unseres Dieners Ayyub. Als er zu seinem Herrn rief: „Mich hat der Satan mit Mühsal und Pein heimgesucht.“ 42 – „Tritt kräftig mit deinem Fuß auf; da ist kühles Wasser zum Waschen und zum Trinken.“ 43 Und Wir schenkten ihm seine Angehörigen (wieder) und noch einmal die gleiche Zahl dazu, aus Barmherzigkeit von Uns und als Ermahnung für diejenigen, die Verstand besitzen. 44 Und: „Nimm in deine Hand ein Bündel (dünner Zweige) und schlag damit zu und sei nicht eidbrüchig.“ Gewiß, Wir fanden ihn standhaft. Welch ein trefflicher Diener! Er war immer wieder umkehrbereit. (Sure 38,41-44)
83 Und (auch) Ayyub, als er zu seinem Herrn rief: „Mir ist gewiß Unheil widerfahren, doch Du bist der Barmherzigste der Barmherzigen.“ 84 Da erhörten Wir ihn und nahmen das Unheil, das auf ihm war, von ihm hinweg, und gaben ihm seine Angehörigen und noch einmal die gleiche Zahl dazu, aus Barmherzigkeit von Uns und als Ermahnung für diejenigen, die (Uns) dienen. (Sure 21,83-84)
Ich habe Sure 38 an die vordere Stelle gereiht, weil sie nach islamischer Überlieferung die frühere Sure ist.
Ähnlich wie bei anderen biblischen Gestalten, wie z. B. Jona, ist es auch bei Ijob so, dass die wenigen Zeilen, die im Koran über ihn stehen, nur schwer verständlich sind, wenn man das biblische Buch Ijob nicht kennt.
Auch im Neuen Testament wird Ijob nur kurz erwähnt:
10 Brüder, im Leiden und in der Geduld nehmt euch die Propheten zum Vorbild, die im Namen des Herrn gesprochen haben! 11 Siehe, wir preisen selig, die geduldig alles ertragen haben. Ihr habt von der Ausdauer des Ijob gehört und das Ende gesehen, das der Herr herbeigeführt hat. Denn der Herr ist voll Erbarmen und Mitleid. (Jakobus 5,10-11)
Da für Christen das Buch Ijob ein Teil der Heiligen Schrift ist, konnte Jakobus bei seinen Lesern voraussetzen, dass ihnen die Gestalt des Ijob bekannt war. Er hat sie daher nur kurz an ihn als ein Beispiel der Geduld erinnert.
Bei muslimischen Lesern des Korans kann dieses Hintergrundwissen nicht vorausgesetzt werden. So hängen die spärlichen Informationen über Ijob in der Luft. Zusätzlich bleiben den Lesern des Korans die Diskussionen zwischen Ijob und seinen Freunden unbekannt: seine Suche nach dem Sinn seines Leidens trotz seiner Unschuld, die Erklärungsversuche seiner Freunde, die aus ihrem Denkschema, dass das Leiden immer die Folge von Sünden sein muss, nicht herauskommen. Auch das großartige Erstaunen vor der Schöpfermacht Gottes, die letztlich Ijob dazu bringt, seine Begrenztheit zu erkennen und sich ganz Gott zu unterwerfen, bleibt vor den Lesern des Korans verborgen.
Auch in diesem Fall sehen wir, dass man zum tieferen Verstehen mancher Abschnitte des Korans ohne die Bibel nicht auskommt.
Vor dem Hintergrund des biblischen Buches fallen in den Versen der 38. Sure aber einige Punkte auf, die entweder in einem Spannungsverhältnis zum Text der Bibel stehen oder sich dort nicht finden.
In Vers 41 rief Ijob zu seinem Herrn: „Mich hat der Satan mit Mühsal und Pein heimgesucht.“ In Ijob 1 und 2 schreibt der biblische Autor darüber, dass der Satan die Erlaubnis erhielt, den Glauben Ijobs durch Leiden zu prüfen. Doch bleibt das satanische Wirken dem leidenden Gottesmann unbekannt. In keiner einzigen von Ijobs zahlreichen Reden wird Satan auch nur erwähnt. Hier weicht der Koran eindeutig von der Bibel ab.
Auch Vers 42 („Tritt kräftig mit deinem Fuß auf; da ist kühles Wasser zum Waschen und zum Trinken.“) findet sich in den 42 Kapiteln des biblischen Buches nicht.
Heinrich Speyer schreibt dazu:
Die Haggada verlegt das Leben Hiobs in die Zeit Abrahams. Siehe Bābā-batrā 16b und Gen. r. 51 Ende: „Hiob lebte zur Zeit Abrahams.“ In diese Zeit fällt aber auch Hagars Erlebnis, die, von Abraham vertrieben, in der Wüste zu verschmachten droht und sich am Wasser des Brunnens, der ihr von einem Engel gezeigt wird, labt. Siehe Gen. 21,19. Mohammed hätte selbst dann, wenn er die Hagarerzählung innerhalb der Ībrāhīmgeschichte gehört hätte, sich wohl dagegen verwahrt, Īsmā’īl, dem Stammvater der Araber, die Rolle zuzugestehen, die ihm nach Gen. 21,9ff zugewiesen wird. Er hat also wohl nur Bruchstücke der Hagarerzählung gehört und mit der Hiobsgeschichte vermischt.1
Ich bin mir nicht sicher, dass diese Erklärung stimmt, da in Genesis 21,19 es zwar darum geht, dass Gott Hagar einen Brunnen gezeigt hat. Es ist aber nicht die Rede davon, dass sie mit ihrem Fuß kräftig auftreten soll.
Es ist aber klar, dass dieser Aspekt nicht aus dem Buch Ijob kommt. Bei allen Leiden Ijobs spielt Wassermangel keine Rolle. Ob hier eine uns unbekannte außerbiblische Überlieferung vorlag, oder ob das der Fantasie des koranischen Autors entsprang, bleibt offen.
Manche Erklärungen wie der Tafsir al-Jalalayn verstehen diese Stelle so, dass das Waschen und das Trinken der Heilung Ijobs von seinen äußeren und inneren Leiden diente. Im biblischen Bericht finden wir derartige Details nicht, sondern es heißt einfach:
Der HERR wendete das Geschick Ijobs, als er für seinen Freund Fürbitte einlegte. (Ijob 42,10a).
Das Waschen zur Heilung kommt aber in der Erzählung über den aramäischen Feldherren Naaman vor (2 Könige 5,14).
Ohne Basis im biblischen Text ist auch Vers 44, wo Ijob aufgefordert wird:
„Nimm in deine Hand ein Bündel (dünner Zweige) und schlag damit zu und sei nicht eidbrüchig.“
Im Text steht nicht, wer oder was mit dem Bündel geschlagen werden sollte und von welchem Eid die Rede ist. Islamische Erklärer beziehen das darauf, dass Ijob mit den Zweigen seine Frau züchtigen sollte, weil er ihr früher geschworen hatte, sie hundertmal zu schlagen, entweder, weil sie einmal zu spät zu ihm gekommen war (so Tafsir al-Jalalayn), oder weil sie etwas gesagt hatte, was Allah nicht gefallen hatte (so Tanwîr al-Miqbâs min Tafsîr Ibn ‘Abbâs). Ijob habe sie aber dann nicht hundertmal geschlagen, sondern nur einmal mit einem Bündel von hundert Grashalmen oder Kornähren. Immerhin wird hier auf das vom Koran, nicht aber von der Bibel verlangte Schlagen der Ehefrau angespielt.
Der biblische Ijob hat seine Frau nicht geschlagen. Selbst als sie sehr schlimm sprach, hat er sie ernsthaft zurechtgewiesen, aber keinesfalls hat er geschworen, sie zu schlagen.
9 Seine Frau sagte zu ihm: Hältst du immer noch fest an deiner Frömmigkeit? Segne Gott und stirb! 10 Er aber sprach zu ihr: Wie eine Törin redet, so redest du. Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann nicht auch das Böse annehmen? Bei alldem sündigte Ijob nicht mit seinen Lippen. (Ijob 2,9-10)
Zumindest nach Auffassung dieser islamischen Erklärer hat Ijob gegen seine Frau gesündigt. Nur haben diese Erklärer das, was sie Ijob angedichtet haben, vermutlich nicht als Sünde gesehen.
Da der koranische Text nicht erläutert, was mit dem Schlagen gemeint ist, kann man zwar nicht ausschließen, dass der Schreiber dieses Textes an das Schlagen der Frau gedacht habe. Aber es muss offen bleiben. Vielleicht müssen wir mit Sure 3,7 feststellen:
Aber niemand weiß ihre Deutung außer Allah.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Koran ein sehr unvollständiges Bild Ijobs liefert, das er zusätzlich durch einige rätselhafte Aussagen verdunkelt. Muslime, die sich mit der Person dieses Gottesmannes auseinandersetzen wollen, kommen an der Lektüre des biblischen Buches Ijob nicht vorbei.
Vom Hörensagen nur hatte ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich geschaut. (Ijob 42,5)
- Heinrich Speyer, Die biblischen Erzählungen im Qoran, 3. Nachdruckauflage Hildesheim 1988, S. 411. ↩