Ich selbst kämpfe gegen euch mit hoch erhobener Hand und starkem Arm, mit Zorn, Grimm und großem Groll. (Jeremia 21,5)
Diese Worte hat der Prophet Jeremia zu einer Zeit als Wort Gottes gesprochen, als Jerusalem von den babylonischen Truppen bedrängt war. Sie waren Teil einer Antwort auf eine Anfrage des Königs Zidkija.
1 Das Wort, das vom HERRN an Jeremia erging, als König Zidkija den Paschhur, den Sohn Malkijas, und den Priester Zefanja, den Sohn Maasejas, zu ihm sandte mit dem Auftrag: 2 Befrag doch den HERRN für uns! Denn Nebukadnezzar, der König von Babel, führt gegen uns Krieg; vielleicht handelt der HERR an uns wie bei all seinen früheren Wundern, sodass jener von uns abziehen muss. 3 Jeremia aber antwortete ihnen: Meldet Zidkija Folgendes: 4 So spricht der HERR, der Gott Israels: Siehe, ich drehe in eurer Hand die Waffen um, mit denen ihr vor der Mauer gegen den König von Babel und die Chaldäer, die euch belagern, kämpft, und hole sie ins Innere dieser Stadt. 5 Ich selbst kämpfe gegen euch mit hoch erhobener Hand und starkem Arm, mit Zorn, Grimm und großem Groll. 6 Ich schlage die Einwohner dieser Stadt, Mensch und Vieh; an schwerer Pest sollen sie sterben. 7 Und danach – Spruch des HERRN – liefere ich Zidkija, den König von Juda, seine Diener und das Volk, das in dieser Stadt der Pest, dem Schwert und dem Hunger entronnen ist, der Hand Nebukadnezzars, des Königs von Babel, aus, der Hand ihrer Feinde und der Hand derer, die ihnen nach dem Leben trachten. Er wird sie mit scharfem Schwert erschlagen, ohne Mitleid, ohne Schonung, ohne Erbarmen. (Jeremia 21,1-7)
In Vers 2 erinnerte der König an die „früheren Wunder“. Wahrscheinlich ist damit die Bewahrung Jerusalems vor den anstürmenden Assyrern zur Zeit des Königs Hiskija gemeint (2 Könige 19,35). Damals hatte der Prophet Jesaja den König bestärkt, auf die Hilfe Gottes zu hoffen (2 Könige 19,20-34).
Nun aber war die Situation eine völlig andere. Zidkija fehlte die Gottesfurcht seines Ururgroßvaters Hiskija. Auch fast vierzig Jahre Wirken des Propheten Jeremia hatten zu keiner Umkehr der Menschen geführt. In der Not der Belagerung, die ihre Ursache in der Rebellion Zidkijas gegen die Babylonier hatte, hat sich der König an den Propheten gewandt, aber dann doch dessen Wort (Jeremia 38,17) missachtet und sich nicht den Feinden ergeben. Schlussendlich wurde er nach einem Fluchtversuch von den Babyloniern gefangen genommen, musste die Tötung seiner beiden Söhne mitansehen und wurde geblendet und anschließend als Gefangener nach Babylon gebracht (Jeremia 39,4-7).
Auch im Buch der Klagelieder finden wir ähnliche Worte:
1 Weh, mit seinem Zorn umwölkt der Herr die Tochter Zion! Er schleuderte vom Himmel zur Erde die Pracht Israels. Nicht dachte er an den Schemel seiner Füße am Tag seines Zornes. 2 Schonungslos hat der Herr vernichtet alle Fluren Jakobs, niedergerissen in seinem Grimm die Bollwerke der Tochter Juda, zu Boden gestreckt, entweiht das Königtum und seine Fürsten. 3 Abgehauen hat er in Zornesglut jedes Horn in Israel. Er zog seine Rechte zurück angesichts des Feindes und brannte in Jakob wie flammendes Feuer, ringsum alles verzehrend. 4 Er spannte den Bogen wie ein Feind, stand da – seine Rechte erhoben wie ein Bedränger. Er erschlug alles, was das Auge erfreut. Im Zelt der Tochter Zion goss er seinen Zorn aus wie Feuer. 5 Wie ein Feind ist geworden der Herr, Israel hat er vernichtet. Vernichtet hat er alle Paläste, zerstört seine Burgen. Auf die Tochter Juda hat er gehäuft Jammer über Jammer. (Klagelieder 2,1-5)
Wie sollen wir die Worte des Propheten verstehen, dass Gott selbst gegen sein Volk kämpft? Führt Gott einen Krieg gegen seine Auserwählten?
Gewiss war es so, dass nicht Gott eigenhändig gekämpft hat. Es waren die Babylonier, die gegen das rebellische Vasallenkönigreich Juda vorgingen. Die Babylonier haben ihre Entscheidungen nach ihren eigenen Interessen getroffen. Gott musste ihnen nicht befehlen, gegen Juda in den Krieg zu ziehen.
Aber Gott hat das alles zugelassen. Er hat nicht wunderbar eingegriffen, wie es in früherer Zeit geschehen war.
Jeremia und auch der Autor der Klagelieder haben die geistliche Dimension hinter diesem schrecklichen Krieg gesehen. Sie haben darin das Handeln Gottes gesehen. So konnten sie von einem Krieg Gottes gegen sein Volk sprechen.
Das Volk hatte nicht nur gegen die Babylonier rebelliert. Schon vorher und grundsätzlicher gab es die Rebellion gegen Gott, die von Jeremia und anderen Propheten aufgezeigt wurde. Nur die falschen Propheten haben das Volk mit ihren oberflächlich trostvollen Worten getäuscht und belogen.
Deine Propheten schauten dir Lug und Trug. Deine Schuld haben sie nicht aufgedeckt, um dein Schicksal zu wenden. Sie schauten dir als Prophetenworte nur Trug und Verführung. (Klagelieder 2,14)
Die Vorstellung von Gott als Krieger war den Israeliten nicht unbekannt. Sie haben ihre Siege bei der Landnahme und auch in späteren Schlachten auf Gott zurückgeführt. Schon im Siegeslied nach dem Auszug aus Ägypten hieß es:
Der HERR ist ein Krieger, HERR ist sein Name. (Exodus 15,3)
Doch nun mussten sie von Jeremia die „Kriegserklärung“ Gottes gegen sein eigenes Volk hören. Auch diese drastischen Worte sollten zur Aufrüttelung dienen, obwohl zu diesem Zeitpunkt der Sieg der Babylonier und die Zerstörung nicht mehr zu verhindern war. Der „Weg des Lebens“ bedeutete, sich den Feinden zu ergeben.
8 Zu diesem Volk aber sollst du sagen: So spricht der HERR: Siehe, den Weg des Lebens und den Weg des Todes lege ich euch vor. 9 Wer in dieser Stadt bleibt, der stirbt durch Schwert, Hunger und Pest. Wer aber hinausgeht und sich den Chaldäern, die euch belagern, ergibt, der wird überleben und sein Leben wie ein Beutestück gewinnen. (Jeremia 21,8-9)
Das politische und militärische Ende des Königreichs Juda war nicht mehr aufzuhalten. Nach Zidkija sollte es nie wieder einen König aus der Nachkommenschaft Davids geben. Erst der Messias Jesus hat das Königtum Davids in seinem geistlichen Reich in der Gemeinde seiner Jünger in einer ganz neuen Weise errichtet.
Die Rede von Gott als einem Krieger scheint der neutestamentlichen Offenbarung, der zufolge Gott die Liebe ist (1 Johannes 4,16), zu widersprechen.
Aber Liebe heißt nicht, dass man alles akzeptiert. Das ist nicht Liebe, sondern Gleichgültigkeit. Gott will in seiner Liebe nicht, dass die Menschen in ihren Sünden zugrunde gehen. So hat er auch bei den Sünden Israels nicht teilnahmslos zugesehen, sondern er hat durch seine Propheten gewarnt und auf die schrecklichen Konsequenzen ihres Tuns hingewiesen.
Das Ende des Königreichs Juda und das Exil in Babylon war zugleich ein Neuanfang. Eine Generation später kehrten die Juden mit einer erneuerten Gesinnung nach Jerusalem zurück. Für sie war der Krieg und die Gefangenschaft nicht das Ende, sondern ein Anstoß zur Umkehr und erneuten Hinwendung an Gott, auch wenn vieles noch sehr unvollkommen war.
31 Denn nicht für immer verwirft der Herr. 32 Hat er betrübt, erbarmt er sich auch wieder nach seiner großen Huld. 33 Denn nicht freudigen Herzens plagt und betrübt er die Menschenkinder. 34 Dass man mit Füßen tritt alle Gefangenen des Landes, 35 dass man das Recht des Mannes beugt vor dem Antlitz des Höchsten, 36 dass man im Rechtsstreit den Menschen bedrückt, sollte der Herr das nicht sehen? (Klagelieder 3,31-36)
Das Bewusstsein der Tragweite der Sünde ist heute auch unter „frommen“ Menschen oft sehr mangelhaft. Es ist auch für uns heute wichtig zu sehen, dass die Sünde eine Kriegserklärung an Gott darstellt. Die Erlösung, die uns Gott in Jesus schenkt, ist kein Freibrief zum Sündigen, sondern will uns die Freiheit von der Sünde schenken. Gott will uns als liebender Vater begegnen, nicht als kriegerischer Feind. Es liegt am Menschen, ob er das Liebesangebot Gottes annimmt oder ob er in seiner Rebellion verharrt.
40 Prüfen wir unsre Wege, erforschen wir sie und kehren wir um zum HERRN! 41 Erheben wir unser Herz samt den Händen zu Gott im Himmel! (Klagelieder 3,40-41)