Jesus, der Zeuge – in der Bibel und im Koran

Sowohl die Bibel als auch der Koran sprechen über Jesus als Zeuge. Was können wir aus einem Vergleich der betreffenden Stellen lernen?

1 In der Bibel

Im Alten Testament gibt es im Buch Jesaja zwei Stellen, die über einen Zeugen sprechen, die in prophetischer Weise auf den Messias hinweisen.

Die erste Stelle spricht über den Knecht Gottes.

8 Bring das Volk heraus, das blind ist, obwohl es Augen hat, und taub, obwohl es Ohren hat! 9 Alle Völker sind versammelt und die Nationen sind zusammengekommen. Wer von ihnen kündigt dies an und wer kann uns sagen, was früher war? Sie sollen ihre Zeugen stellen, damit sie Recht bekommen, damit man sie hört und sagt: Es ist wahr. 10 Ihr seid meine Zeugen – Spruch des HERRN – und mein Knecht, den ich erwählt habe, damit ihr erkennt und mir glaubt und einseht, dass ich es bin. Vor mir wurde kein Gott erschaffen und auch nach mir wird es keinen geben. 11 Ich, ich bin der HERR und außer mir gibt es keinen Retter. 12 Ich selbst habe es angekündigt und habe gerettet, ich habe es zu Gehör gebracht. Kein fremder Gott ist bei euch gewesen. Ihr seid meine Zeugen – Spruch des HERRN. Ich allein bin Gott; 13 auch künftig bin ich es. Niemand kann mir etwas entreißen. Ich handle. Wer kann es rückgängig machen? (Jesaja 43,8-13)

In einer fiktiven Versammlung werden die Nationen aufgerufen, ihre Zeugen zu stellen. Dann nennt Gott seine Zeugen: sein Volk und seinen erwählten Knecht. Dieser erwählte Knecht ist der Messias. Der Inhalt ihres Zeugnisses ist die Einzigkeit Gottes. Es gibt keinen Gott und keinen Retter aus dem HERRN. Das wird vom Volk Gottes bezeugt, das immer wieder die rettenden Taten Gottes erfahren hat. Es wird auch vom erwählten Knecht bezeugt. Wie dieser Knecht es bezeugen würde, kommt in den Worten des Propheten nicht zur Sprache. Doch wird sich beim Kommen des Messias zeigen, dass er Gott dadurch bezeugt, dass Gott durch ihn rettet. Der HERR, der nach Vers 11 der einzige Retter ist, schenkt durch das Kommen seines Knechtes der Welt die Rettung.

(In Vers 10 heißt es, dass das Volk erkennen und einsehen soll, „dass ich es bin“. Wörtlich steht: אֲנִ֣י ה֔וּא ‚ani hu‘ (ich er/es), in der griechischen Übersetzung steht ἐγώ εἰμι egō eimi (ich bin). Vor diesem Hintergrund sind die Worte Jesu in Johannes 8,24.28 und möglicherweise auch Johannes 8,58 zu verstehen. An diesen Stellen spricht Jesus über sich mit demselben absoluten egō eimi / ich bin. Jesus hat den Anspruch gestellt, dass er der einzige Gott ist. Der einzige Retter, der „Ich bin“ des Alten Testaments. Die Bedeutung der „Ich bin“-Worte ist aber ein eigenes Thema.)

Die zweite Stelle spricht wörtlich über David, meint aber im Zusammenhang seinen Nachkommen, den Messias.

3 Neigt euer Ohr und kommt zu mir, hört und ihr werdet aufleben! Ich schließe mit euch einen ewigen Bund: Die Erweise der Huld für David sind beständig.4 Siehe, ich habe ihn zum Zeugen für die Völker gemacht, zum Fürsten und Gebieter der Nationen. 5 Siehe, eine Nation, die du nicht kennst, wirst du rufen und eine Nation, die dich nicht kannte, eilt zu dir, um des HERRN, deines Gottes, des Heiligen Israels willen, weil er dich herrlich gemacht hat. (Jesaja 55,3-5)

Der Prophet hat diese Worte Jahrhunderte nach David gesprochen, als das Volk Gottes im Exil in Babylonien war. Er ruft das Volk zur Umkehr zu Gott auf. Er kündet einen neuen ewigen Bund an. In diesem Zusammenhang erinnert er sie an David, dem Gott viel Huld erwiesen hat. David wurde durch seine Eroberungen zum Fürsten und Gebieter der Nationen. Doch es ist offensichtlich, dass es hier nicht um kriegerische Eroberungen geht. Der David verheißene Nachkomme, der Messias, wird die Nationen nicht mit Waffengewalt unterwerfen. Er ist für sie der Zeuge für den wahren Gott. Dadurch wird er ihr Fürst und Gebieter. Nicht Kriegszüge bringen die Völker zu Gott, sondern sie werden „um des HERRN, deines Gottes, des Heiligen Israels willen“ kommen. Der Messias ist Zeuge nicht nur für Israel, sondern für alle Völker.

Im Neuen Testament gibt es im Buch der Offenbarung zwei Stellen, in denen Jesus Zeuge genannt wird.

Die erste Stelle steht in der Einleitung des Buches:

4 Johannes an die sieben Gemeinden in der Provinz Asien: Gnade sei mit euch und Friede von Ihm, der ist und der war und der kommt, und von den sieben Geistern vor seinem Thron 5 und von Jesus Christus; er ist der treue Zeuge, der Erstgeborene der Toten, der Herrscher über die Könige der Erde. Ihm, der uns liebt und uns von unseren Sünden erlöst hat durch sein Blut, 6 der uns zu einem Königreich gemacht hat und zu Priestern vor Gott, seinem Vater: Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen. (Offenbarung 1,4-6)

Jesus wird hier im Zusammenhang mit Gott und den „sieben Geistern“ genannt. Sie zusammen sind die Quelle der Gnade und des Friedens, der den Gemeinden geschenkt ist.

Jesus wird charakterisiert als der treue Zeuge, der Erstgeborene der Toten und der Herrscher über die Könige der Erde. Das erinnert an Jesaja 55, wo der Zeuge auch Fürst und Gebieter der Nationen ist. Der Inhalt seines Zeugnisses wird nicht genannt, wohl aber sein Erlösungswerk, das aus Liebe geschah, wofür ihm für alle Ewigkeit Herrlichkeit und Macht gebührt. Vielleicht ist gemeint, dass er durch seine Hingabe, die bis in den Tod, bis zum Vergießen seines Blutes ging, in Treue die Liebe des Vaters bezeugt hat. Er hat sich durch die Bosheit der Menschen nicht von seinem Werk der Liebe abbringen lassen. Er hat seinen Dienst in Treue ausgeführt.

Die zweite Stelle steht am Beginn des Schreibens an die Gemeinde von Laodizea:

14 An den Engel der Gemeinde in Laodizea schreibe: So spricht Er, der Amen heißt, der treue und zuverlässige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes: 15 Ich kenne deine Taten. Du bist weder kalt noch heiß. Wärest du doch kalt oder heiß! 16 Daher, weil du lau bist, weder heiß noch kalt, will ich dich aus meinem Mund ausspeien. (Offenbarung 3,14-16)

Auch wenn hier der Name Jesus nicht genannt ist, ist aus dem Zusammenhang (Vers 21) klar, dass hier Jesus spricht. Jesus ist der „Amen“, d. h. die Bestätigung der Verheißungen Gottes (vergleiche 2 Korinther 1,20). Er ist auch der Anfang, oder besser, der Ursprung der Schöpfung Gottes.1 Er, der alle Verheißungen des Vaters bestätigt hat, der die Schöpfung ins Dasein ruft, ist der treue Zeuge.

Im konkreten Zusammenhang des ganzen Schreibens könnte es darum gehen, dass er die Gemeinde und alle Gläubigen durch und durch kennt. Er weiß um ihren Zustand und ruft sie zur Umkehr auf. In ihrem gegenwärtigen Zustand können sie vor ihm nicht bestehen. Wenn sie sich von ihrer Selbstsicherheit und Überheblichkeit demütigen, können sie wieder Gemeinschaft mit ihm haben. Jetzt steht er vor der Tür und wartet. (Siehe dazu die Folgeverse in Offenbarung 3,17-22.) Nach dieser Deutung ginge es hier nicht darum, dass Jesus ein Zeuge für Gott und seine Liebe ist, sondern, dass er die Sünden der Menschen bezeugt.

Andererseits wird Jesus hier der „treue und zuverlässige Zeuge“ genannt, und dieser Titel ist eingebettet zwischen dem „Amen“ und dem „Ursprung der Schöpfung Gottes“, was in die Richtung weisen würde, dass es hier nicht um das Bezeugen der Sünden der Gemeinde geht, sondern darum, dass er der Zeuge ist für seinen Vater, dessen Verheißungen er bestätigt und als dessen ewiges Wort er die Welt geschaffen hat. Aber vielleicht sind hier auch beide Aspekte gemeint. Wer sich der Größe und Würde Jesu bewusst ist, weiß auch um den Anspruch, den er an uns stellt, dass er unser Leben ganz will.

2 Im Koran

Im Koran sind mir zwei Stellen bekannt, in denen von Jesus als dem Zeugen die Rede ist. Die erste ist in Sure 4:

Es gibt keinen unter den Leuten der Schrift, der nicht noch vor dessen Tod ganz gewiß an ihn glauben wird. Und am Tag der Auferstehung wird er über sie Zeuge sein. (Sure 4,159)

Diese Worte sind im Zusammenhang mit den Versen, die üblicherweise als Verneinung des Todes Jesu am Kreuz verstanden werden. Dazu gibt es einen eigenen Beitrag. Um wessen Tod geht es hier? Um den Tod Jesu? Dann würde dieser Vers tatsächlich die Deutung unterstützen, dass Jesus nicht gekreuzigt wurde und erst nach seiner Wiederkunft sterben würde.

Man könnte das aber auch auf den Tod des Gläubigen beziehen.

In der Übersetzung von Ahmad von Denffer lautet der Text so:

Und von den Leuten der Schrift gibt es keinen, außer er glaubt ganz bestimmt an ihn vor seinem Sterben, und am Tag der Auferstehung ist er gegen sie Zeuge.

Man muss noch vor seinem eigenen Tod an ihn glauben. Nach dem Tod gibt es ja keine Entscheidungsmöglichkeit mehr.

Ich wollte hier nur beide Deutungsmöglichkeiten genannt haben. In diesem Beitrag ist wichtiger, was das Wort „Zeuge“ bedeutet.

Jesus ist am Tag der Auferstehung Zeuge gegen die Leute der Schrift. Sind die „Leute der Schrift“ die Juden oder die Christen?

Wenn die Christen gemeint sind, ist er dann Zeuge gegen sie, weil sie die „Irrlehre“ verbreiten, dass er gekreuzigt wurde? Oder einfach, weil sie verweltlicht waren und nicht wirklich an ihn geglaubt haben?

Wenn die Juden gemeint sind, meint es dann einfach, dass er gegen sie zeugt, weil sie ihn verworfen und nicht als Messias akzeptiert haben?

Diese Fragen werden aus dem Text allein nicht klar. Eines ist aber offensichtlich, dass Jesus hier die Position eines Zeugen gegen die Menschen hat. Anders als im Neuen Testament hat er nicht die Position des Richters. Auf keinen Fall ist er der Retter. Sein Zeugnis ist gegen die Menschen gerichtet.

Dieses Zeugnis gegen die Menschen ist durchaus auch von der biblischen Position her gegeben, nämlich dann, wenn ein Mensch die Rettung, die ihm Gott in Jesus anbietet, zurückweist. Das Problem ist, dass der Koran Jesus nicht als den Retter kennt. So wird das Bild Jesu entstellt. Gerade seine rettende Liebe wird den Menschen vorenthalten.

Die zweite Stelle befindet sich in Sure 5:

116 Und wenn Allah sagt: „O ‚Isa, Sohn Maryams, bist du es, der zu den Menschen gesagt hat: ,Nehmt mich und meine Mutter außer Allah zu Göttern!‘?“, wird er sagen: „Preis sei Dir! Es steht mir nicht zu, etwas zu sagen, wozu ich kein Recht habe. Wenn ich es (tatsächlich doch) gesagt hätte, dann wüßtest Du es bestimmt. Du weißt, was in mir vorgeht, aber ich weiß nicht, was in Dir vorgeht. Du bist ja der Allwisser der verborgenen Dinge. 117 Ich habe ihnen nur gesagt, was Du mir befohlen hast (, nämlich): ,Dient Allah, meinem und eurem Herrn! Und ich war über sie Zeuge, solange ich unter ihnen weilte. Seitdem Du mich abberufen hast, bist Du der Wächter über sie. Du bist über alles Zeuge. 118 Wenn Du sie strafst, so sind sie Deine Diener, und wenn Du ihnen vergibst, so bist Du ja der Allmächtige und Allweise.“ (Sure 5,116-118)

Ich möchte mich hier nicht mit der entstellten Vorstellung über die Dreieinigkeit beschäftigen, auch nicht damit, dass in Vers 116 die Worte Jesu aus Matthäus 11,27 in ihr Gegenteil verdreht werden.

Hier wird, anders als in Sure 4,159, die Stellung Jesu als Zeuge auf sein irdisches Wirken beschränkt. Nur solange er unter den Menschen weilte, war er Zeuge über (gegen?) sie. Seit seiner Abberufung ist nur Gott Zeuge. Auch hier gewinnt man den Eindruck, dass Jesus nicht gekommen ist, um die Menschen zu retten. Er soll aufpassen und bezeugen, was die Menschen tun, wie sie sich verhalten. Er war nicht der Zeuge für sie, der ihnen die rettende Botschaft Gottes gebracht hat.

Und wie soll man die Spannung zwischen diesen beiden Koranversen auflösen? Wenn nach Sure 5 Jesus nur auf der Erde der Zeuge war, nach Sure 4 aber am Tag der Auferstehung Zeuge gegen sie sein wird, bedeutet das, dass er dann doch in göttlicher Vollmacht handelt, weil nach Sure 5 nur Gott der Zeuge ist?

3 Schlussfolgerung

Im Vergleich zur Bibel sieht es so aus, dass die beiden Koranstellen, in denen Jesus Zeuge genannt wird, die umfassendere Bedeutung dieses Wortes auf die Position eines Aufpassers reduzieren. Jesus ist nicht mehr der treue Zeuge, der den Menschen die Liebe und Treue Gottes in Person nahegebracht hat. Das zeigt, dass der Autor des Korans weder Jesus gekannt hat, noch Gott, der ihn zur Rettung der Menschen in die Welt gesandt hat.

Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat. (Johannes 3,16)


  1. Das griechische Wort ἀρχή / archē kann beide Bedeutungen haben. Aus dem Vergleich mit anderen Stellen wie Johannes 1,3 wird klar, dass Jesus mehr als der Anfang, nämlich der Urheber und Ursprung der Schöpfung ist. 

Kommentare sind geschlossen.

Bloggen auf WordPress.com.

Nach oben ↑