Die sieben Geister Gottes

Im Buch der Offenbarung ist an vier Stellen von sieben Geistern Gottes die Rede:

4 Johannes an die sieben Gemeinden in der Provinz Asien: Gnade sei mit euch und Friede von Ihm, der ist und der war und der kommt, und von den sieben Geistern vor seinem Thron 5 und von Jesus Christus; er ist der treue Zeuge, der Erstgeborene der Toten, der Herrscher über die Könige der Erde. (Offenbarung 1,4-5a)

An den Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: So spricht Er, der die sieben Geister Gottes und die sieben Sterne hat: Ich kenne deine Taten. Dem Namen nach lebst du, aber du bist tot. (Offenbarung 3,1)

2 Sogleich wurde ich vom Geist ergriffen. Und siehe, ein Thron stand im Himmel; auf dem Thron saß einer, 3 der wie ein Jaspis und ein Karneol aussah. Und über dem Thron wölbte sich ein Regenbogen, der wie ein Smaragd aussah. 4 Und rings um den Thron standen vierundzwanzig Throne und auf den Thronen saßen vierundzwanzig Älteste, in weiße Gewänder gekleidet und mit goldenen Kränzen auf dem Haupt. 5 Von dem Thron gingen Blitze, Stimmen und Donner aus. Und sieben lodernde Fackeln brannten vor dem Thron; das sind die sieben Geister Gottes. (Offenbarung 4,2-5)

Und ich sah: Zwischen dem Thron und den vier Lebewesen und mitten unter den Ältesten stand ein Lamm; es sah aus wie geschlachtet und hatte sieben Hörner und sieben Augen; die Augen sind die sieben Geister Gottes, die über die ganze Erde ausgesandt sind. (Offenbarung 5,6)

In neueren Erklärungen1 werden diese sieben Geister Gottes oft auf Engel bezogen. So lautet in der Übersetzung von Klaus Berger und Christiane Nord Offenbarung 1,4b so:

Der Herr, die sieben Erzengel vor seinem Thron und Jesus Christus  sind euch gnädig und schenken euch Frieden. Der Herr ist der, der ist und der war und der kommen wird.

An den drei anderen Stellen ist aber auch in Berger/Nord von sieben Geistern die Rede.

Die Neue Jerusalemer Bibel schreibt in der Erklärung zu 3,1:

die sieben Geister Gottes: Hier die sieben Thronengel, 4,5, über die der erhöhte Christus Macht hat.

Zu 4,5 lautet die Erklärung:

die sieben Geister Gottes: Hierin sind die „Engel des Angesichts“ zu sehen, vgl. 8,2; Tob 12,15, welche die Abgesandten Gottes sind, vgl. Sach 4,10; Offb 5,6; Tob 12,14; Lk 1,26 und öfter. Dagegen dürfte der siebenfältige Geist, wie die spätere Überlieferung auch im Anschluss an Jes 11,2 deutete, kaum gemeint sein.

Konservative Erklärer beziehen die sieben Geister Gottes meistens auf den Heiligen Geist.

Betrachten wir die von der Jerusalemer Bibel genannten Verweisstellen, so spricht Offenbarung 8,2 von sieben Engeln, die vor Gott standen, denen die Posaunen des Gerichts gegeben wurde. Jede der ersten sechs Posaunen führte zu einem Strafgericht. Bei der siebten Posaune gehört die Königsherrschaft dem Herrn und seinem Christus. Diese sieben Engel werden nicht besonders als „Engel des Angesichts“ gekennzeichnet. Sie haben ihre Aufgabe darin, die Gerichte und das Antreten der Königsherrschaft Gottes symbolisch zu initiieren.

In dem apokryphen Text aus Tobit 12,14-15 geht es tatsächlich um „sieben Engel, die bereitstehen und hineingehen vor die Herrlichkeit des Herrn“. Einer von ihnen war Rafael, der zu einer besonderen Aufgabe auf die Erde gesandt wurde. Es ist aber sehr fraglich, ob sich Johannes von einem apokryphen Buch hätte inspirieren lassen.

In Lukas 1,26 geht es um die Sendung des Engels Gabriel zu Maria. Von einer Siebenzahl ist dort nicht die Rede.

Sacharja 4,10 scheint die Erklärung zu Sacharja 3,9 zu geben, wo ein Stein mit sieben Augen erwähnt ist. In Sacharja 4,10 ist aber gerade nicht von Engeln die Rede, sondern:

Das sind die sieben Augen des HERRN, die über die ganze Erde schweifen.

Das wiederum erinnert an 2 Chronik 16,9a:

Denn die Augen des HERRN schweifen über die ganze Erde, um denen ein starker Helfer zu sein, die mit ungeteiltem Herzen zu ihm halten.

Die „Augen des HERRN, die über die ganze Erde schweifen“, sind wohl als ein Bild für seine Allwissenheit und Allgegenwart zu verstehen. Gott entgeht nichts. Er hat alles unter Kontrolle und steht denen zur Seite, die mit ungeteiltem Herzen zu ihm halten. Er ist dazu nicht auf seine Engel angewiesen.

Der am schwersten wiegende Einwand gegen die Deutung der sieben Geister Gottes auf den Heiligen Geist ist die Siebenzahl. An anderen Stellen der Offenbarung ist vom Geist im Singular die Rede. So heißt es z. B. am Ende jedes der sieben Sendschreiben an die sieben Gemeinden:

Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt: (Offenbarung 2,7.11.17.29; 3,6.13.22)

Der Verweis auf Jesaja 11,2 hat das Problem, dass dort eigentlich nur sechs Charakteristika des Geistes Gottes genannt werden.

1 Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht. 2 Der Geist des HERRN ruht auf ihm: der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN. 3 Und er hat sein Wohlgefallen an der Furcht des HERRN. (Jesaja 11,1-3a)

Jesaja spricht hier vom Messias, der aus der Familie Isais (des Vaters Davids) kommt. Auf ihm wird der Geist des HERRN ruhen. Die Septuaginta hat die „Furcht des HERRN“ in Vers 2 mit eusebeía / Frömmigkeit und in Vers 3 mit phobos theou / Furcht Gottes wiedergegeben. So gelangte man zur Siebenzahl der Gaben des Geistes Gottes. Eine andere Erklärung bezieht sich nur auf Vers 2 und nimmt die erste Bezeichnung „Geist des HERRN“ als das erste Charakteristikum und kommt auch so auf die Siebenzahl. Doch bleibt weiterhin ein Unterschied zwischen sieben Gaben oder Charakteristika des Geistes und sieben Geistern bestehen.

Die Zahl Sieben steht in der Bibel für Fülle und Vollkommenheit. Am siebten Tag war die Schöpfung vollendet. Die oben erwähnten „sieben Augen“ Gottes meinen nicht, dass Gott tatsächlich sieben Augen hätte. Es geht um die vollkommene Allwissenheit Gottes. Nichts bleibt vor ihm verborgen. Er sieht alles. Dazu braucht er keine Augen, weder eines noch sieben. So könnten die sieben Geister Gottes auch für die Fülle des Heiligen Geistes stehen. Doch ist es dazu notwendig, sich die betreffenden Stellen im Detail anzusehen.

Am wenigsten können wir aus Offenbarung 3,1 entnehmen. Jesus stellt sich im Sendschreiben an die Gemeinde von Sardes als der vor, „der die sieben Geister Gottes und die sieben Sterne hat“. Die sieben Sterne sind nach 1,20 die „Engel“ der sieben Gemeinden, die vermutlich die sieben Gemeinden symbolisieren. Jesus hat die Gemeinden in seiner Hand. Er hat auch die sieben Geister, was in diesem Zusammenhang sowohl Engel als auch den Geist Gottes meinen könnte, da er es ist, der den Geist Gottes auf die Jünger ausgegossen hat (vergleiche Apostelgeschichte 2,33).

Offenbarung 4,5 ist im Rahmen der Vision des Thrones Gottes. Da die sieben lodernden Fackeln, die die sieben Geister Gottes sind, vor dem Thron brennen, könnte man meinen, dass es sich hier um sieben Engelwesen handelt, die vor Gott stehen. Es ist aber zu bedenken, dass alle anderen in dieser Szene vorkommenden Wesen Gott huldigen. Das machen die vier in den Versen 6 bis 9 dargestellten „Lebewesen“ und auch die vierundzwanzig Ältesten, die in Vers 4 selber auf Thronen sitzen, aber in den Versen 10 bis 11 Gott anbeten. Wären mit den sieben Geistern Gottes Engel gemeint, würden sie wohl auch Gott die ihm gebührende Anbetung geben. So spricht Offenbarung 4,5 dafür, dass dort mit den sieben Geistern der Heilige Geist gemeint ist, obwohl sie vor dem Thron platziert sind. Feuer ist auch sonst in der Bibel ein Bild für den Heiligen Geist, z. B. in Matthäus 3,11 oder in Apostelgeschichte 2,3-4. In der Apostelgeschichte ist auch von vielen „Zungen wie von Feuer“ im Plural die Rede, obwohl es um den einen Heiligen Geist ging.

In Offenbarung 5,6 sind die sieben Geister Gottes die sieben Augen des Lammes, das stand „wie geschlachtet“. Dieses Lamm ist Jesus. Dass sieben Engel in so tiefer wesensmäßiger Einheit mit Jesus sind, dass sie als ein Teil von ihm dargestellt werden, kann ausgeschlossen werden.

Es heißt zwar in 1 Korinther 12,27 über die Gläubigen:

Ihr aber seid der Leib Christi und jeder Einzelne ist ein Glied an ihm.

Das zeigt die tiefer Verbundenheit Jesu mit der Gemeinde und jedem einzelnen Christen.

In Offenbarung 5,6 ist das Thema aber ein anderes. Die sieben Geister Gottes sind die Augen des Lammes. Sie sind es auch, die ausgesandt sind über die ganze Erde, was nach Sacharja 4,9 und 2 Chronik 16,9 für die Allwissenheit Gottes steht. Im Grunde wird hier ausgesagt, dass das Lamm Anteil an der göttlichen Allwissenheit hat. Mit den sieben Geistern Gottes kann hier nur der Heilige Geist gemeint sein, mit dem Jesus in der Einheit des göttlichen Wesens verbunden ist.

Das gilt auch für Offenbarung 1,4-5a:

Gnade sei mit euch und Friede von Ihm, der ist und der war und der kommt, und von den sieben Geistern vor seinem Thron 5 und von Jesus Christus; er ist der treue Zeuge, der Erstgeborene der Toten, der Herrscher über die Könige der Erde.

„Der ist und der war und der kommt“ ist Gott. Gott, die sieben Geister und Jesus Christus werden als die gemeinsame Quelle der Gnade und des Friedens, den Johannes den Gemeinden wünscht, genannt. Die sieben Geister stehen in einer Reihe mit dem Vater und Jesus. Da passen die „sieben Erzengel vor seinem Thron“, wie es Berger in seiner Übersetzung vorschlägt, nicht. Wir finden hier eine Aussage über den dreieinen Gott, den Vater, den Heiligen Geist und den Sohn, der die eine und untrennbare Quelle von Gnade und Friede ist.

Da in 1,4 und in 5,6 alles dafür spricht, dass mit den sieben Geistern Gottes der Heilige Geist gemeint ist, muss das auch an den beiden anderen Stellen vorausgesetzt werden. Die Siebenzahl soll seine Fülle ausdrücken. Er ist der Geist, den Gott allen verliehen hat, die ihm gehorchen (Apostelgeschichte 5,32).

Wenn aber der Beistand kommt, den ich euch vom Vater aus senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, dann wird er Zeugnis für mich ablegen. (Johannes 15,26)


  1. Die Möglichkeit, an sieben Engel zu denken, wird aber bereits von Andreas von Cäsarea um 610 erwogen. Er schwankt in seiner Deutung zwischen sieben Engeln und den sieben Gaben des Leben schaffenden Geistes. Nur in Bezug auf 5,6 erwähnt er die Engel nicht. (Heiliger Andreas von Caesarea, Kommentar zur Apokalypse des Johannes, Wachtendonk 2014, S.14f, 31, 41, 47). 

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