Er antwortete: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt. (Matthäus 15,24)
Diese Zwölf sandte Jesus aus und gebot ihnen: Geht nicht den Weg zu den Heiden und betretet keine Stadt der Samariter, sondern geht zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel! (Matthäus 10,5-6)
Aufgrund dieser beiden Stellen aus Matthäus behaupten islamische Apologeten, dass Jesus nur zum Volk Israel gesandt wurde. Bevor wir uns mit damit beschäftigen, wollen wir einen Blick auf die Bedeutung des Messias werfen.
Der Messias und die Völker
Gott hat sein Volk Israel durch verschiedene Propheten auf das Kommen des Messias Jesus vorbereitet.
Als Gott Abraham rief, zeigte er ihm, dass er eine Bedeutung für die ganze Welt haben werde:
Durch dich sollen alle Sippen der Erde Segen erlangen. (Genesis 12,3b)
Der Bund Gottes mit Abraham erfuhr seine Fortsetzung im Bund mit Isaak (Genesis 17,19) und Jakob (Genesis 35,10-12). Von Jakob stammte das Volk Israel, das zum Träger der Verheißung an Abraham wurde.
Im Volk Israel verhieß Gott dem König David ein ewiges Königtum (2 Sam 7,16). Dieses Königtum fand jedoch im Jahre 587/586 ein Ende, als der letzte König aus dem Geschlecht Davids von den Chaldäern abgesetzt wurde. Dadurch wollte Gott klar machen, dass sich die Verheißung an David nicht in einem politischen Königtum erfüllen sollte.
In Jesaja 11 sprach der Prophet über ein künftiges Friedensreich, das durch einen Spross aus dem Stumpf Isais hervorgehen wird. Isai war der Vater Davids. Der Stumpf Isais ist also die Familie Davids, aus der der Friedensherrscher der Zukunft kommen würde. Dieses Friedensreich sollte nicht nur das Volk Israel betreffen, sondern alle Völker.
An jenem Tag wird es der Spross aus der Wurzel Isais sein, der dasteht als Feldzeichen für die Völker; die Nationen werden nach ihm fragen und seine Ruhe wird herrlich sein. (Jesaja 11,10)
Der Spross, der das Feldzeichen für die Völker sein wird, und nach dem alle Nationen fragen, ist ein Nachkomme Isais, nicht Ismaels.
In Jesaja 42 heißt es über den kommenden Heilsbringer:
Siehe, das ist mein Knecht, den ich stütze; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er bringt den Nationen das Recht. […] Er verglimmt nicht und wird nicht geknickt, bis er auf der Erde das Recht begründet hat. Auf seine Weisung warten die Inseln. […] Ich, der HERR, habe dich aus Gerechtigkeit gerufen, ich fasse dich an der Hand. Ich schaffe und mache dich zum Bund mit dem Volk, zum Licht der Nationen, […] (Jesaja 42,1.4.6)
Hier sehen wir die doppelte Aufgabe des Messias. Einerseits ist er der Bund mit dem Volk Israel, andererseits das Licht der Nationen.
Weiters heißt es in Jesaja 49,6-7:
Und er sagte: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, nur um die Stämme Jakobs wieder aufzurichten und die Verschonten Israels heimzuführen. Ich mache dich zum Licht der Nationen; damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht. So spricht der HERR, der Erlöser Israels, sein Heiliger, zu dem tief verachteten Mann, dem Abscheu der Nation, dem Knecht der Herrschenden: Könige werden es sehen und sich erheben, Fürsten werfen sich nieder, um des HERRN willen, der treu ist, um des Heiligen Israels willen, der dich erwählt hat.
Zuerst hat dieser „Knecht“ die Aufgabe, die Stämme Jakobs aufzurichten. Anschließend wird er zum Licht der Nationen. Ferner spricht der Prophet von ihm als von einem „tief verachteten Mann, dem Abscheu der Nation“. Es wird hier auf die Verachtung und das Leiden hingewiesen, das den Messias treffen wird. Dieses Thema des Leidens wird in Jesaja 52,13-53,12 noch stärker ausgeführt. Auch dort ist in 52,15 von vielen Nationen und von Königen die Rede.
Diesen Zusammenhang zwischen dem Leiden des Gerechten und der Rettung der Nationen sehen wir auch in Psalm 22, in dem viel über das Leiden eines Gerechten steht. Doch in Vers 28 öffnet sich der Blick auf alle Völker:
Alle Enden der Erde sollen daran denken und sich zum HERRN bekehren: Vor dir sollen sich niederwerfen alle Stämme der Nationen. (Psalm 22,28)
Diese Stellen zeigen uns, dass der Messias zuerst eine Aufgabe am Volk Israel hat, dass er leiden wird und dass er ein Licht für alle Völker sein wird.
Jesus ist der Messias
Erfreulicherweise sind sich Christen und Muslime in dem Punkt, dass Jesus der Messias ist, einig.
Wenn Jesus nun der Messias ist, dann trifft auf ihn das zu, was wir bei den Propheten des Alten Bundes über ihn lesen: Er hat eine Aufgabe am Volk Israel, er leidet, er ist das Licht für alle Völker.
Was wir im Evangelium über Jesus lesen, entspricht diesen Verheißungen. Dadurch werden auch die eingangs erwähnten Worte verständlich.
In Matthäus 15,21-28 begegnet Jesus einer kanaanäischen Frau, die Jesus um Hilfe bittet. Er macht ihr zuerst klar, was seine eigentliche Sendung während seines irdischen Wirkens ist, nämlich, dass er zum Volk Israel gesandt ist. Die Frau akzeptiert das und erfährt die Hilfe Jesu.
Matthäus 10 spricht über die Aussendung der Jünger Jesu in einer konkreten Situation. Vieles in dieser Rede ist überzeitlich und gilt für alle Jünger aller Zeiten. Die Anweisung, nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel zu gehen, betraf aber nur dies damalige Situation.
In Matthäus 12,18-21 zitiert der Evangelist das von uns oben angeführte Wort aus Jesaja 42, wo es um die Sendung des Messias zu den Völkern geht. Matthäus, einer der zwölf Apostel, hat das Wirken Jesu nicht auf das Volk Israel eingeschränkt.
Nach seiner Auferstehung hat Jesus die Jünger zu allen Völkern gesandt:
Da trat Jesus auf sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Vollmacht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt. (Matthäus 28,18-20)
In Johannes 12,20-36 lesen wir über eine Situation wenige Tage vor dem Tod Jesu. Einige Griechen wollten Jesus sehen. In diesem Zusammenhang sagte er:
Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen.
(Johannes 12,32)
Das Wort „erhöht“ ist hier doppeldeutig. Einerseits geht es um die Erhöhung auf das Kreuz (vergleiche Vers 33), andererseits um seine Erhöhung zum Vater.
Jesus kündigt an, dass er nach seiner Erhöhung alle zu sich ziehen wird. Alle, nicht nur die Juden. Dadurch erfüllt Jesus die Worte der Propheten, dass er das Licht der Nationen sein werde. Er erfüllt es durch sein Wirken in seinen Jüngern, die seine Botschaft friedlich zu allen Völkern bringen.
In Johannes 10 spricht Jesus über sich selbst als dem Guten Hirten. In Vers 16 spricht er über andere Schafe, die nicht aus diesem Hof sind. Auch diese wird er bringen. Nicht nur die „Schafe“ aus dem Hof Israels werden gerufen, sondern Menschen aus allen Völkern.
Was sagt der Koran dazu?
Eine Aussage, dass Jesus nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt sei, findet sich im Koran nicht.
Wir finden aber folgende Verse über ihn:
Er sagte: „So wird es sein. Dein Herr sagt: ,Das ist Mir ein leichtes, und damit Wir ihn zu einem Zeichen für die Menschen und zu einer Barmherzigkeit von Uns machen‘. Und es ist eine beschlossene Angelegenheit.“ (Sure 19,21)
Und (auch) diejenige, die ihre Scham unter Schutz stellte‘. Da hauchten Wir ihr von Unserem Geist ein und machten sie und ihren Sohn zu einem Zeichen für die Weltenbewohner. (Sure 21,91)
Jesus ist laut Koran ein Zeichen für die Menschen bzw. gemeinsam mit seiner Mutter für die Weltenbewohner. Die Bedeutung Jesu wird nicht auf das Volk Israel eingeschränkt. Kein einziger anderer Prophet wird im Koran so genannt, nicht einmal Mohammed.
Weder die Bibel noch der Koran lehren, dass Jesus nur für das Volk Israel gekommen ist. Jesus ist das Licht für alle Menschen. Das hat auch der greise Simeon kurz nach der Geburt Jesu bekannt:
Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel. (Lukas 2,29-32)
Folgen wir diesem Licht!