[…] niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will. (Matthäus 11,27b)
Was wollte Jesus mit diesem Satz sagen? Wenn außer dem Vater niemand den Sohn kennt und außer dem Sohn niemand den Vater, ausgenommen jene, denen es (durch ein Privileg?) vom Sohn offenbart wird, heißt das nicht, dass man Gott nicht erkennen kann? Ist Gott der ferne Gott, der sich nur einigen wenigen Auserwählten zu erkennen gibt?
Im Römerbrief geht Paulus schreibt Paulus, dass jeder Mensch Gott aus seiner Schöpfung erkennt:
19 Denn es ist ihnen offenbar, was man von Gott erkennen kann; Gott hat es ihnen offenbart. 20 Seit Erschaffung der Welt wird nämlich seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit. Daher sind sie unentschuldbar. 21 Denn obwohl sie Gott erkannt haben, haben sie ihn nicht als Gott geehrt und ihm nicht gedankt, sondern verfielen in ihren Gedanken der Nichtigkeit und ihr unverständiges Herz wurde verfinstert. (Römer 1,19-21)
Aus Gottes Schöpfung kann jeder Mensch den Schöpfer erkennen, dem er die ihm gebührende Ehre erweisen soll.
Das war auch schon den Gottesmännern des Alten Testaments klar. So lesen wir in Psalm 19:
2 Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes und das Firmament kündet das Werk seiner Hände. 3 Ein Tag sagt es dem andern, eine Nacht tut es der andern kund, 4 ohne Rede und ohne Worte, ungehört bleibt ihre Stimme. 5 Doch ihre Botschaft geht in die ganze Welt hinaus, ihre Kunde bis zu den Enden der Erde. (Psalm 19,2-5a)
Paulus schreibt im Römerbrief aber auch, was passiert, wenn die Erkenntnis Gottes nicht dazu führt, dass man Gott die Ehre gibt. Die Gedanken verfallen der Nichtigkeit, das Herz wird verfinstert. Im weiteren Zusammenhang schreibt Paulus über den Götzendienst und den moralischen Verfall als Konsequenz der Ablehnung Gottes. Durch die Sünde entfernt sich der Mensch immer weiter von Gott und erkennt immer weniger von ihm. Das Vakuum wird durch Götzen der verschiedensten Art oder auch einfach durch Egoismus ausgefüllt.
Trotzdem hat es immer auch Menschen gegeben, die der natürlichen Gotteserkenntnis gefolgt sind und ihrem Gewissen gehorcht haben. Und es gab ja auch die Patriarchen und das Volk Israel, denen sich Gott offenbart hat. Man kann ja nicht sagen, dass Abraham, Mose, David, die Propheten … Gott nicht erkannt hätten.
Was wollte Jesus also in Matthäus 11 sagen?
Wenn er sagte, dass niemand den Sohn kennt, nur der Vater, wollte er die Menschen darauf hinweisen, dass sie ihn zwar als Mensch kannten, aber sein eigentliches Wesen, dass er der ewige Sohn Gottes ist, ihnen fremd war. Im Wort „kennen“ schwingt im Hebräischen auch die Bedeutung „eine Beziehung haben“ mit. Nur der Vater hat diese einmalig ewige Beziehung zu seinem ewigen Sohn. Ebenso kennt nur der Sohn seinen Vater wirklich. Er, dem alles von seinem Vater übergeben worden ist (Matthäus 11,27a), hat als einziger eine umfassende Beziehung zu ihm.
An dieser Beziehung möchte er aber jeden teilhaben lassen, der zu ihm kommt und ihm nachfolgt, wenngleich das auch nicht in derselben Tiefe möglich ist, die im ewigen göttlichen Wesen von Vater und Sohn begründet ist.
Darin liegt auch keine Willkür, dass er nur manchen die Erkenntnis des Vaters schenken will und manchen nicht. Das wird gerade aus den darauffolgenden Versen klar, in denen er alle zu sich selber ruft.
28 Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken. 29 Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele. 30 Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht. (Matthäus 11,28-30)
Mit diesen Worten ruft Jesus jeden. Zuerst muss man aber erkennen, wie sehr man beladen ist, damit man diese Lasten auch zu ihm bringen kann. Zur Erkenntnis Gottes gehört auch Selbsterkenntnis, die Erkenntnis der eigenen Sünden und Schwächen, die uns Jesus nur abnehmen kann, wenn wir sie zu ihm bringen.