In einem früheren Beitrag kam zur Sprache, wie Jesus in verschiedener Weise den Anspruch erhoben hat, Gott zu sein. Von Judas, einem Verwandten Jesu, ist uns ein kurzer Brief überliefert, in dem er an mehreren Stellen auf das göttliche Wesen Jesu hinweist.
Bereits im Grußwort am Anfang des Briefes finden wir den ersten Hinweis:
Judas, Knecht Jesu Christi, Bruder des Jakobus, an die Berufenen, die in Gott, dem Vater, geliebt und für Jesus Christus bewahrt sind. (Judas 1)
Wir sehen, dass Gott, der Vater und Jesus Christus in Parallelität auf einer Ebene stehen. Der Schlussteil des Verses ist eine Dativkonstruktion, die im Deutschen nur mit einem Pronomen wiedergegeben werden kann. Statt des „für“ hat die Elberfelder Übersetzung „in“. Entweder ist Jesus das Ziel der Bewahrung oder er ist der, in dem die Berufenen bewahrt sind. Beides übersteigt die menschliche Natur.
In Johannes 17,11 und 17,15 bittet Jesus den Vater, dass er die Jünger bewahren möge. Wenn sie in Judas 1 in Jesus Christus bewahrt werden sollen, dann hat Jesus als der Verherrlichte diese Aufgabe, die nur Gott, der alle Menschen durch und durch kennt und ihnen nahe ist, erfüllen kann.
Verstehen wir diesen Satz als „für Jesus Christus bewahrt“, dann ist Jesus das Ziel des Glaubens. Die ewige Gemeinschaft mit ihm ist es, wofür die Berufenen bewahrt werden. Das Ziel des Glaubens ist die ewige Gemeinschaft mit Gott, die natürliche auch die Gemeinschaft mit allen Gläubigen und Propheten einschließt. Wäre Jesus nur ein Prophet oder auch ein hoher Engel gewesen, hätte Judas nicht geschrieben, dass wir für die Gemeinschaft mit ihm bewahrt werden sollten, da Gott immer das Wichtigste ist. Er ist das Ziel.
Den nächsten Hinweis lesen wir in Vers 4:
Denn es haben sich einige Leute eingeschlichen, die schon seit Langem für das Gericht vorgemerkt sind: Gottlose, die unseres Gottes Gnade mit einem zügellosen Leben vertauschen und die Jesus Christus, unseren einzigen Herrscher und Herrn, verleugnen.
Wörtlicher ist die Elberfelder Übersetzung:
[…] und unseren alleinigen Gebieter und Herrn Jesus Christus verleugnen.
Für „Herrscher“ oder „Gebieter“ steht im Griechischen das Wort δεσπότης / despótēs, das in Lukas 2,29; Apostelgeschichte 4,24 und Offenbarung 6,10 für Gott verwendet wird. Deswegen wurde es auch in späteren Handschriften mit dem Wort θεός / theós (Gott) ergänzt.
Die Wortfolge, die im Griechischen wie in der Elberfelder Bibel ist, könnte man auch so verstehen, dass mit dem „alleinigen Gebieter“ Gott gemeint ist. Dann müsste man allerdings vor „Jesus Christus“ einen Artikel erwarten, der dort nicht steht.
Auch ein Vergleich mit 2 Petrus 2,1 spricht dafür, dass mit dem „Gebieter“ Jesus gemeint ist:
Es gab aber auch falsche Propheten im Volk, wie es auch unter euch falsche Lehrer geben wird. Sie werden Verderben bringende Irrlehren einschleusen und den Herrn, der sie freigekauft hat, verleugnen. Doch dadurch bringen sie über sich selbst rasches Verderben.
Im Griechischen steht für den „Herrn“ despótēs. Der Herr, der sie freigekauft hat, ist Jesus. Es gibt zwischen dem 2. Petrusbrief und dem Judasbrief Querverbindungen. Wahrscheinlich baut der 2. Petrusbrief auf dem Judasbrief auf. Das spricht auch dafür, dass der „alleinige Herrscher“ in Judas 4 Jesus ist.
Wenn Jesus „alleiniger Herrscher“ genannt wird, heißt das natürlich nicht, dass Gott der Vater nicht der Herrscher ist. Das wäre absurd. Jesus ist der alleinige Herrscher, weil er als der ewige Sohn Gottes in Wesenseinheit mit seinem Vater verbunden ist. Er ist nur ein einziger Gott.
Darum kann man aus Judas 25, wo der Vater der „alleinige Gott“ genannt wird, nicht entnehmen, dass der Sohn nicht göttlichen Wesens ist.
[…] dem alleinigen Gott, unserem Retter durch Jesus Christus, unseren Herrn, sei Herrlichkeit, Majestät, Gewalt und Macht vor aller Zeit und jetzt und in alle Ewigkeiten! Amen. (Elberfelder)
Genau so wenig, wie man sagen kann, dass der Vater nicht der Herr ist, weil doch Jesus Herr genannt wird, kann man sagen, dass Jesus nicht Gott ist, weil doch der Vater Gott genannt wird. Der Vater ist der alleinige Gott in unzertrennbarer Einheit mit seinem Sohn, wie auch der Sohn der alleinige Herrscher in unzertrennbarer Einheit mit seinem Vater ist.
Besonders interessant ist Vers 5:
Zwar wisst ihr alles ein für alle Mal; aber ich will euch dennoch daran erinnern, dass Jesus, nachdem er das Volk aus Ägypten gerettet hatte, später die vernichtete, die nicht glaubten.
In den meisten Übersetzungen steht statt „Jesus“ „der Herr“. In den Handschriften gibt es beide Varianten, doch ist die Lesart „Jesus“ besser bezeugt als „der Herr“. Vermutlich war es so, dass es spätere Abschreiber für einen Fehler hielten, dass dort „Jesus“ stand, da es Jesus als Mensch zur Zeit des Auszuges aus Ägypten noch nicht gab und aus diesem Grund den Namen „Jesus“ durch „der Herr“ ersetzt haben. Der umgekehrte Vorgang, dass „der Herr“ später durch „Jesus“ ersetzt worden wäre, ist schwer vorstellbar.
Da Jesus als Mensch seinen Anfang erst bei seiner Empfängnis im Schoß seiner Mutter Maria hatte, musste Judas an den ewigen Sohn Gottes gedacht haben. Der einzige Gott, der Gott Israels, der sein Volk aus Ägypten befreit hat und auch die Ungehorsamen gerichtet hat, war auch damals in vollkommener Einheit mit seinem Sohn. Insofern konnte Judas schreiben, dass Jesus das Volk aus Ägypten gerettet hat.
In den Versen 20-21 finden wir eine Anspielung auf die Dreieinigkeit:
20 Ihr aber, Geliebte, baut weiter auf eurem hochheiligen Glauben auf, betet im Heiligen Geist, 21 bewahrt euch in der Liebe Gottes und wartet auf das Erbarmen Jesu Christi, unseres Herrn, zum ewigen Leben!
Mit dem Gebet im Heiligen Geist ist nicht das Zungengebet gemeint, wie Pfingstler denken, sondern das Gebet eines Christen soll vom Heiligen Geist geführt sein, nicht von den eigenen Wünschen und Vorstellungen. Es geht um ein Suchen nach dem Willen Gottes, den Gott den Seinen durch seinen Geist zeigt. Der Hinweis auf die Liebe Gottes weist zurück zu Vers 1, wo die Berufenen als vom Vater geliebt angesprochen werden. Das Erbarmen Jesu Christi ist das göttliche Erbarmen, von dem wir schon im Alten Testament lesen:
Wie ein Vater sich seiner Kinder erbarmt, so erbarmt sich der HERR über alle, die ihn fürchten. (Psalm 103,13)
Auch im Neuen Testament geht es bei der Barmherzigkeit meist um die Barmherzigkeit des Vaters.
Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns in seinem großen Erbarmen neu gezeugt zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten. (1 Petrus 1,3)
In diesen Zusammenhang passen auch die Worte von Zacharias anlässlich der Geburt seines Sohnes Johannes:
78 Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe, 79 um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes, und unsre Schritte zu lenken auf den Weg des Friedens. (Lukas 1,78-79)
Jesus ist das aufstrahlende Licht aus der Höhe, das uns durch die barmherzige Liebe Gottes besucht hat. In dieser Weise begegnet uns in Jesus die Barmherzigkeit Gottes. Das Warten auf die Barmherzigkeit Jesu Christi ist nichts anderes als das Warten auf die Barmherzigkeit Gottes. Dadurch setzt auch dieser Vers die göttliche Natur Jesu voraus und weist auf die Dreieinigkeit Gottes hin.
Als Judas diesen Brief schrieb, ging es ihm um die Warnung vor Irrlehrern und Spaltern. Die Lehre von der Gottheit Jesu war kein Diskussionspunkt. Er hat sie bei seinen Lesern vorausgesetzt. Er war mit ihnen darin in Einheit. Das war der Glaube der Urgemeinde, den er nicht eigens begründen musste.
24 Dem einen Gott aber, der die Macht hat, euch vor jedem Fehltritt zu bewahren und euch untadelig und voll Jubel vor seine Herrlichkeit treten zu lassen, 25 ihm, der uns durch Jesus Christus, unseren Herrn, rettet, gebührt die Herrlichkeit, Hoheit, Macht und Gewalt vor aller Zeit und jetzt und für alle Zeiten. Amen. (Judas 24-25)