Vor allem bei Katholiken und Orthodoxen bildet die Heiligenverehrung einen fixen Bestandteil des religiösen Lebens, wobei insbesondere die Verehrung Marias, der Mutter Jesu, eine zentrale Rolle zukommt.
Im Laufe der Jahrhunderte hat sich ein Verfahren herausgebildet, mit dem festgestellt wird, wer ein Heiliger ist und entsprechend verehrt werden darf. Da gibt es nach dem Ableben des Betreffenden ein genau geregeltes Gerichtsverfahren. Außer bei Märtyrern muss auch mindestens ein Wunder auf die Fürbitte des neuen Heiligen geschehen sein.
Sobald jemand offiziell als Heiliger anerkannt worden ist, darf er verehrt und weltweit um seine Fürsprache angerufen werden. Üblicherweise sind auch Bilder des Heiligen Inhalt des Kultes.
So heißt es auch im Trienter Glaubensbekenntnis1:
Ebenso [halte ich fest], daß man die Heiligen, die zugleich mit Christus herrschen, verehren und anrufen soll, daß sie für uns Gott Gebete darbringen, daß man ihre Reliquien verehren soll. Fest behaupte ich, daß man Bilder Christi, der allzeit jungfräulichen Gottesmutter sowie der andern Heiligen haben und beibehalten soll, daß man ihnen die schuldige Ehrfurcht und Verehrung erweisen soll.
Liest man das Neue Testament, wird man von all dem nichts finden. Dabei ist im Neuen Testament oft von den Heiligen die Rede. Einige Beispiele:
Es geschah: Auf einer Reise zu den einzelnen Gemeinden kam Petrus auch zu den Heiligen in Lydda. (Apostelgeschichte 9,32)
An alle in Rom, die von Gott geliebt sind, die berufenen Heiligen: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. (Römer 1,7)
Grüßt Philologus und Julia, Nereus und seine Schwester, Olympas und alle Heiligen, die bei ihnen sind! (Römer 16,15)
Paulus, durch Gottes Willen Apostel Christi Jesu, und der Bruder Timotheus an die Kirche Gottes, die in Korinth ist, und an alle Heiligen in ganz Achaia. (2 Korinther 1,1)
Von Unzucht aber und Unreinheit jeder Art oder von Habgier soll bei euch, wie es sich für Heilige gehört, nicht einmal die Rede sein. (Epheser 5,3)
21 Grüßt jeden Heiligen in Christus Jesus! Es grüßen euch die Brüder, die bei mir sind. 22 Es grüßen euch alle Heiligen, besonders aber die aus dem Haus des Kaisers. (Philipper 4,21-22)
Bekleidet euch also, als Erwählte Gottes, Heilige und Geliebte, mit innigem Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Geduld! (Kolosser 3,12)
Aus diesen Beispielen geht hervor, dass im Sprachgebrauch des Neuen Testaments mit den „Heiligen“ einfach die Jünger Jesu oder Christen gemeint waren. Jeder Christ war ein Jünger Jesu und ein Heiliger. Heute hingegen betrachten sich viele Menschen, die von sich behaupten, keine Heiligen zu sein, dennoch als Christen und würden ungehalten reagieren, wenn man ihnen das Christsein abspräche.
Die ersten Christen konnten deswegen „Heilige“ genannt werden, weil sie sich von Gott heiligen ließen. Das bedeutete nicht, dass sie schon die Vollendung erreicht hätten, aber sie ließen Gott an sich arbeiten, dessen Willen sie zu ihrem eigenen Willen machen wollten.
[…] an die Kirche Gottes, die in Korinth ist – die Geheiligten in Christus Jesus, die berufenen Heiligen -, mit allen, die den Namen unseres Herrn Jesus Christus überall anrufen, bei ihnen und bei uns. (1 Korinther 1,2)
9 Wisst ihr denn nicht, dass Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden? Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Lustknaben, noch Knabenschänder, 10 noch Diebe, noch Habgierige, keine Trinker, keine Lästerer, keine Räuber werden das Reich Gottes erben. 11 Und solche gab es unter euch. Aber ihr seid reingewaschen, seid geheiligt, seid gerecht geworden im Namen Jesu Christi, des Herrn, und im Geist unseres Gottes. (1 Korinther 6,9-11)
Das sind die Verheißungen, Geliebte, die wir haben. Reinigen wir uns also von aller Unreinheit des Leibes und des Geistes und streben wir in Gottesfurcht nach vollkommener Heiligung. (2 Korinther 7,1)
Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Grundlegung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor ihm. (Epheser 1,4)
Jetzt aber hat er euch durch den Tod seines sterblichen Leibes versöhnt, um euch heilig, untadelig und schuldlos vor sich hintreten zu lassen. (Kolosser 1,22)
Denn Gott hat uns nicht dazu berufen, unrein zu leben, sondern heilig zu sein. (1 Thessalonicher 4,7)
Trachtet nach Frieden mit allen und nach der Heiligung, ohne die keiner den Herrn sehen wird! (Hebräer 12,14)
Wie er, der euch berufen hat, heilig ist, so soll auch eure ganze Lebensführung heilig sein. (1 Petrus 1,15)
Jeder, der diese Hoffnung auf ihn setzt, heiligt sich, so wie er heilig ist. (1 Johannes 3,3)
Der Dienst und die Verehrung, die den Heiligen geleistet werden soll, ist also nicht ein religiöser Kult vor den Bildern von Menschen vergangener Zeiten, die ihn vielen Fällen – vor allem aus der Frühzeit des Christentums – ja wirklich Heilige waren2, sondern den Dienst an Brüdern und Schwestern, die ihr Leben der Nachfolge des Herrn Jesus Christus geweiht haben.
Denn wir haben von eurem Glauben in Christus Jesus gehört und von der Liebe, die ihr zu allen Heiligen habt. (Kolosser 1,4)
Paulus sprach hier nicht von einem intensiven Heiligenkult bei den Kolossern, sondern von der Bruderliebe, die ihr Leben bestimmt hat.
42 Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen. 43 Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, 44 und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. 45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele. (Markus 10,42-45)
9 Die Liebe sei ohne Heuchelei. Verabscheut das Böse, haltet fest am Guten! 10 Seid einander in brüderlicher Liebe zugetan, übertrefft euch in gegenseitiger Achtung! […]13 Nehmt Anteil an den Nöten der Heiligen! (Römer 12,9-10.13a)
Daran haben wir die Liebe erkannt, dass er sein Leben für uns hingegeben hat. So müssen auch wir für die Brüder das Leben hingeben. (1 Johannes 3,16)
Christen beten nicht zu den Heiligen, sondern für die Heiligen:
Hört nicht auf, zu beten und zu flehen! Betet jederzeit im Geist; seid wachsam, harrt aus und bittet für alle Heiligen, […] (Epheser 6,18)
Die religiöse Verehrung verstorbener Menschen konnte deswegen aufkommen, weil die Liebe zu den Heiligen, mit denen man es im täglichen Leben in der Gemeinde zu tun hatte, erkaltet ist. An die Stelle echter Beziehungen trat ein religiöser Kult.
Der erste Schritt muss der Schritt zu Jesus Christus sein, dem einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen. Durch die Nachfolge Jesu wird man selbst zu einem Heiligen. Gott führt seine Kinder zusammen. Er weist seinen Heiligen den Weg zueinander, sodass sie in der Liebe zueinander, in der Ehre, die sie einander geben, Gott, dem allein alle Ehre gebührt, verherrlichen.
[…] wie auch Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat, 26 um sie zu heiligen, da er sie gereinigt hat durch das Wasserbad im Wort! 27 So will er die Kirche herrlich vor sich hinstellen, ohne Flecken oder Falten oder andere Fehler; heilig soll sie sein und makellos. (Epheser 5,25b-27)
- Zitiert nach: Josef Neuner – Heinrich Roos, Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung, 13. Auflage, Regensburg 1971, S.557, Nr.936. ↩
- Aber es wurden auch ganz offensichtliche Nichtchristen heiliggesprochen, wie etwa Johannes von Capistran, der sich als Judenverfolger und Inquisitor hervortat, oder der Papst Johannes Paul II, der auf seinen Reisen wiederholt an Götzendienst teilnahm. ↩