Du bist Petrus …

Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. (Matthäus 16,18)

Diese Worte, die Jesus zu seinem Jünger Simon Petrus in der Nähe der Jordanquellen bei Cäsarea Philippi gesprochen hat, gelten unter Katholiken als die wichtigste Bibelstelle zur Begründung des Papsttums. Diese Worte befinden sich daher auch in der Kuppel des Petersdoms in Rom. Petrus wird als der erste Papst gesehen, und die Bischöfe von Rom gelten als seine Nachfolger. Petrus (und mit ihm sein Nachfolger, der jeweilige Papst) sei der Fels, auf dem Jesus seine Kirche gebaut habe.

Das wird vor allem in der dogmatischen Konstitution Pastor Aeternus festgelegt, die das 1. Vatikanische Konzil am 18. Juli 1870 beschlossen hat.

Wir lehren also und erklären: Nach den Berichten des Evangeliums wurde der Jurisdiktionsprimat (Regierungsvorrang) über die ganze Kirche Gottes von Christus dem Herrn unmittelbar und direkt dem heiligen Apostel Petrus verheißen und übertragen. Denn Simon allein ist es, zu dem der Herr schon lang zuvor das Wort gesprochen hatte: „Du sollst Kephas, Fels, genannt werden. Und Simon allein ist es, an den der Herr nach dessen Bekenntnis: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“ die feierliche Erklärung richtete: „Selig bist du, Simon, Sohn des Jonas! Denn nicht Fleisch und Blut haben dir das geoffenbart, sondern mein Vater, der im Himmel ist. Und im sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will im meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen. Dir will im die Schlüssel des Himmelreimes geben. Alles, was du auf Erden binden wirst, wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein.“ Simon Petrus allein endlich verlieh Jesus nach seiner Auferstehung die oberste Hirten- und Führergewalt über seine ganze Herde mit den Worten: „Weide meine Lämmer. Weide meine Schafe.“ (Pastor Aeternus 3)

Was aber der Fürst aller Hirten und große Hüter seiner Schafe Christus Jesus der Herr, zum immerwährenden Heil und Wohl der Kirche im heiligen Apostel Petrus eingesetzt hat, das muss kraft dieser Anordnung als dauernde Einrichtung in der Kirche fortbestehen, da sie ja, auf Felsen gegründet, unerschüttert stehen wird bis zum Ende der Zeiten. Niemand kann tatsächlich daran zweifeln, ja allen Jahrhunderten ist es bekannt, dass der Fürst und das Haupt der Apostel, die Säule des Glaubens und das Fundament der katholischen Kirche, der heilige Petrus aus den Händen unsres Herrn Jesus Christus, des Heilands und Erlösers des Menschengeschlechtes, die Schlüssel des Reiches empfangen hat: Petrus, der bis zum heutigen Tag und immerfort weiterlebt und sein Herrscher- und Richteramt ausübt in seinen Nachfolgern, den Bischöfen auf dem heiligen Römischen Stuhl, den er selbst gegründet und mit seinem Blute geweiht hat. (Pastor Aeternus 6)

Ich werde mich in diesem Text vor allem mit der Stelle in Matthäus 16 beschäftigen. Die Frage nach der Verbindung zwischen der Person des Petrus und der Institution des Papsttums wird vielleicht in einem späteren Beitrag behandelt werden.

Zum Zusammenhang von Matthäus 16

13 Als Jesus in das Gebiet von Cäsarea Philippi kam, fragte er seine Jünger und sprach: Für wen halten die Menschen den Menschensohn? 14 Sie sagten: Die einen für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere für Jeremia oder sonst einen Propheten. 15 Da sagte er zu ihnen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? 16 Simon Petrus antwortete und sprach: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes! 17 Jesus antwortete und sagte zu ihm: Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel. 18 Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. 19 Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird im Himmel gelöst sein. 20 Dann befahl er den Jüngern, niemandem zu sagen, dass er der Christus sei. (Matthäus 16,13-20)

Zuerst wollte Jesus von seinen Jüngern erfahren, was die Menschen, mit denen sie zu tun hatten, über ihn dächten. Sie sahen Jesus in irgendeiner Verbindung mit einem der großen Propheten der näheren (Johannes der Täufer) oder ferneren (Elija, Jeremia) Vergangenheit. Wie sich die Menschen das genau vorgestellt haben, wenn sie Jesus für einen dieser Propheten hielten, ist hier nicht das Thema.

Anschließend forderte Jesus seine eigenen Jünger heraus, ihm zu sagen, für wen sie ihn halten. Es kam dann zu keiner Diskussion unter ihnen, sondern Simon Petrus antwortete, indem er Jesus als Messias bekannte. Es scheint, dass das für ihn so klar war, dass er es nicht für nötig befunden hat, das mit den anderen Jüngern zu besprechen. Wenn Petrus Jesus als Sohn des lebendigen Gottes bekannte, hat er zum damaligen Zeitpunkt noch nicht an die ewige Gottessohnschaft gedacht. Er hat den Begriff wohl wie bereits Nathanael verstanden, der in Johannes 1,49 Jesus als Sohn Gottes und König von Israel bekannte. Sohn Gottes war der Ehrentitel für den Messias. Das tiefere Verständnis dieses Begriffs wurde den Jüngern erst später klar.

Nachdem Petrus Jesus gesagt hatte, wer Jesus für ihn ist, sagte Jesus Petrus, wer er ist. Er sprach über den konkreten Menschen Simon Petrus, nicht über eine jahrhundertelange Abfolge von römischen Bischöfen. Weil Petrus Jesus als Messias und Sohn Gottes bekannt hat, sagte Jesus diesem Jünger eine besondere Position zu, die er in seiner Gemeinde haben werde.

Petrus – der Fels?

Im Griechischen steht das Wort Πέτρος / Pétros. Es handelt sich um eine Übersetzung des aramäischen Kefa. Das geht aus Johannes 1,42 hervor:

Er führte ihn zu Jesus. Jesus blickte ihn an und sagte: Du bist Simon, der Sohn des Johannes, du sollst Kephas heißen, das bedeutet: Petrus.

Aus Johannes 1,42 sehen wir auch, dass Simon den Beinamen Kephas / Petrus nicht erst in der Situation von Matthäus 16 erhalten hat, sondern bereits bei seiner Berufung in Johannes 1. In Matthäus 16 hat Jesus Simon an die Bedeutung dieses Beinamens erinnert, den er ihm bereits bei der Berufung gegeben hatte.

Doch was heißt Pétros oder Kefa? Beide Wörter haben die Bedeutung „Stein“, nicht „Fels“. Das hat auch der katholische Neutestamentler Rudolf Pesch in seinem 1980 erschienenen Buch „Simon-Petrus“ auf Seite 29 klar dargelegt1. Beide Wörter haben die Standardbedeutung „Stein“, können ausnahmsweise auch „Fels“ heißen.

Wer Kepha im Griechischen mit Petros wiedergab, hatte den aramäischen Sinn ‘Stein, Klumpen…’ und den griechischen Grundsinn ‘Stein, beweglicher Felsblock…’ im Auge. Daß er den Sonderfall Kepha-Fels mit dem Sonderfall Petros-Fels übersetzt haben soll, ist die unwahrscheinlichste Lösung2.

In Matthäus 16,18 verwendet Jesus zwei Wörter, die im Griechischen ähnlich lauten, aber eine unterschiedliche Bedeutung haben.

Du bist Pétros (= Stein) und auf diese Pétra (= Felsen) werde ich meine Kirche bauen.

Simon Petrus ist ein Stein, doch die Kirche oder Gemeinde wird von Jesus auf einem Felsen gebaut. Petrus war besonders in der Anfangszeit der Gemeinde von überragender Bedeutung für das Entstehen und das Wachsen der jungen Gemeinschaft der Nachfolger Jesu. Doch das Fundament der Gemeinde ist Jesus selbst, wie es auch Paulus ausgedrückt hat:

Denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus. (1 Korinther 3,11)

In Matthäus 16,16 hat Petrus bekannt, dass Jesus der Messias, der Sohn Gottes ist. In Vers 18 baut Jesus in seiner Antwort darauf auf. Dieses Bekenntnis des Petrus ist das Fundament der Kirche Jesu. Der Glaube an Jesus ist das unverrückbare Fundament der Kirche.

Dieses Verständnis finden wir auch bei Augustinus.

Denn nicht von Petrus hat die Petra, sondern Petrus von der Petra, wie Christus nicht von Christ, sondern Christ von Christus den Namen. Darum nämlich sprach der Herr: „Auf diese Petra (Fels) werde ich meine Kirche bauen“, weil Petrus gesagt hatte: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“. Auf diese Petra also, welche du bekannt hast, sagt er, werde ich meine Kirche bauen. „Der Fels nämlich war Christus“ (1 Korinther 10,4). Auf diesem Fundament ist auch Petrus selbst erbaut. Denn ein anderes Fundament kann niemand legen als das, welches gelegt ist, welches ist Christus Jesus. (Tractatus in Euangelium Iohannis 124,5)

Chrysostomus hat in seinen Homilien zum Matthäusevangelium 54,2 den Fels, auf dem die Kirche erbaut ist, auf das Bekenntnis des Petrus bezogen, also auch auf Jesus, den Petrus als den Sohn Gottes bekannt hat.

Auch Petrus hat nicht sich selbst als das Fundament der Kirche genannt, sondern Jesus als den Eckstein bezeichnet.

Dieser Jesus ist der Stein, der von euch Bauleuten verworfen wurde, der aber zum Eckstein geworden ist. (Apostelgeschichte 4,11)

4 Kommt zu ihm, dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen, aber von Gott auserwählt und geehrt worden ist! 5 Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen, zu einer heiligen Priesterschaft, um durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen! 6 Denn es heißt in der Schrift: Siehe, ich lege in Zion einen auserwählten Stein, einen Eckstein, den ich in Ehren halte; wer an ihn glaubt, der geht nicht zugrunde. 7 Euch, die ihr glaubt, gilt diese Ehre. Für jene aber, die nicht glauben, ist dieser Stein, den die Bauleute verworfen haben, zum Eckstein geworden, […] (1 Petrus 2,4-7)

Die Gläubigen sollen sich als lebendige Steine zu einem geistlichen Haus aufbauen lassen. Der Eckstein ist Jesus. Wäre Petrus das Felsenfundament der Kirche, dann hätte er gerade in seinem Brief, in dem er diese Thematik anspricht, darauf hinweisen können. Ist das nicht ein Hinweis darauf, dass Petrus die Worte Jesu in Matthäus 16 anders verstanden hat als das katholische Lehramt Jahrhunderte später?

Man könnte einwenden, dass Paulus im Epheserbrief die Apostel und Propheten als Fundament genannt hat.

20 Ihr seid auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut; der Eckstein ist Christus Jesus selbst. 21 In ihm wird der ganze Bau zusammengehalten und wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn. 22 Durch ihn werdet auch ihr zu einer Wohnung Gottes im Geist miterbaut. (Epheser 2,20-22)

Hier liegt ein etwas anderes Bild vor. Mit dem „Eckstein“ scheint hier der Schlussstein gemeint zu sein (so die Elberfelder Übersetzung), der alles zusammen hält. Die Apostel und Propheten (nicht nur Petrus) haben durch ihre Lehre, die wir in den Schriften des Neuen Testaments finden, die Grundlage der Gemeinde gelegt. Im Mittelpunkt dieser Schriften ist eindeutig Jesus Christus. Das Fundament wurde einmal gelegt und bleibt für immer. Auch hier ist keine Rede von Nachfolgern der Apostel oder des Petrus.

Die symbolische Bedeutung des Wortes „Fels“

Im Alten Testament wird an zahlreichen Stellen das Wort „Fels“ in einer symbolischen Bedeutung für Gott verwendet. Ich nenne hier einige Beispiele.

Er heißt: Der Fels. Vollkommen ist, was er tut; denn alle seine Wege sind recht. Er ist ein unbeirrbar treuer Gott, er ist gerecht und gerade. (Deuteronomium 32,4)

Keiner ist heilig wie der HERR; denn außer dir ist keiner; keiner ist ein Fels wie unser Gott. (1 Samuel 2,2)

HERR, du mein Fels und meine Burg und mein Retter; mein Gott, mein Fels, bei dem ich mich berge, mein Schild und Horn meines Heils, meine Zuflucht. (Psalm 18,3)

Er allein ist mein Fels und meine Rettung, meine Burg, ich werde niemals wanken. (Psalm 62,3)

Ihr seid meine Zeugen: Gibt es einen Gott außer mir? Es gibt keinen Fels außer mir, ich kenne keinen. (Jesaja 44,8b)

Mir ist nur eine einzige alttestamentliche Stelle bekannt, wo ein Mensch symbolisch Fels genannt wird.

1 Hört auf mich, die ihr der Gerechtigkeit nachjagt und die ihr den HERRN sucht! Blickt auf den Felsen, aus dem ihr gehauen seid, auf den Brunnenschacht, aus dem ihr herausgebohrt wurdet! 2 Blickt auf Abraham, euren Vater, und auf Sara, die euch gebar! Er war allein, als ich ihn rief. Dann habe ich ihn gesegnet, sodass er zahlreich wurde. (Jesaja 51,1-2)

Hier wird Abraham mit einem Felsen verglichen und seine Frau Sara mit einem Brunnenschacht. Hier liegt nicht das Bild eines Fundaments, auf dem aufgebaut wird, vor. Der Prophet weist das Volk auf seinen Ursprung hin, auf Abraham und seine Frau Sara. Abraham ist das „Material“, aus dem das Volk Israel gemacht wurde. Es gab im Volk Israel kein „Abrahamsamt“, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde.

Die im Alten Testament vielfach bezeugte Anwendung des Bildes des Felsen auf Gott weist auch darauf hin, dass mit dem Felsen in Matthäus 16,18 nicht ein sterblicher Mensch oder dessen Nachfolger gemeint sind, sondern Jesus, der ewige Sohn Gottes, der dem Vater wesensgleich ist. Er ist der Grund, auf dem er seine Gemeinde aufbaut. Einen anderen Grund kann niemand legen.

Auf keinen Fall kann jemand, der sich im Widerspruch zu den Worten Jesu „Heiliger Vater“ nennen lässt, das Fundament der Kirche sein.

Verlasst euch stets auf den HERRN; denn GOTT, der Herr, ist ein ewiger Fels. (Jesaja 26,4)


  1. Pesch hat auf P. Lampe, Das Spiel mit dem Petrusnamen, MATT XVI. 18, in: NTS 25 (1978/79) aufgebaut, der aramäische und griechische Quellen zu den Bedeutungen dieser Wörter in den jeweiligen Sprachen untersucht hat. Seine theologische Schlussfolgerung, dass das Wort in Matthäus 16 nicht von Jesus stammt, teile ich nicht.
  2. Lampe, S,241. 

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