Gibt es Nachfolger der Apostel?

Das griechische Wort ἀπόστολος / apóstolos heißt „Gesandter“. Im Neuen Testament wird es für Jünger Jesu verwendet, die ausgesandt wurden, um den Menschen das Evangelium zu verkünden. Manchmal wird dieses Wort in einem breiteren Sinn verwendet, vermutlich für Erstverkünder. So schreibt Paulus in Römer 16,7:

Grüßt Andronikus und Junia, die zu meinem Volk gehören und mit mir zusammen im Gefängnis waren; sie ragen heraus unter den Aposteln und haben sich schon vor mir zu Christus bekannt.

Doch meistens wird dieses Wort speziell für zwölf Jünger Jesu verwendet, die Jesus besonders auserwählt hatte, damit sie mit ihm seien und damit er sie aussende, zu verkünden und mit Vollmacht Dämonen auszutreiben. (Markus 3,14-15)

Diese zwölf Männer bildeten auch den Kern der ersten Gemeinde in Jerusalem.

Die römisch-katholische Lehre geht (ebenso wie die orthodoxe) davon aus, dass die Bischöfe die Nachfolger der Apostel seien.

So hat es z. B. das Zweite Vatikanische Konzil in der am 16. November 1964 beschlossenen dogmatischen Konstitution Lumen Gentium 20 ausgedrückt:

Jene göttliche Sendung, die Christus den Aposteln anvertraut hat, wird bis zum Ende der Welt dauern (vgl. Mt 28,20). Denn das Evangelium, das sie zu überliefern haben, ist für alle Zeiten der Ursprung jedweden Lebens für die Kirche. Aus diesem Grunde trugen die Apostel in dieser hierarchisch geordneten Gesellschaft für die Bestellung von Nachfolgern Sorge.
Sie hatten nämlich nicht bloß verschiedene Helfer im Dienstamt, sondern übertrugen, damit die ihnen anvertraute Sendung nach ihrem Tod weitergehe, gleichsam nach Art eines Testaments ihren unmittelbaren Mitarbeitern die Aufgabe, das von ihnen begonnene Werk zu vollenden und zu kräftigen. Sie legten ihnen ans Herz, achtzuhaben auf die ganze Herde, in welcher der Heilige Geist sie gesetzt habe, die Kirche Gottes zu weiden (vgl. Apg 20,28). Deshalb bestellten sie solche Männer und gaben dann Anordnung, dass nach ihrem Hingang andere bewährte Männer ihr Dienstamt übernähmen. Unter den verschiedenen Dienstämtern, die so von den ersten Zeiten her in der Kirche ausgeübt werden, nimmt nach dem Zeugnis der Überlieferung das Amt derer einen hervorragenden Platz ein, die zum Bischofsamt bestellt sind und kraft der auf den Ursprung zurückreichenden Nachfolge Ableger apostolischer Pflanzung besitzen. So wird nach dem Zeugnis des heiligen Irenäus durch die von den Aposteln eingesetzten Bischöfe und deren Nachfolger bis zu uns hin die apostolische Überlieferung in der ganzen Welt kundgemacht und bewahrt.
Die Bischöfe haben also das Dienstamt in der Gemeinschaft zusammen mit ihren Helfern, den Priestern und den Diakonen, übernommen. An Gottes Stelle stehen sie der Herde vor, deren Hirten sie sind, als Lehrer in der Unterweisung, als Priester im heiligen Kult, als Diener in der Leitung. Wie aber das Amt fortdauern sollte, das vom Herrn ausschließlich dem Petrus, dem ersten der Apostel, übertragen wurde und auf seinen Nachfolger übergehen sollte, so dauert auch das Amt der Apostel, die Kirche zu weiden, fort und muss von der heiligen Ordnung der Bischöfe immerdar ausgeübt werden. Aus diesem Grunde lehrt die Heilige Synode, dass die Bischöfe aufgrund göttlicher Einsetzung an die Stelle der Apostel als Hirten der Kirche getreten sind. Wer sie hört, hört Christus, und wer sie verachtet, verachtet Christus und ihn, der Christus gesandt hat (vgl. Lk 10,16).

Entspricht das der Lehre der Apostel?

Es gibt im Neuen Testament nur eine Stelle, in der jemand von den Aposteln neu in den Zwölferkreis aufgenommen wurde.

Nach der Himmelfahrt Jesu sprach Petrus im Kreis von etwa 120 versammelten Brüdern über die Frage eines Ersatzmannes für den zum Verräter gewordenen Judas:

21 Es ist also nötig, dass einer von den Männern, die mit uns die ganze Zeit zusammen waren, als Jesus, der Herr, bei uns ein und aus ging, 22 angefangen von der Taufe durch Johannes bis zu dem Tag, an dem er von uns ging und in den Himmel aufgenommen wurde – einer von diesen muss nun zusammen mit uns Zeuge seiner Auferstehung sein. (Apostelgeschichte 1,21-22)

Weiter heißt es:

23 Und sie stellten zwei Männer auf: Josef, genannt Barsabbas, mit dem Beinamen Justus, und Matthias. 24 Dann beteten sie: Du, Herr, kennst die Herzen aller; zeige, wen von diesen beiden du erwählt hast, 25 diesen Dienst und dieses Apostelamt zu übernehmen! Denn Judas hat es verlassen und ist an den Ort gegangen, der ihm bestimmt war. 26 Sie warfen das Los über sie; das Los fiel auf Matthias und er wurde den elf Aposteln zugezählt. (Apostelgeschichte 1,23-26)

Der neu in den Aposteldienst berufene Mann musste seit Beginn des öffentlichen Wirkens dabei gewesen sein. Ein wesentliches Charakteristikum seiner Aufgabe sollte die Bezeugung der Auferstehung Jesu sein. Vor der Ausgießung des Heiligen Geistes haben die Jünger, nachdem sie eine Vorauswahl getroffen hatten, die letzte Entscheidung dem unter Gebet geworfenen Los überlassen.

Das Kriterium, dass der Apostel ein Mann der ersten Stunde und ein Zeuge der Auferstehung sein sollte, zeigt klar die Einmaligkeit des Apostelamtes. Es kann nach der ersten Generation keinen Apostel im engeren Sinn mehr geben.

Durch ein besonderes Wirken Gottes wurde Paulus, der keiner der ersten Jünger Jesu war, sondern anfänglich sogar die Gemeinde verfolgt hatte, zum Apostel berufen. Doch da ihm der auferstandene Herr Jesus Christus erschienen ist und er von diesem gesandt wurde, konnte Paulus sich zu Recht Apostel nennen.

Bin ich nicht frei? Bin ich nicht ein Apostel? Habe ich nicht Jesus, unseren Herrn, gesehen? Seid ihr nicht mein Werk im Herrn? (1 Korinter 9,1)

Offensichtlich haben die zwölf Apostel ihren Kreis als einmalig und abgeschlossen gesehen. So kam es, dass nach dem Märtyrertod des Jakobus, des Bruders des Johannes (Apostelgeschichte 12,2) kein Ersatzmann gewählt wurde.

Als Petrus in seinem zweiten Brief über die Zeit nach dem Abbrechen seines Zeltes schrieb, hat er nicht auf einen eventuellen Nachfolger hingewiesen.

12 Darum will ich euch immer daran erinnern, auch wenn ihr es schon wisst und in der Wahrheit gefestigt seid, die jetzt gegenwärtig ist. 13 Ich halte es nämlich für richtig, euch daran zu erinnern, solange ich noch in diesem Zelt lebe, und euch dadurch wachzuhalten; 14 denn ich weiß, dass mein Zelt bald abgebrochen wird, wie mir auch unser Herr Jesus Christus offenbart hat. 15 Ich will aber dafür sorgen, dass ihr euch auch nach meinem Tod jederzeit daran erinnern könnt. (2 Petrus 1,12-15)

Die Jünger sollten sich nach seinem Tod (eigentlich steht dort Abschied oder Auszug) an die von Petrus bezeugte Wahrheit erinnern. Hätte Petrus einen Nachfolger eingesetzt, dann wäre diese Stelle der ideale Ort gewesen, auf diesen zu verweisen.1

Auch Epheser 2,20 weist in die Richtung, dass das Amt der Apostel ein historisch einmaliges war:

Ihr seid auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut; der Eckstein ist Christus Jesus selbst.

Ein Fundament wird einmal gelegt, damit darauf das Gebäude errichtet wird.

Das sagen auch die Worte über das neue Jerusalem in Offenbarung 21,14:

Die Mauer der Stadt hat zwölf Grundsteine; auf ihnen stehen die zwölf Namen der zwölf Apostel des Lammes.

Die zwölf Apostel haben den Grund gelegt, auf dem die Kirche aufgebaut wird. Dieses Fundament bleibt für alle Ewigkeit. Diese Aufgabe der Apostel war einmalig.

In dem oben angeführten vatikanischen Dokument wird auf Apostelgeschichte 20,28 verwiesen.

Gebt Acht auf euch und auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist zu Vorstehern bestellt hat, damit ihr als Hirten für die Kirche des Herrn sorgt, die er sich durch sein eigenes Blut erworben hat!

Paulus hat diese Worte an die Ältesten der Gemeinde von Ephesus gerichtet (Apostelgeschichte 20,17). Diese Brüder trugen Verantwortung in ihrer Gemeinde. Sie hatten in diesem Sinne eine Hirtenaufgabe, so wie sich ältere Geschwister um ihre jüngeren Brüder und Schwestern kümmern. Diese Aufgabe der Verantwortung füreinander wird es in der Gemeinde immer geben. Das ist jedoch nicht eine speziell apostolische Aufgabe, sondern ist in der Bruderliebe grundgelegt. Die Älteren (πρεσβύτεροι / presbýteroi) bzw. Aufseher (so die wörtliche Übersetzung des in der Einheitsübersetzung mit „Vorsteher“ wiedergegebene Wort ἐπισκόποι / episkópoi, von dem sich das deutsche Wort „Bischof“ ableitet) waren Verantwortungsträger in den jeweiligen Gemeinden, aber sie waren nicht Nachfolger der Apostel. Natürlich haben die Apostel dafür Sorge getragen, dass in den verschiedenen Gemeinden verantwortungsbewusste Brüder sich in besonderer Weise um die Gemeinde kümmerten. Doch das ist nicht das, was die Aufgabe eines Apostels im Besonderen ausmacht.

In einer Fußnote verweist Lumen Gentium auf 1 Klemens 44.

1. Auch unsere Apostel wussten durch unseren Herrn Jesus Christus, dass Streit entstehen werde um die Bischofswürde. 2. Aus diesem Grunde setzten sie auch, da sie eine genaue Kenntnis hiervon zum voraus erhalten hatten, die oben Genannten ein und gaben ihnen dazu Auftrag, dass, wenn sie entschlafen wären, andere erprobte Männer ihren Dienst übernähmen. 3. Die also von jenen oder hernach von anderen ausgezeichneten Männern unter Zustimmung der ganzen Gemeinde eingesetzten (Bischöfe), die das Hirtenamt Christi in Demut untadelig, ruhig, uneigennützig verwaltet haben, die lange Zeit hindurch von allen ein gutes Zeugnis erhalten haben, diese von ihrem heiligen Amte abzusetzen, ist nach unserer Ansicht ein Unrecht. (1 Klemens 44,1-3)

Der erste Klemensbrief wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit im Jahre 69 (nach anderen 96) verfasst. Es handelte sich um ein Schreiben der Gemeinde von Rom an die Gemeinde von Korinth, weil dort die Aufseher (ἐπισκόποι / episkópoi) abgesetzt wurden. Der in der deutschen Übersetzung verwendete Begriff „Bischofswürde“ oder „Bischöfe“ ist irreführend, da diese „Aufseher“ oder Ältesten nicht die Funktion hatten, die heute mit dem Wort „Bischof“ verbunden ist. Es gab in der Gemeinde von Korinth nicht einen Bischof, so wie es heute pro Diözese in der Regel einen einzigen Bischof gibt, sondern es handelte sich um ein Kollegium von verantwortlichen Brüdern. Das Thema ist hier nicht die Nachfolge der Apostel, sondern ob es zulässig war, die von den Aposteln für die konkrete Gemeinde von Korinth eingesetzten Ältesten abzusetzen.

Es ist nicht zulässig, historisch gewachsene aber den Worten Jesu widersprechende Machtstrukturen durch unkorrekte Berufung auf alte Schriften zu rechtfertigen.

Auch die Verkündigung des Evangeliums ist nicht eine speziell apostolische Aufgabe, auch wenn die Apostel in der Anfangszeit oft die Pioniere darin waren. Jeder, der Jesus nachfolgt, möchte den Schatz des Evangeliums mit anderen teilen. Auch das Dokument Lumen Gentium drückt im Abschnitt 33 aus, dass die Weitergabe des Evangeliums die Aufgabe aller, sogar der „Laien“ ist:

So obliegt allen Laien die ehrenvolle Bürde, dafür zu wirken, dass der göttliche Heilsratschluß mehr und mehr alle Menschen aller Zeiten und überall auf der Erde erreiche.

Wenn man die Evangeliumsverkündigung als besondere Aufgabe der Apostel betrachtet, dann wären alle Gläubigen Nachfolger der Apostel. Doch war auch schon in apostolischer Zeit die Weitergabe der Frohen Botschaft ein Herzensanliegen jedes Gläubigen.

Zum Thema einer Hierarchie hat Jesus gesagt:

8 Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder. 9 Auch sollt ihr niemanden auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel. 10 Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen; denn nur einer ist euer Lehrer, Christus. 11 Der Größte von euch soll euer Diener sein. 12 Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden. (Matthäus 23,8-12)

Dass gerade die, die diese Worte Jesu missachten, die Nachfolger der Apostel sein sollten, wäre höchst erstaunlich.

Die Lehre der Apostel finden wir grundgelegt in den Schriften des Neuen Testaments. Daran sollen wir uns halten.

Geliebte, da es mich sehr drängte, euch über unsere gemeinsame Rettung zu schreiben, hielt ich es für notwendig, euch mit diesem Brief zu ermahnen: Kämpft für den Glauben, der den Heiligen ein für alle Mal übergeben ist! (Judas 3)


  1. Ich gehe davon aus, dass beide Petrusbriefe vom Apostel Simon Petrus stammen (mehr dazu gibt es hier zu lesen). Doch selbst im Fall, dass der zweite Petrusbrief eine spätere Fälschung wäre, müsste man erwarten, dass an dieser Stelle auf einen Nachfolger des Apostels verwiesen würde. In diesem Falle wäre dieser Brief ein Hinweis darauf, dass es im frühen 2. Jahrhundert, als dieser Brief angeblich abgefasst wurde, noch kein sich auf Petrus berufendes römisches Bischofsamt gab. 

Kommentare sind geschlossen.

Bloggen auf WordPress.com.

Nach oben ↑