War Petrus der erste Bischof von Rom?

Wenn wir die Fragestellung außer acht lassen, was Jesus bei seinen Worten an Petrus in Matthäus 16,18, Lukas 22,32 und Johannes 21,15-17 genau gemeint hat, oder ob Petrus und andere Apostel überhaupt Nachfolger im Apostelamt haben konnten, kommen wir, wenn wir nach der Begründung des Papsttums fragen, an der Frage, ob Petrus der erste Bischof der Christengemeinde von Rom war, nicht vorbei.

Nach römisch-katholischem Verständnis war Petrus der erste Bischof von Rom. Aus diesem Grunde seien die auf ihn folgenden römischen Bischöfe als seine Nachfolger in der Führung der Weltkirche und als das Fundament, auf dem Christus die Kirche erbaut hat, zu betrachten.

War Petrus in Rom?

In ihrer Ablehnung des Papsttums wurde von manchen Protestanten behauptet, dass Petrus überhaupt nie in Rom gewesen sei. In diesem Fall wäre dem Papsttum die Grundlage entzogen. Wenn Petrus nie in Rom war, konnte er auch nicht römischer Bischof sein und kein späterer römischer Bischof kann den Anspruch erheben, Nachfolger Petri zu sein.

Doch diese radikale Lösung ist nicht möglich. Die Annahme, dass Petrus in Rom war und dort den Märtyrertod gestorben ist, ist gut begründet. Dafür spricht das Zeugnis von 1 Petrus 5,13:

Es grüßt euch die mitauserwählte Gemeinde in Babylon und Markus, mein Sohn.

Es ist wahrscheinlicher, dass „Babylon“, wie auch im Buch der Offenbarung ein Deckname für Rom ist, als dass hier das alte Babylon in Mesopotamien oder eine römische Militärkolonie in Ägypten gemeint ist.

Auch wenn jemand den 1. Petrusbrief unbegründeterweise als Fälschung betrachtet, ist dieser Vers als ein Hinweis auf einen Aufenthalt Petri in Rom zu verstehen, da ja der Fälscher seinen Brief möglichst plausibel darstellen wollte.

In 1 Klemens 5 wird Petrus unter den Opfern der neronischen Verfolgung genannt.

1. Aber, um mit den alten Beispielen aufzuhören, wollen wir nun auf die Kämpfer der neuesten Zeit kommen; wir wollen die hervorstechendsten Beispiele unseres Zeitalters herausgreifen. 2. Wegen Eifersucht und Neid haben die größten und gerechtesten Männer, Säulen waren sie, Verfolgung und Kampf bis zum Tode getragen. 3. Stellen wir uns die guten Apostel vor Augen: 4. einen Petrus, der wegen ungerechter Eifersucht nicht ein oder zwei, sondern vielerlei Mühseligkeiten erduldet hat und, nachdem er so sein Zeugnis (für Christus) abgelegt hatte, angelangt ist an dem ihn gebührenden Orte der Herrlichkeit. (1 Klemens 5,1-4)

Dieser Brief war ein Schreiben der römischen Gemeinde an die Gemeinde von Korinth, möglicherweise im Jahr 69 verfasst. Die „Kämpfer der neuesten Zeit“ waren die Christen, die kurz zuvor während der Verfolgung durch Nero ermordet wurden. Wenn Petrus in diesem Zusammenhang genannt wird, legt sich nahe, dass auch er in Rom um diese Zeit als Zeuge Jesu sein Leben gelassen hat.

War Petrus Bischof von Rom?

Doch bedeutet der Aufenthalt Petri in Rom, dass er auch der Bischof der dortigen Gemeinde war?

Es gibt keine zuverlässigen Quellen über die Entstehung der Gemeinde von Rom. Da bereits bei der „Gründung“ der Gemeinde durch die Ausgießung des Heiligen Geistes zu Pfingsten im Jahre 30 auch Festpilger aus Rom anwesend waren (Apostelgeschichte 2,10), ist es möglich, dass schon damals die Gemeinde von Rom entstanden ist. Manche dieser Festpilger konnten Jünger Jesu geworden sein und nach ihrer Rückkehr nach Rom die dortige Gemeinde gegründet haben.

Im Jahre 49 muss es schon eine Christengemeinde in Rom gegeben haben, da die von Apostelgeschichte 18,2 und Sueton (Divus Claudius 25,4) bezeugte Vertreibung der „von Chrestus aufgehetzten“ („impulsore Chresto“) Juden aus Rom mit größter Wahrscheinlichkeit voraussetzt, dass es um Streitigkeiten wegen Christus ging.

Manche nehmen an, dass Petrus nach seiner wunderbaren Befreiung aus dem Gefängnis (Apostelgeschichte 12,6-18) nach Rom gereist sei. In Apostelgeschichte 12,17 heißt es aber nur, dass er „an einen anderen Ort“ ging.

Im Römerbrief, den Paulus im Jahre 57 schrieb, wird ein Aufenthalt Petri nicht erwähnt, was dafür spricht, dass Petrus damals nicht in Rom war. Möglicherweise hat Paulus aber Petrus, um ihn zu schützen, nicht erwähnt. Es bleibt also offen, wann Petrus nach Rom gekommen ist.

Auch wenn wir überhaupt nichts Näheres über den Aufenthalt Petri in Rom wissen, dürfen wir annehmen, dass Petrus als Apostel Jesu unter den römischen Christen in hohem Ansehen stand und sein Wort von Gewicht war. Das macht ihn aber noch nicht zu einem „Bischof“ der Gemeinde.

Das Neue Testament kennt zwar das Wort episkopos, von dem sich das deutsche Wort „Bischof“ ableitet. Aber dieses Wort meint an keiner Stelle einen „Bischof“ im späteren Sinn. Es gab kein „monarchisches“ Bischofsamt, in dem ein einziger Mann die Leitung über eine Gemeinde innehatte. Es gab immer mehrere vertrauenswürdige Brüder, denen die Hauptverantwortung für eine Gemeinde übertragen war. So heißt es in Philipper 1,1:

Paulus und Timotheus, Knechte Christi Jesu, an alle Heiligen in Christus Jesus, die in Philippi sind, mit ihren Vorstehern und Helfern.

Für die „Vorsteher“ steht im Griechischen episkopoi.

Im Römerbrief erwähnt Paulus keinen „Bischof“ von Rom. Auch die Apostelgeschichte erwähnt im Zusammenhang mit der Ankunft von Paulus in Rom kein derartiges Amt.

Die Gemeinde von Rom versammelte sich in Privathäusern, und so hatte wohl jede Hausgemeinde ihre Verantwortungsträger. Warum sollte Petrus, als er nach Rom kam, in die funktionierende Struktur dieser Gemeinde eingreifen? In 1 Petrus 5,1 nannte er sich „Mitältester“. Er verstand sich nicht als der „Oberhirte“, ein Titel, der in späterer Zeit für den Papst verwendet wurde. Für Petrus war der oberste Hirte Jesus Christus.

Wenn dann der oberste Hirt erscheint, werdet ihr den nie verwelkenden Kranz der Herrlichkeit empfangen. (1 Petrus 5,4)

Es gibt also keinen Hinweis darauf, dass Petrus in Rom etwas Ähnliches wie ein Bischofsamt ausgeübt hätte.

Folgte auf Petrus ein Bischof von Rom?

Petrus schrieb:

12 Darum will ich euch immer daran erinnern, auch wenn ihr es schon wisst und in der Wahrheit gefestigt seid, die jetzt gegenwärtig ist. 13 Ich halte es nämlich für richtig, euch daran zu erinnern, solange ich noch in diesem Zelt lebe, und euch dadurch wachzuhalten; 14 denn ich weiß, dass mein Zelt bald abgebrochen wird, wie mir auch unser Herr Jesus Christus offenbart hat. 15 Ich will aber dafür sorgen, dass ihr euch auch nach meinem Tod jederzeit daran erinnern könnt. (2 Petrus 1,12-15)

Er schrieb über die Zeit nach dem „Abbrechen seines Zeltes“, also über die Zeit nach seinem Tod. Sein Brief hatte das Ziel, seine Leser an die Grundlagen des christlichen Glaubens zu erinnern. Warum hat Petrus nicht auf seinen Nachfolger verwiesen, an den sie sich vertrauensvoll wenden sollten, der als Papst die Unfehlbarkeit in Fragen des Glaubens und der Sittenlehre besäße? Er hat das mit keinem Wort getan. Wäre der 2. Petrusbrief, wie heute allgemein angenommen wird, ein erst mehrere Jahrzehnte nach dem Tod von Petrus verfasstes Dokument, müssten wir noch viel mehr einen Hinweis auf den Nachfolger des Apostelfürsten erwarten, den es zur Zeit der Niederschrift ja gegeben haben müsste.

Aus mehreren Dokumenten können wir entnehmen, dass es in den Jahrzehnten nach dem Tod von Petrus, der zwischen 65 und 67 angenommen werden muss, keinen römischen Bischof gab. Die römische Gemeinde hielt auch nach der neronischen Verfolgung an der urchristlichen Gemeindestruktur mit mehreren Ältesten fest.

Der 1. Klemensbrief war kein Schreiben von „Papst Klemens I.“ an die Korinther, sondern ein Schreiben der Gemeinde von Rom an die Gemeinde von Korinth. Klemens war einer der Ältesten der römischen Gemeinde, der diesen Brief auch verfasst haben mag. In diesem Brief geht es um die Ältesten von Korinth, die von der Gemeinde abgesetzt wurden. Die Korinther werden deswegen ermahnt. Im Brief ist nie von einem monarchischen Bischofsamt – weder in Korinth noch in Rom – die Rede. Die Begriffe episkopos („Bischof“) und presbyteros („Ältester“) werden in Kapitel 44 ebenso wie in der Bibel (Apostelgeschichte 20,17.28; Titus 1,5.7) austauschbar verwendet.

Ein anderes altes Dokument aus der Gemeinde von Rom ist der „Hirte des Hermas„, eine Schrift aus dem späten 1. oder frühen 2. Jahrhundert. Die Gemeindestruktur ist kein Hauptthema, wird aber manchmal am Rande gestreift.

Du wirst zwei Abschriften fertigen und eine dem Klemens, eine der Grapte senden. Klemens wird es an die auswärtigen Städte schicken, das ist ihm aufgetragen worden; Grapte wird die Witwen und Waisen mahnen. Und du wirst es in dieser Stadt gemeinsam mit den Presbytern, den Vorstehern der Kirche, vorlesen. (Hermas, 2. Gesicht, 4,3)

Die Presbyter sind die Vorsteher. Von einem übergeordneten „Bischof“ ist keine Rede. Auch in anderen Stellen werden presbyteroi und episkopoi nur in der Mehrzahl genannt (3. Gesicht, 1,8; 5,1; 9. Gleichnis 27,2). Hätte es damals in Rom einen monarchischen Bischof gegeben, hätte das Spuren in diesem in Rom verfassten Werk hinterlassen.

Auch Ignatius von Antiochien erwähnt in seinem Brief an die Römer keinen Bischof von Rom. Das fällt deswegen auf, weil er in allen anderen von ihm erhaltenen Briefen das Bischofsamt und den dem Bischof zu leistenden Gehorsam erwähnt. Er hat seine Briefe um 110 auf dem Weg nach Rom geschrieben, wo er durch einen Tierkampf getötet werden sollte. Ignatius war ein großer Förderer des monarchischen Bischofsamts, dass damals im Entstehen war, aber in Rom noch nicht gab.

Das setzt voraus, dass es in Rom mindestens bis 110, also mehr als vierzig Jahre nach dem Tod von Petrus keinen Bischof gab. Der katholische Historiker Norbert Brox nahm sogar an, dass das monarchische Bischofsamt in Rom nicht vor 140-150 eingeführt wurde.1

Wie ist das mit der Papstliste?

In der katholischen Kirche gibt es eine offizielle Liste aller (bis jetzt) 266 Päpste von Petrus bis (derzeit) Franziskus (z. B. in der Fußleiste von vatican.va). Das erweckt den Eindruck einer ununterbrochenen Reihenfolge von römischen Bischöfen seit Petrus. Diese Liste geht in ihren Anfängen auf Irenäus von Lyon zurück.

Nachdem also die seligen Apostel die Kirche gegründet and eingerichtet hatten, übertrugen sie dem Linus den Episkopat zur Verwaltung der Kirche. Diesen Linus erwähnt Paulus in seinem Briefe an Timotheus. Auf ihn folgt Anacletus. Nach ihm erhält an dritter Stelle den Episkopat Klemens, der die Apostel noch sah und mit ihnen verkehrte. […] Auf genannten Klemens folgte Evaristus, auf Evaristus Alexander, als sechster von den Aposteln wurde Sixtus aufgestellt, nach diesem kam Telesphoros, der glorreiche Märtyrer, dann Hyginus, dann Pius, dann Anicetus. Nachdem dann auf Anicetus Soter gefolgt war, hat jetzt als zwölfter von den Aposteln Eleutherius den Episkopat inne. (Irenäus, Gegen die Häresien, III,3,3)

Irenäus verfasste dieses Werk ca. 180. Zu seiner Zeit war das monarchische Bischofsamt schon eine feste Institution. Er hat diese Namen nicht erfunden, wohl aber falsch interpretiert. Er hat Namen von Ältesten der römischen Gemeinde, die zeitgleich ihren Dienst an den Brüdern leisteten, in einer chronologischen Reihenfolge gesehen. Das wird daraus ersichtlich, dass andere Quellen dieselben Namen in einer etwas anderen Folge nennen.

So ist nach Tertullian (Die Prozesseinreden gegen die Häretiker 32) Klemens von Petrus ordiniert worden. Nach Irenäus war Klemens erst der dritte auf Petrus folgende Bischof.

Hieronymus nennt in De viris illustribus 15 Klemens den vierten Bischof von Rom, obwohl die meisten Lateiner denken, dass er der zweite nach dem Apostel gewesen sei. Hieronymus kannte also beide Traditionen.

Augustinus bot in seinem Brief an Generosus (Brief 53,2) die Reihenfolge: Petrus, Linus, Klemens, Anakletus.

Klemens folgte in unterschiedlichen Traditionen entweder unmittelbar auf Petrus oder war erst sein zweiter oder dritter Nachfolger.

Diese unterschiedlichen Überlieferungen lassen sich harmonisieren, wenn Linus, Klemens, Anakletus gleichzeitig Älteste in Rom waren. In einer späteren Zeit, als das monarchische Bischofsamt feste Realität war, wurden diese Ältesten in eine chronologische Reihenfolge gebracht.

Auch diese verschiedenen Traditionen sprechen dafür, dass es in Rom nach dem Tod von Petrus keinen monarchischen Bischof gab.

Ergebnis

Weder Petrus noch die in der Papstliste auf ihn folgenden „Bischöfe“ hatten ein monarchisches Bischofsamt inne. Darum kann kein späterer Bischof von Rom sich darauf berufen, Nachfolger Petri zu sein. Dem Papsttum fehlt nicht nur die biblische, sondern auch die historische Grundlage.

Denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus. (1 Korinther 3,11)


  1. Norbert Brox, Das Papsttum in den ersten drei Jahrhunderten: Das Papsttum, I. Von den Anfängen bis zu den Päpsten in Avignon; Hsg. M. Greschat, Stuttgart 1984, S. 29. 

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