In 2 Samuel 11 lesen wir über den Ehebruch Davids mit Batseba, der Frau des Hetiters Urija, eines seiner Elitesoldaten (2 Samuel 23,39). Batseba wurde schwanger. David versuchte erfolglos, die Schwangerschaft Urija, den er von der Front zurückgerufen hatte, anzuhängen. Da Urija aus Solidarität mit seinen Kampfgefährten nicht bei seiner Frau übernachten wollte, ließ David ihn im Kampf gegen die Ammoniter zu Tode kommen. Anschließend nahm der König Batseba zur Frau.
Dieser Ehebruch mit anschließendem Mord wirft einen dunklen Schatten auf den sonst so gottesfürchtigen König. Der biblische Autor drückte es so aus:
In den Augen des HERRN aber war böse, was David getan hatte. (2 Samuel 11,27c)
2 Samuel 12 berichtet über den darauffolgenden Besuch des Propheten Natan bei David. Der Prophet erzählte dem König eine Geschichte:
In einer Stadt lebten einst zwei Männer; der eine war reich, der andere arm. 2 Der Reiche besaß sehr viele Schafe und Rinder, 3 der Arme aber besaß nichts außer einem einzigen kleinen Lamm, das er gekauft hatte. Er zog es auf und es wurde bei ihm zusammen mit seinen Kindern groß. Es aß von seinem Stück Brot und es trank aus seinem Becher, in seinem Schoß lag es und war für ihn wie eine Tochter. 4 Da kam ein Besucher zu dem reichen Mann und er brachte es nicht über sich, eines von seinen Schafen oder Rindern zu nehmen, um es für den zuzubereiten, der zu ihm gekommen war. Darum nahm er dem Armen das Lamm weg und bereitete es für den Mann zu, der zu ihm gekommen war. 5 Da geriet David in heftigen Zorn über den Mann und sagte zu Natan: So wahr der HERR lebt: Der Mann, der das getan hat, verdient den Tod. 6 Das Lamm soll er vierfach ersetzen, weil er das getan und kein Mitleid gehabt hat. 7 Da sagte Natan zu David: Du selbst bist der Mann. (2 Samuel 12,1b-7a)
Danach konfrontierte ihn Natan direkt mit seiner Sünde:
Aber warum hast du das Wort des HERRN verachtet und etwas getan, was ihm missfällt? Du hast den Hetiter Urija mit dem Schwert erschlagen und hast dir seine Frau zur Frau genommen; durch das Schwert der Ammoniter hast du ihn umgebracht. (2 Samuel 12,9)
Er kündigte ihm auch an, dass das Schwert nicht mehr aus seinem Haus weichen werde, dass sich aus seinem eigenen Haus Unheil gegen ihn erheben werde.
Darauf sagte David zu Natan: Ich habe gegen den HERRN gesündigt. Natan antwortete David: Der HERR hat dir deine Sünde vergeben; du wirst nicht sterben. (2 Samuel 12,13)
In den Samuelbüchern der Bibel stellen die Kapitel 11 und 12 von 2 Samuel einen Wendepunkt im Leben des Königs dar. Ohne das Wissen über die Sünde und die Umkehr Davids wäre die Darstellung unvollständig.
Da der Koran auch über David berichtet, müsste man sich erwarten, dass auch dort von seiner Sünde die Rede ist. So direkt ist keine Rede davon.
Anspielungen finden wir jedoch in Sure 38:
17 Ertrage standhaft, was sie sagen. Und gedenke Unseres Dieners Dāwūd, des Kraftvollen. Gewiß, er war immer wieder umkehrbereit. 18 Wir machten ja die Berge dienstbar, daß sie mit ihm zusammen abends und bei Sonnenaufgang (Allah) preisen, 19 und auch die (in Scharen) versammelten Vögel. Alle waren immer wieder zu ihm umkehrbereit. 20 Und Wir festigten seine Herrschaft und gaben ihm die Weisheit und die Entschiedenheit im Spruch. 21 Ist zu dir die Kunde von den Widersachern gekommen? Als sie über die Mauern in die Andachtsräume einstiegen. 22 Als sie bei Dāwūd eintraten. Da erschrak er vor ihnen. Sie sagten: „Fürchte dich nicht. (Wir sind) zwei Widersacher, von denen der eine den anderen unterdrückt hat. So urteile zwischen uns der Wahrheit entsprechend, handle nicht ungerecht und führe uns zum rechten Weg. 23 Dieser da, mein Bruder, hat neunundneunzig weibliche Schafe, ich aber (nur) ein einziges Schaf. Dann sagte er: ‚Vertraue es mir an‘, und er überwand mich in der Rede.“ 24 Er sagte: „Er hat dir Unrecht getan, daß er dein Schaf zu seinen Schafen hinzu verlangte. Gewiß, viele von den Teilhabern begehen gegeneinander Übergriffe, außer denjenigen, die glauben und rechtschaffene Werke tun – und das sind nur wenige.“ Und Dāwūd verstand, daß Wir ihn nur der Versuchung ausgesetzt hatten. Da bat er seinen Herrn um Vergebung und fiel in Verbeugung nieder und wandte sich (Ihm) reuig zu. 25 Und so vergaben Wir ihm dies. Für ihn wird es fürwahr (den Zutritt in) Unsere Nähe und eine schöne Heimstatt geben. 26 O Dāwūd, Wir haben dich zu einem Statthalter auf der Erde gemacht. So richte zwischen den Menschen der Wahrheit entsprechend und folge nicht der Neigung, auf daß sie dich nicht von Allahs Weg abirren läßt, denn für diejenigen, die von Allahs Weg abirren, wird es strenge Strafe dafür geben, daß sie den Tag der Abrechnung vergessen haben. (Sure 38,17-26)
Von der Sünde Davids ist direkt nicht die Rede. In Vers 17 heißt es, dass er „immer wieder umkehrbereit“ war. Dieser Versteil wird jedoch unterschiedlich übersetzt. Abu Rida übersetzt: „Er war gehorsam.“ Andere deutsche Übersetzungen sehen aber auch einen Hinweis auf Davids Umkehrbereitschaft. Etwas abgeschwächt wird diese Umkehrbereitschaft durch Vers 19, in dem dasselbe über die Vögel gesagt wird.
In Vers 24 ist aber klar Davids Bitte um Vergebung ausgedrückt und in Vers 25, dass ihm vergeben wurde. Die Sünde wird jedoch nicht genannt. Es heißt in Vers 24 nur, dass David verstand, dass Allah ihn nur der Versuchung ausgesetzt hatte. Aber worum David um Vergebung bat, erfährt der Leser nicht.
In Vers 26 wird David aufgefordert, nicht „der Neigung“ zu folgen, was man als sehr entfernte Anspielung auf sexuelle Begierden verstehen könnte.
Dass der koranische Autor 2 Samuel 12 im Hintergrund hatte, ist offensichtlich. Wahrscheinlich kannte er nicht den biblischen Text direkt, wohl aber eine mündliche Überlieferung, die auf diesem basierte. Vom Propheten Natan ist keine Rede. Die von Natan vorgebrachte Geschichte hat sich verselbständigt, indem die beiden Kontrahenten direkt zu David in seine Andachtsräume einstiegen und ihm ihr Anliegen vorbrachten. Die Geschichte hat im Koran aber ihre Lebendigkeit und Schärfe verloren. Laut Heinrich Speyer1 scheint auf Matthäus 18,12 zurückzuführen zu sein, dass die „sehr vielen Schafe und Rinder“ aus 2 Samuel 12,2 im Koran zu neunundneunzig Schafen werden. Es ist durchaus möglich, dass im Laufe der mündlichen Weitergabe und Überformung biblischer Texte derartige Vermischungen vorkommen.
Wenn man nur den koranischen Text liest, versteht man den Zusammenhang zwischen dem Anliegen der beiden bei David eingestiegenen Männer und der Vergebung, die David empfangen hat, nicht. Der deutschsprachige Tafsir schreibt zu den Versen 23-25 nur:
38:23-25 – „Bruder“ bedeutet nicht unbedingt ein leiblicher Bruder, sondern bezeichnet auch einen Glaubensbruder oder einen Stammesbruder. Der geschädigte Bruder brachte seine Klage in einer angenehmen Form vor. Hier gibt David (a.s.) sein Urteil ab.
Über die Vergebung, die David gewährt wurde, wird kein Wort verloren.
Warum wird im Koran diese Begebenheit so unvollständig dargestellt, sodass man sie, wie auch in anderen Fällen, wie etwa beim Propheten Jona, ohne biblisches Hintergrundwissen nicht verstehen kann? Will die Sünde verheimlicht werden? David hat die Sünde ja bekannt. Ohne Davids Willen wäre sie nicht in der Heiligen Schrift niedergeschrieben worden. David hat nach der Ermahnung durch Natan akzeptiert, dass sein Fehlverhalten nicht verheimlicht wird.
Sollte im Islam ein Idealbild eines Propheten oder Gesandten aufrecht erhalten werden? In nachkoranischer Zeit wurde die Lehre von der Sündlosigkeit der Propheten entwickelt. Dazu passen die von der Bibel überlieferten Sünden Davids natürlich nicht. Aber auch die koranische Version passt nicht dazu, da die dem David gewährte Vergebung auch eine Sünde voraussetzt.
Nach biblischem Maßstab war auch Mohammed ein Ehebrecher. Er hat nach Sure 33,37 die Frau seines Adoptivsohns geheiratet, der um den Wünschen Mohammeds zu entsprechen, sich von dieser trennte. Nach den Worten Jesu in Lukas 16,18 ist das Ehebruch. Mehr dazu im Beitrag über Sure 33. Sollte das Schweigen über Davids Ehebruch dafür sorgen, dass Mohammeds Vergehen nicht in den Fokus geraten?
Anders als David, der trotz seiner Sünden auf Gott hörte, hatte Mohammed keinen Propheten wie Natan oder auch Johannes den Täufer zur Seite, der ihn ermahnt und seine Sünden aufgezeigt hätte. So hat es Mohammed tatsächlich geschafft, seinen Ehebruch als eine Anordnung Allahs darzustellen, ohne dass ihm jemand dieses ungeheure Unrecht aufgezeigt hätte.
David hat sich gedemütigt und die Vergebung Gottes empfangen. Von Mohammed kann man das leider nicht sagen.
Befreie mich von Blutschuld, Gott, du Gott meines Heils, dann wird meine Zunge jubeln über deine Gerechtigkeit! (Psalm 51,16)
- Heinrich Speyer, Die biblischen Erzählungen im Qoran, 3. Nachdruckauflage, Hildesheim 1988, S.378-379. ↩