20 O Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst? Sagt etwa das Werk zu dem, der es geschaffen hat: Warum hast du mich so gemacht? 21 Ist nicht vielmehr der Töpfer Herr über den Ton? Kann er nicht aus derselben Masse ein Gefäß herstellen zu ehrenhaftem, ein anderes zu unehrenhaftem Gebrauch? 22 Wie aber, wenn Gott in der Absicht, seinen Zorn zu zeigen und seine Macht zu erweisen, die zur Vernichtung bereiteten Gefäße des Zorns mit großer Langmut ertragen hat, 23 auch um den Reichtum seiner Herrlichkeit an den Gefäßen des Erbarmens zu erweisen, die er zuvor zur Herrlichkeit bestimmt hat? 24 Sie hat er auch berufen, das sind wir, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Heiden.
(Römer 9,20-24)
Das 9. Kapitel des Römerbriefs, in dem es vor allem um das Problem der Erwählung oder Verwerfung des Volkes Israel geht, ist einer der wichtigsten Pfeiler für die Vertreter der Prädestinationslehre, derzufolge Gott seit Ewigkeit vorherbestimmt habe, wer gerettet und wer verdammt werden soll. Ein wichtiger Punkt darin ist das Bild von den verschiedenen Gefäßen. Um dieses Bild geht es in diesem Beitrag.
Paulus verwendet das Bild in unterschiedlicher Hinsicht. Er spricht von vier verschiedenen Arten von Gefäßen, die jeweils paarweise einander gegenübergestellt werden.
In Vers 21 geht es um Gefäße zu (a) ehrenhaftem und zu (b) unehrenhaftem Gebrauch, in den Versen 22 und 23 ist die Rede von den (c) Gefäßen des Zorns im Gegensatz zu den (d) Gefäßen des Erbarmens.
Meines Erachtens ist es nicht richtig, die Gefäße zu unehrenhaftem Gebrauch mit den Gefäßen des Zorns gleichzusetzen, da es in beiden Vergleichen um unterschiedliche Aspekte geht.
Gefäße zur Ehre und zur Unehre
Das Bild von Gefäßen zum ehrenhaften oder unehrenhaften Gebrauch (wörtlich: zur Ehre oder zur Unehre) verwendet Paulus auch in 2 Timotheus 2,20:
In einem großen Haus gibt es nicht nur Gefäße aus Gold und Silber, sondern auch solche aus Holz und Ton – die einen für ehrenhaften, die anderen für unehrenhaften Gebrauch.
Im Zusammenhang geht es um das Haus Gottes, die Gemeinde. Diejenigen in der Gemeinde, die sich von den in den Versen 17 und 18 genannten Irrlehren und Irrlehrern reinhalten, gleichen
[…] einem Gefäß zu ehrenhaftem Gebrauch, geheiligt, brauchbar für den Hausherrn, zu jedem guten Werk tauglich. (2 Timotheus 2,21)
Beim „Reinhalten“ dürfte es nicht nur um das bloße Distanzieren gehen, sondern auch darum, sich den falschen Lehren und deren Vertretern aktiv entgegenzusetzen, was nicht von allen Gemeindegliedern zu erwarten war.
Doch geht es dort grundsätzlich um Gefäße, die alle zum Haushalt gehörten. Nicht nur das kostbare Tafelgeschirr gehört zum Haushalt, sondern auch der Aufwascheimer. Da geht es nicht um Rettung oder Verdammnis, sondern um unterschiedliche Aufgaben. Es ist klar, dass das Augenmerk des Apostels auf den Gefäßen zur Ehre liegt, da er ja dazu auffordert, alles zu tun, um zu den ehrenvollen Gefäßen zu gehören, und er daher nichts über die Gefäße zum unehrenvollen Gebrauch schreibt. Aber er setzt voraus, dass auch diese zum Haus gehören.
Darum denke ich, dass auch in Römer 9,21 sowohl die Gefäße zur Ehre als auch die zur Unehre nicht grundsätzlich negativ zu verstehen sind. Gott kann entscheiden, wozu er jemanden einsetzt. Das Beispiel aus 2 Timotheus 2 zeigt aber, dass Gott hier nicht ohne die Entscheidung jedes einzelnen entscheidet. Paulus ruft ja dazu auf, sich von den Irrlehrern reinzuhalten. Die Verwendung desselben Bilds in 2 Timotheus spricht gegen die Prädestination.
Bezüglich des möglichen Einwands, dass der Zweite Timotheusbrief nicht von Paulus geschrieben wurde, verweise ich auf diesen Artikel dazu. Aber sogar wenn dieser Brief nicht von Paulus geschrieben worden wäre, würde er zeigen, dass der Autor von 2 Timotheus, der das Bild von den Gefäßen zur Ehre und Unehre aus dem Römerbrief aufgegriffen hat, dieses Bild nicht im Sinne der Vorherbestimmung verstanden hat.
Gefäße des Zorns und des Erbarmens
Anders verhält es sich mit den Gefäßen des Zorns und den Gefäßen des Erbarmens. Hier geht es um Rettung und Verlorensein. Die Gefäße des Zorns sind zur „Vernichtung“ bereitet.
Es stellt sich die Frage, ob Gott die Gefäße des Zorns bereits als solche geschaffen hat.
Gott hat diese Gefäße mit großer Langmut ertragen. Das erinnert an Römer 2,4-5:
4 Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut? Weißt du nicht, dass Gottes Güte dich zur Umkehr treibt? 5 Weil du aber starrsinnig bist und dein Herz nicht umkehrt, sammelst du Zorn gegen dich für den Tag des Zornes, den Tag der Offenbarung von Gottes gerechtem Gericht.
Gottes Langmut und Güte treiben den Sünder zur Umkehr. Wer dennoch in seinem Starrsinn verharrt und nicht umkehrt, sammelt den Zorn für den Tag des Gerichts. Römer 2,4–5 spricht eindeutig gegen die Vorherbestimmung zum Himmel oder zur Hölle. Gott treibt den Sünder in seiner Güte und Langmut zur Umkehr. Sein Wille ist die Rettung aller Menschen (1 Timotheus 2,4). Aber er akzeptiert, dass ein Mensch in seinem Starrsinn sich dem guten Willen Gottes widersetzt und in sein Verderben läuft.
Was würden wir über einen Töpfer denken, der Gefäße bewusst mit der Absicht herstellt, sie zu zerstören, diese aber zugleich „mit großer Langmut“ erträgt? Würden wir nicht an der geistigen Gesundheit eines solchen Menschen zweifeln? Und Paulus sollte Gott auf so einer Ebene darstellen? Wäre das nicht eine offensichtliche Gotteslästerung?
Was heißt aber, dass Gott die Absicht hatte, seinen Zorn zu zeigen?
Wir sehen Zorn vor allem als eine Emotion, einen Ausbruch der Gefühle. Wer zornig ist, hat sich selbst nicht in der Hand. Wenn in der Bibel vom Zorn Gottes die Rede ist, kann es nicht um einen Gefühlsausbruch gehen. Gott ist kein wankelmütiges, gefühlsabhängiges Wesen.
Ich sehe den Vergleichspunkt in der strikten Ablehnung von etwas, das wir als schlecht empfinden. Wenn ein Mensch über etwas oder auf jemanden zornig ist, drückt er dadurch auf hochemotionale Weise aus, dass er etwas oder jemanden ablehnt. Zorn ist ein Ausdruck völliger Distanzierung. So drückt der Zorn Gottes die Ablehnung Gottes von allem Bösen ab. Der Tag des Zornes ist der Tag, an dem Gott alles, was sich ihm, dem vollkommen Guten, widersetzt, richten wird. An diesem Tag wird Gottes richtende Gerechtigkeit gegen alle sichtbar, die sich seiner rechtfertigenden Gerechtigkeit widersetzt haben. Gottes Zorn steht für sein gerechtes Gericht. Es könnte ein gerechtes Gericht auch ohne Verurteilung geben, dann, wenn sich alle von Gottes Erbarmen verändern lassen. Nur ist das leider nicht die Realität. Aber keinesfalls schafft Gott Menschen allein aus dem Grund, damit er jemanden hat, an dem er seinen Zorn auslassen kann.
Den Gefäßen des Zorns sind die Gefäße des Erbarmens gegenübergestellt. Die Ausgangsposition dieser Gefäße mag gar nicht viel anders als die der Gefäße des Zorns gewesen sein. Doch sie haben ihre Sündhaftigkeit erkannt und sich dem Erbarmen Gottes nicht widersetzt. So konnte Gottes Rettungswerk durch Jesus Christus an ihnen Frucht bringen und sie zu der Herrlichkeit führen, die Gott allen Menschen schenken möchte, sofern sie sich von seiner Güte und Langmut zur Umkehr treiben lassen.
Das Bild des Töpfers
Wenn Paulus das Bild des Töpfers verwendete, so tat er das in Kenntnis der alttestamentlichen Verwendung dieses Bildes. Wir finden dieses Bild vor allem beim Propheten Jeremia:
1 Das Wort, das vom HERRN an Jeremia erging: 2 Mach dich auf und geh zum Haus des Töpfers hinab! Dort will ich dir meine Worte mitteilen. 3 So ging ich zum Haus des Töpfers hinab und siehe, er arbeitete gerade mit der Töpferscheibe. 4 Missriet das Gefäß, das er aus Ton machte, in der Hand des Töpfers, so machte der Töpfer daraus wieder ein anderes Gefäß, ganz wie es ihm gefiel. 5 Da erging an mich das Wort des HERRN: 6 Kann ich nicht mit euch verfahren wie dieser Töpfer, Haus Israel? – Spruch des HERRN. Siehe, wie der Ton in der Hand des Töpfers, so seid ihr in meiner Hand, Haus Israel. 7 Bald drohe ich einem Volk oder einem Reich, es auszureißen, niederzureißen und zu vernichten. 8 Kehrt aber das Volk, dem ich gedroht habe, um von seinem bösen Tun, so reut mich das Unheil, das ich ihm zugedacht habe. 9 Bald sage ich einem Volk oder einem Reich zu, es aufzubauen und einzupflanzen. 10 Tut es aber dann, was mir missfällt, und hört es nicht auf meine Stimme, so reut mich das Gute, das ich ihm zugesagt habe. 11 Und nun sag zu den Leuten von Juda und zu den Einwohnern Jerusalems: So spricht der HERR: Siehe, ich bereite Unheil gegen euch vor und fasse einen Plan gegen euch. Kehrt doch um, ein jeder von seinem bösen Weg, und bessert euer Verhalten und euer Tun! 12 Aber sie werden sagen: Vergebliche Mühe! Wir wollen unseren eigenen Plänen folgen und jeder von uns will nach der Verstocktheit seines bösen Herzens handeln. (Jeremia 18,1-12)
In diesem Zusammenhang spricht dieses Bild überhaupt nicht für Prädestination. Gerade die Verse 8 und 10 zeigen die Freiheit der Menschen, auf die Gerichtsdrohung oder die Segenszusage Gottes zu reagieren. Durch Umkehr und Gehorsam kann das Gericht aufgehalten und durch Ungehorsam und Rebellion können die guten Gaben Gottes abgewendet werden. Gott der Töpfer lässt dem Ton die Freiheit – anders als bei den Töpfern dieser Welt, die es mit einer toten Materie zu tun haben. Die Verse 11 und 12 zeigen, dass Gott mit der Gerichtsdrohung gegen Juda und Jerusalem sie zur Umkehr führen wollte, um so das Gericht abzuwenden. Doch die Reaktion der Menschen hat Gottes Erbarmen eine Grenze gesetzt.
Auch dieser Hintergrund spricht dafür, dass Paulus mit dem Bild des Töpfers nichts über Prädestination sagen wollte. Wir finden jedoch eine Warnung davor, uns gegen Gott zu erheben. Wir sollen uns immer dessen bewusst sein, dass er der Töpfer ist und wir der Ton, der sich vom Töpfer bereitwillig formen lassen soll.
Doch nun, HERR, du bist unser Vater. Wir sind der Ton und du bist unser Töpfer, wir alle sind das Werk deiner Hände. (Jesaja 64,7)