Jeremia und die Bundeslade

Und wenn ihr euch im Land vermehrt und fruchtbar seid in jenen Tagen – Spruch des HERRN -, wird man nicht mehr rufen: die Bundeslade des HERRN! Sie wird niemand in den Sinn kommen; man denkt nicht mehr an sie, vermisst sie nicht und sie wird nicht wiederhergestellt. (Jeremia 3,16)

Seit der Wüstenwanderung spielte die Bundeslade in Israel eine bedeutende Rolle. Die ca. 130 x 78 x 78 cm große vergoldete Holzkiste, die die aus Stein gehauenen Gesetzestafeln enthielt (Beschreibung in Exodus 25,10-22), wurde anfangs im Zelt in der Wüste aufbewahrt, später im Allerheiligsten im von Salomo erbauten Tempel. Insbesondere die goldene Deckplatte mit den beiden Kerubim auf ihr galt als der Thron Gottes (vergleiche z. B. 1 Samuel 4,4), als ein Symbol seiner Gegenwart.

Bei derartigen Symbolen besteht die Gefahr, dass das Symbol mit der Wirklichkeit, für die es steht, verwechselt wird. So brachten die Israeliten im Kampf gegen die Philister die Bundeslade auf das Schlachtfeld:

Als das Volk ins Lager zurückkam, sagten die Ältesten Israels: Warum hat der HERR heute die Philister über uns siegen lassen? Wir wollen die Bundeslade des HERRN aus Schilo zu uns holen; er soll in unsere Mitte kommen und uns aus der Hand unserer Feinde retten. (1 Samuel 4,3)

Sie dachten, dass, wenn die Lade bei Ihnen ist, Gott in ihrer Mitte sein würde und den Sieg schenken würde. Das Ergebnis war eine schreckliche Niederlage, und die Bundeslade fiel in die Hände der Feinde. Anstatt zu Gott umzukehren, wollte man das Symbol der Gegenwart Gottes dazu verwenden, um die Anwesenheit Gottes zu erzwingen.

Vielleicht gab es zur Zeit Jeremias ein ähnliches Denken. In Jeremia 7 hat der Prophet seine Zeitgenossen vor einem falschen Vertrauen in den Tempel gewarnt.

3 So spricht der HERR der Heerscharen, der Gott Israels: Bessert euer Verhalten und euer Tun, dann will ich bei euch wohnen hier an diesem Ort! 4 Vertraut nicht auf die trügerischen Worte: Der Tempel des HERRN, der Tempel des HERRN, der Tempel des HERRN ist dies! 5 Denn nur wenn ihr euer Verhalten und euer Tun von Grund auf bessert, wenn ihr wirklich gerecht entscheidet im Rechtsstreit, 6 wenn ihr die Fremden, die Waisen und Witwen nicht unterdrückt, unschuldiges Blut an diesem Ort nicht vergießt und nicht anderen Göttern nachlauft zu eurem eigenen Schaden, 7 dann will ich bei euch wohnen hier an diesem Ort, in dem Land, das ich euren Vätern gegeben habe von ewig und auf ewig. (Jeremia 7,3-5)

Die gnadenvolle Gegenwart Gottes hängt nicht von Objekten oder Bauwerken ab, sondern von einem gerechten Leben aus dem Glauben.

In Kapitel 3 sprach Jeremia von einer Zeit, in der es die Bundeslade nicht mehr geben würde. Jerusalem wurde 587 v. Chr. von den Babyloniern zerstört. Das Schicksal der Bundeslade wird in den Berichten über diese Zerstörung nicht erwähnt. Sie wird nicht unter den Tempelgeräten, die nach Babel verschleppt wurden, erwähnt. Vermutlich ist sie beim Brand des Tempels zerstört worden.

Jahrhunderte später wurde eine Legende erzählt und niedergeschrieben, die Jeremia in Zusammenhang mit der Bundeslade bringt.

1 In den Schriften steht, Jeremia, der Prophet, sei es gewesen, der den Verbannten befohlen habe, etwas von dem Feuer – wie schon gesagt – zu nehmen, als sie in die Verbannung geführt wurden. 2 Der Prophet habe ferner den Verbannten das Gesetz übergeben und ihnen eingeschärft, die Gebote des Herrn nicht zu vergessen noch im Herzen irrezuwerden, wenn sie die goldenen und silbernen Götterbilder und ihren Prunk sähen. 3 Mit anderen Reden solcher Art ermahnte er sie, das Gesetz nicht aus ihrem Herzen schwinden zu lassen. 4 In dem Buch stand, dass der Prophet einen Gottesspruch empfangen habe und daraufhin das Zelt und die Lade hinter sich hertragen ließ. Er sei hinausgegangen zu dem Berg, auf den Mose gestiegen war, um das von Gott verheißene Erbteil zu sehen. 5 Als er da ankam, fand Jeremia eine Höhle wie ein Haus. Er trug das Zelt, die Lade und den Rauchopferaltar hinein; dann verschloss er die Eingangstür. 6 Einige von seinen Begleitern gingen hin, um sich den Weg zu markieren; aber sie konnten ihn nicht finden. 7 Als Jeremia davon erfuhr, schalt er sie und sagte: Die Stelle wird unbekannt bleiben, bis Gott das Volk zusammenführt und Erbarmen gewährt. 8 Dann aber bringt der Herr dies wieder ans Licht und die Herrlichkeit des Herrn wird erscheinen und die Wolke, genauso wie sie sich in den Tagen des Mose gezeigt hat und wie dies auch Salomo erbeten hat, dass der Ort hochheilig werden möge. (2 Makkabäer 2,1-8)

Während der historische Jeremia von einer Zukunft sprach, in der es die Bundeslade nicht mehr geben werde, hat der „Jeremia“ der Legende die Bundeslade in einem Berg versteckt, damit es sie in Zukunft wieder geben werde.1

Das Buch, in dem diese Legende überliefert wurde, 2 Makkabäer, wird von der katholischen Kirche spätestens seit dem Konzil von Trient als Heilige Schrift akzeptiert. Da diese Legende in offensichtlichem Widerspruch zum biblischen Jeremia steht, gibt es einen weiteren Grund, das Zweite Buch der Makkabäer nicht als Heilige Schrift zu akzeptieren. Das zeigt zugleich, dass die Organisation, die eigenwillig – gegen die älteste christliche Überlieferung – die Kanonizität dieses Buches beschlossen hat, nicht die Kirche Jesu Christi sein kann.

Geliebte, da es mich sehr drängte, euch über unsere gemeinsame Rettung zu schreiben, hielt ich es für notwendig, euch mit diesem Brief zu ermahnen: Kämpft für den Glauben, der den Heiligen ein für alle Mal übergeben ist! (Judas 3)


  1. Es gibt auch eine samaritanische Version dieser Legende, derzufolge ein Priester namens Uzi den Tempel (inklusive Bundeslade) schon zur Zeit Elis in einer Höhle im Berg Garizim versteckt habe. Flavius Josephus, Jüdische Altertümer 18,4,1 setzt die Bekanntheit dieser oder einer ähnlichen Legende im 1. Jahrhundert voraus. 

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