Geht es in der Brotrede um die Eucharistie?

Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm. (Johannes 6,56)

Zur Fragestellung

Am auf die Brotvermehrung folgenden Tag sprach Jesus in Kafarnaum zu den Menschen. Es ging vor allem um das Brot des Lebens. Deswegen werden diese Worte auch Brotrede genannt. Johannes schreibt darüber in 6,22-59. Bereits seit dem Altertum wurden diese Worte auch auf die Eucharistie1 oder das Herrenmahl bezogen. In neuerer Zeit wird die „eucharistische Rede“ im engeren Sinn auf die Verse 51-58 eingegrenzt. Der protestantische Exeget Joachim Jeremias sah in seinem Buch „Die Abendmahlsworte Jesu“ in diesen Versen die johanneische Version der Worte, mit denen Jesus das Herrenmahl eingesetzt hat.

Worum geht es in dieser „Brotrede“, die eigentlich ein Gespräch Jesu mit Menschen war, die sich seinem Aufruf widersetzten?

In Vers 30 fragten sie Jesus nach einem Zeichen, damit sie sehen und ihm glauben. Das ist einen Tag, nachdem Jesus 5000 Männer und deren Angehörige gesättigt hatte, höchst erstaunlich. Sie beriefen sich dabei auf das Manna, das die Väter in der Wüste gegessen hatten und zitierten dazu Psalm 78,24:

Unsere Väter haben das Manna in der Wüste gegessen, wie es in der Schrift heißt: Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen.

Daraufhin führte Jesus aus, dass er das wahre Brot vom Himmel ist.

Ab Vers 50 sprach Jesus auch konkret über das Essen des Brotes. Während er in den Versen 35 und 48 über sich als Person vom Brot des Lebens gesprochen hat, spricht er nun in 51b:

Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt.

Ab Vers 54 spricht Jesus nicht nur über sein Fleisch, sondern auch über sein Blut:

54 Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag. 55 Denn mein Fleisch ist wahrhaft eine Speise und mein Blut ist wahrhaft ein Trank. 56 Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm. (Johannes 6,54-56)

Das erinnert tatsächlich stark an die Worte, mit denen Jesus am Abend vor seinem Tod das Herrenmahl begründet hat:

22 Während des Mahls nahm er das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es ihnen und sagte: Nehmt, das ist mein Leib. 23 Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet, gab ihn den Jüngern und sie tranken alle daraus. 24 Und er sagte zu ihnen: Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird. (Markus 14,22-24)

Zusätzlich ist bemerkenswert, dass in den Versen 54, 56, 57 und 58 für „essen“ das Wort τρώγω / trōgō mit der Bedeutung „nagen, zerbeißen, zerkauen“ steht. Dieses Wort unterstreicht den tatsächlichen Vorgang des Essens.

Bezieht man die Brotrede oder zumindest die Verse ab 51 auf das Herrenmahl oder die Eucharistie, steht man aber auch vor erheblichen Problemen.

Eine harte oder eine unverständliche Rede?

Nach Johannes 6,4 war diese Situation kurz vor einem Paschafest. Mit großer Wahrscheinlichkeit war das im Frühling des Jahres 29, auf jeden Fall mindestens ein Jahr bevor Jesus in der Nacht vor seinem Tod das Mahl zu seinem Gedächtnis gestiftet hat. Kein einziger seiner Zuhörer konnte zum damaligen Zeitpunkt irgendetwas über dieses künftige Mahl wissen.

Die Reaktion vieler seiner Jünger zeigt aber, dass sie Jesus verstanden haben:

Viele seiner Jünger, die ihm zuhörten, sagten: Diese Rede ist hart. Wer kann sie hören? (Johannes 6,60)

Sie sagten, dass diese Rede hart sei, nicht, dass sie unverständlich sei. Diese Jünger haben verstanden, dass Jesus mit dieser Rede seinen absoluten Anspruch an sie gestellt hat. Jesus ist für sie lebensnotwendig wie Brot. Das verlangt die volle Hingabe an ihn. Sie waren zu dieser vollen Hingabe nicht bereit:

Daraufhin zogen sich viele seiner Jünger zurück und gingen nicht mehr mit ihm umher. (Johannes 6,66)

Danach hat Jesus die Zwölf gefragt, ob auch sie weggehen wollten.

68 Simon Petrus antwortete ihm: Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. 69 Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes. (Johannes 6,68-69)

Petrus und die anderen der Zwölf waren bereit, bei Jesus zu bleiben, ihm, dem Heiligen Gottes, zu folgen, der Worte ewigen Lebens hat.

Glauben und Essen

Jesus spricht über Glaube und ewiges Leben:

Denn das ist der Wille meines Vaters, dass jeder, der den Sohn sieht und an ihn glaubt, das ewige Leben hat und dass ich ihn auferwecke am Jüngsten Tag. (Johannes 6,40)

Amen, amen, ich sage euch: Wer glaubt, hat das ewige Leben. (Johannes 6,47)

In den Versen 51a, 54 und 58 kommt das ewige Leben vom Essen des Brotes:

Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. (Johannes 6,51a)

Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag. (Johannes 6,54)

Dies ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Es ist nicht wie das Brot, das die Väter gegessen haben, sie sind gestorben. Wer aber dieses Brot isst, wird leben in Ewigkeit. (Johannes 6,58)

Es gibt hier eine offensichtliche Parallelität zwischen dem Glauben an Jesus (oder wie in Vers 35 dem Kommen zu Jesus) und dem Essen des Brotes.

Wichtig ist auch Vers 57:

Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und wie ich durch den Vater lebe, so wird jeder, der mich isst, durch mich leben.

Jesus lebt durch den Vater. Wer Jesus isst, lebt durch ihn. Das Leben kommt aus der Beziehung. Jesus lebt aus der Beziehung zum Vater, der Jünger lebt aus der Beziehung zu Jesus, aus dem Glauben an ihn.

Soll das „Essen“ des Brotes, des Fleisches Jesu ein Ausdruck der tiefen Beziehung des Jüngers zu Jesus sein?2

Interessant ist auch die einzige Stelle, an der im Johannesevangelium sonst noch das Wort τρώγω / trōgō steht:

Ich sage das nicht von euch allen. Ich weiß wohl, welche ich erwählt habe, aber das Schriftwort muss sich erfüllen: Der mein Brot isst, hat seine Ferse gegen mich erhoben. (Johannes 13,18)

Hier weicht Johannes durch die Verwendung von trōgō vom Septuagintatext des zitierten Psalm 41,10 ab. Durch das gemeinsame Essen des Brotes wurde Gemeinschaft gestiftet oder bestärkt. Nun aber hat dieser vertraute Freund sich zum Feind gewandelt. Hier geht es zwar nicht um das Essen Jesu oder seines Fleisches. Aber der Zusammenhang zwischen den Stellen ist die Gemeinschaft, die durch im „Zerkauen“ ihren Ausdruck findet.

Wenn Jesus in den Versen 53-56 von seinem Fleisch und Blut spricht, weist er dadurch schon auf seinen Tod hin. Dieser Aspekt verbindet diese Stelle tatsächlich mit dem Herrenmahl, das ein Gedächtnismahl an die durch Jesus in seinem Tod geschenkte Erlösung ist. Doch heißt das nicht, dass Jesus hier direkt über das Herrenmahl gesprochen hätte. An Jesus glauben und zu ihm kommen, das heißt, ihn ganz anzunehmen, auch seinen schändlichen Tod, in dem er sich aus Liebe ganz hingegeben hat. Dieser Aspekt war für die Jünger zum Zeitpunkt der Rede noch nicht verständlich, wohl aber der Hauptaspekt des Glaubens und der notwendigen innigen Beziehung zu Jesus.

Kommt das ewige Leben aus dem Glauben oder aus dem Herrenmahl?

Wie oben angeführt, gibt es in der Brotrede eine Parallele zwischen dem Glauben und dem Essen des Brotes. Das Herrenmahl ist nicht der Weg, das Leben zu erlangen. Für die, die die Erlösung durch Jesus angenommen haben und an ihn in einem Leben der Nachfolge glauben, ist das gemeinsame Mahl die dankbare Erinnerung an die Erlösung durch Jesus, der im Herrenmahl seine besondere Gegenwart im Brot und im Wein schenkt. Es ist auch ein freudiger Ausblick auf die ewige Gemeinschaft mit ihm.

Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt. (1 Korinther 11,26)

Das Herrenmahl ist für die, denen das ewige Leben bereits geschenkt wurde und die in einem von Gott geheiligten Leben daran festhalten. Anderenfalls kann die Teilnahme am Herrenmahl schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen.

27 Wer also unwürdig von dem Brot isst und aus dem Kelch des Herrn trinkt, macht sich schuldig am Leib und am Blut des Herrn. 28 Jeder soll sich selbst prüfen; erst dann soll er von dem Brot essen und aus dem Kelch trinken. 29 Denn wer davon isst und trinkt, ohne den Leib zu unterscheiden, der zieht sich das Gericht zu, indem er isst und trinkt. (1 Korinther 11,27-29)

Das Herrenmahl ist seinem Wesen nach etwas anderes als das, wovon Jesus in der Brotrede gesprochen hat. In der Brotrede geht es darum, zu Jesus zu kommen und an ihn zu glauben. Das Herrenmahl ist das Feiern dieser Gemeinschaft für die, die in einer Glaubensbeziehung mit Jesus leben. Der Missbrauch dieses Mahls kann die Beziehung zu Jesus sogar zerstören.

Schlussgedanke

Jesus, das Brot des Lebens, zu essen, bedeutet, an ihn zu glauben, ihm nachzufolgen. Nur auf diesem Weg ist das ewige Leben zu erlangen. Der Mensch braucht Jesus wie ein Hungriger einen Bissen Brot. Der Anspruch, den Jesus damals gestellt hat, ist heute noch derselbe. Man kann ein Leben aus dem Glauben nicht durch ein Ritual ersetzen. Das Brotbrechen im Herrenmahl setzt ein Jüngerleben voraus.

Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts. Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, sind Geist und sind Leben. (Johannes 6,63)


  1.  Eucharistie heißt eigentlich „Danksagung“, bezeichnet aber in der katholischen Tradition den auf das frühchristliche Brotbrechen zurückgeführte „Messopfer“. 
  2. Im Deutschen gibt es den Ausdruck, jemanden „zum Fressen gern“ zu haben, was vermutlich hier nur sehr eingeschränkt passt, weil es da in der Regel um eine emotionale Bindung geht, die nicht unbedingt wahre Liebe sein muss. 

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