Hat Paulus für Verstorbene gebetet?

Besonders im katholischen Bereich hat das Gebet für Verstorbene eine große Bedeutung. Das betrifft nicht nur die Zeit kurz nach dem Tod eines Menschen oder das Begräbnis. Viele Messen werden für Verstorbene dargebracht, ist doch die Messe nach der Definition des Konzils von Trient (Sacrosancta Oecumenica, 1562) ein Opfer, das „auch für die in Christo Verschiedenen und noch nicht vollends Gereinigten aufgeopfert“ wird. So hat das Gebet für Tote in der katholischen Praxis einen hohen Stellenwert.

Umso erstaunlicher ist es, dass man in der gesamten Bibel kein einziges Gebet für einen Verstorbenen findet.1 Mitunter wird von Katholiken, in mindestens einem Fall auch von einem Täufer, aber auf das Beispiel von Paulus verwiesen, der doch für den verstorbenen Onesiphorus gebetet habe.

Der Herr gebe ihm, dass er beim Herrn Erbarmen findet an jenem Tag. (2 Timotheus 1,18a)

Betrachten wir diese Stelle im Zusammenhang:

15 Du weißt, dass sich alle in der Provinz Asien von mir abgewendet haben; zu ihnen gehören Phygelus und Hermogenes. 16 Dem Haus des Onesiphorus schenke der Herr sein Erbarmen, denn Onesiphorus hat mich oft getröstet und hat sich meiner Ketten nicht geschämt; 17 vielmehr hat er, als er nach Rom kam, unermüdlich nach mir gesucht, bis er mich fand. 18 Der Herr gebe ihm, dass er beim Herrn Erbarmen findet an jenem Tag. Seine treuen Dienste in Ephesus kennst du selbst am besten. (2 Timotheus 1,15-18)

Das Haus des Onesiphorus erwähnt Paulus noch gegen Ende des Briefes:

Grüße Prisca und Aquila und das Haus des Onesiphorus! (2 Timotheus 4,19)

Aus 2 Timotheus 4,19 können wir schließen, dass zum Zeitpunkt der Abfassung des Briefes Onesiphorus nicht bei seiner Familie (seinem Haus) war. Auch im 1. Kapitel unterscheidet Paulus in seiner Fürbitte zwischen dem Haus des Onesiphorus (Vers 16) und Onesiphorus selber (Vers 18). Offensichtlich war Onesiphorus nicht bei seinem Haus in Ephesus. Aber reicht das aus, den Schluss zu ziehen, dass er bereits verstorben war?

Anders als etwa Phygelus und Hermogenes war Onesiphorus mit Paulus offensichtlich tief verbunden. Er hat Paulus in Rom eifrig gesucht und hat dann wohl sogar eine Reise nach Cäsarea in Judäa auf sich genommen2, um Paulus dort im Gefängnis aufzusuchen. Was dann mit ihm geschah, wissen wir nicht. Es scheint, dass er weder bei Paulus noch bei den Seinen in Ephesus war.

Interessant ist, dass Paulus sowohl für ihn als auch für sein Haus um das Erbarmen des Herrn gebetet hat. Gebet um das Erbarmen Gottes kommt auch sonst bei Paulus vor: Galater 6,16; 1 Timotheus 1,2; 2 Timotheus 1,2; auch bei Johannes (2 Johannes 3) und Judas (Judas 2). An all diesen Stellen wird Gott für Lebende um Erbarmen angefleht. Die Bitte um Gottes Erbarmen bedeutet auch nicht, dass derjenige, für den gebetet wird, jetzt nicht unter dem Erbarmen des Herrn steht.

Bei Onesiphorus bittet Paulus um das Erbarmen des Herrn an jenem Tag. Damit ist wohl der Tag des Gerichts am Ende der Geschichte gemeint. Setzt das nicht doch voraus, dass Onesiphorus schon verstorben ist?

In seinen Briefen richtet Paulus immer wieder die Aufmerksamkeit seiner Leser auf den letzten Tag, so in 1 Korinther 1,8; 5,5; 2 Korinther 1,14; Epheser 4,30; Philipper 1,6.10; 2,16; 1 Thessalonicher 5,4; 2 Thessalonicher 1,10; 2 Timotheus 1,12; 4,8. Es ist wichtig, immer das Ende im Auge zu haben, unser Jetzt so zu gestalten, dass wir am Ende vor Gott bestehen können. Insofern kann man das Gebet für Onesiphorus auch so verstehen, dass Onesiphorus Gott bis zum Letzten Tag treu sein möge, dass er bis zum Ende im Erbarmen Gottes bleiben möge. Jemand, der 2 Timotheus 1,18 mit dem Vorverständnis liest, dass es Gebet für Tote gibt, kann in diesem Vers ein Gebet für einen Verstorbenen finden. Doch der Vers selbst zwingt nicht zu diesem Verständnis.

Wäre es Gottes Wille, dass wir für Verstorbene beten, dann würden wir dafür klare Belege in der Bibel finden.

Paulus erwähnt in seinen Briefen immer wieder das Gebet für seine Brüder und Schwestern im Glauben, er bittet auch um deren Gebet.

Und ich bete darum, dass eure Liebe immer noch reicher an Einsicht und jedem Verständnis wird, […] (Philipper 1,9)

Daher hören wir seit dem Tag, an dem wir davon erfahren haben, nicht auf, für euch zu beten und zu bitten, dass ihr mit der Erkenntnis seines Willens in aller Weisheit und geistlichen Einsicht erfüllt werdet. (Kolosser 1,9)

Hört nicht auf, zu beten und zu flehen! Betet jederzeit im Geist; seid wachsam, harrt aus und bittet für alle Heiligen, 19 auch für mich, dass mir das rechte Wort gegeben werde, sooft ich meinen Mund auftue, mit Freimut das Geheimnis des Evangeliums zu verkünden; (Epheser 6,18-19)

Es geht um das Gebet für Menschen, die noch in dieser Welt leben, die ihr Ziel bei Gott noch nicht erreicht haben. Nach dem Tod ist alles entschieden. Entweder ist jemand in der Gemeinschaft mit Gott oder ewig von Gott getrennt.

Darum gilt es, dieses Leben zu nützen, um es nach Gottes Willen zu leben.

1 Als Mitarbeiter Gottes ermahnen wir euch, dass ihr seine Gnade nicht vergebens empfangt. 2 Denn es heißt: Zur Zeit der Gnade habe ich dich erhört, am Tag der Rettung habe ich dir geholfen. Siehe, jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade; siehe, jetzt ist er da, der Tag der Rettung. (2 Korinther 6,1-2)

11 Und das tut im Wissen um die gegenwärtige Zeit: Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf. Denn jetzt ist das Heil uns näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. 12 Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe. Darum lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts! 13 Lasst uns ehrenhaft leben wie am Tag, ohne maßloses Essen und Trinken, ohne Unzucht und Ausschweifung, ohne Streit und Eifersucht! 14 Vielmehr zieht den Herrn Jesus Christus an und sorgt nicht so für euren Leib, dass die Begierden erwachen. (Römer 13,11-14)

Es geht darum, jetzt das Erbarmen Gottes, das er uns in Jesus anbietet, zu ergreifen und in Treue daran festzuhalten. Wenn wir das nicht tun, wird uns später auch kein Gebet mehr helfen.3

6 Sucht den HERRN, während er sich finden lässt! Ruft ihn an, während er nahe ist. 7 Der Gottlose verlasse seinen Weg und der Mann der Bosheit seine Gedanken! Und er kehre um zu dem HERRN, so wird er sich über ihn erbarmen, und zu unserem Gott, denn er ist reich an Vergebung!
(Jesaja 55,6-7; Elberfelder)


  1. Das 2. Makkabäerbuch, wo 12,40-45 von Opfern für verstorbene Götzendiener spricht, ist ein apokryphes Buch, das weder von den Juden, noch von den frühen Christen als Teil der Bibel akzeptiert wurde. Vermutlich war diese Stelle ein wichtiger Grund, warum das Konzil von Trient die apokryphen Bücher in den Kanon aufgenommen hat, weil man nur so das Gebet für Verstorbene „biblisch“ begründen konnte. 
  2. Siehe dazu den Text über die Pastoralbriefe, Punkt 1.2.1. 
  3. Ein warnendes Beispiel dafür ist Mohammed, für dessen Heil täglich hunderte Millionen Muslime vergeblich beten. 

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