Sure 112 aus christlicher Sicht

1 Sag: Er ist Allah, ein Einer,
2 Allah, der Überlegene.
3 Er hat nicht gezeugt und ist nicht gezeugt worden,
4 und niemand ist Ihm jemals gleich.
(Sure 112)

Die kurze Sure Al-Iḫlāṣ (Die aufrichtige Ergebenheit) bildet den theologischen Abschluss des Korans. Die beiden kurzen „Schutzsuren“ 113 und 114 sind eher als Bittgebete zu verstehen und wurden von ʿAbdallāh ibn Masʿūd, einem der engsten Gefährten Mohammeds, deswegen als nicht zum Koran gehörig verstanden.

Nach der Überlieferung hat Mohammed diese Sure für so wichtig gehalten, dass er in ihr ein Drittel des Korans sah, auch wenn dieser Text nur aus vier Versen besteht. Man kann in Sure 112 eine kurze Zusammenfassung der islamischen Lehre über Gott sehen. Deswegen wird sie manchmal auch At-Tauhīd (der Eingottglaube) genannt.

Was ist aus christlicher Sicht dazu zu sagen?

Gott ist Einer.

Auch wenn ein Christ nicht sagen wird, dass der koranische Allah mit dem Gott der Bibel gleichzusetzen ist, so ist der Glaube an die Einheit und Einzigkeit Gottes eine Grundvoraussetzung des christlichen Glaubens.

Interessant ist, dass im arabischen Text das Wort أَحَدٌ (aad) steht, das nicht die Einzigartigkeit ausdrückt, sondern üblicherweise „einer von …“ bedeutet. Eine Abfrage der Ergebnisse auf corpus.quran.com bestätigt das. Das ist insofern interessant, als es eine Reihe von Koranstellen gibt, in denen die Einzigkeit Gottes mit dem Wort wāḥid ausgedrückt wird, wie z. B. Sure 2,163:

Euer Gott ist ein Einziger Gott. Es gibt keinen Gott außer Ihm, dem Allerbarmer, dem Barmherzigen.

Sam Shamoun hat darauf hingewiesen, dass der Text von Sure 112,1 wörtlich übersetzt heißen müsste: Allah ist einer von … Dass das nicht so übersetzt wird, ist nicht verwunderlich, weil damit ja gerade das Gegenteil dessen gesagt wird, was dem islamischen Glauben entspricht. Warum in Sure 112 trotzdem aad und nicht wāḥid steht, könnte seine Ursache entweder darin haben, dass der Autor der Sure einen Reim haben wollte:

qul huwa llāhu aḥad
allāhu ṣ-ṣamad

Aḥad am Ende von Vers 1 sollte sich auf ṣamad am Ende von Vers 2 reimen.

Ein anderer Grund könnte im Einfluss des „Schema Jisrael / Höre Israel“ (Deuteronomium 6,4) gefunden werden:

Höre, Israel! Der HERR, unser Gott, der HERR ist einzig.

Das hebräische Wort für einzig lautet: אֶחָֽד / ′äḥad. Vielleicht wollte der Autor der 112. Sure bewusst einen Anklang an das jüdische Bekenntnis zur Einheit und Einzigkeit Gottes bringen und hat deswegen mehr auf den ähnlichen Laut des Wortes geachtet als auf die genaue arabische Bedeutung.

Das hebräische ′äḥad widerspricht nicht der Lehre der Dreieinigkeit. Es wird z. B. in Genesis 2,24 verwendet, um die Einheit von Mann und Frau in der Ehe auszudrücken.

Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und hängt seiner Frau an und sie werden ein Fleisch.

Die Einheit kann in sich eine Pluralität beinhalten. So ist das Bekenntnis zu einem einzigen Gott nicht in Widerspruch dazu, das Gott in seinem inneren Wesen Vater, Sohn und Heiliger Geist ist.

Allah as-Samad

Das Problem ist, dass das Wort ṣamad ein hapax legomenon ist, ein Wort, das nur ein einziges Mal im Koran und auch in vorkoranischen arabischen Texten vorkommt. Niemand kann genau sagen, was dieses Wort wirklich bedeutet.

Hier folgt eine Auswahl von Übersetzungsvarianten:

Bubenheim und Elyas: der Überlegene
Adel Khoury: der Undurchdringliche
Ahmad von Denffer: der immer da ist
Abu Rida: der Absolute (ewig Unabhängige, von Dem alles abhängt)
Rudi Paret: der souveräne (Herrscher)
Max Henning: der ewige (Gott)
Friedrich Rückert: ein ewig reiner
Amir Zaidan: As-samad

Vielleicht hat Amir Zaidan die beste Entscheidung getroffen. Er hat nicht geraten und einfach den arabischen Text unübersetzt ins Deutsche übernommen. Vielleicht ist auch dieser Vers einer derer, über die es in Sure 3,7 heißt:

[…] Aber niemand weiß ihre Deutung außer Allah. […]

Der islamische Gelehrte Abdul-Aziz b. Abdullah bin Baz brachte zwei Erklärungen, die in eine etwas andere Richtung gehen. Sie können hier gelesen werden.

Sei es, wie es sei, ein Christ sollte mit den verschiedenen Versionen von Sure 112,2 kein Problem haben. Der biblische Gott ist der Überlegene (z. B.: Jesaja 40,10), der Undurchdringliche (1 Timotheus 6,16), der immer da ist (Psalm 139), der Absolute (Jesaja 44,6), der souveräne Herrscher (1 Timotheus 6,15), der ewige Gott (Psalm 90,2), ein ewig Reiner (1 Johannes 1,5). In der Bibel wird das klar ausgedrückt, nicht mit einem Wort, über dessen Bedeutung man herumrätseln muss.

Er hat nicht gezeugt und ist nicht gezeugt worden.

Versteht man diesen Satz im Gegensatz zu den Göttermythen verschiedener Religionen, kann man ihm nur zustimmen. Der wahre Gott ist nicht wie z. B. Zeus, der nach der griechischen Mythologie von Kronos gezeugt wurde und selber zum Vater zahlreicher Götter und Halbgötter wurde. Wer Gott auf das Niveau dieser Produkte unmoralischer menschlicher Fantasie herunterziehen will, lästert den ewigen Schöpfer des Universums.

Andererseits hat sich Gott als Vater offenbart. Er nennt die Gläubigen seine Kinder. Einige Gedanken dazu kann man hier lesen. Doch hat Gott seine Kinder nicht in sexueller Weise „gezeugt“.

Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns in seinem großen Erbarmen neu gezeugt zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten. (1 Petrus 1,3)

Wer an Jesus glaubt, erhält durch die Auferstehung Jesu Anteil am Leben, das Gott ihm schenkt. Man wird durch den Glauben an Jesus zum Kind Gottes.

12 Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, 13 die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. (Johannes 1,12-13)

Noch direkter als bei den Gläubigen ist die Zeugung beim ewigen Sohn Gottes, bei Jesus Christus. Der ewige Sohn Gottes hat keinen Anfang und kein Ende in der Zeit. Seine „Zeugung“ ist in der Ewigkeit. Der Sohn geht seit aller Ewigkeit aus dem Vater hervor. Er ist eines Wesens mit ihm. Er ist kein zweiter Gott. Der Vater ist der Ursprung des Sohnes, so wie die Sonne der Ursprung der Sonnenstrahlen ist. Sowenig wie es die Sonne je ohne ihre Strahlen gab, gibt es Gott den Vater ohne den Sohn. Gott hat sich kein Kind genommen.

Niemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat es verkündigt. (Johannes 1,18, Luther 2017)

Leider ist zu befürchten, dass Sure 112,3 von Anfang an nicht gegen heidnische Göttermythen gerichtet war, sondern die klare Ablehnung des Glaubens an die Gottessohnschaft Jesu Christi zum Ausdruck bringt. Wenn dem so ist, bestätigt der Koran in diesem Fall das Evangelium nicht.

Niemand ist Ihm jemals gleich.

Der wahre Gott ist der Schöpfer von allem und kein Teil der Schöpfung. Es kann daher nichts und niemand geben, der Ihm gleicht.

Wer ist wie du unter den Göttern, o HERR? Wer ist wie du gewaltig und heilig, gepriesen als furchtbar, Wunder vollbringend? (Exodus 15,11)

HERR, Gott Israels, im Himmel oben und auf der Erde unten gibt es keinen Gott, der so wie du Bund und Huld seinen Knechten bewahrt, die mit ungeteiltem Herzen vor ihm leben. (1 Könige 8,23)

Ihr seid meine Zeugen: Gibt es einen Gott außer mir? Es gibt keinen Fels außer mir, ich kenne keinen. (Jesaja 44,8b)

Wer ist Gott wie du, der Schuld verzeiht und an der Verfehlung vorübergeht für den Rest seines Erbteils! Nicht hält er auf ewig fest an seinem Zorn, denn er hat Wohlgefallen daran, gütig zu sein. (Micha 7,18)

Es gibt keinen Gott außer dem Einen, der die Welt geschaffen hat, der durch die Propheten gesprochen hat, der seine Offenbarung durch die Sendung seines Sohns vollendet hat. Wer an diesen einzigen Gott glaubt, hört auf seinen Sohn.

1 Vielfältig und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; 2 am Ende dieser Tage hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben von allem eingesetzt, durch den er auch die Welt erschaffen hat. (Hebräer 1,1-2)

Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören. (Matthäus 17,5b)

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