Einer der weniger bekannten Unterschiede zwischen der römisch-katholischen und den protestantischen Religionsgemeinschaften liegt in der Frage des Umfangs des Alten Testaments. Während sich die Protestanten am jüdischen Kanon orientieren, akzeptieren die Katholiken sieben zusätzliche Bücher als kanonisch, nämlich:
Dazu kommen noch Zusätze zu den kanonischen Büchern Ester und Daniel.
Endgültig wurden diese Bücher erst am Konzil von Trient am 8. April 1846 in dem Dekret Sacrosancta oecumenica als kanonisch festgelegt.
Da unter Katholiken der kirchlichen Überlieferung eine bedeutende Rolle spielt, sollte für sie auch wichtig sein, was die älteste verfügbare Tradition zu dieser Frage sagt.
Die älteste christliche Liste der alttestamentlichen Bücher finden wir bei Melito von Sardes. Überliefert wurde diese Liste in der Kirchengeschichte von Eusebius von Cäsarea, Buch IV, Kapitel 26:
In seiner Schrift ,,Auszüge“ gibt Melito sogleich in der Einleitung ein Verzeichnis der anerkannten Schriften des Alten Testamentes. Ich halte es für notwendig, es hier anzuführen. Es lautet also: „Melito entbietet Grüße seinem Bruder Onesimus. Da du in deinem Eifer für unsere Lehre mich wiederholt gebeten hast, Auszüge aus dem Gesetze und den Propheten, soweit sie unseren Erlöser und unseren ganzen Glauben betreffen, zu erhalten und gewünscht hast, genau die Zahl und Reihenfolge der alttestamentlichen Bücher kennenzulernen, komme ich gerne dem Wunsche nach; denn ich kenne deinen Glaubenseifer und deine Wißbegierde und weiß, daß du in deinem Kampfe um das ewige Heil und in deiner Sehnsucht nach Gott diese Kenntnis allem weit vorziehst. Da ich in den Orient gereist und an den Schauplatz der Predigten und Taten gekommen bin und über die Bücher des Alten Testamentes genaue Erkundigungen eingezogen habe, so teile ich dir die Bücher im folgenden mit. Die Namen derselben sind: die fünf Bücher Moses, nämlich Genesis, Exodus, Numeri, Leviticus und Deuteronomium, (ferner) Jesus, Sohn des Nave, die Richter, Ruth, vier Bücher der Könige, zwei Paralipomenon, die Psalmen Davids, Salomons Sprüche oder Weisheit, Ekklesiastes, das Hohe Lied, Job, die Propheten Isaias und Jeremias, das Zwölfpropheten-Buch, Daniel, Ezechiel, Esdras. Aus diesen Schriften gebe ich in sechs Büchern Auszüge.“
Hiezu einige Erläuterungen:
Jesus, Sohn des Nave: der griechische Name des Buches Josua.
Vier Bücher der Könige: zwei Bücher Samuel und zwei Bücher der Könige.
Zwei Paralipomenon: zwei Bücher der Chronik.
Ekklesiastes: das Buch Kohelet oder Prediger, nicht zu verwechseln mit dem auch Ekklesiastikus genannten Buch Jesus Sirach.
Esdras: In der hebräischen Bibel bildeten die heutigen Bücher Esra und Nehemia eine Einheit. Auch hier sind mit Esdras diese beiden Bücher gemeint.
Im Vergleich zu den heutigen Bibeln fehlt das Buch Ester. Es ist nicht ganz klar, warum dieses Buch in der Auflistung Melitos fehlt. Dieses Büchlein ist aber geistlich nicht besonders bedeutsam.
Offensichtlich ist, dass keines der sieben von den Katholiken zusätzlich akzeptierten Bücher hier genannt ist. Weisheit ist ein alternativer Name des Buchs der Sprüche oder Sprichwörter und nicht das apokryphe Buch.
Die älteste erhaltene christliche Kanonliste zum Alten Testament enthält die von den Katholiken inkludierten apokryphen Bücher nicht. Wem die Tradition wichtig ist, sollte konsequent sein, und nicht auf ein Konzil aus dem 16. Jahrhundert hören. Man findet auch im Munde Jesu und in den Schriften der Apostel keine Zitate aus diesen Büchern.