Der Mittler jedoch ist nicht der Mittler eines Einzigen; Gott aber ist der Eine. (Gal 3,20)
Dieser kurze Vers wird unterschiedlich übersetzt und interpretiert. Er steht im Zusammenhang mit der Bedeutung des alttestamentlichen Gesetzes im Rahmen der Heilsgeschichte. Da die jungen – zumeist nichtjüdischen – Christen der galatischen Gemeinden in Gefahr waren, die Vorschriften dieses Gesetzes zu übernehmen, musste Paulus ihnen den vorläufigen Charakter dieser Gebote erklären. Darum schrieb er in Vers 19:
Warum gibt es dann das Gesetz? Wegen der Übertretungen wurde es hinzugefügt, bis der Nachkomme käme, dem die Verheißung gilt. Es wurde durch Engel erlassen und durch einen Mittler bekannt gegeben.
Mit dem „Nachkommen“ ist der Messias gemeint, der Nachkomme Abrahams, in dem die Abraham gegebene Verheißung ihre Erfüllung finden sollte. Bis zum Kommen dieses Nachkommens sollte das Gesetz als „Erzieher auf Christus hin“ (Vers 24) dienen. Um die Vorläufigkeit des Gesetzes zu betonen, wies Paulus auf die jüdische Überlieferung hin, dass das Gesetz durch Engel erlassen wurde und durch die Mittlerschaft Moses gegeben wurde.
Darauf folgt Vers 20. Im Griechischen ist der Vers sehr knapp gehalten:
ὁ δὲ μεσίτης ἑνὸς οὐκ ἔστιν, ὁ δὲ θεὸς εἷς ἐστιν.
Der Mittler aber ist nicht eines, der Gott aber ist einer.
(„Einer“ ist in beiden Fällen ein Zahlwort.)
Es folgen einige unterschiedliche Übersetzungen:
Der Mittler aber ist nicht der eines einzelnen, Gott aber ist einer. (Münchener Neues Testament 1998)
Ein Mittler aber ist nicht [Mittler] von einem; Gott aber ist einer. (Schlachter 2000)
Ein Mittler aber ist nicht ⟨Mittler⟩ von einem; Gott aber ist ⟨nur⟩ einer. (Elberfelder 2006)
Ein Mittler aber ist nicht Mittler eines Einzigen, Gott aber ist Einer. (Luther 2017)
Der Mittler jedoch ist nicht der Mittler eines Einzigen; Gott aber ist der Eine. (Einheitsübersetzung 2016)
Ein Mittler aber vertritt nicht einen einzigen; Gott aber ist ein einziger. (Menge; ähnlich Zürcher 2007)
Es braucht aber keinen Vermittler, wenn eine einzige Person handelt; und Gott ist doch Einer. (Gute Nachricht 2018)
Ein Vermittler steht jedoch nie nur für eine der Parteien. Gott ist aber nur Einer. (Neue evangelistische Übersetzung)
Bei dieser Zusage war kein Vermittler notwendig, sondern Gott, der Eine, hat selbst zu Abraham gesprochen. (Hoffnung für alle)
Ein Vermittler aber ist nicht nötig, wenn nur ein Einziger handelt, doch genau das war der Fall, als Gott, der eine und einzige Gott, Abraham das Erbe versprach. (Neue Genfer Übersetzung 2011)
Wenn Gott allein das Gesetz unmittelbar den Menschen gegeben hätte, wäre kein Mittler nötig gewesen. Aber es waren viele Engel, und damit sie mit einer Stimme redeten, war ein Mittler erforderlich. Aber dadurch besteht beim Gesetz ein größerer Abstand zwischen Mensch und Gott. (Berger – Nord 2005)
Ich habe versucht, die Übersetzungen ungefähr nach ihrer Nähe zum griechischen Text zu reihen. Die ersten acht Übersetzungen haben dieselbe Grundausrichtung. Hoffnung für Alle und die Neue Genfer Übersetzung haben Abraham ins Spiel gebracht. Berger-Nord gehen in eine ähnliche Richtung wie die erstgenannten Übersetzungen, liefert jedoch keine Übersetzung, sondern eine Erklärung, die in ihrer Begründung, dass ein Mittler wegen der vielen Engel notwendig gewesen sei, etwas befremdlich wirkt. Könnte Gott, wenn er etwas durch viele Engel offenbaren will, nicht auch ohne Mittler bewirken, dass sie mit einer Stimme reden?
Paulus schreibt in Vers 19 keine Begründung, warum ein Mittler notwendig war, sondern er stellt fest, dass es einen Mittler gab. Mit dem Mittler war offensichtlich Mose gemeint. Nur Johannes Chrysostomus sah im Mittler den präexistenten Christus:
Entweder meint er mit den Engeln die Priester, oder es haben nach seinen Worten wirklich die Engel bei der Anordnung des Gesetzes Dienste getan. Unter Mittler versteht er hier aber Christus und zeigt dadurch, dieser sei früher gewesen und habe das Gesetz gegeben. (Johannes Chrysostomus, Kommentar zum Galaterbrief III,4)
Aus dem Zusammenhang legt sich jedoch der Bezug auf Mose nahe, da er es war, der dem Volk das Gesetz gegeben hat.
Mit dem Hinweis auf die Engel drückt Paulus aus, dass das Gesetz nicht direkt von Gott gegeben wurde.
Im Gegensatz dazu hat Gott, als der „Nachkomme“ kam, direkt gesprochen. Ohne Mittler. Er konnte das tun, weil Jesus das Wort Gottes ist. In Jesus Christus hat sich Gott selber offenbart. Da war keine Vermittlung notwendig.
Wie passt das aber zu 1 Timotheus 2,5, wo Jesus Christus als einziger Mittler zwischen Gott und den Menschen genannt wird?
5 Denn: Einer ist Gott, Einer auch Mittler zwischen Gott und Menschen: der Mensch Christus Jesus, 6 der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle, ein Zeugnis zur vorherbestimmten Zeit. (1 Timotheus 2,5-6)
Ich kann mir vorstellen, dass es die Spannung zwischen Galater 3,20 und 1 Timotheus 2,5 war, die die Übersetzer der „Hoffnung für Alle“ und der Neuen Genfer Übersetzung dazu gebracht hat, Abraham ins Spiel zu bringen und den Vers auf die Situation zu deuten, als Gott Abraham ohne Mittler die Verheißung gegeben hat.
Diese Erklärung ist jedoch nicht notwendig, wenn wir die unterschiedlichen Aspekte der beiden Stellen berücksichtigen. In Galater 3,20 geht es um die Unmittelbarkeit der Offenbarung. Da Jesus göttlicher Natur ist, hat Gott durch ihn ganz direkt gesprochen. Da war kein Mittler beteiligt. In 1 Timotheus 2,5 geht es um das Erlösungswerk Jesu. Paulus betont ausdrücklich, dass der Mensch Christus Jesus der einzige Mittler ist. Es war Gottes Plan, dass sein ewiger Sohn die Welt als Mensch erlöst. Versuchung und Sünde überwinden, das konnte er nur als Mensch. Die Bosheit seiner Feinde durch die liebevolle Hingabe bis zum Tod am Kreuz überwinden konnte er nur als Mensch. So hat er als Mensch in seiner Lebenshingabe und seiner Auferstehung die Erlösung vollbracht. In dieser Weise bleibt er für alle Ewigkeit unser Mittler.
Darum kann er auch die, die durch ihn vor Gott hintreten, für immer retten; denn er lebt allezeit, um für sie einzutreten. (Hebräer 7,25)
Zugleich ist Jesus der, durch den Gott direkt und unmittelbar zu uns gesprochen hat. So besteht zwischen Galater 3,20 und 1 Timotheus 2,5 kein Widerspruch. Beide Aussagen ergänzen einander.
Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. (Johannes 14,9b)