Denn viele sind gerufen, wenige aber auserwählt. (Matthäus 22,14)
Wollte Jesus mit diesem Wort auf die Prädestination hinweisen? Wählt Gott, auch wenn viele von ihm gerufen werden, doch nur einige wenige aus, die letztlich gerettet werden?
Vers 14 steht als Schlussfolgerung am Ende des Gleichnisses vom königlichen Hochzeitsmahl (Matthäus 22,1-14). Es geht darum, dass die von einem König zum Hochzeitsmahl seines Sohnes Eingeladenen nicht kommen wollten. Ihre Arbeit am Acker oder in ihrem Geschäftsbetrieb war ihnen wichtiger. Manche der Eingeladenen misshandelten und töteten sogar die vom König ausgesandten Diener. Deswegen entschloss sich der König nach einer Strafexpedition an den Mördern seiner Knechte, andere Leute zu rufen, wo immer sie an den Straßenkreuzungen zu finden waren. Auch unter diesen Gästen war einer ohne Hochzeitsgewand. Dieser wurde in die äußerste Finsternis geworfen.
Das Wort „rufen“ (καλέω / kaléō) kommt in diesem Gleichnis mehrfach vor. Ich zitiere nach dem wörtlicher übersetzten Münchener Neuen Testament (1998):
Vers 3: […] zu rufen die Gerufenen zur Hochzeit.
Vers 4: […] Sprecht zu den Gerufenen: […]
Vers 8: […] die Gerufenen aber waren nicht würdig.
Vers 9: […] und wieviele immer ihr findet, ruft zur Hochzeit.
In Vers 14 steht nicht das Verb καλέω / kaléō, sondern das Adjektiv κλητός / klētós. Doch leitet sich dieses Adjektiv von dem genannten Verb ab.
Im Gleichnis war es offensichtlich die eigene Entscheidung der Eingeladenen / Gerufenen, der Einladung nicht Folge zu leisten. Ihre Alltagsbeschäftigung war ihnen wichtiger als die Einladung des Königs zum Hochzeitsfest seines Sohnes. Es war der Wille des Königs, dass sie kommen sollten. Doch sie haben diesen Willen aus freier Entscheidung missachtet.
Wenn im Gleichnis der König für Gott steht, wird man nicht sagen können, dass der König in Wirklichkeit doch bewirkt hat, dass sie seiner Einladung nicht gefolgt sind.
Auch bei dem Menschen ohne Hochzeitsgewand, von dem in den Versen 11-13 die Rede ist, muss angenommen werden, dass er aus eigener Schuld kein Hochzeitsgewand hatte. Alle anderen von der Straße geholten Gäste hatten eines, das ihnen wohl angeboten worden war. Dieser eine Mann muss aus ungenannten Gründen die Annahme dieses Festkleides abgelehnt haben. Das war seine freie Entscheidung.
In Offenbarung 19,8b, wo es um das Kleid der Braut des Lammes, d. h., der Gemeinde, geht, heißt es:
Das Leinen bedeutet die gerechten Taten der Heiligen.
Der Mann ohne Hochzeitskleid hat sich der durch Gott gewirkten Heiligung verweigert, die zu gerechten Taten führt.
Aus dem Gleichnis geht hervor, dass alle, die nicht am Hochzeitsmahl teilnehmen durften, dafür selbst verantwortlich waren. Es wäre auch eine widersinnige Haltung des Königs, wenn er Menschen zur Hochzeit einlädt, die er dann nicht haben will.
Das mag es unter Menschen geben, dass sie sich aus unterschiedlichen Gründen verpflichtet sehen, jemanden einzuladen, den sie im Grunde gar nicht beim Fest dabeihaben wollen, und die dann auch froh sind, wenn diese Gäste dann nicht kommen. Aber Gott ist frei von einer derartig menschengefälligen oder berechnenden Gesinnung.
Warum heißt es dann aber in Vers 14, dass wenige auserwählt sind? Setzt das nicht voraus, dass letztlich doch Gott die Auswahl trifft?
Gott ist der Herr und er trifft die Auswahl. Doch er handelt nicht willkürlich. Er ruft die Menschen und sieht, wer auf seinen Ruf hört und sich des Rufes würdig erweist. Das ist die Grundlage für seine Auswahl. So sagt der König in Matthäus 22,8 zu seinen Dienern:
Das Hochzeitsmahl ist vorbereitet, aber die Gäste waren nicht würdig.
Darum schreibt Paulus im Epheserbrief:
1 Ich, der Gefangene im Herrn, ermahne euch, ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist, der an euch erging. 2 Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe 3 und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch das Band des Friedens! (Epheser 4,1-3)
Er schrieb das an Christen, die grundsätzlich schon zu den Erwählten gehörten. Vergleiche dazu die Ermahnung aus dem Kolosserbrief:
Bekleidet euch also, als Erwählte Gottes, Heilige und Geliebte, mit innigem Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Geduld! (Kolosser 3,12)
Dazu passt auch noch ein Wort von Petrus:
Darum, Brüder, befleißigt euch umso mehr, eure Berufung und Erwählung festzumachen! Denn wenn ihr diese ⟨Dinge⟩ tut, werdet ihr niemals straucheln. (2 Petrus 1,10 – Elberfelder)
Es liegt am von Gott gerufenen und erwählten Menschen, diesen Ruf festzumachen. Das tut er durch ein Leben aus dem Glauben im Gehorsam zu Gott. Dann wird erfüllt, was in Offenbarung 17,14b steht:
Denn es (das Lamm) ist der Herr der Herren und der König der Könige. Bei ihm sind die Berufenen, Auserwählten und Treuen.