Heutige Muslime haben oft ein negatives Bild über Paulus. Er sei derjenige gewesen, der das Evangelium verfälscht habe, der die Lehren über die Gottheit Jesu und seinen Opfertod am Kreuz eingeführt habe.
Es ist bemerkenswert, dass nach einer alten islamischen Quelle Mohammed und die frühen Muslime das anders gesehen haben. Ibn Hischām schrieb im 9. Jahrhundert1:
Jezid I. Habib Almissri hat mir berichtet er habe eine Schrift gefunden, in welcher die genannt sind, welche Mohammed in die verschiedenen Länder und zu den Fürsten der Araber und Fremden geschickt, und die auch das, was Mohammed seinen Gefährten bei ihrer Absendung gesagt hat, enthält. Er sandte die Schrift dem I. Schihab Azzuhri, welcher Kenntnis davon nahm. In dieser Schrift heisst es: Mohammed trat unter seine Gefährten und sagte: Gott hat mich euch als Barmherzigkeit und Abwehr gesandt, thut mir Genüge, Gott wird sich eurer erbarmen, und seid nicht widerspenstig gegen mich, wie es die Jünger gegen Isa I. Marjam waren. Sie fragten: worin waren sie widerspenstig? Er antwortete: er hat sie aufgerufen, wie ich euch, wer eine nahe Sendung hatte, freute sich damit und war zufrieden, aber wer in die Ferne gehen sollte zeigte Unwillen und weigerte sich. Isa klagte es Gott, dem Erhabenen, und am andern Morgen sprach Jeder von ihnen die Sprache des Volkes, zu dem er gesandt wurde. […] Unter den Jüngern und ihren Nachfolgern, welche Isa ausgesandt hatte, waren Peter und Paul, welch‘ Letzterer zu den Nachfolgern und nicht zu den Jüngern gehörte. Diese wurden nach Rom geschickt, und Andaräs und Manta (Mathä), in das Land wo die Menschen einander auffressen, Tomas nach Osten in das Land Babel, Philipp nach Karthagena, das ist Afrikijeh, Johannes nach Ephesus, in das Land der Gefährten der Höhle (der Siebenschläfer), Jakob nach Jerusalem, das ist Elilija, die Stadt des Heiligen Tempels, Ibn Thalma (Bartholomä), nach Arabien, in das Land Hedjaz, Simon in das Land der Berber und Jehudsa, der nicht zu den Jüngern gehörte, wurde an Judas‘ Stelle gesetzt.
Diesem Text können wir natürlich nicht entnehmen, wohin die Jünger Jesu tatsächlich gesandt wurden. Er zeigt uns nur, wie im 7. Jahrhundert in Arabien darüber gedacht wurde. Tod und Auferstehung Jesu sind selbstverständlich nicht erwähnt, wohl aber das Sprachenwunder zu Pfingsten.
Die Aussendung der Jünger zu weit entfernten Völkern widerspricht auch der Behauptung heutiger Muslime, dass Jesus nur zum Volk Israel gesandt worden sei.
Bei Paulus wurde vermerkt, dass er kein Jünger, sondern ein Nachfolger war. Das Wort „Jünger“ wurde nur für die verwendet, die Jesus während seines irdischen Dienstes nachgefolgt sind. Aber Mohammed hat nach diesem Text bestätigt, dass Paulus ein Nachfolger Jesu war, der nach Rom gesandt wurde.
Die Lehre, dass Paulus das Evangelium abgeändert habe, war also weder Mohammed noch den Muslimen des 9. Jahrhunderts bekannt. Damals wurde Paulus als einer der Nachfolger Jesu gesehen. Genauso wenig wie der Koran behauptet, dass das Evangelium verfälscht worden sei, dachten die frühen Muslime, dass Paulus das getan hätte.
Paulus war ein echter Nachfolger Jesu. Seine Botschaft entspricht dem Evangelium Jesu Christi.
Der Herr aber sprach zu ihm (Hananias): Geh nur! Denn dieser Mann (Paulus) ist mir ein auserwähltes Werkzeug: Er soll meinen Namen vor Völker und Könige und die Söhne Israels tragen. (Apostelgeschichte 9,15)
- Das Leben Mohammeds nach Mohammed Ibn Ishak bearbeitet von Abd el-Malik Ibn Hischam, aus dem Arabischen übersetzt von Dr. Gustav Weil, 2. Band, Stuttgart 1864, S.319. ↩