Hat Jesus nach seiner Auferstehung das Bußsakrament eingesetzt?

22 Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! 23 Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten. (Johannes 20,22-23)

Die für Katholiken verbindliche Interpretation dieser Worte Jesu hat im Jahr 1551 das Konzil von Trient in der 14. Sitzung formuliert:1

Der Herr aber setzte das Sakrament der Buße damals vor allem ein, als er nach seiner Auferstehung seine Apostel anhauchte mit den Worten: »Empfangt den Heiligen Geist. Denen ihr die Sünden nachlaßt, denen sind sie nachgelassen, und denen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten« (Jo 20,22f). Daß durch diese hervorstechende Handlung und durch die klaren Worte den Aposteln und ihren rechtmäßigen Nachfolgern zur Wiederversöhnung der nach der Taufe gefallenen Gläubigen die Vollmacht mitgeteilt wurde, Sünden nachzulassen und zu behalten, das ist die übereinstimmende Ansicht aller Väter, […] Deshalb billigt und übernimmt diese heilige Kirchenversammlung den ganzen wahren Sinn jener Herrenworte, und sie verurteilt die erfundenen Auslegungen derer, die jene Worte gegen die Einsetzung eines solchen Sakramentes fälschlich umdeuten auf eine Vollmacht, das Wort Gottes zu predigen und das Evangelium Christi zu verkünden.

In den Schlusssätzen desselben Dokuments wurde dogmatisch verbindlich festgelegt:2

Wer sagt, jene Worte des Herrn und Heilands: Empfangt den Heiligen Geist, denen ihr die Sünden nachlaßt, denen sind sie nachgelassen, und denen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten (Jo 20,22f), seien nicht von der Vollmacht, im Bußsakrament Sünden zu vergeben und zu behalten, zu verstehen, wie sie die Kirche immer von Anfang an verstanden hat; wer sie vielmehr in verdrehtem Sinn gegen die Einsetzung dieses Sakraments auf die Vollmacht, das Evangelium zu verkünden, bezieht, der sei ausgeschlossen.

Lesen wir diese Verse im Zusammenhang:

19 Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden bei verschlossenen Türen beisammen waren, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! 20 Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen. 21 Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. 22 Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! 23 Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten. (Johannes 20,19-23)

Es war die erste Erscheinung des auferstandenen Jesus im Kreis seiner Jünger. Johannes beschreibt die Freude der Jünger, die zuvor noch voller Furcht waren. Inhaltlich schreibt der Evangelist über die Sendung der Jünger. Jesus sendet die Jünger so wie auch ihn der Vater gesandt hat. Wesentlich für die Aussendung war die Gabe des Heiligen Geistes. Was Jesus durch das Zeichen des Anhauchens ausgedrückt hatte, wurde ca. sieben Wochen später volle Wirklichkeit, als die Jünger den Heiligen Geist empfangen hatten. Durch den Heiligen Geist hatten die Jünger die Vollmacht und Weisheit, die sie für die Verkündigung des Evangeliums brauchten. Deswegen haben sie erst nach der Ausgießung des Heiligen Geistes begonnen, die Gute Nachricht von Jesus mit Vollmacht zu verkünden. Im Zuge der Verkündigung war es auch wichtig zu erkennen, ob die Menschen, die sich gläubig der Gemeinde anschließen wollten, wirklich umgekehrt sind. Wer sich aufrichtig zu Jesus bekehrte, dem wurden die Sünden vergeben. Doch wenn offensichtlich war, dass es keine wirkliche Abwendung von den Sünden und Hinwendung zu Gott gab, konnten die Jünger dem Betreffenden die Vergebung nicht zusprechen.

Es wäre höchst erstaunlich, wenn Jesus inmitten seiner Worte plötzlich das Thema gewechselt hätte, wenn er zuerst über die Aussendung zur Mission gesprochen hätte und danach darüber, wie mit Sünden innerhalb der Gemeinde umgegangen werden sollte.

Lukas berichtet mit etwas anderen Worten über dieselbe Erscheinung Jesu:

36 Während sie noch darüber redeten, trat er selbst in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! […] 46 Er sagte zu ihnen: So steht es geschrieben: Der Christus wird leiden und am dritten Tag von den Toten auferstehen 47 und in seinem Namen wird man allen Völkern Umkehr verkünden, damit ihre Sünden vergeben werden. Angefangen in Jerusalem, 48 seid ihr Zeugen dafür. 49 Und siehe, ich werde die Verheißung meines Vaters auf euch herabsenden. Ihr aber bleibt in der Stadt, bis ihr mit der Kraft aus der Höhe erfüllt werdet! (Lukas 24,36.46-49)

Auch hier geht es um die Verkündigung des Evangeliums und die Sendung des Heiligen Geistes. Nicht geht es um die Sündenvergebung unter Christen.

Wie es innerhalb der Gemeinde sein soll, hat Jakobus geschrieben:

Darum bekennt einander eure Sünden und betet füreinander, damit ihr geheilt werdet! Viel vermag das inständige Gebet eines Gerechten. (Jakobus 5,16)

Die Sünden sollen einander bekannt werden, nicht einem Priester, der sich als von den „Nachfolgern“ der Apostel bevollmächtigt meint.

Über die Situation, dass ein Glied der Gemeinde nicht von seinen Sünden umkehren will, hat Jesus in Matthäus 18 gesprochen:

15 Wenn dein Bruder sündigt, dann geh und weise ihn unter vier Augen zurecht! Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen. 16 Hört er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei mit dir, damit die ganze Sache durch die Aussage von zwei oder drei Zeugen entschieden werde. 17 Hört er auch auf sie nicht, dann sag es der Gemeinde! Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner. (Matthäus 18,15-17)

Auch hier ist nicht von einem Priester die Rede, der die Vollmacht zur Absolution hätte, sondern zuerst soll der sündige Bruder unter vier Augen zurechtgewiesen werden. Ändert sich der Bruder, dann wird ihm die Sünde ganz ohne priesterliche Absolution vergeben. Ändert er sich nicht, dann ist es letztlich die Aufgabe der Gemeinde, ihn nochmals zu ermahnen und wenn diese Ermahnung auch nichts bewirkt, ihn aus der Gemeinde auszuschließen. Hört er auf die Gemeinde, empfängt er die Vergebung wieder ohne priesterliche Absolution. Die Gemeinde sieht sein reuevolles Herz und hat mit ihm volle geschwisterliche Gemeinschaft. Jesus hat in diesem Zusammenhang nichts über die Autorität eines Priesters gesagt, die Sünden zu vergeben oder zu behalten.

Selbst wenn man im Widerspruch zum Zusammenhang die Verse aus Johannes 20 auf die Sündenvergebung innerhalb der Gemeinde beziehen würde, kann keine besondere Vollmacht von Priestern, die sich als Beauftragte der Nachfolger der Apostel verstehen würden, abgeleitet werden. Denn Jesus hat hier zu allen versammelten Jüngern gesprochen. Lukas 24,33 nennt die „Elf und die mit ihnen versammelt waren“. Es waren auch Jünger, die nicht zum Kreis der Apostel gehörten, anwesend.

Doch der Zusammenhang spricht eindeutig für die Erklärung, die vom Konzil von Trient als eine „erfundene Auslegung“ in einem „verdrehten Sinn“ bezeichnet wurde. Es geht um die Vollmacht der Jünger bei der Verkündigung des Evangeliums.

Was die Aussage des Konzils betrifft, dass die Kirche diese Stelle „immer von Anfang an“ so verstanden habe, wie es das Trienter Konzil definiert hat, so ist festzuhalten, dass aus den ersten beiden christlichen Jahrhunderten keine Erklärung zu Johannes 20,22-23 vorhanden sind.

Augustinus (354-430) hat die Stelle dem Anschein nach auf die Vergebung innerhalb der Kirche bezogen, aber nicht in derselben Weise, wie es das Trienter Konzil getan hat.

„Welchen ihr die Sünden nachlasset“, sagt er, „denen sind sie nachgelassen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Die Liebe zur Kirche, welche durch den Heiligen Geist ausgegossen wird in unsern Herzen, läßt die Sünden ihrer Mitglieder nach, die Sünden derjenigen aber, welche ihr nicht angehören, behält sie. Daher hat er nach den Worten: „Empfanget den Heiligen Geist“, sofort dies über die Nachlassung und Behaltung der Sünden beigefügt. (Vorträge über das Johannesevangelium, 121,4)

Mir ist nicht ganz klar, wie er das verstanden hat. Er sieht einen Zusammenhang zwischen Zugehörigkeit zur Kirche und der Sündenvergebung. Das kann man darauf beziehen, dass denen, die Christen werden und durch die Taufe in die Gemeinde aufgenommen werden, die Sünden vergeben sind, denen, die das nicht machen, aber nicht. Das wäre dann noch nahe zur Verbindung mit der Verkündigung. Vielleicht war sein Gedanke aber der, dass diejenigen, die nicht zur offiziellen Kirche gehören, auch keine Sündenvergebung haben. Aber ein Bezug auf das katholische Bußsakrament scheint mir in seiner Erklärung nicht gegeben zu sein.

Auch die Erklärung von Chrysostomus (344-407) in der Homilie 86 zum Johannesevangelium entspricht nach meinem Verständnis nicht der späteren katholischen Lehre. Er versteht den Text so, dass die Jünger durch das Anhauchen Jesu sofort die Vollmacht zur Sündenvergebung erlangt haben, aber erst nach der Geistsendung auch die Vollmacht, Wunder zur wirken. Es geht bei ihm nicht um eine priesterliche Vollmacht zur Sündenvergebung innerhalb der Gemeinde.

Die Berufung des Konzils auf die alte Tradition steht daher zumindest auf wackligen Beinen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass das katholische Lehramt die Katholiken zu einer Bibelauslegung verpflichtet, die dem Zusammenhang dieser Verse widerspricht und die auch in den ältesten Erklärungen, die bereits aus der Zeit des Volkskirchentums stammen, keine verlässliche Grundlage findet.

Denen, die die Bibel in ihrem Zusammenhang verstehen wollen, wird die Exkommunikation angedroht. Diese Exkommunikation wird heute nicht praktiziert. Die Dogmen gelten dennoch als verpflichtend. Wer die Wahrheit liebt, hat in dieser Organisation keinen Platz.

Sündenvergebung findet man nicht bei einer Priesterkaste, sondern:

Wer seine Sünden verheimlicht, hat kein Glück, wer sie bekennt und meidet, findet Erbarmen. (Sprichwörter 28,13)

 


  1. Zitiert nach: Josef Neuner – Heinrich Roos, Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung, 13. Auflage, Regensburg 1971, S.416, Nr.644. 
  2. Neuner-Roos, S.425, Nr.662. 

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