Auf einer muslimischen Website wird neben anderen Stellen auch Psalm 45,3-8 als Beleg für die Ankündigung Mohammeds in der Bibel angeführt. Ich zitiere den ganzen Text:
Psalm 45 Vers 3-8
Du bist der Schönste unter den Menschenkindern, voller Huld sind deine Lippen; wahrlich, Gott hat dich gesegnet für ewig. Gürte dein Schwert an die Seite, du Held, und schmücke dich herrlich! Es möge dir gelingen in deiner Herrlichkeit. Zieh einher für die Wahrheit in Sanftmut und Gerechtigkeit, so wird deine rechte Hand Wunder vollbringen. Scharf sind deine Pfeile, daß Völker vor dir fallen; sie dringen ins Herz der Feinde des Königs. Gott, dein Thron bleibt immer und ewig; das Zepter deines Reichs ist ein gerechter Zepter. Du liebst Gerechtigkeit und hassest gottloses Treiben.
Diese Beschreibung paßt nur auf einen, der die Möglichkeit hat gegen seine Feinde vorgehen zu können. Jesu wurde von den Leuten nicht gelobt und geschmeichelt. Die Christen verehren zwar Jesu als Gott, aber sie sprechen keine Segnung über ihn aus. Vor Jesu sind keine Völker gefallen, weder in Sanftmut noch mit dem Schwert. Jesu hinterließ kein Reich.
Auf Muhammed treffen alle beschriebenen Eigenschaften zu. Die Menschen, die den Islam angenommen haben, sagten: Wahrlich, Muhammed: du bist der schönste den ich je gesehen habe und du bist der Freigiebigste den ich je getroffen habe. Alle Muslime sprechen während, und nach, dem Gebet die Segenswünsche über Muhammed. Und bei jeder Nennung des Namens Muhammed, spricht man die Lobpreisung. (Gottes Segen auf Muhammed und seiner Familie.) Wenn Muhammed das Schwert umhängte, so war ihm auch der Sieg von Gott gewährt. Bei der ersten Schlacht standen sich 300 Muslime gegen 900 Mekkaner gegenüber. Gott lies die Muslime gewinnen. Die Herrschaft des Islam ist bis heute geblieben, und das über weite Teile der Erde. Muhammed setzte sich für die Gerechtigkeit ein und verabscheute das gottlose Treiben.
Bevor ich auf die Argumentation dieses Textes eingehe, möchte ich mich mit dem Inhalt des Psalms und mit dessen Verständnis unter den frühen Christen beschäftigen.
Worum geht es in Psalm 45?
Die Einheitsübersetzung gibt Psalm 45 die treffende Überschrift: Ein Lied zur Hochzeit des Königs.
Nach dem einleitenden Vers 2 geht wird in den Versen 3-10 der König angesprochen. Seine Schönheit wird gerühmt, er wird zum Kampf für Wahrheit und Gerechtigkeit aufgerufen. Er, der das Recht liebt und das Unrecht hasst, wurde von Gott gesalbt. In Vers 10 wird die Königin zu seiner Rechten erwähnt, die in den Versen 11 und 12 angesprochen wird, ihr Volk und ihr Vaterhaus zu vergessen, um ihre Schönheit ganz dem König zu schenken. Es geht weiter mit der Beschreibung der Hochzeit (Verse 14-16). Der Psalm endet mit einem Ausblick auf die Zukunft, in der die Söhne des Königs als Fürsten herrschen werden (Vers 17). Alle Völker werden den König auf ewig preisen (Vers 18).
Manche Forscher haben versucht, diesen Psalm auf die Hochzeit eines Königs von Israel zu beziehen. Es wurden Salomo, Jerobeam II. oder Ahab, der eine phönizische Prinzessin – vergleiche Vers 13 – heiratete (1 Könige 16,31), genannt. Die beiden letztgenannten Könige, die in der Bibel wegen ihrer Gottlosigkeit verurteilt wurden (1 Könige 16,30-33; 2 Könige 14,23-24), kommen aber keinesfalls infrage. Auch Salomo, den seine ausländischen Frauen zum Götzendienst verführt haben (1 Könige 11,1-10), kann wohl nicht gemeint sein.
In der jüdischen Tradition wurde dieser Psalm auf den Messias bezogen, den man sich als kriegerischen Held vorgestellt hat. Die Braut wurde im Targum auf die Gemeinde Israel bezogen, die die schlimmen Taten der Gottlosen ihres Volkes vergessen sollte. In späteren rabbinischen Erklärungen wurde der Psalm auf andere wie die Söhne Korachs, auf Mose, Aaron oder Salomo bezogen.1 Die spätere Umdeutung könnte eine Reaktion auf die christliche Verwendung dieses Psalms gewesen sein. Doch findet sich in neueren Erklärungen wieder die messianische Deutung.
Wie haben die frühen Christen diesen Text verstanden?
Die ersten Christen waren Juden und haben vor dem Hintergrund der jüdischen Deutung Psalm 45 auf den Messias Jesus bezogen. In Hebräer 1, wo die Erhabenheit des Messias über die Engel herausgearbeitet wird, heißt es:
7 Und von den Engeln sagt er: Er macht seine Engel zu Winden und seine Diener zu Feuerflammen; 8 zum Sohn aber: Dein Thron, o Gott, steht für immer und ewig, und: Das Zepter deiner Herrschaft ist ein gerechtes Zepter. 9 Du liebst das Recht und hasst das Unrecht, darum, o Gott, hat dein Gott dich gesalbt mit dem Öl der Freude wie keinen deiner Gefährten. (Hebräer 1,7-9)
Die Verse 8-9 zitieren Psalm 45,7-8. Besonderes Augenmerk verdient die Anrede „o Gott“ in Vers 8. Der Hebräerbrief betont in Kapitel 1 auf verschiedene Weise die Gottheit des Sohnes. Anders als die Engel, die nur Diener sind, sitzt der als Gott angesprochene Sohn auf seinem Thron, der für immer und ewig steht. Der alttestamentliche Autor des Psalms hat wohl noch nicht die Göttlichkeit des Messias vor Augen gehabt, die in ihrer Fülle erst mit dem Kommen Jesu offenbart wurde. Das Wort Elohim konnte auch für einen Mächtigen stehen. Doch hat Gott mit dieser Wortwahl schon die volle Offenbarung vorbereitet, die durch den Schreiber des Hebräerbriefs ihren Ausdruck gefunden hat. Die von der Neue-Welt-Übersetzung der Zeugen Jehovas gewählte Formulierung „Gott ist dein Thron für immer und ewig“ ist grammatikalisch möglich, würde aber bedeuten, dass der Messias größer als Gott wäre, da dann der Messias auf Gott thronen würde. Das wäre absurd.
Andere Verse des Psalms werden im Neuen Testament nicht zitiert.
Es wird aber mehrmals thematisiert, dass die Gemeinde die Braut des Messias ist (2 Korinther 11,2; Epheser 5,25-29; Offenbarung 19,7-9). Der Messias kämpft nicht mit einem Schwert aus Eisen. Sein Schwert, mit dem auch seine Jünger kämpfen, ist das Wort Gottes (Epheser 6,17). Dieses Schwert trifft die Menschen ins Herz (Hebräer 4,12), so wie es die Pfeile in Psalm 45,6 tun (vergleiche auch Apostelgeschichte 2,37). In Offenbarung 6,2 versinnbildlicht der Bogen des ersten Reiters vermutlich die Verkündigung des Evangeliums. Auch wenn hier der Psalm nicht zitiert wird, kann man aus diesen Stellen erschließen, wie verschiedene Bilder des Psalms von der frühen Kirche verstanden werden konnten.
Zur islamischen Interpretation
In dem eingangs zitierten Text fehlt die Erklärung der Anrede „Gott“. Oder soll der Satz „Die Christen verehren zwar Jesu als Gott […]“ ausdrücken, dass es gerechtfertigt ist, Jesus als Gott zu verehren? Oder soll gesagt werden, dass man Mohammed als Gott verehren soll? Das wäre allerdings für einen Muslim die schlimmste aller Sünden. Die Fortsetzung dieses Satzes: „[…] aber sie sprechen keine Segnung über ihn aus“ ist rätselhaft. Ich habe im ganzen Psalm keine Aussage gefunden, dass der Messias gesegnet werden soll. Vielleicht liegt hier eine Verwechslung mit Psalm 72 vor, der im Text anschließend behandelt wird. Zu diesem Psalm gibt es einen eigenen Beitrag.
Es ist korrekt, dass vor Jesus keine Völker gefallen sind, da weder er noch seine Jünger Kriege geführt haben. Es haben sich vor ihm jedoch Menschen aus allen Völkern gebeugt, die ihn als ihren Herrn und König anerkannt haben. Bei seinem zweiten Kommen wird er als Richter allen, die gegen ihn rebellierten, das Urteil sprechen.
Nicht korrekt ist, dass Jesus kein Reich hinterlassen hat. Anders als Mohammed ist Jesus nicht mit militärischer Gewalt gegen andere Menschen vorgegangen. Er hat kein Reich erobert, in welchem schon wenige Jahrzehnte nach seinem Tod seine Nachfolger mit Gewalt gegeneinander gekämpft haben. Jesus hat ein Reich völlig anderer Art begründet:
36 Jesus antwortete: Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn mein Königtum von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde. Nun aber ist mein Königtum nicht von hier. 37 Da sagte Pilatus zu ihm: Also bist du doch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme. (Johannes 18,36-37)
Das Reich Jesu gründet auf der Wahrheit, wie es auch in Psalm 45,5 heißt:
In deiner Hoheit habe Erfolg, kämpfe für die Wahrheit und für die gebeugte Gerechtigkeit! Furcht gebietende Taten soll deine Rechte dich lehren.
Überall dort, wo Menschen Jesus in Wahrheit und Gerechtigkeit nachfolgen, ist sein Reich Wirklichkeit. Dieses Reich besteht in alle Ewigkeit.
Das islamische Hauptargument besteht darin, dass Mohammed im Gegensatz zu Jesus Kriege geführt hat. Doch gerade dadurch wird die große Änderung, die Jesus gebracht hat, außer Acht gelassen. Bis zum Kommen des Messias war Gottes Reich mit einem konkreten Volk und daher auch mit einem konkreten Staatswesen verbunden. Durch Jesus wurde das Reich Gottes für alle Völker geöffnet. Darum ist Gottes Reich kein irdisches Reich, das mit Blutvergießen verbreitet wird. Wenn Mohammed angeblich im Namen Gottes Kriege geführt hat, hat er dadurch das göttliche Wirken des Messias geleugnet.
Interessant ist, dass im islamischen Text Psalm 45,5b so lautet:
[…] so wird deine rechte Hand Wunder vollbringen.
In diesem Fall würde die dem hebräischen Text besser entsprechende Version der Einheitsübersetzung eher auf Mohammed passen:
Furcht gebietende Taten soll deine Rechte dich lehren.
Mohammed hat tatsächlich Angst und Schrecken verbreitet, was zwar dem Buchstaben des Psalms entsprechen könnte, aber nicht der Intention, nämlich Taten, die zur Gottesfurcht führen. Dem Koran zufolge hat Mohammed aber keine Wunder gewirkt. Somit widerspricht die von dem islamischen Apologeten gewählte Übersetzung sogar seiner eigenen Erklärung.
Nach dem Zeugnis des Korans ist Jesus der Messias, nicht Mohammed. Nach altem jüdischen Verständnis handelt Psalm 45 vom Messias. Wenn der Koran das Alte und das Neue Testament bestätigt, kann es in diesem Psalm nicht um Mohammed gehen.
Es stellt sich weiters die Frage, um welche Hochzeit es bei der Deutung auf Mohammed geht. Handelt es sich um die neunjährige Aischa, die ihr Volk und ihr Vaterhaus vergessen sollte? Das passt nicht, da doch ihr Vater der erste Kalif wurde. Oder handelt es sich um Zainab, die Frau von Mohammeds Adoptivsohn, die Mohammed auf Befehl Allahs heiraten musste? Oder um irgendeine andere seiner neun bis elf Frauen? Diese Frage wird leider nicht beantwortet. Mir ist nicht bekannt, dass im Islam die Ummah sich als Braut des Propheten sieht. Eine Deutung, wie sie bei Jesus und der Gemeinde möglich ist, fällt daher weg.
Und wer sind die Söhne, die Mohammed nach Psalm 45,17 im ganzen Land einsetzen sollte? Nach der Überlieferung starb der einzige Sohn Mohammeds bereits im Kindesalter. Bei einer allegorischen Deutung auf den Messias besteht dieses Problem nicht. Gewiss hatte Jesus keine Kinder. Aber alle seine Nachfolger haben teil an seiner Herrschaft (vergleiche Offenbarung 5,10).
Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass es in Psalm 45 nicht um Mohammed geht. Muslime sind eingeladen, die Bibel nicht als Steinbruch für angebliche Ankündigungen Mohammeds zu verwenden, sondern auf den Ruf Gottes zu hören und sich dem von ihm gesandten Messias Jesus unterzuordnen. Er schenkt, was Mohammed nicht geben kann: Vergebung der Sünden und ein Leben in Reinheit und Heiligkeit zur Ehre Gottes.
- Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch von Hermann L. Strack und Paul Billerbeck, 3. Band, München 1926, S.679. ↩