Eine lebenspendende Kuh

Eine etwas eigenartige Geschichte lesen wir in Sure 2,67-73.

67 Und als Musa zu seinem Volk sagte: „Allah befiehlt euch, daß ihr eine Kuh schlachten sollt!“ Sie sagten: „Machst du dich über uns lustig?“ Er sagte: „Ich nehme Zuflucht bei Allah (davor), daß ich zu den Toren gehöre!“ 68 Sie sagten: „Bitte für uns deinen Herrn, uns Klarheit zu geben, wie sie sein soll!“ Er sagte: „Er (Allah) sagt, es soll eine Kuh sein, die weder zu alt noch zu jung zum Kalben ist, sondern dazwischen, in mittlerem Alter. So tut nun, was euch befohlen wird!“ 69 Sie sagten. „Bitte für uns deinen Herrn, uns Klarheit zu geben, welche Farbe sie haben soll!“ Er sagte: „Er (Allah) sagt, es soll eine gelbe Kuh sein, von lebhafter Farbe, die die Betrachter erfreut.“ 70 Sie sagten: „Bitte für uns deinen Herrn, uns Klarheit zu geben, wie sie sein soll! Die Kühe erscheinen uns (alle) ähnlich. Doch wenn Allah will, so werden wir wahrlich rechtgeleitet sein.“ 71 Er sagte: „Er (Allah) sagt, es soll eine Kuh sein, nicht fügsam gemacht durch Pflügen der Erde noch durch Bewässern von Saatfeld, fehlerfrei und makellos!“ Sie sagten: „Jetzt bist du mit der Wahrheit gekommen.“ So schlachteten sie sie, doch beinahe hätten sie es nicht getan. 72 Und (gedenkt,) als ihr jemanden getötet hattet und euch darüber strittet; und Allah wollte herausbringen, was ihr verborgen hieltet. 73 Da sagten Wir: „Schlagt ihn mit einem Stück von ihr!“ So macht Allah die Toten wieder lebendig und zeigt euch Seine Zeichen, auf daß ihr begreifen möget.

Aufgrund dieser Geschichte erhielt die zweite Sure ihren Namen: al-Baqarah / die Kuh. Im Alten Testament ist sie nicht zu finden, obwohl vier Bücher (Exodus, Levitikus, Numeri, Deuteronomium) über die Wanderung der Israeliten durch die Wüste handeln, während der diese Begebenheit anzusetzen ist, da Mose am Ende des Wüstenzugs starb. Auch die jüdische Überlieferung, die sonst manchmal eine Quelle für den Koran darstellt, kennt diese Geschichte nicht.

Doch Ibn Kathir, der im 14. Jahrhundert wirkte, kannte alle Hintergründe.1

Ibn Abbas, Mudschahid, Suddijj, Ubaida as-Salmani u. a. berichten: Ein Mann vom Volk Israel hatte viel Besitz. Er war ein alter Mann und hatte Nachkommen seines Bruders, die seinen Tod wünschten, um ihn zu beerben. Einer von ihnen tötete ihn in der Nacht und warf ihn auf eine Wegkreuzung es wird auch berichtet: vor die Tür von einem von ihnen. Am nächsten Morgen, als die Leute aufstanden, stritten sie wegen ihm. Der Sohn seines Bruders kam hinzu, schrie und beklagte sich. Sie sagten: ‚Warum streitet ihr denn und geht nicht zum Propheten Gottes? Da ging der Sohn seines Bruders zum Gesandten Gottes, Moses, Allahs Segen und Heil auf ihm, und klagte ihm die Angelegenheit seines Onkels. Da sagte Moses: ‚Ich fordere bei Allah einen jeden Mann auf, der Wissen über diese Mordangelegenheit hat, dass er uns dies sagen möge.‘ Keiner von ihnen wusste etwas darüber und sie baten ihn, dass er seinen Herrn bezüglich dieser Angelegenheit fragen möge. Da fragte er Allah diesbezüglich. Allah wies ihn daraufhin an, dass er ihnen die Schlachtung einer Kuh befehlen möge: Wahrlich, Allah befiehlt euch, eine Kuh zu schlachten“ [2:67] …“
Ibn Kathir: „ ... Schließlich schlachteten sie die Kuh, nachdem sie zögerten, und Allah wies sie an, den Toten mit einem Teil der geschlachteten Kuh es wird u. a. berichtet: mit dem Fleisch des Schenkels … – zu schlagen, worauf Allah den toten Mann zum Leben erweckte, wobei sein Blut so floss, als ob er gerade getötet worden war Da fragte ihn der Prophet Gottes, Moses: ‚Wer hat dich ermordet?‘, worauf er antwortete: ‚Der Sohn meines Bruders.‘ Daraufhin war er wieder tot wie er es gewesen war.“

Adam bin abi Ijjas berichtet von Abu ́Ãlija: „ … Daraufhin wurde sein Mörder genommen – wobei es derjenige war, der zu Moses gegangen war und ihm die Angelegenheit geklagt hatte. Und so tötete Allah ihn aufgrund seiner übelsten Tat.“

Es ist faszinierend zu sehen, wie Allah diese Begebenheit, die das Volk Israel direkt betroffen hatte, vor den Israeliten fast 2000 Jahre verborgen hatte, um sie dann im Koran „herabzusenden“. Noch faszinierender ist, dass die Hintergründe dieses Wunders erst mehr als 700 Jahre später so genau aufgeschrieben wurden. Das ist ein vielleicht noch größeres Wunder als die in der Erklärung geschilderte Totenerweckung, zumal diese nur vorübergehend war.

Es sieht so aus, dass es während der Zeit der Wüstenwanderung zwei Totenerweckungen gab, die Allah vor seinem Volk Israel verborgen hat, aber dem Autor der zweiten Sure offenbart hat. Über die erste Totenerweckung handelt dieser Beitrag.

Oder sollte man nicht doch eher nach einer anderen Erklärung suchen?

Numeri 19,1-9 spricht über eine fehlerlose, einwandfreie rote Kuh bringen, die noch nie ein Joch getragen hat. Diese Kuh soll geschlachtet und anschließend verbrannt werden. Die Asche sollte gesammelt werden und zur Zubereitung des Reinigungswassers aufbewahrt werden. Die Beschreibung der Kuh in Sure 2 erinnert an die Beschreibung in Numeri 19, wenngleich eine unterschiedliche Farbe genannt wird.

Ferner gibt es in Deuteronomium 21,1-9 eine Vorschrift, was zu tun ist, wenn jemand auf freiem Feld ermordet wird. Durch das Töten einer Kuh soll dieses Verbrechen gesühnt werden.

Für moderne Menschen hören sich diese Rituale seltsam an. Es ist klar, dass weder die Asche einer verbrannten Kuh uns von unserer Schuld reinigen kann, noch das Töten einer Kuh in einem Bachbett einen Mord sühnen kann. Diese Rituale sollten die Menschen daran erinnern, dass Schuld keine Kleinigkeit ist, über die man einfach hinweggehen kann. Die Sünde trennt den Menschen von Gott. Das Töten der Kuh (nach Deuteronomium 21) ersetzt nicht die Bestrafung des Mörders. Sollte der Mörder doch gefunden werden, musste er für seine Sünde bestraft werden. Doch durch das Töten der Kuh haben die Ältesten der Stadt sich ausdrücklich von dieser Gräueltat distanziert.

Wäre es nicht möglich, dass wir in Sure 2,67-73 eine Verbindung dieser beiden biblischen Vorschriften finden, die der Autor dieses Textes vielleicht nur vom Hörensagen kannte und mit etwas Fantasie verknüpft hat? Noch mehr Fantasie hatten die Menschen, auf die sich mehr als 700 Jahre später Ibn Kathir als Quellen berufen hat, oder vielleicht Ibn Kathir selber. Mir erscheint das zumindest wahrscheinlicher, als dass Gott diese Begebenheit fast 2000 Jahre oder länger verborgen hat, um sie für den Autor der Sure al-Baqara aufzubewahren.

Die rote Kuh wird auch im Hebräerbrief erwähnt:

13 Denn wenn schon das Blut von Böcken und Stieren und die Asche einer jungen Kuh die Unreinen, die damit besprengt werden, so heiligt, dass sie leiblich rein werden, 14 um wie viel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst als makelloses Opfer kraft des ewigen Geistes Gott dargebracht hat, unser Gewissen von toten Werken reinigen, damit wir dem lebendigen Gott dienen. (Hebräer 9,13-14)

Die „leibliche Reinheit“, von der in Vers 13 die Rede ist, meint kultische Reinheit. Durch das Besprengen mit Opferblut oder mit dem mit der Asche der roten Kuh hergestellten Reinigungswasser konnte ein Mensch, der sich kultisch verunreinigt hatte, wieder am Gottesdienst Israels teilnehmen.

Die Opfer des Alten Testaments waren ein Hinweis auf das vollkommene Opfer Jesu Christi. Er hat sein Blut vergossen, sein Leben hingegeben, damit er unser Gewissen von toten Werken reinigen kann, von den Sünden, die uns von Gott trennen. Diese Sünden werden nicht symbolisch oder rituell entfernt. Die Reinigung, die Jesus schenkt, ist eine Änderung des Lebens. Das Gewissen wird von den toten Werken gereinigt, sodass man diese toten Werke, die Sünden, nicht mehr tut.

Die Kuh in der zweiten Sure hat (nach der Erklärung von Ibn Kathir) einem Toten für kurze Zeit das Leben geschenkt, damit er seinen Mörder bekanntgeben kann.

Jesus schenkt den wegen ihrer Sünden geistlich Toten, die auf seine Stimme hören, ewiges Leben.

24 Amen, amen, ich sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben; er kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tod ins Leben hinübergegangen. 25 Amen, amen, ich sage euch: Die Stunde kommt und sie ist schon da, in der die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden; und alle, die sie hören, werden leben. (Johannes 5,24-25)


  1. Zitiert nach: Samir Mourad, Korantafsīr: basierend auf authentischen Überlieferungen und den Tafsiren von Tabari und Ibn Kathir, Band 1, Heidelberg, 2012, S.96-97. 

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