31 Simon, Simon, siehe, der Satan hat verlangt, dass er euch wie Weizen sieben darf. 32 Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du wieder umgekehrt bist, dann stärke deine Brüder! (Lukas 22,31-32)
Neben den Worten „Du bist Petrus …“ (Matthäus 16,18) und „Weide meine Schafe!“ (Johannes 21,15-17) wird auch diese Stelle aus dem Lukasevangelium im Hinblick auf das Papsttum verwendet.
Aus kirchlichen Dokumenten
Ich habe diese Stelle in folgenden Dokumenten des katholischen Lehramts gefunden:
Brief Papst Leos IX an den Patriarchen von Konstantinopel, Michael Kerullarios (1053)1
Die heilige Kirche ist gebaut auf den Fels, d. h. Christus, und auf Petrus oder Kephas, den Sohn des Johannes, der früher Simon hieß, auf den Fels, der von den Pforten der Hölle, nämlich von den Angriffen der Irrgläubigen, die eitle Menschen zum Verderben führen, nicht überwunden wird. So verspricht es die Wahrheit selbst, durch die wahr ist, was immer wahr ist: »Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen« (Mt 16,18). Und die Erfüllung dieser Verheißung hat der Sohn vom Vater erfleht, wie er Petrus gegenüber versichert: »Simon, siehe der Satan« usw. (Lk 22,31). Sollte also einer so verblendet sein und das Gebet dessen, bei dem Wollen und Können ist, irgendwie für nutzlos halten? Sind nicht vom Stuhl des Apostelfürsten, d. h. von der römischen Kirche, durch Petrus selbst sowohl wie auch durch seine Nachfolger, die Behauptungen aller Irrlehrer zurückgewiesen, widerlegt und niedergeworfen worden? Sind nicht die Herzen der Brüder gestärkt worden im Glauben Petri, der bisher nie wankte, noch je wanken wird?
Erstes Vatikanisches Konzil, Vierte Sitzung (1870)2
Ihre apostolische Lehre haben alle ehrwürdigen Väter angenommen, die heiligen rechtgläubigen Lehrer haben sie in Ehren gehalten und sind ihr gefolgt. Sie wußten voll und ganz, waren tief davon überzeugt, daß dieser Stuhl des heiligen Petrus stets von allem Irrtum frei bleibe, gemäß der göttlichen Verheißung, die unser Herr und Erlöser dem Fürsten seiner Jünger gegeben: »Ich habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht wanke, und nach deiner Umkehr stärke deine Brüder!« (Lk 22,32).
Zweites Vatikanisches Konzil, 5. Sitzung (1965), Dogmatische Konstitution über die Kirche3
[…] Diese Unfehlbarkeit, mit welcher der göttliche Erlöser seine Kirche bei der Definierung einer Glaubens- und Sittenlehre ausgestattet sehen wollte, reicht so weit, wie die Hinterlage der göttlichen Offenbarung, welche rein bewahrt und getreulich ausgelegt werden muß, es erfordert. Dieser Unfehlbarkeit erfreut sich der Bischof von Rom, das Haupt des Bischofskollegiums, kraft seines Amtes, wenn er als oberster Hirt und Lehrer aller Christgläubigen, der seine Brüder im Glauben stärkt (vgl. Lk 22,32), eine Glaubens- oder Sittenlehre in einem endgültigen Akt verkündet. […]
In den beiden vatikanischen Dokumenten wird Lukas 22,32 im Zusammenhang mit dem Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes genannt. Im Brief Leos IX, den er zu einer Zeit geschrieben hat, als es dieses Dogma noch nicht gab, ist der Zusammenhang ähnlich. Es geht um die Zurückweisung der Irrlehrer durch das päpstliche Lehramt.
Der Zusammenhang der Stelle
Jesus sagte diese Worte zu Petrus bei seinem letzten Zusammensein mit seinen Jüngern nach dem letzten Abendmahl. In den Versen 24-30 geht es um einen Streit unter den Jüngern, wer von ihnen der Größte sei, und die Antwort Jesu darauf. Jesus wies darauf hin, dass die wahre Größe im Dienen besteht. Er selber wurde unter ihnen wie ein Diener.
In Vers 31 gibt es einen Neuansatz. Jesus richtet seine Worte direkt an Petrus. Er spricht von der Absicht Satans, die Jünger wie Weizen zu sieben. Er spricht auch von seinem Gebet für Petrus, dass er im Glauben fest bleibe, sodass er nach seiner Umkehr die Brüder stärken könne. Auf die selbstbewusste Antwort von Petrus, sogar ins Gefängnis oder in den Tod zu gehen, kündigt ihm Jesus an, dass Petrus ihn, noch ehe der Hahn kräht, dreimal verleugnen werde.
Damit wird auch klar, warum Jesus von der kommenden Umkehr von Petrus sprach. Nachdem er seinen Herrn verleugnet hatte, musste er wieder umkehren. Nach dieser Umkehr sollte er wieder fähig sein, seine Brüder zu stärken. Das sollte er tun und hat er auch getan.
Wie passt die katholische Lehre zum Text?
In Lukas 22,31-32 geht es um die Person von Petrus. Es geht um seine Sünde und um seine Umkehr davon. Da ist keine Rede von eventuellen Nachfolgern, die ein Amt ausfüllen sollten, von dem Jesus nie gesprochen hat. Es geht auch nicht um Unfehlbarkeit. Nicht einmal die Unfehlbarkeit von Petrus kann aus diesen Worten herausgelesen werden, schon gar nicht eine Unfehlbarkeit von zukünftigen Menschen auf seinem behaupteten Thron. Natürlich war Petrus in seiner Verkündigung von Gott geführt. Er hat die Wahrheit so klar und so richtig verkündigt, dass die von ihm in der Apostelgeschichte und in seinen beiden Briefen überlieferten Worte ein Teil der Heiligen Schrift sind und so zum Fundament des den Heiligen ein für alle Mal überlieferten Glaubens (Judas 3) gehören. Aber aus Galater 2,11-14 sehen wir, dass auch Petrus situativ falsch handeln konnte und Korrektur brauchte, die er auch angenommen hat.
Es ist willkürlich, ein Wort Jesu an Petrus aus dem Zusammenhang zu reißen und auf alle seine angeblichen Nachfolger zu beziehen. Die zwölf Apostel hatten eine in der Kirchengeschichte einmalige Aufgabe. Es kann daher keine Nachfolger der Apostel geben. Eine nähere Erklärung dazu gibt es in diesem Beitrag. Der Anspruch der Bischöfe von Rom, Nachfolger von Petrus zu sein, ist auch aus dem Grund nicht zu halten, dass Petrus nicht Bischof von Rom war. Mehr dazu hier.
Die Aufgabe, die Brüder zu stärken, kann nicht auf eine einzige Person oder eine einzige Institution beschränkt werden. In der Gemeinde Jesu Christi haben alle Jünger die Aufgabe, einander zu stärken und zu erbauen.
Das Wort στηρίζω / stērízō („stärken“) finden wir, abgesehen von den Stellen, wo von der Stärkung durch Gott oder Christus die Rede ist, im Zusammenhang mit Paulus,
Denn ich sehne mich danach, euch zu sehen; ich möchte euch ein wenig mit geistlicher Gnadengabe beschenken, damit ihr gestärkt werdet […] (Römer 1,11)
Timotheus,
[…] und schickten Timotheus, unseren Bruder und Gottes Mitarbeiter am Evangelium Christi, um euch zu stärken und in eurem Glauben aufzurichten, […] (1 Thessalonicher 3,2)
sowie an zwei Stellen von der Gemeinde:
Habt auch ihr Geduld, stärkt eure Herzen! Denn die Ankunft des Herrn ist nahe gekommen. (Jakobus 5,8)
Man könnte die Stelle auch so verstehen, dass jeder sein eigenes Herz stärken soll. Aber in der Gemeinde ist das auch eine Aufgabe aneinander.
Werde wach und stärke, was noch übrig ist, was schon im Sterben lag! Denn ich habe nicht gefunden, dass deine Taten in den Augen meines Gottes vollkommen sind. (Offenbarung 3,2)
Hier ist die Gemeinde von Sardes angesprochen, die „dem Namen nach lebt, aber tot ist“ (Offenbarung 3,1). Die Stärkeren sollen die Schwachen stärken, die dem geistlichen Tod schon nahegekommen waren. Keinesfalls geht es hier um die Aufgabe eines „Papstes“.
Auch aus dem Bild des Leibes, das Paulus in 1 Korinther 12,12-31 verwendet, sieht man, dass die Gemeinde aus dem gegenseitigen Dienst aneinander lebt.
Im Hinblick auf Petrus hat Jesus deswegen davon gesprochen, dass er nach seiner Umkehr seine Brüder stärken soll, weil er sich durch die Verleugnung Jesu dazu unfähig gemacht hat. Man kann gewiss sagen, dass Petrus als Apostel mehr Verantwortung für seine Brüder zu tragen hatte als andere Christen. Doch das Stärken der Brüder ist keine Sonderaufgabe eines Einzigen.
Die Verwendung dieser Worte Jesu an Petrus im Zusammenhang mit dem Papsttum ist also völlig willkürlich und ein Missbrauch dieses Textes.
Wenn wir bedenken, dass jemand, der sich mit „Heiliger Vater“ anreden lässt, in ständigem Ungehorsam gegen die Worte Jesu in Matthäus 23,9 lebt, stellt sich die Frage, wieso gerade dieser Mensch derjenige sein soll, der seine Brüder stärkt. Im Gegensatz zu Petrus ist dieser Mensch nicht von seiner Sünde umgekehrt.
Im Zusammenhang von Lukas ist die Rede vom Streit der Jünger darüber, wer der Größte ist. Jesus hat sie auf die Notwendigkeit des Dienens hingewiesen. Der Papst nennt sich zwar „Diener der Diener Gottes„, hat aber dennoch den Anspruch, der Größte zu sein, auch wenn die Zeiten vorbei sind, als alle Fürsten des Papstes Füße küssen sollten.
Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe. (Johannes 13,15)