„Diener der Diener Gottes“

Der Größte von euch soll euer Diener sein. (Matthäus 23,11)

In seiner Rede gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten kritisierte Jesus deren Ehr- und Titelsucht und sagte seinen Jüngern eindringlich, dass es so etwas unter ihnen nicht geben dürfe.

5 Alles, was sie tun, tun sie, um von den Menschen gesehen zu werden: Sie machen ihre Gebetsriemen breit und die Quasten an ihren Gewändern lang, 6 sie lieben den Ehrenplatz bei den Gastmählern und die Ehrensitze in den Synagogen 7 und wenn man sie auf den Marktplätzen grüßt und die Leute sie Rabbi nennen. 8 Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder. 9 Auch sollt ihr niemanden auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel. 10 Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen; denn nur einer ist euer Lehrer, Christus. 11 Der Größte von euch soll euer Diener sein. 12 Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden. (Matthäus 23,5-12)

Für die Jünger Jesu zählt die Ehre vor Gott, nicht die Ehre vor den Menschen, anders als bei den Gegnern Jesu, denen er vorwarf:

Wie könnt ihr zum Glauben kommen, wenn ihr eure Ehre voneinander annehmt, nicht aber die Ehre sucht, die von dem einen Gott kommt? (Johannes 5,44)

Geistliche Größe zeigt sich nicht in Ehrenplätzen und schönen Titeln, sondern in Demut und dem Wunsch zu dienen. Bei den frühen Christen wurde das auch so gelebt.

Im Laufe der Jahrhunderte hat sich jedoch im Gegensatz zu den Worten Jesu immer mehr eine Hierarchie herausgebildet, in der die unterschiedlichen Stufen der Ehre und Würde genau geregelt sind. Die Spitze dieses hierarchischen Systems bildet das Papsttum, dessen Amtsinhaber sich „Heiliger Vater“ nennen lässt, was den Worten Jesu in Matthäus 23,9 völlig widerspricht.

Die Päpste führen jedoch seit dem späten 6. Jahrhundert auch einen Titel, in welchem sie ihre Demut zum Ausdruck bringen. Sie nennen sich „Servus Servorum Dei“ – „Diener der Diener Gottes“. Vielleicht hatte Gregor I. (Papst 590-604), der diesen Titel einführte, Matthäus 23,11 vor Augen.

Der Überlieferung zufolge soll Gregor diesen Titel im Kontrast zu Johannes IV. Nesteutes (oder: der Faster), dem Patriarchen von Konstantinopel, geführt haben. Dieser hatte den Titel eines „Ökumenischen Patriarchen“ angenommen, welcher von den Patriarchen von Konstantinopel bis heute geführt wird. Gregor hat die Führung eines derartigen Titels als anmaßend empfunden und wollte durch die Selbstbezeichnung als „Diener der Diener Gottes“ (eigentlich: „Sklave der Sklaven Gottes“) einen Kontrast betonen. Es scheint tatsächlich so gewesen zu sein, dass Gregor, anders als spätere Päpste, mehr Wert auf Demut und Bescheidenheit gelegt hat und ihm der Ruhm vor Menschen nicht so wichtig war. Diese Beurteilung ist aber mangels profunder Beschäftigung mit seiner Person als vorläufig zu sehen.

Gregor hat Johannes wegen der Führung des Titels „Ökumenischer Patriarch“ einen Brief geschrieben, aus dem ich einige Auszüge zitiere.

[…] Da man nun die Wunden mit schonender Hand berühren muß, ehe man sie ausschneidet, so bitte und flehe ich mit aller Zärtlichkeit, deren ich fähig bin, Ew. Brüderlichkeit möge doch allen Schmeichlern, Allen, die Euch einen auf Unwahrheit beruhenden Namen geben, Widerstand leisten und sich nicht mit einem thörichten und stolzen Titel benennen lassen. […]

Bedenke, ich bitte Dich, daß durch diese frevelfafte Anmaßung der Friede in der ganzen Kirche gestört und die Gemeinschaft der Gnadenausgießung geläugnet wird. Auch Du selbst wirst nur insoweit an Gnade zunehmen können, als Du geringer wirst in Deinen eigenen Augen. Um so größer wirst Du, — je mehr Du Dich von der Anmaßung jenes thörichten und stolzen Titels ferne hältst. […]

[…] was wirst Du Christo, dem Haupte der ganzen Kirche, beim jüngsten Gerichte antworten, da Du alle seine Glieder durch den Titel eines „Allgemeinen“ Dir unterwerfen willst? Wer, ich bitte Dich, ist das Vorbild für diesen so ungerechten Titel, als Derjenige, der die ihm gleichgestellten Engelschaaren verachtete und sich auf den Gipfel der Alleinherrschaft schwingen wollte, um Keinem unterthan, Allen aber allein vorgesetzt zu scheinen? […]

Dieß alles sehe ich mit Thränen und fürchte Gottes geheime Gerichte; lauter wird mein Weinen, die Brust kann mein Seufzen nicht mehr ertragen, weil mein Herr Johannes, jener so heilige Mann voll Abtödtung und Demuth, durch die verführerischen Reden seiner Hausgenossen sich zu solchem Stolz hat hinreissen lassen, daß er im Verlangen nach einem falschen Titel Dem ähnlich zu werden sucht, der in seinem Stolze Gott gleich werden wollte und dadurch auch die ihm verbliebene Gnade der Gottähnlichkeit verlor. […]

Siehe wir wissen, daß unser Schöpfer von der Höhe seiner Herrlichkeit herabgestiegen sei, um dem Menschengeschlechte Ehre zu erwerben, und wir elende Geschöpfe freuen uns der Herabsetzung unsrer Brüder! Bis in unsern Staub hat Gott sich erniedrigt, und der staubgeborene Mensch erhebt seinen Mund gegen den Himmel, seine Zunge fegt die Erde, und er schämt sich nicht; ja es trägt kein Bedenken, sich zu erheben, der Verwesungs-Mensch, der Wurm von Menschenkind. […]

Fürchten wir uns also der Zahl Derer beigezählt zu werden, welche nach den ersten Plätzen in den Synagogen streben und nach Begrüßungen auf dem Marktplatze, und die es lieben, von den Leuten „Rabbi“ genannt zu werden. Dem gegenüber sagt der Herr zu seinen Jüngern: „Ihr aber, laßt Euch nicht Rabbi nennen! Denn Einer ist euer Meister, ihr aber seid alle Brüder. Und Vater nennet euch Niemanden auf Erden, denn Einer ist euer Vater.Wie wirst also Du, liebster Bruder, bei jener schrecklichen Untersuchung im kommenden Gerichte Dich verantworten, der Du nicht bloß Vater, sondern allgemeiner Vater in der Welt genannt sein willst? […]

Gregors Ermahnung, die er „mit aller Zärtlichkeit“ geschrieben hat, verglich die Titelsucht mit dem Stolz Satans. Er wies auf die tiefe Erniedrigung Jesu Christi bis in den Staub hin. Bemerkenswert ist auch das Zitat aus Matthäus 23. „Papst“ Gregor kritisierte Johannes dafür, dass er sich „nicht bloß Vater, sondern allgemeiner Vater“ nennen ließ. Diesen Worten entnehme ich, dass Gregor sich nicht mit „Heiliger Vater“ ansprechen ließ. Anderenfalls wäre dieser Brief ein Gipfelpunkt der Heuchelei. Allerdings hatte Gregor kein Problem damit, Johannes den Faster mit „Ehrwürdige Heiligkeit“ anzusprechen.

Mit diesem Brief hat Gregor I. nicht nur die Anmaßung des damaligen Patriarchen von Konstantinopel getadelt. Er hat auch seinen Nachfolgern im römischen Bischofsamt das Urteil gesprochen, die sich ganz selbstverständlich mit „Heiliger Vater“ ansprechen lassen. Dass die Päpste ab Gregor I. auch den Titel „Servus Servorum Dei“ angenommen haben, macht die Sache nicht besser. Ein anderer Papst mit dem Namen Gregor (VII.) war immerhin der Ansicht, dass „alle Fürsten nur des Papstes Füße küssen“ dürfen.

Die wahren Diener der Diener Christi führen ihren Dienst nicht als Titel, sondern sie leben ihn.

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