… doch du sollst über sie herrschen.

6 Der HERR sprach zu Kain: Warum überläuft es dich heiß und warum senkt sich dein Blick? 7 Ist es nicht so: Wenn du gut handelst, darfst du aufblicken; wenn du nicht gut handelst, lauert an der Tür die Sünde. Sie hat Verlangen nach dir, doch du sollst über sie herrschen. (Genesis 4,6-7)

Gott sprach diese warnenden Worte an Kain, nachdem dieser wegen seiner von Gott nicht angenommenen Opfergabe von Zorn und Eifersucht gegen seinen Bruder Abel erfüllt war. Kain sollte der Sünde keinen Raum geben und über sie herrschen.

Die Bibel schweigt darüber, warum Gott auf die Gabe Abels geschaut hat, nicht aber auf die Gabe Kains. Der manchmal genannte Grund, dass Gott ein blutiges Opfer sehen wollte, trifft nicht zu. Vor Gott zählt nicht so sehr, was genau dargebracht wird, sondern die Gesinnung dessen, der das Opfer darbringt.

Wer Opfer des Dankes bringt, ehrt mich; wer den rechten Weg beachtet, den lasse ich das Heil Gottes schauen. (Psalm 50,23)

Es ist dir gesagt worden, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir erwartet: Nichts anderes als dies: Recht tun, Güte lieben und achtsam mitgehen mit deinem Gott. (Micha 6,8)

Claus Schedl1 sieht einen Unterschied in der

Gesinnung, mit der die beiden zum Opfer schreiten. Kain nimmt das Nächstbeste ohne Auswahl, Abel dagegen das Allerbeste seines Besitzes.

Es stimmt, dass bei Kain nur steht, dass er eine Gabe von den Früchten des Erdbodens darbrachte, bei Abel aber ausdrücklich von den Erstlingen seiner Herde und ihrem Fett die Rede ist (Genesis 4,3-4). Aber vielleicht hat Schedl dem Text mehr entnommen, als dort steht.

Wichtig ist die Reaktion Kains auf das verschmähte Opfer. Anstatt sich selbst zu prüfen und darüber nachzudenken, aus welchem Grund Gott sein Opfer nicht angenommen hat, wird er zornig.

Das entflammte Kajin sehr, und sein Antlitz fiel. (Genesis 4,5b – Buber)

Diese Reaktion zeigt, dass es ihm beim dargebrachten Opfer mehr um sich selbst als um Gott gegangen war. Er war verletzt und gekränkt und entbrannte deswegen vor Zorn. Er hatte sich durch sein Opfer eine göttliche Bestätigung erwartet, die ihm verweigert wurde. Sein Opfer war nicht der Ausdruck reiner Dankbarkeit und Hingabe an Gott gewesen.

Zum Zorn gesellte sich, wie der weitere Verlauf der Ereignisse zeigt, Neid und Eifersucht gegen seinen Bruder. Was ich nicht habe, soll auch er nicht haben. Das ging bis zur Ermordung des Bruders.

Doch noch in der Situation, als Kain innerlich brannte, kam ihm Gott entgegen. Gott wollte nicht, dass er sich noch weiter in die Sünde hinein begibt. Gott warnt Kain. Er ist der Sünde, die auf ihn lauert, nicht wehrlos ausgeliefert. Er soll und kann über sie herrschen.

Gott sagte ihm:

Wenn du gut handelst, darfst du aufblicken.

Wenn es um das Tun des Guten geht, verschwindet die Konzentration auf sich selbst, auf das vermeintlich oder wirklich erlittene Unrecht. Man kann seinen Blick wieder erheben. Der Zorn und alle schlechte Gesinnung löst sich. Es geht nicht mehr um mich, sondern um das Gute, letztlich um Gott.

Wörtlich steht in Vers 7:

Ist nicht, wenn du gut handelst, Erhebung?

Vom Erheben des Blicks ist ausdrücklich nicht die Rede. Man kann die „Erhebung“ auch im Sinne von Erhörung verstehen. Schedl schreibt:2

Der Bittende lag auf seinem Antlitz vor dem König. Wenn der König seine Bitte gewährte, hob er das Antlitz des Bittenden auf.

In diesem Sinne hätte die Entscheidung Kains für das Gute doch noch zu einer Annahme seines Opfers geführt.

Entscheidet man sich nicht für das Gute, dann lauert die Sünde vor der Tür. Im Grunde ist ja bereits die fehlende Bereitschaft für das Gute die Sünde. Doch kommt man dann noch tiefer in den Strudel des Verderbens.

Die Sünde, die an der Tür lauert, die es auf den Menschen abgesehen hat, wird hier personifiziert. Vielleicht soll auf den Versucher hingewiesen werden, der den Menschen immer tiefer in das Verderben hineinziehen will. Was bei der ersten Sünde von Adam und Eva begonnen hat, soll eine schrecklichere Fortsetzung finden.

Gott aber sagt Kain:

[…] doch du sollst über sie herrschen.

Wenn Gott sagt: „Du sollst“, dann heißt das auch: „Du kannst“. Die im Hebräischen verwendete grammatikalische Form beinhaltet beides. Der Mensch kann das aber nicht, wenn er auf sich alleine gestellt ist. Aber wenn Gott ihm sagt, dass der Mensch das soll und kann, dann kann er es mit Gottes Hilfe. Der Mensch muss und darf seinen Blick auf das Tun des Guten, auf Gott lenken. Gott hilft und erhört. Er stellt keine Forderungen, nur um dem Menschen zeigen, dass er es nicht kann. Auch wenn der Mensch es aus sich heraus nicht kann, kann er es, wenn er sich selbst loslässt und Gott anvertraut.

Gott will die Sünde nicht und wollte Kain vor dem Brudermord bewahren. Es gibt keine Prädestination zur Sünde, auch wenn etwa Calvin sogar gelehrt hat, dass Gott die Sünde Adams vorherbestimmt hatte. Die Worte Gottes an Kain zeigen, dass Gott den Menschen, auch wenn er der Sünde schon Raum gegeben hat, immer noch helfen will, sich zu besinnen und sich von der Sünde loszusagen.

Sag zu ihnen: So wahr ich lebe – Spruch GOTTES, des Herrn -, ich habe kein Gefallen am Tod des Schuldigen, sondern daran, dass ein Schuldiger sich abkehrt von seinem Weg und am Leben bleibt. Kehrt um, kehrt euch ab von euren bösen Wegen! Warum denn wollt ihr sterben, ihr vom Haus Israel? (Ezechiel 33,11)


  1. Claus Schedl, Geschichte des Alten Testaments, I. Band, Innsbruck 1956, S. 117. 
  2. Schedl, S. 118. 

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