„Und führe uns nicht in Versuchung …“

Und führe uns nicht in Versuchung, sondern rette uns vor dem Bösen! (Matthäus 6,13)

Und führe uns nicht in Versuchung! (Lukas 11,4c)

Als Jesus seine Jünger beten lehrte (das sogenannte Vater Unser), nannte er auch die Bitte, dass Gott uns nicht in Versuchung führen möge. Diese Bitte unterscheidet sich von den anderen dadurch, dass Gott darum gebeten wird, etwas nicht zu tun. Alle anderen Bitten sind positiv formuliert.

Diese Bitte erscheint manchen anstößig, sodass es immer wieder Bestrebungen gab und gibt, diesen Text abzuändern. Im Italienischen heißt es nun: „Lass uns nicht in Versuchung geraten“, im Französischen: „Und lass uns nicht in die Versuchung eintreten!“, zumindest in den offiziellen katholischen liturgischen Texten.

Auch neuere deutsche Übersetzungen oder Übertragungen lauten anders:

Hoffnung für Alle: Lass uns nicht in Versuchung geraten, dir untreu zu werden …
Neue Genfer Übersetzung: Und lass uns nicht in Versuchung geraten, …
Gute Nachricht Bibel: Lass uns nicht in die Gefahr kommen, dir untreu zu werden,
Neues Leben: Lass nicht zu, dass wir der Versuchung nachgeben, …
Berger/Nord: Und führe uns an der Versuchung vorbei …

Inwieweit entsprechen diese Vorschläge dem griechischen Text?

Das griechische Wort εἰσφέρω / eisphérō heißt wörtlich „hineintragen, hineinbringen“ (z. B.: Lukas 5,19). Die Bitte lautet, dass Gott uns nicht in die Versuchung hineintragen soll, wobei dieses „Hineintragen“ als eine von Gott gesetzte Aktivität zu verstehen ist. Von der Satzstruktur weichen die ersten vier der neueren Übersetzungsvorschläge vom griechischen Text ab, weil es dort nur darum geht, dass Gott die Versuchung nicht zulassen soll.

Nur die Version von Berger/Nord spricht vom aktiven Führen Gottes. Das „Nicht in die Versuchung Führen“ wird als ein Vorbeiführen an der Versuchung interpretiert.

Setzt die Bitte, dass Gott uns nicht in Versuchung führen soll die Möglichkeit voraus, dass Gott in die Versuchung führen könnte oder wollte?

Für Jakobus war die Sache klar:

13 Keiner, der in Versuchung gerät, soll sagen: Ich werde von Gott in Versuchung geführt. Denn Gott lässt sich nicht zum Bösen versuchen, er führt aber auch selbst niemanden in Versuchung. 14 Vielmehr wird jeder von seiner eigenen Begierde in Versuchung geführt, die ihn lockt und fängt. 15 Wenn die Begierde dann schwanger geworden ist, bringt sie die Sünde zur Welt; ist die Sünde reif geworden, bringt sie den Tod hervor. (Jakobus 1,13-15)

Es ist interessant, dass gerade Jakobus das schreibt, weil es in seinem Brief zahlreiche Parallelen zur Bergpredigt gibt. Allerdings hat Jakobus den Schlussteil von Vers 13 nicht ganz so parallel zum Vater-Unser-Text formuliert, wie es die Einheitsübersetzung vermuten lässt. Die Elberfelder Übersetzung lautet näher am Griechischen:

[…] er selbst aber versucht niemand.

Ich halte es für möglich, dass Jakobus hier einem falschen Verständnis von Matthäus 6,13 entgegenwirken wollte.

Auf jeden Fall ist klar, dass wir die Verantwortung für unsere Versuchungen niemals auf Gott abschieben können und dürfen. Jakobus lenkt unseren Blick auf unsere eigenen Begierden, aus denen unsere Versuchungen kommen. Gott will uns von der Sünde befreien und uns keinesfalls dazu verlocken.

Nach den Worten von Jakobus kann von Gott keine Versuchung kommen, er kann uns also auch nicht aktiv in Versuchung führen. Aber da er unsere Freiheit respektiert, lässt er zu, dass wir versucht werden, vor allem dann, wenn wir uns selbst in geistliche Gefahr begeben.

So hat es auch der jüdische Weisheitslehrer Jesus Sirach in seinem apokryphen Buch ausgedrückt:

Ein verhärtetes Herz nimmt ein böses Ende; wer die Gefahr liebt, kommt in ihr um. (Sirach 3,26)

Gott kann nur die Menschen führen, die sich von ihm führen lassen.

Paulus warnt vor Selbstsicherheit, will aber zugleich Zuversicht schenken:

12 Wer also zu stehen meint, der gebe Acht, dass er nicht fällt. 13 Noch ist keine Versuchung über euch gekommen, die den Menschen überfordert. Gott ist treu; er wird nicht zulassen, dass ihr über eure Kraft hinaus versucht werdet. Er wird euch mit der Versuchung auch einen Ausweg schaffen, sodass ihr sie bestehen könnt. (1 Korinther 10,12-13)

Das Leben eines Christen ist kein Leben ohne Versuchungen. Es gilt, Situationen und Umgebungen zu meiden, die Versuchungen fördern können. Es ist aber auch wichtig, sich selbst seiner Kleinheit und Schwäche bewusst zu sein und Gottes Hilfe zu erwarten.

Als Jesus im Garten Getsemani im Gebet den Kelch des Leides angenommen hat, sprach er zu seinen Jüngern im Hinblick auf ihre Versuchungen:

Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet! Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. (Matthäus 26,41)

Das Bewusstsein der eigenen Schwäche soll dazu führen, die Abhängigkeit von Gott zu sehen, der uns vor der Versuchung bewahren kann, der aber auch in der Versuchung helfen will, sie siegreich zu bestehen.

Vielleicht sollen wir die Bitte „Führe uns nicht in Versuchung!“ als eine Bitte um die Führung Gottes verstehen. Seine Führung führt uns nicht in Versuchung, sondern zeigt uns auch in positiver Weise seinen Willen, der auf der Erde ebenso geschehen soll wie im Himmel.

Die Übersetzung des Textes sollte trotzdem möglichst nah am griechischen Text sein.

1 Wer im Schutz des Höchsten wohnt, der ruht im Schatten des Allmächtigen. 2 Ich sage zum HERRN: Du meine Zuflucht und meine Burg, mein Gott, auf den ich vertraue. 3 Denn er rettet dich aus der Schlinge des Jägers und aus der Pest des Verderbens. 4 Er beschirmt dich mit seinen Flügeln, unter seinen Schwingen findest du Zuflucht, Schild und Schutz ist seine Treue. (Psalm 91,1-4)

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