Jesus Sirach – ein Buch der Bibel?

Um das Jahr 190 v. Chr. schrieb ein weiser Jude namens Jeschua‛ ein Buch über die Weisheit. Da der Name seines Vaters (oder Großvaters) Sira lautete, heißt dieses Buch nach der griechischen Namensform Jesus Sirach.

Als frommer Jude war er mit der Heiligen Schrift tief vertraut, aus der er für sein Werk schöpfte. In der Tat finden sich in diesem Buch auch viele wertvolle und gute Gedanken. Doch ist es deswegen schon als Heilige Schrift zu sehen, wie es die römisch-katholische Kirche endgültig 1546 auf dem Konzil von Trient getan hat?

Der lateinische Name des Buches „Ecclesiaticus“ geht auf Cyprian von Karthago, der im 3. Jahrhundert lebte, zurück. Er sollte wohl ausdrücken, dass das von den Juden nicht als kanonisch akzeptierte Sirachbuch von der Ecclesia, der Kirche, sehr wohl als Heilige Schrift anerkannt war. Bereits Origines (185-254 n. Chr.) soll es in seiner Spätzeit als Heilige Schrift zitiert haben. Athanasius (gest. 373 n. Chr.), Cyrill von Jerusalem (gest. 417 n. Chr.) und Rufinus (345-411 n. Chr.) halten sich an den hebräischen Kanon ohne Sira. Ab dem frühen 5. Jahrhundert scheint das Buch weitgehend anerkannt gewesen zu sein.1

Die älteste christliche Liste der Bücher des Alten Testaments, ein Schreiben des um 180 n. Chr. gestorbenen Melito von Sardes, kennt dieses Buch auch nicht. Im Neuen Testament wird es nicht zitiert.

Daraus lässt sich schließen, dass die frühen Christen nach dem Vorbild Jesu selbstverständlich den jüdischen Kanon der Heiligen Schrift übernommen hatten, in dem sich das Buch Jesus Sirach nicht befand. Es dauerte dann einige Jahrhunderte, bis es schließlich akzeptiert wurde. Eigentlich sollte es für Christen selbstverständlich sein, nur die Bücher als Heilige Schrift des Alten Testaments anzuerkennen, die auch Jesus und die Apostel anerkannt haben.

Auch aus dem Buch selbst gewinnt man den Eindruck, dass sich der Autor zwar als Weisheitslehrer sah, nicht aber als jemand, der ein Buch der Heiligen Schrift verfasste. Er betrachtete die Heilige Schrift als eine Größe, aus der er schöpfte, aber auf die er geschichtlich bereits zurückblickte.

Das ergibt sich etwa aus dem Lob der Väter in den Kapiteln 44-49. Er spricht über herausragende Persönlichkeiten aus der Geschichte Israels, beginnend mit Henoch bis hin zu Nehemia. In 49,14-16 gibt es dann einen abschließenden Rückblick:

14 Niemand wurde auf Erden erschaffen so wie Henoch, denn er wurde von der Erde hinweggenommen. 15 Und kein Mann war wie Josef, ein Anführer der Brüder, eine Stütze des Volkes, auch seine Gebeine haben sie aufbewahrt. 16 Sem und Set wurden unter den Menschen gerühmt und über allen anderen Lebewesen in der Schöpfung steht Adam.

Danach folgt in Kapitel 50 noch ein Lob auf den Hohepriester Simon II (ca. 220-195 v. Chr.), der ein Zeitgenosse des Weisheitslehrers war. Aber dieses Lob ist deutlich abgesetzt von den biblischen Gestalten, über die er zuvor geschrieben hatte.

Bedenkenswert ist auch, was Jesus, der Sohn Sirachs, über die Schriftgelehrten schreibt:

34b Anders, wer seine Seele hingibt und über das Gesetz des Höchsten nachdenkt: 39,1 Die Weisheit aller Vorfahren erforscht er und mit Prophezeiungen beschäftigt er sich. (Sirach 38,34b-39,1)

Die katholische Jerusalemer Bibel merkt dazu an:

Gesetz, Weisheit, Weissagungen: es handelt sich wahrscheinlich um die drei Teile der Heiligen Schrift.

Falls dem so ist, war die jüdische Heilige Schrift mit ihren drei Teilen, dem Gesetz, den Propheten und den (übrigen) Schriften bereits eine feste Größe, zu der der Sohn Sirachs nichts hinzufügen wollte.

Der Epilog des Buches weist auf die Absicht des Verfassers hin:

27 Bildung des Verstandes und Wissens hat er aufgezeichnet in diesem Buch – Jesus aus Jerusalem, Sohn des Sirach, des Eleasar, der Weisheit aus seinem Herzen hervorströmen ließ. 28 Selig, der bei diesen Dingen verweilt und sich dies zu Herzen nimmt und weise wird. 29 Denn wenn er dies tut, hat er zu allem Kraft, weil das Licht des Herrn seine Fährte ist; er hat den Frommen Weisheit gegeben. Gepriesen ist der Herr in Ewigkeit! Amen, amen! (Sirach 50,27-29)

Es geht um „Bildung des Verstandes und Wissens“. Interessant ist die Formulierung: „der Weisheit aus seinem Herzen hervorströmen ließ“. Obwohl er anschließend auf Gott verweist, ist des die Weisheit seines Herzens. Für einen frommen Juden gab es die Weisheit natürlich nur in Harmonie mit Gott. Deswegen folgt auch der Lobpreis Gottes. Jesus Sirach bzw. der Schreiber des Epilogs sah in den Worten des Buches schon eine Hilfe, das Licht des Herrn zu erkennen. Er hat aber nicht Heilige Schrift geschrieben, sondern das, was er aus der Schrift verstanden hat, in seinem Herzen durchdacht und für seine Leser aufbereitet.

Der Enkelsohn von Jesus Sirach hat nach 132 v. Chr. das Werk seines Großvaters ins Griechische übersetzt und einen Prolog dazu verfasst.

Darin heißt es:

Vieles und Großes ist uns durch das Gesetz und die Propheten und die anderen, die ihnen gefolgt sind, gegeben. Dafür ist Israel wegen der Bildung und Weisheit zu loben. Doch nicht allein die, welche zu lesen verstehen, sollen selber sachkundig werden, sondern die Gelehrten sollen auch den Unkundigen nützlich sein in Wort und Schrift.
So widmete sich Jesus, mein Großvater, sorgfältig dem Lesen des Gesetzes wie der Propheten und der anderen, von den Vorfahren überkommenen Schriften. Nachdem er sich darin eine hinreichende Kenntnis erworben hatte, drängte es ihn, auch selbst etwas zu verfassen, was Bildung und Weisheit fördert, damit die Gelehrten, die sich davon haben fesseln lassen, umso mehr beitragen können durch eine gesetzestreue Lebensweise. Ihr seid nun aufgefordert, mit Wohlwollen und Aufmerksamkeit das Lesen zu betreiben und Nachsicht zu üben, wo wir den Anschein erwecken, bei der Übersetzung einigen Formulierungen, um die wir uns mit Hingabe bemüht haben, nicht zu entsprechen. Denn es hat nicht die gleiche Kraft, wenn etwas ursprünglich in Hebräisch ausgedrückt wird oder wenn es in eine fremde Sprache übertragen wurde. Aber nicht nur dies, sondern auch das Gesetz und die Prophetenworte und die übrigen Schriften weisen keinen geringen Unterschied auf, wenn sie in ihren Ursprachen gelesen werden. […]

Dreimal verweist der Übersetzer auf das Gesetz, die Propheten und die übrigen Schriften, d. h., das Alte Testament. Er unterscheidet das Werk seines Großvaters eindeutig davon. Für ihn war klar, dass die Weisheitsworte seines Großvaters, die für ihn immerhin so wichtig waren, dass er sie ins Griechische übersetzte, einer anderen Kategorie zugehören als die Bücher der Heiligen Schrift.

Es gibt keinen Grund, das anders zu sehen, als er.

Quelle der Weisheit ist Gottes Wort in den Höhen und ihre Wege sind ewige Gebote. (Sirach 1,5)


  1. Aus dem Artikel Jesus „Sirach / Jesus Sirachbuch“ von Friedrich Vinzenz Reiterer auf bibelwissenschaft.de

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