Hat David Lahme und Blinde gehasst?

David sagte an jenem Tag: Wer die Jebusiter schlagen will, muss den Zinnor erreichen, mit den Lahmen und den Blinden, die David verhasst sind. Daher sagt man: Ein Blinder und ein Lahmer kommt nicht ins Haus. (2 Samuel 5,8)

Im Zusammenhang geht es um die Eroberung Jerusalems durch Davids. Nachdem David, der schon sieben Jahre in Hebron König über Juda war, auch König über die Nordstämme wurde, machte er sich an die Eroberung der jebusitischen Stadt Jerusalem, die zwischen den beiden von ihm regierten Territorien lag.

Der Hass gegen die Lahmen und Blinden, den David in den zitierten Worten ausdrückte, war seine Antwort auf die selbstsicheren Jebusiter:

6 Der König zog mit seinen Männern nach Jerusalem gegen die Jebusiter, die in dieser Gegend wohnten. Die Jebusiter aber sagten zu David: Du kommst hier nicht herein; vielmehr werden dich die Lahmen und die Blinden vertreiben. Das sollte besagen: David wird hier nicht eindringen. (2 Samuel 5,6)

Jerusalem, das damals noch sehr klein war, lag geschützt auf einem Bergrücken und war sehr schwer zu erobern. Deswegen waren sich die Jebusiter, deren Stadt bisher von den Israeliten nicht eingenommen werden konnte, sehr sicher. Sie waren sich so sicher, dass sie spöttisch sagten, dass sogar Lahme und Blinde David vertreiben könnten. Einer anderen Erklärung zufolge wären mit den „Lahmen und Blinden“ die Götter oder auch Kultdiener1 der Jebusiter gemeint.

Es geht in den Worten Davids also nicht um eine Geringschätzung körperlich beeinträchtigter Menschen, sondern um eine Reaktion auf die Aussage der Jebusiter. Die „Lahmen und Blinden“, die ihre Stadt verteidigen sollen, müssen geschlagen werden.

Mit dem „Zinnor“ ist der tunnelartige Schacht gemeint, durch den die Stadt mit Wasser versorgt wurde. Joab (nach 1 Chronik 11,6) dürfte durch diesen Schacht in Jerusalem eingedrungen sein und so die Stadt in seine Hand gebracht haben.2

Die Jebusiter wurden nicht ausgerottet, sondern nach Sacharja 9,7b in Juda integriert.

So wird auch er (der Philister) zu dem Rest gehören, der unserem Gott zu eigen ist. Er wird wie eine Sippe in Juda sein und Ekron wie ein Jebusiter.

Hier sprach der Prophet über eine zukünftige Aufnahme der Philister in das Volk Gottes und zog als Vergleich die Jebusiter heran. Das setzt voraus, dass diese den Glauben an den Gott Israels angenommen hatten und im Volk Israel integriert wurden.

Das in 2 Samuel 5,8 angeführte Sprichwort „Ein Blinder und ein Lahmer kommt nicht ins Haus“ bedeutet möglicherweise, dass Blinde und Lahme im „Haus“, d. h. im Tempel, nicht erwünscht waren. Das würde der Vorschrift von Levitikus 21,18 entsprechen, der zufolge Blinde uns Lahme nicht als Priester dienen durften.

Andererseits war das Volk auch dazu aufgerufen, auf Behinderte Rücksicht zu nehmen:

Du sollst einen Tauben nicht verfluchen und einem Blinden kein Hindernis in den Weg stellen; vielmehr sollst du deinen Gott fürchten. Ich bin der HERR. (Levitikus 19,14)

Der Tempel war Blinden und Lahmen aber nicht grundsätzlich verwehrt. In Matthäus 21,14 heißt es:

Im Tempel kamen Lahme und Blinde zu ihm (Jesus) und er heilte sie.

David hat nicht die körperlich Blinden und Lahmen gehasst. Der Sohn Davids, Jesus Christus, hat sich ihnen zugewandt und ihnen Heilung geschenkt.

Anders als David ist Jesus nicht gekommen, das irdische Jerusalem zu erobern, sondern Menschen zu sich in das himmlische Jerusalem zu rufen, die geistlich Blinden und Lahmen zu heilen, ihr Auge für die Wirklichkeit Gottes zu öffnen und ihre Schritte auf dem Weg Gottes festzumachen.

Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht, zu welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid, welchen Reichtum die Herrlichkeit seines Erbes den Heiligen schenkt. (Epheser 1,18)

12 Darum macht die erschlafften Hände und die wankenden Knie wieder stark, 13 schafft ebene Wege für eure Füße, damit die lahmen Glieder nicht ausgerenkt, sondern vielmehr geheilt werden!
(Hebräer 12,12-13)


  1. Jan Heller, David und die Krüppel. in: Jan Heller, An der Quelle des Lebens, Frankfurt am Main 1988. S.25-32. Heller vermutet, dass die „Lahmen“, eigentlich „Hinkenden“, Priester waren, die ihren Namen von kultischen Tänzen, die sie aufgeführt hätten, erhalten haben. Die „Blinden“ meinten eigentlich „Seher“. Diese Kultdiener wären nach dem Volksglauben tabu und somit unangreifbar gewesen. Die Jebusiter hätten sich auf den magischen Schutz durch diese Personen verlassen. 
  2. Jan Heller vermutet auch beim „Zinnor“ einen kultischen Kontext und nimmt an, „daß es auch hier um kultische Einrichtungen geht, die an den Mauern situiert und ähnlich wie die Hinkenden und Blinden in den Augen der Zeitgenossen tabuisiert waren.“ (S.30) 

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