14 Die Sünder in Zion erschraken, Zittern erfasste die Gottlosen. Wer von uns hält es aus bei dem fressenden Feuer? Wer von uns hält es aus neben der ewigen Glut? 15 Wer in Gerechtigkeit geht und die Wahrheit sagt, wer es ablehnt, Gewinn zu erpressen, wer sich dagegen wehrt, Bestechung anzunehmen, wer sein Ohr verstopft, um nichts von Bluttaten zu hören, und seine Augen verschließt, um nichts Böses zu sehen: 16 der wird auf Höhen wohnen, Felsenburgen sind seine Zuflucht; sein Brot wird gegeben, seine Wasserquellen sind gesichert. (Jesaja 33,14-16)
Im Zusammenhang dieser Verse geht es um das richtende Eingreifen Gottes. Angesichts des drohenden Gerichts stellen die Sünder die Frage, wer in dem drohenden Feuer des Gerichts bestehen kann. Im Grunde geht es darum: Wer kann vor Gott bestehen?
Denn der HERR, dein Gott, ist verzehrendes Feuer. Er ist ein eifersüchtiger Gott. (Deuteronomium 4,24a)
Es erfolgt eine Antwort, die an Psalm 15 oder an Psalm 24,3-4 erinnert, wo die Frage gestellt wird, wer Gott in seinem Heiligtum nahen darf.
Was Gott erwartet, ist ein Leben in Gerechtigkeit und Wahrheit. Das wird an verschiedenen Beispielen wie die Ablehnung von Erpressung und Bestechung dargelegt. Doch was ist mit dem Verstopfen der Ohren, um von Bluttaten zu hören, gemeint? Oder mit dem Verschließen der Augen, um Böses nicht zu sehen?
Wenn man Zeuge eines Verbrechens wird, kann man doch nicht seine Augen und Ohren davor verschließen, sondern muss handeln, um das Verbrechen eventuell noch zu verhindern oder zumindest für die Bestrafung des Übeltäters zu sorgen. Das Verheimlichen eines Verbrechens, dessen Zeuge jemand geworden ist, kann daher nicht gemeint sein.
Die Jerusalemer Bibel bietet diesen Text:
[…] wer sein Ohr verstopft, um keinem Mordplan je Gehör zu schenken, wer seine Augen verschließt, um Böses nicht einmal anzusehen.
Ähnlich auch Martin Buber:
[…] der eher sein Ohr taubstopfte, als daß er anhörte einen Blutplan, der eher seine Augen stumpfpreßte, als daß er zusähe dem Bösen.
Menge geht in dieselbe Richtung:
[…] wer seine Ohren verstopft, so daß sie nicht auf Mordpläne hören, und seine Augen verschließt, so daß sie nicht wohlgefällig nach Bösem ausschauen.
Nach diesen Übersetzungen ginge es darum, sich nicht in Mordpläne einweihen zu lassen, den bösen Plänen anderer eine klare Absage zu erteilen.
Der hebräische Text sagt das nicht direkt aus. Einigermaßen wörtlich übersetzt heißt es:
[…] verstopfend sein Ohr vor dem Hören von Blut(taten – ein Pluralwort) und verschließend seine Augen vor dem Sehen ins Böse.
Das Wort דָּמִ֔ים / dāmīm ist die Pluralform des Wortes für Blut. Es kann für Blutschuld oder Bluttaten stehen, möglicherweise auch für Pläne, Blut zu vergießen.
Dass ein Gerechter sich nicht in Mordpläne verwickeln lässt, ist klar.
Könnte mit diesen Worten nicht noch mehr gemeint sein? Könnte es nicht auch um eine Lust gehen, sich mit bösen Dingen zu beschäftigen? Seine Sinne auf böse Dinge zu richten, darüber zu hören, was gerade wieder an Schlimmem passiert ist?
Zur Zeit des Propheten Jesaja gab es natürlich viel weniger Möglichkeiten dazu als heutzutage, wo man in den Medien und im Internet ständig derartige Dinge sehen und darüber hören und lesen kann. Aber es kann auch damals schon eine Gefahr gewesen sein, zu viel über die Bosheiten der Menschen zu sprechen und zu hören. Das Böse, das wir in unser Inneres aufnehmen, prägt unser Denken.
Jesus sagte in der Bergpredigt:
22 Die Leuchte des Leibes ist das Auge. Wenn dein Auge gesund ist, dann wird dein ganzer Leib hell sein. 23 Wenn aber dein Auge krank ist, dann wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn nun das Licht in dir Finsternis ist, wie groß muss dann die Finsternis sein!
Wenn unser Auge gesund ist, auf das Wahre, Gute und Schöne, das von Gott kommt, ausgerichtet, dann wird auch unser Leben davon bestimmt. Das, was wir durch unser Auge in uns hereinlassen, erfüllt und prägt uns. Entweder im Guten oder im Schlechten.
Auch die Worte von Paulus in Philipper 4,8 ermuntern uns dazu:
Im Übrigen, Brüder: Was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert, ansprechend ist, was Tugend heißt und lobenswert ist, darauf seid bedacht!
Es geht sicher nicht darum, seine Augen grundsätzlich vor dem Bösen zu verschließen und sich eine Traumwelt aufzubauen. Dass die Welt böse ist, ist eine Realität. Darum sollen die Werke der Finsternis auch aufgedeckt werden, wie es Paulus in Epheser 5,11 schreibt:
[…] und habt nichts gemein mit den Werken der Finsternis, die keine Frucht bringen, deckt sie vielmehr auf!
Unsere Augen und Ohren sollen auf Gott und sein Wort ausgerichtet sein, das uns die Weisung gibt, die wir brauchen.
Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte, ein Licht für meine Pfade. (Psalm 119,105)