Im 3. Johannesbrief heißt es:
9 Ich habe der Gemeinde geschrieben. Aber Diotrephes, der unter ihnen der Erste sein will, nimmt uns nicht auf. 10 Deshalb werde ich, wenn ich komme, an sein Tun und Treiben erinnern. Mit bösen Worten verleumdet er uns und gibt sich damit noch nicht zufrieden; sondern er selbst nimmt die Brüder nicht auf und hindert alle daran, die es tun wollen, und schließt diese aus der Gemeinde aus. 11 Geliebter, ahme nicht das Böse nach, sondern das Gute! Wer das Gute tut, ist aus Gott; wer aber das Böse tut, hat Gott nicht gesehen.
Der Hintergrund dieser Situation kann nur aus der Reaktion von Johannes darauf erahnt werden. Diotrephes ist aus anderen Quellen nicht bekannt.
Eines ist aber klar, dass Diotrephes eine besondere Stellung in einer christlichen Gemeinde hatte. In den meisten Übersetzungen steht hier zwar, dass er der Erste sein will, sein Verhalten zeigt jedoch, dass er diese Position faktisch hatte. Das griechische Verb φιλοπρωτεύω / philoprōteúō könnte auch meinen, dass er es liebte, der Erste (eine Position, die er bereits hatte) zu sein. In der Übertragung von Klaus Berger heißt es: der so gerne an der Spitze der Gemeinde steht.
Er hat Brüder, die vermutlich von Johannes entsandt wurden, nicht aufgenommen und ist sogar so weit gegangen, diejenigen, die seinem Verhalten nicht zugestimmt haben und die Brüder aufnehmen wollten, aus der Gemeinde auszuschließen. Dadurch hat er sich klar gegen die Worte Jesu positioniert:
15 Wenn dein Bruder gegen dich sündigt, dann geh und weise ihn unter vier Augen zurecht! Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen. 16 Hört er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei mit dir, damit die ganze Sache durch die Aussage von zwei oder drei Zeugen entschieden werde. 17 Hört er auch auf sie nicht, dann sag es der Gemeinde! Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner. (Matthäus 18,15-17)
Der Ausschluss ist nicht die Sache eines Einzelnen, der sich selbst als Erster einer Gemeinde sieht, sondern ist eine Entscheidung, die Gott der Gemeinde anvertraut hat. Wenn Diotrephes das in Alleinentscheidung gemacht hat, zeigt das, dass er sich über Gott und die Gemeinde erhoben hat.
Die Position einer einzigen Person an der Spitze einer christlichen Gemeinde entsprach nicht der Gemeindestruktur der apostolischen Zeit.
Sie setzten für sie in jeder Gemeinde Älteste ein und empfahlen sie unter Gebet und Fasten dem Herrn, an den sie nun glaubten. (Apostelgeschichte 14,23)
Paulus und Timotheus, Knechte Christi Jesu, an alle Heiligen in Christus Jesus, die in Philippi sind, mit ihren Vorstehern und Helfern. (Philipper 1,1)
Wir bitten euch, Brüder: Erkennt die an, die sich unter euch mühen und euch vorstehen im Herrn und euch zurechtweisen! (1 Thessalonicher 5,12)
Ohne hier auf die Bedeutungen der einzelnen Begriffe einzugehen, zeigen diese beispielhaft angeführten Stellen, dass es immer eine Mehrzahl von Brüdern war, die fähig waren, Verantwortung zu tragen, denen die Sorge um die jeweilige Gemeinde anvertraut war. Dass es einen einzigen „Priester“ oder „Pastor“ oder „Bischof“ an der Spitze einer Gemeinde gab, war in der frühen Gemeinde unbekannt. Diese Neuerung verbreitete sich vor allem ab dem frühen 2. Jahrhundert. Die Struktur mit einem „Bischof“, der einem Kollegium von „Presbytern“ vorstand, wurde vor allem durch die Briefe des Ignatius von Antiochien propagiert. In der Zeit der Apostel gab es so etwas nicht.
Weil Gott der einzige Vater und Jesus der einzige Herr ist, sollte es in der Gemeinde keine „Väter“ und „Herren“, sondern nur Diener geben, Brüder und Schwestern, die einander in Liebe dienen.
25 Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Großen ihre Vollmacht gegen sie gebrauchen. 26 Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, 27 und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein. (Matthäus 20,25-27)
Vers 27 heißt nicht, dass es eine Position eines „Ersten“ geben soll, in die man sich hinaufdienen kann. Jesus wollte einfach sagen, dass sich wahre Größe im Dienen zeigt. Dienen kann nur der, der sich seiner Kleinheit vor Gott bewusst ist. Wer von Gott abhängig ist, wird unabhängig von sich selbst und braucht sich nicht selbst seine Wichtigkeit zu beweisen. Er kann die Bedürfnisse des anderen sehen und sich selbst vergessen.
Gerade deswegen war es wichtig, dass Johannes dem Streben und Verhalten des Diotrephes entgegengetreten ist. Doch leider hat sich im Lauf der Geschichte der Weg des Diotrephes durchgesetzt. So ist der 3. Johannesbrief eine Mahnung, zu den Ursprüngen zurückzukehren.