In diesem Text beschäftige ich mich mit der Frage nach dem vom Propheten Maleachi angekündigten zweiten Kommen des Propheten Elija, damit, ob er in der Person Johannes des Täufers schon gekommen ist, wie die unterschiedlichen Aussagen im Neuen Testament dazu zu bewerten sind und ob vor der Wiederkunft Jesu noch ein Kommen Elijas zu erwarten ist.
Die „Himmelfahrt“ Elijas
In 2 Könige 2,1-18 lesen wir über den Weggehen des Propheten Elija von dieser Welt. Nachdem er noch einmal die Prophetenjünger in verschiedenen Orten besucht hatte, überquerte er gemeinsam mit Elischa den Jordan und wurde, nachdem ein feuriger Wagen mit feurigen Pferden erschienen war und die beiden voneinander getrennt hatte, im Wirbelsturm zum Himmel emporgehoben.
Es spricht einiges dafür, dass hier in bildlicher Weise ein geistlicher Vorgang beschrieben wurde, nämlich, dass Elija nach seinem Weggang in der Herrlichkeit Gottes ist.
In Vers 9 bat Elischa um einen doppelten Anteil am Geist Elijas, was bedeutet, dass er der Nachfolger Elijas in seiner prophetischen Aufgabe sein sollte, da nach dem israelitischen Erbrecht der Erstgeborene einen doppelten Anteil am Erbe erhalten sollte (Deuteronomium 21,17). Daraufhin sagte Elija:
Du hast etwas Schweres erbeten. Wenn du siehst, wie ich von dir weggenommen werde, wird es dir zuteilwerden. Sonst aber wird es nicht geschehen. (2 Könige 2,10)
Dann sah Elischa die Hinwegnahme Elijas. Wenn Elija zu ihm sagte: „Wenn du siehst, …„, so deutet das darauf hin, dass es nicht um das Sehen mit seinen körperlichen Augen ging, denn das hätte er ja ohnehin getan, sondern um das geistliche Sehen und Verstehen dessen, was geschah. Claus Schedl versteht das so, dass Elija gestorben ist, wie auch sonst jeder Mensch, und dass Elischa in prophetischer Vision mit seinem für die jenseitige Wirklichkeit aufgetanen Auge den Heimgang Elijahs zu Gott schaute.1
Auf jeden Fall wird durch die besondere Art des Heimgangs die Bedeutung des Propheten Elija unterstrichen.
Die Verheißung Maleachis
Dieser besondere Heimgang des Propheten unterstützte auch den Gedanken, dass Elija noch eine Aufgabe im Plan Gottes haben werde. Im Buch Maleachi, des letzten Schriftpropheten, der nach dem babylonischen Exil zur Zeit der Perser wirkte, lauten die beiden letzten Verse:
23 Bevor aber der Tag des HERRN kommt, der große und furchtbare Tag, seht, da sende ich zu euch den Propheten Elija. 24 Er wird das Herz der Väter wieder den Söhnen zuwenden und das Herz der Söhne ihren Vätern, damit ich nicht komme und das Land schlage mit Bann. (Maleachi 3,23-24)
Maleachi sah die Gefahr, dass es, nachdem Jerusalem und der Tempel bereits einmal von den Babyloniern zerstört worden waren, es nochmals zu einer ähnlichen Katastrophe kommen könnte. Aber vorher würde Elija kommen, der die Aufgabe haben würde, Versöhnung im Volk zu bewirken, damit diese Katastrophe noch verhindert werden könne.
Über das Wie des Kommens Elijas sagte Maleachi nichts. Ob Elija persönlich kommen würde oder ob ein Prophet in ähnlicher Weise wie Elija um die Umkehr des Volkes Israel kämpfen würde, blieb offen.
Jesus Sirach scheint das im 2. Jahrhundert vor Christus so verstanden zu haben, dass Elija persönlich wiederkommen würde. Mit Bezug auf die Stelle in Maleachi heißt es in diesem apokryphen Buch:
[…] der aufgeschrieben ist für Zurechtweisungen für künftige Zeiten, um den Zorn vor dem Ausbruch zu besänftigen, um das Herz des Vaters dem Sohn zuzuwenden und um die Stämme Jakobs aufzurichten. (Sirach 48,10)
Johannes der Täufer
Als Johannes der Täufer auftrat, befragte ihn eine Delegation von Priestern und Leviten aus Jerusalem:
Wer bist du? 20 Er bekannte und leugnete nicht; er bekannte: Ich bin nicht der Christus. 21 Sie fragten ihn: Was dann? Bist du Elija? Und er sagte: Ich bin es nicht. Bist du der Prophet? Er antwortete: Nein. (Johannes 1,19-21)
Johannes hat also deutlich ausgedrückt, dass er nicht Elija ist.
Als Johannes der Täufer im Gefängnis war, weil er Herodes Antipas für dessen Ehebruch kritisiert hatte, sandte er zwei seiner Jünger zu Jesus. Im Anschluss daran sagte Jesus über den Täufer:
9 Oder wozu seid ihr hinausgegangen? Um einen Propheten zu sehen? Ja, ich sage euch: sogar mehr als einen Propheten. 10 Dieser ist es, von dem geschrieben steht: Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bahnen wird. 11 Amen, ich sage euch: Unter den von einer Frau Geborenen ist kein Größerer aufgetreten als Johannes der Täufer; doch der Kleinste im Himmelreich ist größer als er. […] 13 Denn alle Propheten und das Gesetz bis zu Johannes haben prophetisch geredet. 14 Und wenn ihr es annehmen wollt: Er ist Elija, der wiederkommen soll. 15 Wer Ohren hat, der höre! (Matthäus 11,9-11.13-15)
Nach der sogenannten Verklärung Jesu, als drei seiner Jünger ihn in seiner Herrlichkeit schauten und Mose und Elija mit ihm, befragten die Jünger Jesus über die Wiederkunft des Elija:
10 Da fragten ihn die Jünger: Warum sagen denn die Schriftgelehrten, zuerst müsse Elija kommen? 11 Er gab zur Antwort: Ja, Elija kommt und er wird alles wiederherstellen. 12 Ich sage euch aber: Elija ist schon gekommen, doch sie haben ihn nicht erkannt, sondern mit ihm gemacht, was sie wollten. Ebenso wird auch der Menschensohn durch sie leiden müssen. 13 Da verstanden die Jünger, dass er zu ihnen von Johannes dem Täufer sprach. (Matthäus 17,10-13)
Aufs erste sieht es so aus, als ob Jesus und Johannes der Täufer einander widersprechen würden. Johannes verneinte, Elija zu sein, Jesus hingegen sah im Täufer den wiedergekommenen Elija.
Interessant ist, dass Jesus in Matthäus 11,14 sagt: „Wenn ihr es annehmen wollt, …“ Für Jesus war es klar, dass Johannes nicht Elija in Person war, sondern dass er die heilsgeschichtliche Aufgabe zu erfüllen hatte, die Maleachi dem Elija zugewiesen hatte. Johannes der Täufer hingegen wollte vielleicht die Erwartung zurückweisen, dass er Elija persönlich sei.
Dazu passen auch die Worte des Engels zu Zacharias, als er ihm die Geburt Johannes des Täufers ankündigte:
15 Denn er wird groß sein vor dem Herrn. Wein und berauschende Getränke wird er nicht trinken und schon vom Mutterleib an wird er vom Heiligen Geist erfüllt sein. 16 Viele Kinder Israels wird er zum Herrn, ihrem Gott, hinwenden. 17 Er wird ihm mit dem Geist und mit der Kraft des Elija vorangehen, um die Herzen der Väter den Kindern zuzuwenden und die Ungehorsamen zu gerechter Gesinnung zu führen und so das Volk für den Herrn bereit zu machen. (Lukas 1,15-17)
Auch hier finden wir in Vers 17 einen klaren Bezug auf die Weissagung Maleachis, doch der Engel sprach vom Geist und von der Kraft des Elija, die in Johannes wirken würden.
So hat Johannes der Täufer die Aufgabe Elijas erfüllt, er hat viele Menschen zur Umkehr geführt und dadurch das Kommen des Messias vorbereitet. Die Mehrheit des damaligen Volkes Israel hat sich aber der Umkehr widersetzt, und so stieß auch der Messias auf Ablehnung, und die von Maleachi befürchtete Katastrophe trat 40 Jahre nach der Ermordung des Messias ein. Jerusalem und der Tempel wurden zerstört.
Wird Elija nochmals kommen?
In Matthäus 17,11 sagte Jesus:
Ja, Elija kommt und er wird alles wiederherstellen.
Man könnte das so verstehen, dass es gegen Ende der Geschichte, kurz vor der Wiederkunft Jesu, noch ein Kommen Elijas geben werde, vielleicht sogar des historischen Elija in Person.
Im 20. Jahrhundert hat der modalistische Pfingstprediger William Marrion Branham (1909-1965) sich selbst als den wiedergekommenen Elija gesehen. Die von ihm bis spätestens 1977 angekündigte Wiederkunft Jesu ist ausgeblieben. Offensichtlich war Branham nicht der wiedergekommene Elija. Ich habe hier Branham nur als das vielleicht bekannteste Beispiel eines falschen Elija erwähnt.
Der Kirchenvater Johannes Chrysostomos hat in seiner siebenundfünfzigsten Homilie zum Matthäusevangelium erwartet, dass der Prophet Elija als Vorläufer der Wiederkunft Jesu kommen werde. Er berief sich darauf, dass in Maleachi 3 ausdrücklich von Elija dem Tisbiter die Rede sei. Das steht allerdings nur in der Septuaginta, der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, nicht aber im hebräischen Text.
Man kann Matthäus 17,11 auch so verstehen, dass Jesus die Verheißung Maleachis bekräftigt hat, aber anschließend festgestellt hat, dass sich diese Verheißung im Kommen des Täufers erfüllt hat.
Die Wiederkunft Jesu wird überraschend sein, so wie das Kommen eines Diebes in der Nacht (Matthäus 24,43; 1 Thessalonicher 5,2; 2 Petrus 3,10). Da würde es nicht so gut passen, wenn unmittelbar vorher ein großer Prophet auftreten würde. Wir werden vor Spekulationen und Berechnungen gewarnt, aber zur beständigen Wachsamkeit aufgerufen.
Er sagte zu ihnen: Euch steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat. (Apostelgeschichte 1,7)
Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt. (Matthäus 24,42)
Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde. (Matthäus 25,13)
Die Bereitschaft, Gott zu begegnen, ist ständig nötig. Dazu ist es gar nicht wichtig zu wissen, wann Jesus wiederkommt. Wir können jeden Tag sterben und vor den Richterstuhl Christi gerufen werden.
Der historische Elija hat mit Gottes Kraft gegen den Götzendienst seiner Zeit gekämpft. Johannes der Täufer hat im Geist und mit der Kraft des Elija das Volk Israel zur Umkehr gerufen und für das Kommen des Messias vorbereitet. Der Messias ist gekommen und hat uns den Weg zum Vater geöffnet, damit wir ihn gehen.
- Claus Schedl, Geschichte des Alten Testaments, IV. Band: Das Zeitalter der Propheten, Innsbruck 1962, S.87-91. ↩