Der Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu

Auf den ersten Blick erzählen die synoptischen Evangelien – Matthäus, Markus, Lukas – die ersten Ereignisse des öffentlichen Wirkens Jesu anders als das Johannesevangelium. Die folgende Aufstellung soll zeigen, dass die Evangelien zwar aus unterschiedlichen Perspektiven aber nicht widersprüchlich berichten. Vielmehr ergänzen die vier Berichte einander.

1 Jesus wird von Johannes dem Täufer getauft.

Wir finden die Berichte über die Taufe Jesu bei allen drei Synoptikern:

  • Matthäus 3,13-17
  • Markus 1,9-11
  • Lukas 3,21-22

Das Johannesevangelium berichtet nicht direkt über die Taufe. In Johannes 1,32-33 bezeugt Johannes der Täufer, dass er den Geist auf Jesus herabkommen sah. Nach den Synoptikern geschah das bei der Taufe. Das Zeugnis des Täufers muss nicht unmittelbar nach der Taufe gewesen sein.

Ort der Taufe Jesu war Betanien, jenseits des Jordan (Johannes 1,28). Der Zeitpunkt der Taufe ist im Herbst/Winter 27/28 anzunehmen. Ausgangspunkt für diese Datierung ist die Tempelreinigung aus Johannes 2 (Siehe Punkt 6).

2 Jesus fastet und wird versucht.

Die synoptischen Evangelien berichten, dass sich Jesus nach der Taufe in die Wüste begab, wo er vierzig Tage fastete und vom Teufel versucht wurde:

  • Matthäus 4,1-11
  • Markus 1,12-13
  • Lukas 4,1-13

Bei der Annahme, dass Johannes der Täufer sein Zeugnis von Johannes 1,32-33 direkt nach der Taufe gegeben hätte, würde im Johannesevangelium die Zeit für dieses Fasten fehlen, da nach 1,35ff Jesus bereits am nächsten Tag seinen Jüngern begegnete. Bei der Annahme, dass Johannes sein Zeugnis ablegte, als Jesus aus der Wüste zurückkam, entfällt diese Schwierigkeit.

Als Ort des Fastens und der Versuchungen kommt nur die judäische Wüste infrage. Es ist nicht nötig, anzunehmen, dass sich Jesus zwischenzeitlich nach Jerusalem auf die Zinne des Tempels (Matthäus 4,5; Lukas 4,9) oder auf einen „hohen Berg“ (Matthäus 4,8; Lukas 4,5) begeben hätte. Die Versuchungen fanden in den Gedanken Jesu statt und wurden von ihm unmittelbar durch das Wort Gottes zurückgewiesen.

3 Jesus kehrt zu Johannes dem Täufer zurück.

Einen Tag, nachdem der Täufer von den jüdischen Autoritäten nach seiner Vollmacht gefragt wurde (Johannes 1,19-28), sieht er Jesus auf sich zukommen und weist auf ihn als das Lamm Gottes hin. Er bezeugt, dass er sah, wie der Geist Gottes auf Jesus herabkam (Johannes 1,29-34).

Tags darauf wiederholt er sein Zeugnis vor zweien seiner Jünger, Andreas und dem namentlich nicht genannten Johannes. Dadurch kommt es auch zur Begegnung mit Andreas‘ Bruder Simon, den Jesus bereits bei der ersten Begegnung Kefa (griechisch: Petros, deutsch: Stein) nennt. Am folgenden Tag folgt noch eine Begegnung mit Philippus und Nathanael (Bartholomäus?) (Johannes 1,35-51). Jesus findet so unter den Jüngern des Täufers den Kern seines eigenen Jüngerkreises.

4 Die Hochzeit zu Kana

Von Betsaida begab sich Jesu nach Kana in Galiläa, wo er zu einer Hochzeit eingeladen war. Dort wirkte er sein erstes Wunder, er verwandelte Wasser in Wein und offenbarte seine Herrlichkeit (Johannes 2,1-11).

5 Kafarnaum

Anschließend ging Jesus mit seiner Mutter, seinen Brüdern und seinen Jüngern nach Kafarnaum am Ufer des Sees Gennesaret (Johannes 2,12).

6 Jerusalem – Paschafest, Tempelreinigung

Vor dem sich nahenden Paschafest begab sich Jesus nach Jerusalem. Dort vertrieb er in einer prophetischen Handlung die Händler und Geldwechsler aus dem Tempelbereich (Johannes 2,13-22).

Er vollbrachte dort auch Wunder, die viele zum Glauben an ihn brachten (Johannes 2,23).

In Johannes 2,20 erfahren wir, dass dieses Ereignis 46 Jahre nach Beginn der groß angelegten Tempelerneuerung durch Herodes stattfand. Diese begann 19 v. Chr. Die Tempelreinigung ist somit für das Frühjahr 28 anzusetzen.

Während dieses Aufenthalts Jesu in Jerusalem kam der Ratsherr Nikodemus zu Jesus, um mit ihm zu sprechen (Johannes 3,1-21).

7 Aufenthalt in Judäa

Danach verließ Jesus mit seinen Jüngern Jerusalem, hielt sich aber noch in der Landschaft Judäa auf, wo Jesus parallel zu Johannes dem Täufer, der noch nicht im Gefängnis war, wirkte (Johannes 3,22-24). Die Information, dass Jesus taufte, wird in Johannes 4,2 spezifiziert, dass es nur seine Jünger waren, die tauften. Die Jünger Jesu, die zuvor bei Johannes waren, setzten ihre frühere Praxis fort. Die Taufe war ein Zeichen der Umkehr und ist von der späteren christlichen Taufe zu unterscheiden. Über den genauen Ort des Wirkens Jesu schreibt Johannes nicht. Es kommt nicht nur die Jordanregion infrage.

8 Begegnung mit der Frau am Jakobsbrunnen in Samaria

Auf dem Weg von Judäa nach Galiläa rastet Jesus in Samaria an einer Quelle nahe der Stadt Sychar (Der Ort wird entweder nahe dem heutigen Dorf Askar vermutet oder mit dem antiken Sichem, nahe dem heutigen Nablus gleichgesetzt). Dort begegnet Jesus einer samaritanischen Frau und durch ihr Zeugnis den Einwohnern des Ortes. Jesus blieb zwei Tage dort, bevor er nach Galiläa weiterzog.

9 Aufenthalt in Galiläa

Nach dem Zeugnis von Matthäus 4,12 und Markus 1,14 war Johannes, der kurz zuvor noch in Judäa getauft hatte (Johannes 3,23f), bereits im Gefängnis, als Jesus nach Galiläa zog. Matthäus 4,13 setzt voraus, dass er kurz in Nazareth, der Stadt, wo er aufgewachsen war, war. Auch Lukas 4,16 erwähnt als ersten Ort in Galiläa Nazareth. Lukas 4,23 setzt aber bereits Wundertaten voraus, die in Kafarnaum geschehen sind. Das könnte sich auf Punkt 5 dieser Zusammenstellung beziehen, was aber nach Johannes 4,54 nicht möglich ist. So bleibt nur die Möglichkeit, dass Lukas in 4,14-30 zwei oder drei Besuche in Nazareth zu einem einzigen Bericht verknüpft hat.
Auch das Wort in Johannes 4,44 (Ein Prophet wird in seiner eigenen Heimat nicht geehrt) könnte auf einen Besuch in Nazareth anspielen.

Nach Matthäus 4,12 begab sich Jesus von Nazareth nach Kafarnaum. Nach Johannes 4,46-54 war Jesus aber zuvor in Kana, wo er den Sohn eines königlichen Beamten heilte. Johannes nannte das das zweite Zeichen Jesu in Galiläa, nicht sein zweites Zeichen überhaupt. Er erwähnte ja in 2,23 und 3,2 Zeichen (= Wunder) Jesu in Jerusalem.

Von Kana begab sich Jesus nach Kafarnaum am See Gennesaret (Matthäus 4,12).

10 Die endgültige Berufung der Jünger

Nach Matthäus 4,18-22 und Markus 1,16-20 rief Jesus die Brüderpaare Simon und Andreas, sowie Johannes und Jakobus am Ufer des Sees Gennesaret zur Nachfolge. Nach Johannes 1,35-42 ist Jesus diesen Jüngern aber bereits am Jordan bei Johannes dem Täufer begegnet (Punkt 3), und diese Jünger hatten ihn auch auf seinen Reisen begleitet. Das muss kein Widerspruch sein. Nach ihrer Rückkehr nach Kafarnaum, wo Simon Petrus ein Haus hatte und als Fischer arbeitete, und auch Johannes und Jakobus bei ihrem Vater Zebedäus demselben Gewerbe nachgingen, gab es für diese Jünger nun eine neue Herausforderung. Sie sollten nicht mehr Fische fangen, sondern gemeinsam mit Jesus Menschen für das Reich  Gottes gewinnen. Sie haben die irdische Absicherung hinter sich gelassen und haben alles aufgegeben, um Jesus zu folgen.

Fazit

Die Berichte der synoptischen Evangelien berichten aus einer anderen Perspektive als das Johannesevangelium. Die scheinbaren Widersprüche lassen sich auflösen und liefern ein volleres Bild der Ereignisse als jedes einzelne Evangelium. Auffällig ist, dass Johannes nicht über die Berufung am See, aber über seine Begegnung mit Jesus am Jordan berichtet. In Johannes 1,39 nennt er sogar die Uhrzeit seines ersten Zusammentreffens mit dem Herrn. Dieses Treffen war für ihn das entscheidende Ereignis. Johannes dürfte die synoptischen Berichte gekannt haben, zumindest einen von ihnen, und wollte ergänzen, was er von Gott her als wichtig erachtete.

Der Ruf zur Nachfolge Jesu betrifft nicht nur seine ersten Jünger. Er ruft auch noch heute. Es liegt an uns, ihm zu folgen.

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