Psalm 88 – Bleibt nur die Verzweiflung?

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Im Buch der Psalmen finden wir eine Reihe von Gebeten, in denen jemand seine ganze Not klagend vor Gott bringt, z. B. die Psalmen 3-7. Auch Psalm 88 ist einer dieser Klagepsalmen. Diese Gebete geben trotz der Klage Grund zur Hoffnung. Sie enden mit einem Lob Gottes oder erwarten sein rettendes Eingreifen.

So lauten die Schlussverse von Psalm 5:

Doch alle sollen sich freuen, die auf dich vertrauen, und sollen immerfort jubeln. Beschütze sie und sie werden jauchzen über dich, die deinen Namen lieben.
Denn du, HERR, segnest den Gerechten. Wie mit einem Schild deckst du ihn mit Gnade. (Psalm 5,12-13)

Ganz anders ist das Ende von Psalm 88:

Entfernt hast du von mir Freunde und Nachbarn, mein Vertrauter ist nur noch die Finsternis. (Psalm 88,19)

Das letzte Wort des Psalms lautet „Finsternis“. Hat die Finsternis das letzte Wort?

Der genaue Hintergrund des Psalms ist nicht ganz klar. Das konkrete Leid des Psalmisten kann nur vermutet werden. Äußere Feinde werden, anders als in anderen Klagepsalmen, nicht erwähnt. Auch von Sünden des Beters ist nicht die Rede. Der Psalmist könnte von einer Krankheit geplagt werden. Er sieht sich schon mehr tot als lebendig (Verse 4-7.11-13). Weiters beklagt der Psalmist seine Vereinsamung (Verse 9 und 19). Deswegen wurde von manchen angenommen, dass er an Aussatz erkrankt ist. Diese Krankheit ging mit dem Ausschluss aus der menschlichen Gemeinschaft einher. In einer Zeit, in der Lepra nicht geheilt werden konnte, war das die einzige Möglichkeit, wie die Gesellschaft sich vor Ansteckung schützen konnte.
Es könnte sich aber auch nur um eine allgemeine Klage handeln.

Er, der sich schon am Rand des Grabes wähnt, würde auch den Tod nicht als Erlösung sehen. Deswegen klagt er:

Wirst du an den Toten Wunder tun, werden Schatten aufstehn, um dir zu danken?
Erzählt man im Grab von deiner Huld, von deiner Treue im Totenreich?

Werden deine Wunder in der Finsternis erkannt, deine Gerechtigkeit im Land des Vergessens? (Verse 11-13)

Er erwartet keine Auferstehung, auch keine Gemeinschaft mit seinem Schöpfer. Er sieht das Totenreich als den Ort, wo man nicht von der Huld Gottes und seiner Treue spricht. Seine Wunder und seine Gerechtigkeit kennt man dort nicht. Das sieht er als das eigentlich Schlimme dort. Für den Beter ist die Abwesenheit Gottes die größte Katastrophe.

Dieser Bezug auf Gott zeigt sich auch darin, dass der Psalmist hinter all seinem Leid das Wirken Gottes sieht:

Du brachtest mich in die unterste Grube … (Vers 7)
Auf mir lastet dein Grimm, mit all deinen Wogen drückst du mich nieder. (Vers 8)
Entfernt hast du von mir meine Vertrauten, zum Abscheu machtest du mich ihnen. (Vers 9)
Warum, HERR, verstößt du mich, verbirgst vor mir dein Angesicht? (Vers 15)

In dieser Hinsicht erinnert der Psalm an das Buch Ijob. Doch anders als Ijob erfährt der Psalmist keine Änderung seines Geschicks.

Er klagt Gott an, nicht die Umstände, nicht die Mitmenschen, auch nicht Satan. Er sieht Gott, dessen Grimm auf ihm lastet, als den, der dies alles bewirkt hat.

Trotz aller Klage und Anklage ist Gott für den Psalmisten der Gott seiner Rettung. So spricht er ihn am Beginn des Psalms an:

HERR, du Gott meiner Rettung, […]

Solange er sich an den Gott seiner Rettung wendet, besteht noch Hoffnung, auch wenn diese sonst im Psalm keinen Ausdruck findet. Der Klagende klagt nicht einfach in den Tag hinein. Er weiß, dass es diesen Gott der Rettung gibt, von dem er hofft, gehört zu werden. Darum klagt er bei Tag und bei Nacht.

Aus der Überschrift entnehmen wir, dass dieser Psalm ein Teil der Psalmensammlung der Söhne Korachs, einer Gruppe von Tempelsängern gehörte. Zu den Korachpsalmen zählen auch Psalmen, die in besonders tiefer Weise die Sehnsucht nach Gott, die Freude an ihm, die Hoffnung auf sein Eingreifen und Wirken an Israel und allen Völkern, ausdrücken, wie die Psalmen 42; 45; 46; 47; 48; 87. Doch hatten die Söhne Korachs auch diesen „hoffnungslosen“ Psalm in ihrem Repertoire. Wollten sie damit ausdrücken, dass auch die anscheinend hoffnungslose Klage ihren Platz hat? Wichtig ist die Ausrichtung auf den Gott unserer Rettung.

Das letzte Wort des Psalms, „Finsternis“ (hebräisch מַחְשָֽׁךְ / machschak) lesen wir auch in Jesaja 42,16:

Blinde führe ich auf Wegen, die sie nicht kennen, auf unbekannten Pfaden lasse ich sie wandern. Die Finsternis vor ihren Augen mache ich zu Licht; was krumm ist, mache ich gerade. Das sind die Taten, die ich vollbringe, und ich lasse davon nicht mehr ab.

Gott macht die Finsternis zu Licht. Wenn wir ihm vertrauen, gibt es Hoffnung trotz aller Hoffnungslosigkeit.

Im Beginn von Jesaja 42, in den Versen 1-9, lesen wir über den Knecht, den Gott sendet:

Ich schaffe und mache dich zum Bund mit dem Volk, zum Licht der Nationen, um blinde Augen zu öffnen, Gefangene aus dem Kerker zu holen und die im Dunkel sitzen, aus der Haft. (Jesaja 42,6b-7)

Dieser Knecht Gottes ist die endgültige Antwort auf die Nöte und Klagen des Menschen. Das Wort für Heil in Psalm 88,2 – jeschua – ist auch der Name des Knechts: Jesus.

Jesus hat die Nöte nicht nur dadurch überwunden, dass er Menschen in aussichtslosen Notlagen geholfen hat, dass er Kranke geheilt und Tote ins Leben zurückgeholt hat. Diese Wunder waren Zeichen für das endgültige Heil, das Gott am Ende der Zeiten schenken wird.

Der eigentliche Sieg Jesu war, dass er selber bereit war, schlimmste Demütigung und Not auf sich zu nehmen. Er war in den Augen der Menschen wie ein von Gott Verlassener, wie ein Verfluchter, und trotzdem ganz tief verbunden mit seinem himmlischen Vater. Er ist ins Totenreich hinabgestiegen, das durch ihn zu einem Ort der Hoffnung wurde. Er ist auferstanden und hat dadurch den Tod überwunden. Sein Sieg gilt allen, die sich ihm glaubend anvertrauen und ihm nachfolgen.

Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns in seinem großen Erbarmen neu gezeugt zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unzerstörbaren, makellosen und unvergänglichen Erbe, das im Himmel für euch aufbewahrt ist. (1 Petrus 1,3-4)

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