König Manasse und das Gericht über Jerusalem

König Manasse regierte Juda 55 Jahre lang, so lange wie kein anderer König Judas (2 Könige 21,1). Nach dem Urteil des Königsbuchs war er ein sehr schlechter König.

2 Er tat, was böse war in den Augen des HERRN, und ahmte die Gräuel der Völker nach, die der HERR vor den Israeliten vertrieben hatte. 3 Er baute die Kulthöhen wieder auf, die sein Vater Hiskija zerstört hatte, errichtete Altäre für den Baal, ließ einen Kultpfahl anfertigen, wie es schon Ahab, der König von Israel, getan hatte, warf sich vor dem ganzen Heer des Himmels nieder und diente ihm. 4 Auch baute er Altäre im Haus des HERRN, obwohl der HERR gesagt hatte: Auf Jerusalem will ich meinen Namen legen. 5 In den beiden Höfen des Tempels baute er Altäre für das ganze Heer des Himmels. 6 Er ließ seinen Sohn durch das Feuer gehen, trieb Zauberei und Wahrsagerei, bestellte Totenbeschwörer und Zeichendeuter. So tat er vieles, was böse war in den Augen des HERRN und ihn erzürnte. (2 Könige 21,2-6)

Auch vergoss Manasse unschuldiges Blut in großer Menge, bis er Jerusalem von einem Ende zum andern damit anfüllte. Außerdem verführte er Juda zur Sünde, sodass es tat, was böse war in den Augen des HERRN. (2 Könige 21,16)

Deswegen haben bereits während seiner Regierungszeit Propheten das Gericht über Jerusalem angekündigt.

10 Da ließ der HERR durch seine Knechte, die Propheten, sagen: 11 Weil Manasse, der König von Juda, diese Gräuel verübt und noch Schlimmeres getrieben hat als die Amoriter vor ihm, weil er auch Juda durch seine Götzen zur Sünde verführt hat, 12 darum – so spricht der HERR, der Gott Israels: Ich bringe Unheil über Jerusalem und Juda, sodass jedem, der davon hört, beide Ohren gellen werden. 13 Ich will an Jerusalem die Messschnur Samarias und die Waage des Hauses Ahab anlegen und Jerusalem auswischen, wie man eine Schüssel auswischt und dann umdreht. 14 Den Rest meines Erbbesitzes will ich preisgeben und den Feinden ausliefern. So wird mein Volk ein Raub und eine Beute all seiner Feinde werden; 15 denn es hat getan, was mir missfällt und mich erzürnt seit dem Tag, da seine Väter aus Ägypten zogen, bis zum heutigen Tag. (2 Könige 21,10-15)

Das angekündigte Gericht über Jerusalem und Juda kam aber nicht sofort, sondern erst einige Jahrzehnte später. Manasse starb 643 v. Chr., Jerusalem wurde 587 v. Chr. von den Babyloniern erobert und zerstört. Manasses Enkelsohn, der gottesfürchtige König Joschija (Regierungszeit 640-609), versuchte durch eine Reform noch eine Änderung zu bewirken. Doch diese Änderung blieb an der Oberfläche.

Bei alldem ist auch ihre Schwester Juda, die Treulose, nicht mit ganzem Herzen zu mir zurückgekehrt, sondern nur zum Schein – Spruch des HERRN. (Jeremia 3,10)

Unter den Söhnen Joschijas, vor allem König Jojakim, kehrte der Götzendienst rasch zurück.

Es ist bemerkenswert, dass auch nach dem Tod Manasses dessen Sünden als Ursache für das kommende Gericht genannt wurden.

So heißt es im Königsbuch im Zusammenhang mit König Jojakim:

2 Der HERR sandte nun die Räuberscharen der Chaldäer, Aramäer, Moabiter und Ammoniter gegen ihn. Er ließ sie über Juda herfallen und es verwüsten, wie er durch seine Diener, die Propheten, angedroht hatte. 3 Nur weil der HERR zürnte, kam dieses Unglück über Juda, sodass er es von seinem Angesicht verstieß. Es geschah wegen der Sünde Manasses, für alles, was dieser getan hatte, 4 auch wegen des unschuldigen Blutes, das Manasse vergossen und mit dem er Jerusalem angefüllt hatte. Das wollte der HERR nicht mehr verzeihen. (2 Könige 24,2-4)

Auch der Prophet Jeremia, der 627 v. Chr. als junger Mann zum Propheten berufen wurde, brachte das kommende Gericht mit Manasses Sünden in Zusammenhang.

Ich mache sie zu einem Bild des Schreckens für alle Reiche der Erde wegen des Manasse, des Sohnes Hiskijas, des Königs von Juda, zur Strafe für das, was er in Jerusalem verübt hat. (Jeremia 15,4)

Der Zusammenhang mit vergangenen Sünden war auch im Volk nicht unbekannt. Es kursierte das Sprichwort:

Die Väter haben saure Trauben gegessen und den Söhnen werden die Zähne stumpf. (Jeremia 31,29)

Jeremia hat im Rahmen einer Verheißung einer besseren Zukunft nach dem Strafgericht darauf hingewiesen, dass es dieses Sprichwort nicht mehr geben wird.

27 Siehe, Tage kommen – Spruch des HERRN -, da säe ich über das Haus Israel und das Haus Juda eine Saat von Menschen und eine Saat von Vieh. 28 Und es wird sein: Wie ich über sie gewacht habe, um auszureißen und einzureißen, zu zerstören, zu vernichten und zu schaden, so werde ich über sie wachen, um aufzubauen und einzupflanzen – Spruch des HERRN. 29 In jenen Tagen sagt man nicht mehr: Die Väter haben saure Trauben gegessen und den Söhnen werden die Zähne stumpf. 30 Nein, jeder stirbt für seine eigene Schuld; jedem Menschen, der die sauren Trauben isst, werden die Zähne stumpf. (Jeremia 31,27-30)

Im babylonischen Exil kannte man dasselbe Sprichwort auch. Der Prophet Ezechiel ist entschieden dagegen aufgetreten.

2 Wie kommt ihr dazu, auf dem Ackerboden Israels das Sprichwort zu gebrauchen: Die Väter essen saure Trauben und den Söhnen werden die Zähne stumpf? 3 So wahr ich lebe – Spruch GOTTES, des Herrn -, keiner von euch in Israel soll mehr dieses Sprichwort gebrauchen. 4 Siehe, alle Menschenleben gehören mir. Das Leben des Vaters ebenso wie das Leben des Sohnes: Sie gehören mir. Der Mensch, der sündigt, nur er soll sterben. (Ezechiel 18,2-4)

Wir finden also in der Bibel sowohl die Aussage, dass das Gericht wegen der Sünden des schon lange verstorbenen Königs Manasse gekommen ist, als auch die klare Feststellung, dass jeder wegen seiner eigenen Sünden stirbt. Niemand, der das Strafgericht Gottes erfährt, kann sich auf die Sünden eines früheren Königs oder einer vergangenen Generation ausreden.

Die beiden Aussagen widersprechen einander nicht. König Manasse hat in seiner langen Regierungszeit mit seiner intensiven Propaganda für den Götzendienst, der auch mit schrecklichen Kinderopfern verbunden war, einen verheerenden Einfluss auf sein Volk ausgeübt. Dieser Schaden wurde durch das positive Wirken seines Enkels Joschija nicht grundlegend behoben. Die Sünden Manasses haben das Volk tief geprägt. Es kam zu einer bleibenden Verhärtung im Bösen.

Die Verantwortung jedes einzelnen Menschen für sein eigenes persönliches Verhalten ist trotzdem geblieben. Gott hat durch seine Propheten gesprochen. Das langjährige Wirken Jeremias hat die Menschen nicht zur Umkehr geführt. Sie sind in ihren Sünden geblieben. Im Anfang der Regierung Jojakims, nur kurze Zeit nach dem Tod Joschijas, hielt Jeremia in Jerusalem die Tempelrede, in der er den Götzendienst anprangerte (Jeremia 26,1-6; 7,1-15).

Die Verhärtung im Bösen war damals schon so stark, dass Gott seinem Propheten sagte, er solle nicht für dieses Volk beten (Jeremia 7,16). Sie verehrten damals die Himmelskönigin (Jeremia 7,17-18). Nach Jeremia 7,31 scheint Jojakim sogar die Kinderopfer wieder eingeführt zu haben.

Auch haben sie die Kulthöhen des Tofet im Tal Ben-Hinnom gebaut, um ihre Söhne und ihre Töchter im Feuer zu verbrennen, was ich nie befohlen habe und was mir niemals in den Sinn gekommen ist.

Im Zusammenhang passt es besser, dass es in diesem Vers um die aktuellen Sünden ging, nicht um die Sünden der Vergangenheit.

Die Sünden Manasses haben das Volk tief geprägt. Aber keine Prägung von außen kann so tief gehen, dass sie uns die Freiheit wegnimmt. Die Hauptverantwortung für seine Sünden trägt jeder selber.

Daher sind beide Aussagen richtig. Das Gericht geschah wegen der Sünden Manasses. Es waren aber die konkreten Menschen der späteren Generation, die die Möglichkeit zur Umkehr, die ihnen durch die Propheten geboten wurde, nicht genutzt haben und eigenverantwortlich gesündigt haben.

Land, Land, Land, höre das Wort des HERRN! (Jeremia 22,29)

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