„Du aber, bete nicht für dieses Volk!“

Du aber, bete nicht für dieses Volk! Fang nicht an, für sie zu flehen und zu bitten! Dränge mich nicht! Denn ich werde dich nicht erhören. (Jeremia 7,16)

Im Buch des Propheten Jeremia steht dieses Wort im Anschluss an die „Tempelrede“ (Jeremia 7,1-15), eine Ermahnung an das Volk, die der Prophet Jeremia in der Anfangszeit des Königs Jojakim (ab 609 v. Chr.) gehalten hat. Nach dieser Rede verlangten die Priester und Propheten, d. h., die religiöse Elite Jerusalems, den Tod Jeremias, weil er die Zerstörung des Tempels angekündigt hatte. Das Volk und Beamte retteten jedoch mit dem Verweis auf das Beispiel des Propheten Micha (Micha 3,12) das Leben Jeremias. Im Detail sind die Auseinandersetzungen nach der Tempelrede in Jeremia 26 nachzulesen.

Wie passt dieses Wort Gottes an Jeremia zu den Worten, die Paulus an Timotheus schrieb?

1 Vor allem fordere ich zu Bitten und Gebeten, zu Fürbitte und Danksagung auf, und zwar für alle Menschen, 2 für die Herrscher und für alle, die Macht ausüben, damit wir in aller Frömmigkeit und Rechtschaffenheit ungestört und ruhig leben können. (1 Timotheus 2,1-2)

Offensichtlich hatte Jeremia den Wunsch, für sein Volk im Gebet einzutreten. Sonst hätte dieses Wort Gottes an ihn keinen Sinn gehabt. Die Situation, in der Jeremia stand, war eine andere als der Hintergrund der Worte im 1. Timotheusbrief.

Die Menschen, unter denen die Christen des 1. Jahrhunderts lebten, wussten in der Regel nicht viel von Gott. Sie lebten in ihren heidnischen Religionen. Durch die Gemeinde sollten sie das Evangelium erfahren. Das Gebet für die staatliche Obrigkeit war auch ein Ausdruck der Loyalität zum Römischen Reich. Die Verkündigung des Königtums Jesu stand nicht in Konkurrenz zur Unterordnung unter den Kaiser. Friede im Reich bedeutete auch, dass die Gemeinde in Ruhe leben konnte und die Verkündigung der Botschaft Jesu möglichst ungestört geschehen konnte. Aber es ging vor allem um die Menschen selber, die für ein Leben mit Gott in der Nachfolge Jesu gewonnen werden sollten.

Jeremia stand als Prophet mitten im auserwählten Gottesvolk, das seit Jahrhunderten das Wort Gottes kannte, das seine Führung und auch sein Gericht immer wieder erfahren hatte. Es war wenige Monate nach dem Tod des gottesfürchtigen Königs Joschija. Offensichtlich hatte sich die Situation im Volk sehr rasch verändert. Es wurde sichtbar, dass die Reformen, die Joschija durchgeführt hatte, nur an der Oberfläche wirkten (vergleiche Jeremia 3,10), dass der tiefe Ungehorsam, der seit den Tagen des gottfeindlichen Königs Manasse stark verbreitet war, noch immer Bestand hatte.

Die Aufforderung, nicht für das Volk zu beten, wird in den Folgeversen begründet.

17 Siehst du nicht, was sie in den Städten Judas und auf den Straßen Jerusalems treiben? 18 Die Kinder sammeln Holz, die Väter zünden das Feuer an und die Frauen kneten den Teig, um Opferkuchen für die Himmelskönigin zu backen. Anderen Göttern spendet man Trankopfer, um mir wehzutun. 19 Aber tun sie wirklich mir weh – Spruch des HERRN – und nicht vielmehr sich selbst, zu ihrer eigenen Schande? (Jeremia 7,17-19)

Bald nach dem Tod Joschijas wurde der Götzendienst wieder öffentlich praktiziert. Mit der Himmelskönigin ist vermutlich die Göttin Ischtar gemeint.

Gleichzeitig wurden auch dem Gott Israels Opfer dargebracht, die vor dem Hintergrund des gleichzeitig praktizierten Götzendienstes nicht dem Willen Gottes entsprachen. Wenn die Menschen nicht dem Weg Gottes folgen, sind religiöse Rituale leer und nur Selbsttäuschung.

21 So spricht der HERR der Heerscharen, der Gott Israels: Häuft nur Brandopfer auf Schlachtopfer und esst Fleisch! 22 Denn ich habe euren Vätern am Tag, als ich sie aus dem Land Ägypten herausführte, nichts gesagt und nichts befohlen, was Brandopfer und Schlachtopfer betrifft. 23 Vielmehr gab ich ihnen folgendes Gebot: Hört auf meine Stimme, dann will ich euch Gott sein und ihr sollt mir Volk sein! Geht in allem den Weg, den ich euch befehle, damit es euch gut geht! (Jeremia 7,21-23)

Die Existenz des Tempels wurde offensichtlich als eine Art Versicherung zum Schutz der Stadt und des Landes betrachtet. Jeremia hat das in der Tempelrede kritisiert:

Vertraut nicht auf die trügerischen Worte: Der Tempel des HERRN, der Tempel des HERRN, der Tempel des HERRN ist dies! (Jeremia 7,4)

8 Freilich, ihr vertraut auf die trügerischen Worte, die nichts nützen. 9 Was noch? Stehlen, morden, die Ehe brechen, falsch schwören, dem Baal opfern und anderen Göttern nachlaufen, die ihr nicht kennt – 10 und ihr kommt und tretet vor mein Angesicht in diesem Haus, über dem mein Name ausgerufen ist, und sagt: Wir sind geborgen!, um dann weiter alle jene Gräuel zu treiben. 11 Ist denn dieses Haus, über dem mein Name ausgerufen ist, in euren Augen eine Räuberhöhle geworden? Auch ich, siehe, ich habe es gesehen – Spruch des HERRN. (Jeremia 7,8-11)

Ja, es ging sogar so weit, dass Kinder geopfert wurden (etwas, das ohne religiösen Hintergrund auch in unserer Zeit geschieht).

Auch haben sie die Kulthöhen des Tofet im Tal Ben-Hinnom gebaut, um ihre Söhne und ihre Töchter im Feuer zu verbrennen, was ich nie befohlen habe und was mir niemals in den Sinn gekommen ist. (Jeremia 7,31)

Sünden bleiben nicht ohne Folgen, insbesondere, wenn Gottes Gebote nicht nur durch das Gewissen bekannt sind, sondern wenn Gott seinen Willen durch Offenbarung klar kundgetan hat. Durch die Ablehnung der Weisung Gottes haben sich die Menschen so sehr in der Bosheit verhärtet, dass das Strafgericht unausweichlich war. Auch das Gebet Jeremias konnte dieses Gericht nicht abwenden.

Diese Dinge sind nicht nur deswegen aufgeschrieben, damit auch spätere Generationen wissen, was damals geschah. Diese Dinge sollten als Warnung dienen, das Wort Gottes ernst zu nehmen.

11 Das aber geschah an ihnen, damit es uns als Beispiel dient; uns zur Warnung wurde es aufgeschrieben, uns, die das Ende der Zeiten erreicht hat. 12 Wer also zu stehen meint, der gebe Acht, dass er nicht fällt. (1 Korinther 10,11-12)

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