1 Das Wort, das der Prophet Jeremia zu Baruch, dem Sohn Nerijas, sagte, als dieser im vierten Jahr Jojakims, des Sohnes Joschijas, des Königs von Juda, die Worte nach dem Diktat Jeremias auf eine Buchrolle schrieb: 2 So spricht der HERR, der Gott Israels, über dich, Baruch: 3 Du hast gesagt: Weh mir! Denn der HERR häuft noch Kummer auf mein Leid. Ich bin erschöpft vor Stöhnen und finde keine Ruhe. 4 Sag zu ihm: So spricht der HERR: Was ich gebaut habe, breche ich nieder, und was ich gepflanzt habe, reiße ich aus – dieses ganze Land. 5 Du aber begehrst Großes für dich? Begehre es nicht! Denn siehe, ich bringe Unheil über alles Fleisch – Spruch des HERRN; dir aber gebe ich dein Leben als Beute an allen Orten, wohin du auch gehst. (Jeremia 45)
Kapitel 45 ist das kürzeste Kapitel des Jeremiabuches. Es enthält keine an das ungehorsame Volk gerichtete Strafpredigt, keine Weissagungen über andere Völker, kein Wort über den Messias. Es enthält ein Wort Gottes für Baruch, den „Sekretär“ von Jeremia.
In Vers 1 wird die Begebenheit auf das 4. Jahr des Königs Jojakim datiert, das entspricht dem Jahr 605 vor Christus. In Jeremia 36 wird die Situation, die den Hintergrund dieses Wortes bildet, beschrieben.
Jeremia sollte im Auftrag Gottes alle Worte, die er seit seiner Berufung in den Tagen Joschijas über Israel und die Völker gesprochen hatte, sammeln, damit das Volk sie noch einmal hören kann und zur Umkehr motiviert wird. Deswegen diktierte Jeremia diese Worte dem Baruch, damit er sie auf eine Buchrolle schreibe.
5 Darauf befahl Jeremia dem Baruch: Mir ist es verwehrt, in das Haus des HERRN zu gehen. 6 Darum geh du hin und lies am Fasttag aus der Rolle, die du nach meinem Diktat geschrieben hast, dem Volk im Haus des HERRN die Worte des HERRN vor! Auch allen Judäern, die aus ihren Städten herbeiströmen, sollst du sie vorlesen. 7 Vielleicht gelangt ihr Flehen um Gnade vor den HERRN und sie kehren um, jeder von seinem bösen Weg; denn groß ist der Zorn und Grimm, den der HERR diesem Volk angekündigt hat. (Jeremia 36,5-7)
Es scheint, dass es gerade in der Situation, als Baruch von Jeremia hörte, die in 45,3 zitierten Worte sprach.
Du hast gesagt: Weh mir! Denn der HERR häuft noch Kummer auf mein Leid. Ich bin erschöpft vor Stöhnen und finde keine Ruhe.
Baruch wusste, dass das sehr gefährlich werden konnte. Als Jeremia in der Anfangszeit des Königs Jojakim im Tempel zur Umkehr aufrief und die Zerstörung des Tempels ankündigte, wie zuvor auch das Heiligtum in Schilo zerstört worden war (Jeremia 7; 26,1-6), wäre Jeremia fast zum Tod verurteilt worden. Einige Beamte, die wohl noch vom gottesfürchtigen König Joschija eingesetzt worden sind, retten das Leben des Propheten mit einem Hinweis auf den Propheten Micha, der schon früher über die Zerstörung des Tempels gesprochen hatte (Jeremia 26,7-19). Dem Propheten Urija, der damals mit ähnlichen Worten wie Jeremia weissagte, kostete sein Dienst das Leben.
Es ist nicht zu erwarten, dass drei bis vier Jahre später der König sich zum Besseren verändert hätte. Darum ist die Reaktion Baruchs auf die Aufforderung, die Worte Jeremias im Tempel vorzulesen, verständlich.
Es gibt hier allerdings ein Problem mit der Datierung. Das Wort an Baruch in Kapitel 45 geschah im vierten Jahr Jojakims. Im selben vierten Jahr geschah nach Jeremia 36,1 auch der Auftrag Gottes, die Worte Jeremias zu sammeln. Vorgelesen hat Baruch diese Worte aber erst im fünften Jahr Jojakims und zwar im fünften Monat des Jahres, was ungefähr dem November / Dezember 604 entspricht (Jeremia 36,9-10). Das heißt, dass die Worte in Kapitel 45 nicht unmittelbar vor der Verlesung im Tempel gesagt wurden, sondern schon früher. Vermutlich war schon vor der Niederschrift der Worte Jeremias klar, dass es Baruchs Aufgabe sein würde, sie im Tempel vorzulesen. Und das war für Baruch schwer zu tragen.
Das Wort Gottes an Baruch war zuerst (in Vers 4) eine Bestätigung, dass das Gericht über das Land kommen würde. Es gab zwar nach Jeremia 36,3 noch eine kleine Hoffnung auf Umkehr.
Vielleicht hört das Haus Juda all das Unheil, das ich ihnen zu tun gedenke, sodass sie umkehren von ihrem bösen Weg, und ich kann ihnen Schuld und Sünde verzeihen.
Aber die Wahrscheinlichkeit, dass das Volk wirklich umkehren würde, war damals schon sehr gering. So konnte Jeremia in 45,4 davon ausgehen, dass das Unheil kommen würde.
In Vers 5 wird Baruch gesagt, dass er nichts Großes begehren sollte. Was war dieses Große? Baruch stammte vermutlich aus einer Familie, die zur Oberschicht gehörte. Sein Bruder Seraja wird in Jeremia 51,59 erwähnt. Er begleitete später König Zidkija auf einer Reise nach Babylon. Seraja hatte als Quartiermeister eine wichtige Funktion. Jeremia gab damals Seraja eine Buchrolle mit, die Worte des Gerichts über Babylon enthielt. Eine derart hohe Position war Baruch aufgrund seines Zusammenseins mit Jeremia verwehrt. War das das „Große“, das Baruch nicht für sich begehren sollte?
Wir können ausschließen, dass Baruch ein karrieresüchtiger Mann war. Sonst hätte er sich nicht Jeremia angeschlossen. Aber vielleicht fiel ihm das Leben in einer Unsicherheit, in der er sich mit dem Propheten immer wieder verbergen musste, nicht leicht. Vielleicht war das „Große“ einfach ein normales Leben in Frieden und Sicherheit.
Es gab aber die Verheißung für Baruch, dass trotz des Unheils, das über „alles Fleisch“, d. h. das ganze Volk, kommen sollte, er sein Leben als Beute erhalten werde. Baruch sollte wissen, dass er bei all den schlimmen Dingen, die kommen sollten, nicht umkommen wird.
Die Verheißung schließt mit den Worten: an allen Orten, wohin du auch gehst.
Es gab für ihn nicht die Sicherheit, immer am selben Ort bleiben zu können. Er musste mit wiederholten Ortswechseln rechnen. So kam es auch. Nach der Zerstörung Jerusalems war er vermutlich gemeinsam mit Jeremia beim Statthalter Gedalja in Mizpa (Jeremia 40,6). Nach der Ermordung Gedaljas wurde er mit Jeremia von den Judäern, die aus Angst vor der Rache der Babylonier nach Ägypten1 flohen, dorthin verschleppt (Jeremia 42,4-6).
Trotz dieser Unsicherheit hatte er die Verheißung, dass er am Leben bleiben werde. Das war gewiss vor der Situation, als er die Buchrolle vorlas, eine Bestärkung für ihn. Nach der öffentlichen Verlesung (Jeremia 36,9-10) musste Baruch sie nochmals vor einigen hohen Beamten vorlesen, die einerseits beschlossen, den König darüber zu informieren, andererseits aber Baruch den Rat gaben, sich ebenso wie Jeremia zu verbergen (Jeremia 36,11-19).
Die Schriftrolle wurde dem König vorgelesen, der sie dann Abschnitt für Abschnitt verbrannte (Jeremia 36,20-25). Er gab auch den Befehl, Baruch und Jeremia festzunehmen.
[…] aber der HERR hielt sie verborgen. (Jeremia 36,26)
So erfuhr Baruch unmittelbar in der Situation den Schutz Gottes, ebenso auch später. In allen Unsicherheiten und Gefahren hatte er die Verheißung der göttlichen Bewahrung. Baruch hat nicht irdisches Großes gesucht, sondern ist Gott und seinem Propheten Jeremia treu geblieben. Er hat sein Leben für den Auftrag Gottes eingesetzt und riskiert. Gott hat sein Leben bewahrt – nicht nur in dieser Welt, sondern auch für die kommende. Von dieser kommenden Welt ist im alttestamentlichen Zusammenhang noch nicht die Rede. Das ist durch Jesus viel klarer geworden. Doch haben auch alttestamentliche Propheten wie Urija ihr Leben für Gottes Wort hingegeben. Die Wahrheit war ihnen wichtiger als ihr eigenes Leben. Gott hat ihnen, die ihm treu waren, über den Tod hinaus die Treue bewahrt. Auch wenn sie die Verheißungen „nur von fern geschaut und gegrüßt haben“ (Hebräer 11,13), haben sie durch Jesus die Fülle des ewigen Lebens erlangt.
Darum wollen auch wir, die wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, alle Last und die Sünde abwerfen, die uns so leicht umstrickt. Lasst uns mit Ausdauer in dem Wettkampf laufen, der vor uns liegt, […] (Hebräer 12,1)
- Es ist daher sehr unwahrscheinlich, dass Baruch jemals nach Babylon kam, wo er nach Baruch 1,1 das Buch Baruch geschrieben haben soll. Das ist einer von mehreren Gründen, aus denen klar ist, dass dieses apokryphe Werk nicht von ihm stammt. Mehr dazu hier. ↩