Goliat im Koran

Fast jeder, der unter dem kulturellen Einfluss des Christentums oder des Judentums aufgewachsen ist, hat irgendwann etwas über den Kampf zwischen David und Goliat gehört, als ein Beispiel dafür, dass auch ein Schwacher einen Starken überwinden kann. In der Bibel lesen wir in 1 Samuel 17 eine ausführliche Darstellung dieses Kampfes mit dem dazugehörigen Hintergrund.

Auch der Koran erwähnt diesen Kampf.

249 Und als nun Talut mit den Heerscharen aufgebrochen war, sagte er: „Allah wird euch mit einem Fluß prüfen. Wer davon trinkt, gehört nicht zu mir. Und wer nicht davon kostet, der gehört zu mir, außer demjenigen, der (nur) eine Handvoll schöpft.“ Da tranken sie davon – bis auf wenige von ihnen. Und als er ihn überschritten hatte, er und diejenigen, mit ihm glaubten, sagten sie: „Wir haben heute keine Kraft gegen Galut und seine Heerscharen.“ Diejenigen aber, die glaubten, daß sie Allah begegnen würden, sagten: „Wie so manch eine geringe Schar hat schon mit Allahs Erlaubnis eine große Schar besiegt! Allah ist mit den Standhaften.“ 250 Und als sie gegen Goliath und seine Heerscharen in den Kampf zogen, sagten sie: „Unser Herr, verleih uns reichlich Geduld und festige unsere Schritte und hilf uns gegen das Volk der Ungläubigen.“ 251 Und so schlugen sie sie mit Allahs Erlaubnis, und Dawud tötete Galut. Und Allah gab ihm die Herrschaft und die Weisheit und lehrte ihn von dem, was Er wollte. Und wenn nicht Allah die einen Menschen durch die anderen zurückweisen würde, geriete die Erde wahrlich ins Verderben. Aber Allah ist voll Huld gegen die Weltenbewohner. 252 Dies sind die Zeichen Allahs. Wir tragen sie dir in Wahrheit vor. Und wahrlich, du bist einer der Gesandten. (Sure 2,249-252)

Der koranische Talut entspricht dem biblischen Saul, der in der koranischen Darstellung allerdings mit dem biblischen Gideon vermischt wurde. Das wurde bereits in einem eigenen Beitrag behandelt.

Die am Beginn von Vers 249 erzählte Prüfung am Fluss entspricht der in Richter 7,2-7 erzählten Begebenheit, als Gideon gegen die Midianiter kämpfte. Im Koran steht sie aber im Zusammenhang mit dem Kampf gegen „Galut“, dem biblischen Goliat. Dieser war kein Midianiter, sondern ein Philister. Zwischen diesen beiden Situationen lagen mindestens 100 Jahre, eher mehr. Die Midianiter kamen aus dem Südosten, die Philister aus dem Südwesten, von der Mittelmeerküste.

In der Bibel wird der Ort des Kampfes „Terebinthental“ (Tal Elah) genannt. Es liegt südwestlich von Jerusalem. Die Heere haben sich auf den Bergen beidseits des Tales gesammelt. Da ging es nicht darum, vorher einen Bach zu überqueren.

Im Koran heißt es am Ende von Vers 249:

Diejenigen aber, die glaubten, daß sie Allah begegnen würden, sagten: „Wie so manch eine geringe Schar hat schon mit Allahs Erlaubnis eine große Schar besiegt! Allah ist mit den Standhaften.“

Im biblischen Bericht steht nur über David, dass er sich angetragen hat, gegen Goliat zu kämpfen.

Und David sagte weiter: Der HERR, der mich aus der Gewalt des Löwen und des Bären gerettet hat, wird mich auch aus der Gewalt dieses Philisters retten. (1 Samuel 17,37)

Von einer Schar derer, die glaubten, ist keine Rede.

Die Worte, die der Koran denen, die glaubten, in den Mund gelegt hat, scheinen eher eine Ermunterung an die Begleiter Mohammeds gewesen zu sein als eine Darstellung der Situation vor dem Kampf zwischen David und Goliat.

Vers 251 stellt die Ereignisse in der falschen Reihenfolge dar. Zuerst tötete David Goliat, erst danach griffen die Männer von Israel und Juda die Philister an, die in ihre Heimatstädte flüchteten.

Es sieht so aus, als ob der Autor des koranischen Textes den biblischen Text nicht gekannt hätte. Doch ist die Darstellung so fragmentarisch, dass man zum tieferen Verständnis den biblischen Text kennen sollte. Wie auch bei anderen im Koran erwähnten biblischen Gestalten (z. B.: Jona) muss man, um zu erfahren, worum es wirklich geht, auf die Bibel zurückgreifen.

In einem deutschsprachigen Tafsir1 habe ich zu dieser Stelle diese Erklärung gefunden:

Über David (a.s.) im Jugendalter wird folgendes berichtet: David hatte keine Kenntnis im Umgang mit Waffen und Rüstung. Selbst im Lager der Kinder Israels war er kaum bekannt und Goliath machte sich über ihn lustig. Selbst sein eigener älterer Bruder schalt ihn, weil er seine Schafe verlassen hatte; denn oberflächlich besehen war er nichts weiter als ein armer Schafhirte, sein Glaube aber machte ihn zu einem mehr als würdigen Gegner der Heerscharen der Philister. Als Saul ihm seine eigenen Waffen und Rüstung anbot, lehnte der junge Held dies ab; denn er war nicht vertraut im Umgang mit ihnen, während er seine Steinschleuder wohl zu gebrauchen wusste. David (a.s.) suchte fünf Kieselsteine aus und schoss sie so geschickt mit seiner Schleuder ab, dass er Goliath zu Boden streckte. Dann hob er Goliaths eigenes Schwert auf und erschlug ihn damit. Dies erschreckte die Soldaten der Philister derart, dass sie die Flucht ergriffen. […]

Das ist eine (nicht ganz korrekte) Nacherzählung des biblischen Berichts. Aber dieser Koranerklärer schreibt nur: „wird folgendes berichtet“. Er nennt aber nicht die Quelle seiner Informationen. Offensichtlich wird alles getan, um zu verhindern, dass jemand die Bibel in die Hand nimmt und selber nachliest.

Anschließend heißt es in diesem Tafsir zur Erklärung von Vers 252:

Allāh (t) erzählt Seinem Gesandten Muḥammad, Allāhs Segen und Friede auf ihm, diese Geschichte, um ihm einiges über die göttliche Verfahrensweise mit anderen Propheten vertraut zu machen.

Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Allah diese Geschichte erzählt hat. Warum hat Allah bei seiner Erzählung die Geschichten von Gideon, Saul und David durcheinandergebracht? Warum hatte er in Vers 251 nicht mehr die richtige Reihenfolge im Kopf?

Man müsste eher die Frage stellen, warum der Autor des Korans keine Hemmungen hatte, seine mangelhafte Erzählung seinem Gott in den Mund zu legen. Hatte dieser Mensch keine Gottesfurcht?

Doch wehe denjenigen, die die Schrift mit ihren (eigenen) Händen schreiben und hierauf sagen: „Das ist von Allah“, um sie für einen geringen Preis zu verkaufen! Wehe ihnen wegen dessen, was ihre Hände geschrieben haben, und wehe ihnen wegen dessen, was sie verdienen. (Sure 2,79)


  1. Tafsīr Al-Qur’ān Al-Karīm, Erläuterung des Al-Qur’ān Al-Karīm in deutscher Sprache von Abū-r-Riḍā’ Muḥammad Ibn Aḥmad Ibn Rassoul, 2009, S.121. 

Kommentare sind geschlossen.

Bloggen auf WordPress.com.

Nach oben ↑