Nichts Gutes im Menschen?

Ich weiß nämlich, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt: Das Wollen ist bei mir vorhanden, aber ich vermag das Gute nicht zu verwirklichen. (Römer 7,18)

Römer 7 gehört zu den Teilen des Neuen Testaments, die am häufigsten falsch verstanden werden. Dass Paulus nicht über den Zustand eines Christen, auch nicht über sich selbst schreibt, wird in folgendem Artikel erklärt: Worüber schreibt Paulus in Römer 7?

Ich möchte mich hier vor allem mit Römer 7,18 beschäftigen und setze dabei voraus, dass es um einen Menschen geht, der die Erlösung durch Jesus Christus noch nicht kennengelernt hat. Sagt dieser Vers tatsächlich, dass im (gefallenen) Menschen nichts Gutes wohnt?

Klar ist, dass der Mensch von Gott gut geschaffen wurde. In Genesis 1,31 heißt es zum Abschluss des sechsten Schöpfungstages, an dem Gott den Menschen geschaffen hatte:

Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut. Es wurde Abend und es wurde Morgen: der sechste Tag.

Gott, der nur gut ist, kann nichts anderes als Gutes schaffen. Deswegen war der Mensch vor seinem Fall sehr gut. Die Frage, die sich stellt, ist die Frage nach den Folgen des Sündenfalls. Ist der Mensch durch das Sündigen total böse geworden, sodass es in ihm nichts Gutes gibt?

Römer 7,18 wird von den meisten deutschsprachigen Übersetzungen nicht ganz korrekt übersetzt. Wörtlich heißt es:

Οἶδα γὰρ ὅτι οὐκ οἰκεῖ ἐν ἐμοί, τοῦτ’ ἔστιν ἐν τῇ σαρκί μου, ἀγαθόν·
Denn ich weiß, dass nicht wohnt in mir, das ist in meinem Fleisch, Gutes.

Es mag als ein zu vernachlässigender Unterschied erscheinen, ob man nun sagt: „Nichts Gutes wohnt in mir“ oder: „In mir wohnt Gutes nicht“. In einigen späten Handschriften wird vor dem Wort „Gutes“ ein Artikel eingefügt, sodass es heißt: „[…] das Gute nicht wohnt.“

Wenn absolut nichts Gutes im Menschen wohnt, ist der Mensch so böse, dass er auch das Gute nicht erkennen kann. Genau das wird aber im Zusammenhang und auch im selben Vers vorausgesetzt.

Das Wollen ist bei mir vorhanden, aber ich vermag das Gute nicht zu verwirklichen.

Wenn ich das Gute wollen kann, ist bereits etwas Gutes da, nämlich die Erkenntnis und das Wollen des Guten.

Wenn man wörtlich übersetzt: „In mir wohnt Gutes nicht“, dann kann man den Vers auch so verstehen, dass Gutes in dem Maß oder in dem Sinn, wie es Gott erwartet, nicht im Menschen wohnt. Der Sündenfall und vor allem die Sünden, die jeder Mensch nach dem Fall des ersten Menschen aus eigener freier Entscheidung begangen hat, trennen ihn von Gott und machen es für ihn unmöglich, in der von Gott für ihn vorgesehenen Vollkommenheit zu leben. Alles Gute, das es im Menschen trotzdem noch gibt, ist ihm von Gott gegeben. Es gibt nichts im Menschen, worauf er stolz sein könnte. Es gibt aber auch im Menschen nach dem Sündenfall immer noch Gutes, für das er Gott danken darf und soll.

Paulus schreibt: „in mir, das heißt in meinem Fleisch“. Das mit „Fleisch“ übersetzte Wort σάρξ / sárx kann verschiedene Bedeutungen haben. Abgesehen von der wortwörtlichen Bedeutung des Fleisches, das die Knochen umgibt, oder des Leibes, kann es auch allgemein für die menschliche Natur stehen. Wenn es in Johannes 1,14 heißt, dass das Wort Fleisch geworden ist, dann ist gemeint, dass das ewige Wort Gottes Mensch geworden ist. Er hat nicht nur einen menschlichen Körper angenommen, sondern er ist voll und ganz Mensch geworden.

Besonders Paulus verwendet dieses Wort aber auch, um die Sündhaftigkeit oder das Prinzip der Sünde und widergöttlichen Rebellion auszudrücken. Ein Beispiel dafür sind die „Werke des Fleisches“ in Galater 5,19-21.

Leider ist es bei Paulus nicht immer so einfach, die genaue Bedeutung festzustellen.

Verstehen wir in Römer 7,18 das „Fleisch“ einfach als die gottfeindliche Gesinnung des Menschen, dann ist es kein Problem zu sagen, dass darin nichts Gutes wohnt. Das wäre völlig richtig. Doch setzt Paulus das „Ich“ mit dem „Fleisch“ gleich:  „in mir, das heißt in meinem Fleisch“. Darum denke ich, dass diese Lösung nicht möglich ist, obwohl in Vers 14 das Wort „fleischlich“, das Paulus mit „verkauft unter die Sünde“ gleichsetzt, auf das Prinzip der Sünde hinweist, das den Menschen ohne Gott bestimmt.

Johannes Chrysostomos1 hat versucht, hier das Fleisch im Gegensatz zur Seele zu deuten:

Wenn er oben sagt, daß „im Fleische das Gute nicht wohnt“, so ist das noch keine Anklage gegen das Fleisch; denn wenn in ihm das Gute nicht wohnt, so ist das noch kein Beweis, daß es schlecht sei. Wir gestehen zwar zu, daß das Fleisch weniger vornehm ist als die Seele und daß es ihr nachsteht, behaupten aber nicht, daß es im Gegensatz zu ihr steht, daß es ihr Feind, daß es an sich schlecht ist, sondern daß es der Seele untergeordnet ist wie die Zither dem Zitherspieler, das Schiff dem Steuermann.

Aber da im Zusammenhang keine Rede von der Seele ist, der das Fleisch gegenübergestellt wäre, denke ich, dass dieser Lösungsvorschlag nicht zutreffend ist.

Nach meinem Verständnis ist mit dem Fleisch die Natur des Menschen gemeint, die durch den Sündenfall und vor allem durch die durch diesen begünstigten eigenen Sünden geschwächt worden ist. Paulus will den Zustand eines Menschen beschreiben, der das Gute kennt und sich danach sehnt, aber immer wieder sehen muss, dass er scheitert und sündigt. Dieser Mensch ist nicht völlig verderbt, sondern will und liebt das Gute, das er aufgrund seiner sündigen Prägung nicht verwirklichen kann. Doch ohne Gottes Hilfe kommt er aus seinem Elend nicht heraus.

Jesus ist gekommen, um den Menschen aus dieser Not herauszuretten und zu einem neuen Menschen zu machen, der das Gute liebt und tut.

Gott aber sei Dank; denn ihr wart Sklaven der Sünde, seid jedoch von Herzen der Gestalt der Lehre gehorsam geworden, an die ihr übergeben wurdet. (Römer 6,17)


  1. Johannes Chrysostomos, Kommentar zum Briefe des hl. Paulus an die Römer, XIV. Homilie, 2. 

Kommentare sind geschlossen.

Bloggen auf WordPress.com.

Nach oben ↑