Athanasius und der Kanon

Dieses sind die Quellen des Heiles, welche den Dürstenden mit ihren Worten erfüllen; in diesen allein wird die Lehre der Frömmigkeit verkündet. Niemand darf diesen etwas beifügen, und Niemand von diesen etwas wegnehmen.
(Athanasius)

Athanasius von Alexandria (295-373) ist vielen wegen seines Einsatzes für die Lehre der Gottheit Jesu bekannt. Er hat an dem Anspruch Jesu, Gott zu sein, festgehalten und war bereit, dafür mehrmals in die Verbannung zu gehen.

Athanasius ist aber auch ein wichtiger Zeuge für den Umfang des Kanons1 der Bibel. Es ist ja keineswegs unbedeutend, welche Bücher als Heilige Schrift akzeptiert werden. Er hat den neutestamentlichen Kanon bezeugt, so wie er auch heute noch allgemein anerkannt worden ist. Das heißt nicht, dass der Kanon sein Werk ist. Er hat den Kanon nicht geschaffen, sondern bezeugt, was die allgemeine christliche Überzeugung war.

Sein Zeugnis ist auch wertvoll für den Kanon des Alten Testaments. Anders als beim Neuen Testament gibt es bezüglich des Alten Testaments zwischen den Konfessionen unterschiedliche Ansichten. Der katholische Kanon ist umfangreicher als der protestantische und jüdische Kanon. Er umfasst sieben Bücher mehr.

Darum sollte es gerade für Katholiken, die so großen Wert auf die Überlieferung legen, nicht unwichtig sein, welche Position Athanasius in der Frage des Kanons eingenommen hat.

Im 39. Osterfestbrief schrieb Athanasius im Jahr 367:

Allein da wir die Ketzer als Todte erwähnt haben, uns aber als solche, welche die göttlichen Schriften zum Heile besitzen; und weil ich fürchte, es möchten, wie Paulus an die Korinther schrieb [2 Korinther 11,3], einige Wenige aus den Unbehutsamen von ihrer Einfalt und Reinheit durch die Arglist gewisser Menschen abgelenkt werden, und sie möchten alsdann andere Bücher, welche man Apokryphische nennt, zu lesen anfangen, getäuscht durch die Gleichheit des Namens der echten Bücher; so nehmet es, ich bitte euch, nicht mit Unwillen auf, wenn ich von Dingen, die ihr wohl kennet, in meiner Schrift Erwähnung thue, weil es nothwendig und für die Kirche nützlich ist. Indem ich aber dieselben zu erwähnen im Begriffe bin, will ich im Anfange meines kühnen Unternehmens mich der Form des Evangelisten Lukas bedienen, und mit ihm sagen [vergleiche Lukas 1,1-4]: „Nachdem es Viele versucht haben,“ die sogenannten apokryphischen Bücher für sich selbst zu ordnen, und sie der vom göttlichen Geiste eingegebenen Schrift einzuverleiben, der Schrift, über welche wir völlige Gewißheit haben, wie den Vätern diejenigen meldeten, welche vom Anfange an Augenzeugen und Diener des Wortes waren; habe auch ich beschlossen, von aufrichtigen Brüdern aufgefordert und von oben belehrt, die Bücher der Reihe nach aufzuzählen, welche als göttliche im Canon verzeichnet, als solche überliefert und für solche gehalten worden sind; damit ein Jeder, welcher verführt worden ist, seine Verführer verdamme, derjenige aber, welcher rein geblieben ist, wieder daran erinnert sich freue.
Die Bücher des alten Testamentes sind also der Zahl nach im Ganzen zwei und zwanzig. Denn so viele Buchstaben sollen, wie ich gehört habe, die Hebräer haben. Der Ordnung und dem Namen nach aber sind sie im Einzelnen folgende: Erstens die Genesis, zweitens der Exodus, drittens der Leviticus, viertens Numeri, und fünftens das Deuteronomium. Auf diese folgen Iosua, der Sohn Nuns, die Richter, und nachher das Buch Ruth. Alsdann ferner die vier Bücher der Könige, von welchen das erste und zweite Buch als Ein Buch gezählt werden, und das dritte und vierte gleichfalls als Eines. Nach diesen werden das erste und zweite Buch Paralipomenon ebenfalls wieder als Ein Buch gezählt; hierauf das erste und zweite Buch Esdras gleichfalls für Eines. Nach diesen das Buch der Psalmen, und darauf die Sprüche, dann der Ekklesiastes und das Hohelied. Zu diesen gehört auch Job, und alsdann die Propheten, von welchen zwölf als Ein Buch gerechnet werden; alsdann Isaias, Ieremias und mit diesem Baruch, die Klaglieder, ein Brief, nachher Ezechiel und Daniel. So weit gehen die Bücher des alten Testamentes.
Aber auch die Bücher des neuen Testamentes aufzuzählen darf man nicht unterlassen. Diese sind nämlich: Vier Evangelien, nach Matthäus, nach Markus, nach Lukas, nach Johannes. Alsdann die Geschichte der Apostel, und die sogenannten sieben katholischen Briefe der Apostel, nämlich: Einer von Iakobus, zwei von Petrus, dann drei von Johannes, und ferner Einer von Judas. Ausser diesen sind vierzehn Briefe des Apostels Paulus vorhanden, welche in folgender Ordnung geschrieben sind: Der Erste an die Römer, dann zwei an die Korinther, und hierauf an die Galater; dann an die Epheser, alsdann an die Philipper und an die Kolosser, nach diesen zwei an die Thessalonicher, und der an die Hebräer, hierauf zwei an den Timotheus, und Einer an Titus; zuletzt der an den Philemon; weiterhin die Offenbarung des Johannes.
Dieses sind die Quellen des Heiles, welche den Dürstenden mit ihren Worten erfüllen; in diesen allein wird die Lehre der Frömmigkeit verkündet. Niemand darf diesen etwas beifügen, und Niemand von diesen etwas wegnehmen.
In Bezug auf diese beschämte der Herr die Saducäer, mit den Worten [Matthäus 22,29], „Ihr seyd irrig daran, da ihr die Schriften nicht könnet.“ Die Juden aber ermahnte er mit den Worten [Johannes 5,39]: „Forschet in den Schriften, denn sie sind es, die von mir Zeugniß geben.“ Allein wenigstens der größern Genauigkeit wegen füge ich nothwendiger Weise auch noch dieses meinem Schreiben bei, daß es nämlich ausser diesen auch noch andere Bücher gibt, welche zwar nicht in den Canon aufgenommen, aber von den Vätern für diejenigen zum Lesen vorgeschrieben sind, welche erst eintreten, und in dem Worte der Frömmigkeit unterrichtet werden wollen. Diese sind die Weisheit Salomons, und die Weisheit Sirachs, Esther, Judith, Tobias, die sogenannte Lehre der Apostel, und der Hirt. […]

Einige Anmerkungen:

„Vier Bücher der Könige“: Damit sind die Bücher 1 und 2 Samuel sowie 1 und 2 Könige gemeint.
„Paralipomenon“: Die beiden Bücher der Chronik
„Das erste und zweite Buch Esdras“: Die Bücher Esra und Nehemia
„Ekklesiastes“: Das Buch Kohelet oder Prediger

Beim Neuen Testament unterscheidet sich Athanasius nur in der Reihenfolge der Bücher von den heutigen Bibelausgaben. Den Hebräerbrief zählt er zu den Paulusbriefen.

Beim Alten Testament fällt auf, dass er von den bei Katholiken „deuterokanonisch“ genannten apokryphen Büchern nur das Buch Baruch als kanonisch akzeptiert. Er sieht dieses Buch gemeinsam mit dem „Brief des Jeremia“ (in den katholischen Bibeln Baruch 6) und dem zweifellos kanonischen Buch der Klagelieder als Einheit mit dem Buch des Propheten Jeremia und hat es wohl deswegen akzeptiert. Da heute auch katholische Exegeten in der Regel davon ausgehen, dass dieses Buch nicht von Baruch, dem Mitarbeiter Jeremias, stammt, sondern in einer späteren Zeit geschrieben wurde, gibt es für uns keinen Grund, in diesem Punkt dem Urteil des Athanasius zu folgen. Es spricht sogar einiges dafür, dass es im Buch Baruch eine antichristliche Zielsetzung gibt. Mehr dazu im Beitrag „Das Buch Baruch – antichristliche Propaganda in der katholischen Bibel?

Ferner fehlt im Kanon von Athanasius das Buch Ester. In diesem Punkt folgt Athanasius der ältesten christliche Liste der Bücher des Alten Testaments von Melito von Sardes.
Er nennt dieses Buch aber unter den Büchern, die zwar nicht zum Kanon gehören, …

aber von den Vätern für diejenigen zum Lesen vorgeschrieben sind, welche erst eintreten, und in dem Worte der Frömmigkeit unterrichtet werden wollen.

Er scheint gedacht zu haben, dass diese Bücher zwar nicht als Heilige Schrift gelten, dass sie aber bei Menschen, die Christen werden wollten, zur Unterrichtung in der Frömmigkeit verwendet werden durften. Sie sollten also keinesfalls zur Begründung einer christlichen Lehre herangezogen werden.

Neben Ester nennt Athanasius auch noch die Bücher Weisheit, Sirach, Tobias (= Tobit) und Judit. Nicht aber nennt er die beiden Makkabäerbücher. Immerhin wurde 2 Makkabäer in späterer Zeit zur Begründung für das Gebet für Verstorbene herangezogen (mehr dazu in diesem Beitrag).

Wenn also das Konzil von Trient im Jahre 1546 einen erweiterten Kanon beschlossen hat, der sieben Bücher mehr umfasste als der jüdische Kanon, den auch Jesus hatte2, hat sich dieses Konzil nicht nur vom Vorbild Jesu abgewandt, sonder auch gegen die unter anderen von Melito von Sardes und Athanasius bezeugte Überlieferung der Kirche gestellt.

Wir tun gut daran, nur die Bücher anzunehmen, über die Paulus geschrieben hat:

15 denn du kennst von Kindheit an die heiligen Schriften, die dich weise machen können zum Heil durch den Glauben an Christus Jesus. 16 Jede Schrift ist, als von Gott eingegeben, auch nützlich zur Belehrung, zur Widerlegung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, 17 damit der Mensch Gottes gerüstet ist, ausgerüstet zu jedem guten Werk. (2 Timotheus 3,15-17)


  1. Die Liste der als Heilige Schrift anerkannten Bücher. 
  2. Die verbreitete Ansicht, dass der jüdische Kanon erst gegen Ende des 1. Jahrhunderts auf einer Synode in Jamnia festgelegt wurde, ist nicht haltbar. Mehr dazu hier

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