39 Einer der Verbrecher, die neben ihm hingen, verhöhnte ihn: Bist du denn nicht der Christus? Dann rette dich selbst und auch uns! 40 Der andere aber wies ihn zurecht und sagte: Nicht einmal du fürchtest Gott? Dich hat doch das gleiche Urteil getroffen. 41 Uns geschieht recht, wir erhalten den Lohn für unsere Taten; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. 42 Dann sagte er: Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst! 43 Jesus antwortete ihm: Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein. (Lukas 23,39-43)
Wie sollen wir diese Zusage Jesu an den gemeinsam mit ihm gekreuzigten Übeltäter verstehen? Was heißt es, dass er noch am selben Tag mit ihm im Paradies sein sollte?
Das Wort „Paradies“ (παράδεισος / parádeisos) kommt im Neuen Testament nur dreimal vor und wird oft als ein Zwischenzustand verstanden, in dem sich die Geretteten zwischen ihrem Tod und der Auferstehung befinden.
In 2 Korinther 12,2-4 schreibt Paulus über ein visionäres Erlebnis, in welchem er das Paradies mit dem dritten Himmel gleichsetzt. Hier ist der dritte Himmel aber nicht im Rahmen eines Schemas von sieben Himmeln zu verstehen, das der Bibel unbekannt ist.1 Meines Erachtens liegt das Verständnis näher, dass Paulus den höchsten Himmel meint (vielleicht in Abgrenzung zum meteorologischen und astronomischen Himmel), also den „Ort“ der ewigen Gemeinschaft mit Gott.
In Offenbarung 2,7 lesen wir die Verheißung an die Gläubigen:
Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt: Wer siegt, dem werde ich zu essen geben vom Baum des Lebens, der im Paradies Gottes steht.
Hier wird das Bild vom Baum des Lebens im Garten Eden (Genesis 2,9) aufgegriffen. Es geht aber nicht um den Anfangszustand des Menschen vor dem Fall, sondern um die ewige Gemeinschaft mit Gott, die uns Jesus durch seine Erlösungstat erworben hat.
Deswegen legt sich nahe, dass mit dem Paradies, das Jesus dem mit ihm gekreuzigten Übeltäter versprach, nicht ein Zwischenzustand, sondern die ewige Gemeinschaft mit Gott gemeint ist.
Wenn Jesus nun nach seinem Tod bereits in der ewigen Gemeinschaft mit seinem Vater war, wie lässt sich das mit anderen Aussagen der Bibel vereinbaren?
In 1 Petrus 3,18-19 heißt es:
18 Denn auch Christus ist der Sünden wegen ein einziges Mal gestorben, ein Gerechter für Ungerechte, damit er euch zu Gott hinführe, nachdem er dem Fleisch nach zwar getötet, aber dem Geist nach lebendig gemacht wurde. 19 In ihm ist er auch zu den Geistern gegangen, die im Gefängnis waren, und hat ihnen gepredigt.
Wenn Petrus an dieser Stelle gemeint hat, dass Jesus nach seinem Tod den Menschen, die nichts von ihm gehört hatten, das Evangelium verkündet hat (mehr dazu in diesem Beitrag), wie konnte er gleichzeitig im Paradies sein?
Wir leben in dieser Welt in Raum und Zeit. Wenn wir über unsere Existenz nach dem Tod nachdenken, laufen wir Gefahr, dass wir in diesen Kategorien bleiben. Doch wenn der Tod der Übergang von der Zeit in die Ewigkeit ist, gelten diese Kategorien nicht mehr, auch wenn es uns in unserem Denken schwerfällt. So war Jesus (und mit ihm der Schächer) bereits in der Ewigkeit angekommen. Dass Jesus den Geistern im Gefängnis gepredigt hat, steht dazu nicht im Widerspruch. Ich denke, dass es Petrus vor allem um eine theologische Aussage geht: Die Erlösung durch Jesus gilt allen Menschen, auch denen, die nie etwas von ihm gehört haben. Sie haben noch eine Chance erhalten, sich für Jesus zu entscheiden, das Geschenk der Liebe anzunehmen.2 Das betrifft nicht nur die in 1 Petrus 3,20 angesprochenen Menschen zur Zeit der Sintflut, sondern alle, die nie mit dem Evangelium konfrontiert worden sind, auch die, die zeitlich nach Jesus gelebt haben und gestorben sind. Wenn wir auch diese Menschen einbeziehen, ist klar, dass das nicht in einen zeitlichen Rahmen passt.
Weitere Gedanken zur Problematik von Zeit und Ewigkeit nach dem Tod gibt es im Beitrag über Mariä Himmelfahrt im Abschnitt „Zeit und Ewigkeit“.
Wenn Jesus nach seinem Tod bereits in der ewigen Gemeinschaft mit Gott war, wie sollen wir dann seine Worte verstehen, die er an Maria Magdalena bei seiner ersten Erscheinung als Auferstandener gesagt hat?
Jesus sagte zu ihr: Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. (Johannes 20,17)
Hier scheint Jesus wirklich zu sagen, dass das Hinaufsteigen zum Vater noch vor ihm liegt.
Die Himmelfahrt war auch erst 40 Tage später (Apostelgeschichte 1,3). Jesus hat das wohl vom Blickpunkt des irdischen Lebens her gesagt. In den vierzig Tagen nach seiner Auferstehung ist Jesus seinen Jüngern immer wieder als Auferstandener erschienen. Danach nicht mehr. Die einzige Ausnahme war Paulus. Doch war diese Erscheinung, die nicht nur eine Vision war, sondern eine wirkliche Erscheinung des auferstandenen Herrn Jesus, dennoch anders als die vor den Jüngern, die Jesu Körper berühren konnten (Lukas 24,39; Johannes 20,27), mit ihm gegessen und getrunken haben (Lukas 24,41-43; Apostelgeschichte 10,41).
Vielleicht wollte Jesus Maria Magdalena sagen, dass jetzt noch eine Zeit ist, in der sie mit ihm als den Auferstandenen in dieser Weise Gemeinschaft haben können. Doch sie kann ihn nicht festhalten. Diese Zeit wird ein Ende haben. Zugleich war Jesus aber auch in der Herrlichkeit der Ewigkeit. Ewigkeit ist keine Zeit. Er ist dort nicht einfach verschwunden, als er auf der Erde erschienen ist. Für uns ist der Zusammenhang zwischen Zeit und Ewigkeit nicht leicht zu fassen, weil wir alles, was wir erleben, in der Zeit erleben. Nur dürfen wir dieses Denken nicht einfach in die Ewigkeit hineinprojizieren.
Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte 18 und der Lebendige. Ich war tot, doch siehe, ich lebe in alle Ewigkeit und ich habe die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt.
(Offenbarung 1,17c-18)
- Sieben Himmel kennt der Koran (z. B. Sure 17,44). In seiner legendären Himmelfahrt, die im Koran aber bestenfalls nur angedeutet wird (Sure 17,1), soll Mohammed die sieben Himmel durchschritten haben. Dabei sei ihm Jesus gemeinsam mit Johannes dem Täufer im zweiten Himmel begegnet. Dieser Zug der Legende steht jedoch im Widerspruch zum Koran, der in Sure 3,55 und 4,158 sagt, dass Allah Jesus zu sich erhoben hat. ↩
- Das bedeutet nicht, dass alle diese Möglichkeit ergriffen haben. Sie waren immer noch dieselben Menschen, die sie in ihrem irdischen Leben waren. Der Zustand der Menschen, die nie etwas vom Evangelium gehört haben, ist in der Bibel kein Hauptthema. Auch das Gleichnis vom Weltgericht in Matthäus 25,31-46 ist in diesem Zusammenhang zu sehen. ↩